Seit dem Jahr 2018 bilden die Musiker:innen Julia Lacherstorfer und Simon Zöchbauer die Intendanz des Festivals wellenklaenge, das heuer von 14. bis 29. Juli 2023 in Lunz am See stattfindet: im Gespräch mit Jürgen Plank erzählt Julia Lacherstorfer von Höhepunkten im heurigen Programm genauso wie vom Hintergrund zum Festival-Motto „Wut & Wandel“.
Das Motto des heurigen wellenklaenge-Festivals lautet „Wut & Wandel“. Wie kam es denn zu diesem Thema?
Julia Lacherstorfer: „Wut & Wandel“ ist die Fortsetzung unseres Vorjahresthemas „Mut & Gerechtigkeit“. Es ist inspiriert von Amani Abuzahras neuem Buch „Ein Ort namens Wut“, sie beleuchtet die verschiedenen Aspekte von Wut. Das ist eine oft negativ konnotierte Emotion. Wenn wir aber wirklich ernstnehmen, warum Menschen wütend sind, dann hat das ein großes Potenzial Dinge zu verändern. Spannend ist auch daran: Wut wird nicht allen Menschen in gleichem Maße zugestanden: wir wundern uns nicht, wenn ein weißer Mann über etwas wütend ist und das auch sagt. Wir kennen das von Tausenden Beispielen in der Politik und darüber wundert sich niemand. Wenn sich aber eine Frau hinstellt, bekommt sie sehr schnell das Attribut hysterisch. Und marginalisierte Gruppen, etwa Menschen mit Migrationshintergrund, haben gar kein Recht darauf, wütend zu sein. Die sollen ohnehin für alles dankbar sein. Das finde ich spannend, denn Wut ist ein Indikator dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Durch patriarchale Strukturen gibt es gesellschaftlich Mechanismen, die einem Wut absprechen. Damit befassen wir uns auf einer Metaebene während des Festivals.
In Bezug auf Wut als Indikator für Missstände bin ich bei dir, bezüglich der transformativen Kraft würde ich eher an den Dalai Lama denken und an Zuneigung und Mitgefühl statt etwa an die Wutbürger:innen.
Julia Lacherstorfer: Ich glaube, wir meinen eh das Gleiche: wenn man der Wut zuhört, wodurch sie entstanden ist, und erkennt, was ihr eigentliches Anliegen ist, dann kann man durchaus Empathie empfinden. Wenn man wirklich bereit ist, das Gegenüber zu verstehen und zu verstehen, wie es zu dieser Emotion und dieser Schieflage kommt, dann denkt man sich im Optimalfall: Ich bin davon zwar nicht betroffen, aber für dich sind die Umstände schlimm und deswegen werde ich meinen Teil zur Veränderung beitragen. Empathie ist da ganz wichtig.
„MAN KANN MENSCHEN AUF EINE NIEDERSCHWELLIGE WEISE ERREICHEN, WENN KÜNSTLER:INNEN VERMITTELN: MICH BESCHÄFTIGT ETWAS“
Die Welt ist beständig im Wandel, zurzeit kann man von multiplen Krisen sprechen: angefangen von Krieg in Europa, der Klimakrise, wirtschaftlichen Krisen und den Gegensätzen zwischen Arm und Reich, Nord und Süd, usw. Welchen Beitrag kann da Kunst und Kultur liefern, auch in Form eines Festivals wie wellenklaenge?
Julia Lacherstorfer: Das ist ein Thema, das Simon und mich generell beschäftigt, auch abseits der wellenklaenge. Wir entwickeln gerade auch ein Haus für Kunst und Kultur im 15. Bezirk in Wien, wo es auch darum geht: Uns ist es in unserer eigenen Arbeit, bei wellenklaenge und generell wichtig, an den Themen Anteil zu nehmen, die unsere Gesellschaft beschäftigen oder beschäftigen sollten. Es ist auch spannend, sich zu fragen: Wer wendet sich welchem Thema zu und wer wendet sich von welchem Thema ab?
Wir sind ganz überzeugt davon, dass Kunst ohne eine rationale, intellektuelle Brücke es schaffen kann, direkt Emotionen oder Prozesse auszulösen, zu denen man mit einem rationalen Gespräch niemals hinkommen würde. Das sind einfach andere Schichten. Ich finde den intellektuellen Austausch, etwa Studien zu lesen, genauso wichtig. Wenn sich beides trifft, wenn Expert:innen und Künstler:innen sich treffen: wenn sich die Expertise mit der Inspiration vermischt, kann sich eine große Kraft entwickeln. Man kann Menschen auf eine niederschwellige Weise erreichen, wenn Künstler:innen vermitteln: mich beschäftigt etwas.
Genau das habt ihr letztes Jahr versucht und Musik und Text miteinander kombiniert. Da ist Mieze Medusa lesend gemeinsam mit Yasmo & Die Klangkantine aufgetreten.
Julia Lacherstorfer: Genau. Die Podiumsgespräche sind heuer, bei denen eben Autor:innen aus ihren Büchern lesen, nur indirekt mit Musik verknüpft. Die sind einem Konzert vorangestellt. Letztes Jahr war das so perfekt, weil wir an Yasmo, Mieze Medusa und Elif Duygu wirklich einen Kompositionsauftrag aussprechen konnten: bitte schreibt uns einen Text und neue Stücke zum Thema „Mut & Gerechtigkeit“. Heuer wird bei der Eröffnung Anja Om mit ihrem Gesangsensemble zu sehen sein und Matteo Haitzmann mit seinem Projekt Make it count. Sie beschäftigen sich die ganze Zeit mit diesem Thema auf ihre Weise.
Teil des Festivals ist ein Seerundgang, gestaltet von der Autorin Amani Abuzahra, die das Buch „Ein Ort namens Wut“ geschrieben hat. Was ist dabei zu erwarten?
Julia Lacherstorfer: Bei Schönwetter treffen sich alle am Wanderer-Parkplatz und man geht an der schönen, naturgeschützten Seite des Sees zu verschiedenen Stationen. Einerseits gibt es musikalische Beiträge vom Music Lab,das sind die Workshops. Andererseits wird eben Amani Abuzahra zu verschiedenen Aspekten aus ihrem Buch „Ein Ort namens Wut“ sprechen. Da ist es auch immer so, dass da natürlich Leute teilnehmen werden, die eine gewisse Offenheit für das Thema mitbringen, sonst würden sie sich nicht dafür anmelden. Und es entsteht eine fast kontemplative Stimmung. Die Musik passt sich an die natürliche Umgebung an und es kommt ein gesellschaftskritischer aber auch verbindender Input.Amaniagiert ja nicht mit einem erhobenen Zeigefinger, sondern sie zeigt auf, was Rassismus mit den Gefühlen von Marginalisierten macht. Wenn da Leute kommen, die sich dafür interessieren und vielleicht etwas ändern wollen, entsteht ein kollektives Einverständnis zu einem Thema und das ist etwas total Schönes.
Du bist mit Simon Zöchbauer seit 2018 – inklusive der Corona-Zeit – in der Intendanz von wellenklaenge. Wie hat sich das Festival und wie habt ihr euch in diesen Jahren entwickelt?
Julia Lacherstorfer: Wir haben uns sehr beim Team-Building weiter entwickeln können. Wir wussten immer schon, dass wir um uns eine Gruppe haben wollen, mit der wir uns austauschen können. In den ersten Jahren waren wir nur zu dritt, das war schon sehr fordernd. Manchmal auch überfordernd, zeitlich und auch wissenstechnisch, weil das für uns ein ganz anderer Tätigkeitsbereich war. Jetzt sind wir viel besser aufgestellt, es gibt inzwischen ein künstlerisches Betriebsbüro. Es gibt eine Produktionsleitung, die jetzt auch schon in ihr drittes oder viertes Jahr startet. Es ist wichtig, dass Leute dabei sind, die ihr Wissen von einem ins nächste Jahr mitnehmen. Unser Team ist größer geworden und die Aufgabenteilung ist klarer.
„UNSER BESTREBEN WAR ES VON ANFANG AN MEHR DIVERSITÄT AUF DIE BÜHNE ZU BRINGEN“
Wie hat sich die künstlerische Ausrichtung von wellenklaenge in der Zeit eurer Intendanz entwickelt?
Julia Lacherstorfer: Unser Bestreben war es von Anfang an mehr Diversität auf die Bühne zu bringen. Daran haben wir uns langsam angenähert und die Hoffnung wäre, dass sich durch die Repräsentation auf der Bühne auch unser Publikum unterschiedlicher zusammensetzt. Wir freuen uns, wenn auch unser Publikum durchmischt ist.
Albert Hosp hat mir heuer im Interview zu Glatt & Verkehrt erzählt, dass er sich darüber freut, wenn andere Festivals gelingen, die im selben Boot sitzen. Und er hat dabei explizit wellenklaenge erwähnt. Habt ihr euch von anderen Festivals inspirieren lassen?
Julia Lacherstorfer: Wir schätzen alles, was um uns herum passiert. Als Musiker:innen waren wir ja ständig bei Glatt & Verkehrt und bei Schrammelklang, etwa. Inhaltlich haben wir uns nicht an einem anderen Festival orientiert. Aber ich möchte erwähnen, dass wir von der grafischen Design-Ausrichtung von der Intertonalesehr angetan waren, die in Scheibbs stattfindet. Unser Folder-Format ist sehr vom Folder der Intertonale inspiriert.
Anja Om, Büsra Kayikçi, OSKA und Amani Abuzahra etwa sind alle im Programm 2023: Wolltet ihr heuer insbesondere Frauen ins Blickfeld rücken?
Julia Lacherstorfer: Das ist von Anfang an so. Wir haben von Anfang an darauf geschaut, dass es zwischen den Geschlechtern ein Gleichgewicht auf der Bühne gibt. Auch was die Diversität betrifft. Diesbezüglich sind wir noch nicht dort, wo wir sein möchten. Wir haben nie durchgezählt, ob es ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen gibt. Aber wir haben schon gemerkt: bei einem Slot gibt es vielleicht ein Männerduo, das musikalisch sehr gut ist. Aber wenn es insgesamt ein Ungleichgewicht mit sich bringt, entscheidet man sich vielleicht doch für etwas anderes.
Auf welchen Programm-Punkt im Rahmen des heurigen wellenklaenge-Festivals freust du dich selbst ganz besonders?
Julia Lacherstorfer: Heuer sind das sehr viele Programm-Punkte für die das gilt, wenn nicht für alle. Aber ich möchte einen Termin hervorheben, das ist der Abend am 28. Juli 2023: Die Veranstaltung wird im Lunzer Saal stattfinden, weil wir die Deckeninstallation bespielen, die wir im Jahr 2018 installiert haben.
Zum einen wird das neues Kollektiv Wetter etc. spielen, das ist ein neues Kollektiv, das sind Leute rund um Marco Kleebauer. Dann wird die Deckeninstallation neu bespielt, mit einem Kompositions-Auftrag an Lukas König und danach folgt ein Geheimtipp: Seba Kayan. Sie ist eine elektronische Musikerin und wird zur Revolution im Iran ein Stück machen, das heißt „Sampling Politics“, und am Ende des Abends wird sie Oriental Techno auflegen. Ich kann nur allen ans Herz legen, zu diesem Abend zu kommen, weil ich glaube, dass der extrem super wird, gerade wenn man an Multimedia und audiovisueller Kunst interessiert ist.
Auf welche Veranstaltung freust du dich noch?
Julia Lacherstorfer: Ich bin extrem gespannt auf Büsra Kayikçi. Sie wird am 27. Juli spielen. Alles, was ich bis jetzt von ihr gehört habe, finde ich total großartig. Ihr Debüt-Album ist bei einem Major-Label erschienen und sie reiht sich ein bei Nils Frahm und Ólafur Arnalds.
Herzlichen Dank für das Interview.
Jürgen Plank
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wellenklaenge
14. bis 29.7.2023, Lunz am See
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