Wie einzelne Teile zueinander stehen… – Die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik widmen sich in dieser Saison den „vier Fällen“

Bereits in die vierte Saison gehen die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik (btzm) unter dem künstlerischen Leiter Alexander Moosbrugger. Nachdem in den vergangenen drei Jahren die Zeit aus vielen Blickwinkeln musikalisch-kompositorisch betrachtet worden ist, konzentriert sich das diesjährige Programm auf sprachliche Aspekte. Als Analogie verwendete Alexander Moosbrugger die vier Fälle innerhalb einer Satzkonstruktion. Dementsprechend werden diesmal Werke in bestimmten Konstellationen zueinander in Beziehung gestellt. Der Kurator ist selbst Organist und legt diesmal ein Augenmerk auch auf Orgelwerke. Deshalb findet erstmals eine Exkursion nach Bregenz statt. Der Horizont weitet sich also auf das Land, bespielt werden hoch interessante Instrumente, unter anderem von den Vorarlberger Orgelbauer Pflüger und Rieger.

Alexander Moosbrugger sagt von sich selbst, dass er gerne in „externen Zusammenhängen“ denkt, die Konzepte müssen jedoch relativ schnell musikalisch verbindlich werden, so geschehen bei der Konzeption der diesjährigen btzm. „Ich finde es reizvoll den Stücken zu erlassen, Konzepte in Adjektiven zu kommentieren. Die gebrachten Stücke sind geschlossene Gebilde, in Beziehung tretend mit anderen. Es wird je Abend ein Satz formuliert und vervollständigt mit Subjekt, Prädikat und Objekt, der hinsichtlich eines Aussagewunsches möglichst alles zeigt und möglichst nichts im Ersatzweisen belässt“, erklärt der Kurator die Ausgangsgedanken zum Festival, das den Untertitel „Vier Fälle“ trägt.

Die Gewichtung innerhalb des Ganzen
Die Aussagekraft eines Werkes hängt wesentlich von der Stellung im Programm ab, dies zeigt sich einesteils musikalisch in den Wirkweisen der einzelnen Werke aufeinander, ist aber andernteils auch eine Frage der Aufmerksamkeit der Zuhörenden. Deshalb wird beispielsweise das neue Werk von Alfred Knüsel „Installation Streichquartett“ – vier nicht zyklische Passagen“ zweimal gespielt, einmal am Ende eines Konzertabends, am anderen Tag gleich zu Beginn.

Prominent vertreten im Programm der btzm ist Karlheinz Stockhausens Werk „Klang“. Ab dem Jahr 2004 hatte es sich der deutsche Komponist zur Aufgabe gemacht, jeder Stunde des Tages ein Werk zu widmen. Leider musste die Komposition unvollendet bleiben, weil der Komponist 2007 verstorben ist, drei Stunden fehlen. In Bludenz werden nun die 10. Stunde „Glanz“ und die 5. Stunde „Harmonien“ aus dem Zyklus „ KLANG, die 24 Stunden des Tages“ zu hören sein.

Bezüge in die Vergangenheit
Im Gespräch mit Alexander Moosbrugger werden viele Querverweise zwischen den Werken deutlich, die im Rahmen des Festivals zur Aufführung gelangen. Alexander Moosbrugger selbst hat den Hymnus „Ave maris stella“ aus dem Grignys Orgelbuch „Premier livre d’orgue (1699) für Ensemble eingerichtet. Dabei hat er unter anderem die Verzierungspraxis des 17. Jahrhundert abgebildet. Darüber hinaus wird die Musik in mitteltöniger Stimmung zu hören sein, die man sonst nur von Orgeln und Cembali kennt. Spielt jedoch ein Ensemble in dieser Stimmung, werden durch zahlreiche rein intonierte Intervalle außergewöhnliche Hörerfahrungen möglich. Von Gérard Griseys „Prologue“ für Viola solo aus lassen sich Beziehungslinien zum Wesen der Stimmungen ziehen. Besonders in diesem Werk wird deutlich, dass der Komponist den Klang an sich als Lebewesen begreift, indem er quasi das Innenleben der Töne darstellt.

Weitere Bezugspunkte sind in der Kompositionsgeschichte zu finden, wenn anhand einzelner Werke kompositorische Vorbilder aufgezeigt werden. De Grignys „Ave maris stella“ beispielsweise bezieht sich auf den bekannten gregorianischen Choral. Johann Sebastian Bach hat de Grigny sehr geschätzt und seine Werke kopiert und genauestens studiert. Bezugspunkte zu Bach und Komponisten in der Nachfolge von Bach, unter anderem Schumann und Liszt, schafft wiederum der Schweizer Komponist Heinz Holliger in der Fuge aus der Partita für Klavier.

Interessante Ensembles erleben
Durch die aktive künstlerische Auseinandersetzung mit der Musik der Gegenwart ist Alexander Moosbrugger am Puls der Zeit und weiß sehr genau, welche Ensembles und Interpreten er nach Bludenz einladen möchte. Erstmals in der Remise gastiert das Ensemble „musikFabrik“, das sich in den letzten Jahren mit außergewöhnlichen Projekten und einer offenen künstlerischen Denkart profiliert und in den Dienst der Komponisten gestellt hat. Im vergangenen Mai hat sich das Ensemble Stockhausens „Klang“ gewidmet und brachte den Zyklus im Rahmen der Musiktriennale in Köln auf die Bühne. Mit dabei war auch die Bassklarinettistin Petra Stump, die in Vorarlberg an der TonArt Musikschule in Hohenems unterrichtet. Sie hat einige Zeit mit Karlheinz Stockhausen persönlich zusammen gearbeitet. Die 5. Stunde „Harmonien“ für Bassklarinette solo wird Petra Stump in Bludenz als österreichische Erstaufführung interpretieren.

Das Pellegrini Quartett war schon öfters in der Bludenzer Remise zu Gast. Ein Credo des Streichquartetts lautet, auch eine Art Laboratorium sein zu wollen. „Die Programme schaffen Raum für Versuchanordnungen, geleitet von der Frage: Was passiert, wenn vier Streicher alle Konventionen des Quartettspiels, alle Interpretationsgewohnheiten hinter sich lassen?”. Ein Leitsatz, der für die btzm wie geschaffen scheint.

Ungewöhnliche Klangverbindungen und gleich drei neue Werke sind mit dem „Trio Amos“ zu erleben. Allein die Instrumentenkombination mit Flöten, Akkordeon und Violoncello wirkt reizvoll.

Drei Konzerte drei Orgeln
Im Rahmen der diesjährigen btzm hat Alexander Moosbrugger drei Konzerte für Orgel konzipiert, die unterschiedliche musikalische Zugänge beleuchten. Auf den ersten Blick mag es befremdlich erscheinen, dass ein Programmpunkt nach Bregenz verlagert wurde. Weil Alexander Moosbrugger jedoch die Ansprüche für die Aufführung eines bestimmten Werkes sehr genau prüft, ist klar, dass eine innermusikalische Notwendigkeit danach verlangt.

An der Pflüger-Orgel in der Bludenzer Heilig-Kreuz Kirche interpretiert der Organist Bernhard Haas, Professor für Orgel an der Stuttgarter Musikhochschule Werke von Robert HP Platz und Johannes Fritsch. Die Gegensätze zwischen der größten Orgel Vorarlbergs in der Herz-Jesu Kirche in Bregenz und jene der Klosterkirche Mehrerau könnten kaum größer sein. Auf der einen Seite spielt Bernhard Haas an der pneumatischen Behmann Orgel Brian Ferneyhoughs Orgelwerk „Sieben Sterne“. Haas hat das vielschichtige, kammermusikalisch angelegte Werk bereits auf CD eingespielt und mit dem Komponisten persönlich erörtert.

Passende Instrumente in Bregenz gefunden
Genau für Ferneyhoughs „Sieben Sterne“ wird eine möglichst groß dimensionierte Orgel benötigt. Deshalb recherchierten Alexander Moosbrugger und Bernhard Haas viele Orgeln in Vorarlberg, um den Anforderungen des Komponisten möglichst gerecht zu werden. Die große Behmann-Orgel in Bregenz kristallisierte sich als das am besten geeignete Instrumente heraus. Geplant ist die Aufführung auf der Empore, um dem Publikum ein unmittelbares Klangerlebnis zu ermöglichen. Die Orgel in der Klosterkirche Mehrerau stammt aus der Orgelwerkstatt Rieger. Für experimentelle Orgelliteratur bietet das mechanische Instrument ideale Voraussetzungen. Carola Bauckholt verlangt beispielsweise für ihr Werk „Gegenwind“ eine präparierte Orgel.

Das Festival dauert in diesem Jahr einen Tag länger, präsentiert werden neben sechs Uraufführungen auch drei österreichische Erstaufführungen. Mit der Exkursion nach Bregenz zeigen die btzm auch Weitsicht, weil das Festival an mehreren Ecken des Landes wahrgenommen wird und so auch weitere Interessierte angesprochen werden können. Es ist jedoch eine Tatsache, dass die Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik international mehr wahrgenommen werden als in Vorarlberg selbst. Daran hat sich seit den Anfängen des Festivals, das zuerst vom Initiator Georg Friedrich Haas und in weiterer Folge von Wolfram Schurig kuratiert worden ist, bislang nichts geändert.
Silvia Thurner

Factbox
Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik, Remise Bludenz
Mittwoch, 24. November bis Sonntag 28. November

Dieser Arikel ist zuerst in der Zeitschrift für Kultur und Gesellschaft, 9/2010 erschienen.

Links:
Bludenzer Tage
Musikdokumentation Vorarlberg