„Wenn mir ein Klang gefällt, dann überlege ich, was ich daraus machen könnte“ – VERONIKA MAYER im mica-Interview

Die Wienerin VERONIKA MAYER bewegt sich gekonnt zwischen Neuer Musik und experimenteller Elektronik und schafft den Spagat zwischen Komposition, Improvisation und Installation. Warum ihr musikalische Ausdrucksfreiheit jenseits der Sparten so wichtig ist und wie es ihr gelingt, ihre verschiedenen Projekte und zahlreichen Kollaborationen zueinander in produktive Relation zu setzen, brachte Shilla Strelka im mica-Interview mit der Künstlerin in Erfahrung. 

Zu Beginn Ihrer musikalischen Laufbahn stand ein klassisches Klavierstudium, direkt gefolgt von dem Studium der Computermusik. Warum erschien es Ihnen notwendig, Ihr musikalisches Spektrum um digitale Tools zu erweitern?

Veronika Mayer: Ich habe klassisches Klavier im Rahmen der Instrumental- und Gesangspädagogik studiert und habe parallel dazu auch Jazzklavier gespielt. Nach meinem Studienabschluss wusste ich nicht genau, wie es weitergehen sollte. Dann habe ich den Universitätslehrgang für Computermusik und elektronische Medien an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien entdeckt, ohne wirklich zu wissen, was mich erwartete. Ich hatte einfach Lust, es zu probieren, also habe die Aufnahmeprüfung gemacht. Damals hatte ich nicht einmal einen eigenen Computer und ich hatte davor auch noch nie elektronische Musik gemacht. Ein Freund hat mir für die Prüfung einen alten Vierspurrekorder geborgt. Damit habe ich begonnen, aufzunehmen und zu mischen.

Haben Sie während dieses Studiums schon komponiert?

Veronika Mayer: Nein, nur Jazzstücke, aber keine zeitgenössischen Kompositionen. Das kam erst nach dem Lehrgang. Ich wollte schon immer Komposition studieren und komponieren, aber es hat sich irgendwie hinausgezögert. Nach dem Lehrgang habe ich auch noch Komposition studiert. Meine Studienzeit dauerte relativ lange, was mir aber auch die Möglichkeit gab, mich durch die unterschiedlichen Musikrichtungen zu bewegen.

„Ich will dem Klang Zeit geben.“

Ihre Stücke sind meist sehr reduziert, oftmals basieren sie nur auf minimalen Klangmodulationen. Warum ist dieser Ansatz, Klänge für sich selbst ernst zu nehmen und der Versuch, diese nicht zu überformen, für Sie so wichtig ? Ist dem auch ein pädagogisches Moment eingeschrieben?

Veronika Mayer: Pädagogisch habe ich das noch nie so empfunden oder gedacht. Es ist mir auf jeden Fall wichtig, dieses offene Ohr zu haben, genau hinzuhören und auch geringe Veränderungen und Bewegungen im Klang zu bemerken. Das setzt eine gewisse Geduld voraus und die Bereitschaft, sich die Stücke eine Zeit lang anzuhören, bevor etwas passiert, sich etwas verändert. Aber ich brauche das vielleicht auch einfach für mich selbst. Es beruhigt mich. Ich habe schon oft, wenn ich ein neues Stück begonnen habe, gedacht: „Dieses Mal mach ich es anders. Diesmal schreibe ich etwas Lautes, Fetziges, Turbulentes, Aufwühlendes.“ Aber wenn ich dann damit begann und damit arbeiten wollte, kam bis jetzt immer der Punkt, an dem ich mir dachte: „Nein, das funktioniert so nicht.“ Und dann komme ich wieder zurück zu diesen gedehnten Strukturen. Ich finde den Klang an sich so spannend, und wenn ich einen Klang finde, der mir gefällt und mich fasziniert, dann will ich dem einfach einmal zuhören. Daher kommt vielleicht auch dieses Statische, das dann in meinen Stücken immer mehr oder weniger entsteht. Ich will dem Klang Zeit geben. Er muss sich ausbreiten können. Ich denke nicht so sehr in Motiven, sondern es geht mir darum, Klängen Raum zu geben und diese miteinander zu kombinieren. Mir ist wichtig, dass man diese feinen Unterschiede bemerkt, wenn etwas dazukommt und dann wieder verschwindet, beziehungsweise geht es mir auch darum, Klangmischungen zu erzeugen.

Sie integrieren oftmals Alltagsgegenstände in Ihre Soundinstallationen und Kompositionen. Da finden sich Sanduhren, Glühbirnen, Flaschen, Dachrinnen oder Thermoskannen. Welche Motivation oder Faszination verbirgt sich dahinter?

Veronika Mayer: Wenn mir ein Klang gefällt, dann überlege ich, was ich daraus machen könnte. Vieles entsteht durch Ausprobieren, was natürlich auch Spaß macht. Der Zufall spielt da auch eine Rolle. Und das Gleiche gilt, wenn ich instrumental komponiere. Ich suche nach instrumentalen Klängen, die ich selbst interessant finde oder die mich ansprechen. Und wenn ich diese im Kern gefunden habe, dann gestalte ich diesen Klang. Das kann für ein Stück ausreichend sein.

Mir kommt vor, dass Sie die Subjektivität der Zuhörerinnen und Zuhörer involvieren möchten und Sie die Struktur Ihrer Stücke bewusst offen gestalten?

Veronika Mayer: Das ist mir nicht bewusst, aber das leitet sich wahrscheinlich auch von meiner Art zu komponieren oder kreativ zu sein ab. Ich habe oft versucht, ein fixes Konzept wie etwa einen strukturierten Zeitplan für ein Stück zu entwerfen, aber das hat nie funktioniert. Wenn ich von vornherein so viel festlege, dann stecke ich auch gleich in diesem Plan fest und komme nicht weiter. Wenn ich komponiere, höre ich mir selbst zu. Ich kann auch nicht den letzten Teil zuerst schreiben und dann an den Anfang gehen, sondern ich bewege mich immer von dem, was schon da ist, weiter. Ich kann mich nicht an eine zuvor festgelegte Struktur halten, das funktioniert nicht. Oft habe ich mir gedacht, dass es mit einem im Vorhinein festgesetzten Ablauf oder System möglich ist, schneller zu arbeiten oder strukturierter vorzugehen. Ich habe das auf diverse Arten versucht, aber so viel vorher festzulegen macht mich wahnsinnig.

Wie lange dauert Ihr längstes Stück?

Veronika Mayer: Zwölf Minuten. Das geht noch. Ich musste noch kein Werk schreiben, das eine Stunde oder länger dauert. Ich glaube, dafür wäre ich auch nicht geeignet.

Sie sind in verschiedenen Genres und Sparten aktiv und arbeiten gerne interdisziplinär. Warum ist es Ihnen wichtig, sich in verschiedenen Feldern zu bewegen?

Veronika Mayer: Weil es bereichert und weil es mit der eigenen Musik und Herangehensweise auch etwas macht. Ein gutes Beispiel ist meine Zusammenarbeit mit der Videokünstlerin Conny Zenk. Als ich zum ersten Mal mit Conny spielte, gab es für beide ein Aha-Erlebnis. Für sie war mein Sound neu oder ungewohnt und ich wiederum war plötzlich damit konfrontiert, mich auf sich ständig verändernde Visuals zu konzentrieren und auf das Zusammenspiel von Bild und Ton. Ich bin dagesessen und habe dann dringend nach einem Sound gesucht, der „rot“ klingt. Da habe ich gemerkt, wie stark das Gefühl sein kann, dass der Klang nicht zu diesem Bild, zu dieser Farbe oder diesem Objekt passt. Da erst habe ich entdeckt, dass das Visuelle für mich persönlich einen sehr großen Einfluss auf den Sound nimmt.

„[…] jetzt macht es mir viel mehr Spaß, auch frei zu gestalten.“

Ein Großteil Ihrer künstlerischen Produktion basiert auf Kollaborationen. Ist es nicht auch untypisch im Bereich der Neuen Musik, aus der selbstständigen Komponistenrolle herauszutreten und eher kollektiv zu arbeiten?

Veronika Mayer: Zusammenarbeit ist mir auf jeden Fall wichtig. Auch weil man so die Möglichkeit hat, über die Arbeit zu kommunizieren und gemeinsam an etwas zu arbeiten. Das ist ein schöner Prozess, und man macht sowieso sehr viel alleine im Kunstbereich. Ich habe das in den letzten Jahren tatsächlich zu schätzen gelernt. Es ergibt sich sehr viel von selbst und ich finde es schön, zu merken, wenn dabei spannende Dinge entstehen. Das gibt einem auch die Möglichkeit, etwas fortzusetzen. Genauso schön ist es aber auch, jemanden kennenzulernen, weil man dann neuen Input bekommt. Ich habe das Gefühl, das nimmt auch Einfluss auf die Art, wie ich komponiere und notiere. Früher habe ich alles bis ins kleinste Detail schriftlich fixiert und jetzt macht es mir viel mehr Spaß, auch frei zu gestalten. Ich möchte, dass auch die Musikerinnen und Musiker aktiv mitgestalten, und finde es spannend, wenn das Ergebnis jedes Mal ein bisschen anders ist, weil man Freiräume lässt, auch innerhalb der Zeitabläufe. Auf diese Art mischen sich die Instrumente und Klänge immer neu.

Sie sind auch Mitglied von snim. Was steht im Fokus dieses Musikerkollektivs?

Veronika Mayer: snim steht für „spontanes netzwerk für improvisierte musik“ und ist entstanden, weil sich ein paar Musikerinnen und Musiker, die hauptsächlich improvisieren wollten, zusammengetan haben. Im Laufe der Jahre hat sich das so entwickelt, dass jedes Jahr im Herbst ein Festival im Echoraum stattfindet [„Das Kleine Symposion“; Anm.]. Das besteht mittlerweile aus drei Konzertabenden, an denen Kompositionen und Improvisationen aufgeführt werden. Es gibt auch immer einen Call für neue Kompositionen, wobei wichtig ist, dass es auch Stücke für Impromusikerinnen und -musiker sind.

Obwohl alle auf der Suche nach einem progressiven musikalischen Vokabular sind, scheint es ja oftmals schwierig, Schnittmengen auszumachen . Wird das gut angenommen, dass beispielsweise Impromusikerinnen und -musiker nach Partitur spielen sollen?

Veronika Mayer: Man muss auch dazusagen, dass Improvisation ebenso Proben und Übung benötigt. Die Kombination ist also auf jeden Fall möglich. Es gibt aber bestimmt auch einzelne Musikerinnen und Musiker, die das überhaupt nicht wollen. Und es stimmt natürlich: Ich habe selbst auch oft das Gefühl, als würde ich mich zwischen verschiedenen musikalischen Szenen bewegen.

„Komponieren ist schon sehr kopflastig […]“

Inspiriert Ihr improvisatorisches Spiel Ihren Kompositionsprozess?

Veronika Mayer: Ich denke, das hängt gar nicht so sehr zusammen. Da laufen ganz andere Prozesse ab. Komponieren ist schon sehr kopflastig, so intuitiv man auch agieren will. Man denkt sich dann doch alles im Voraus aus. Ich habe für mich selbst nicht das Gefühl, dass sich im Entstehungsprozess das eine so sehr mit dem anderen vermischt.
Beim Improvisieren kann man das, was gerade passiert ist, nicht mehr rückgängig machen, auch wenn man noch so unzufrieden ist. Es ist eine ganz andere Art von Spontaneität im Spiel: Wie reagiere ich auf etwas, was ich gerade getan habe? Und das ist eigentlich auch das Schöne daran. Dabei überrasche ich mich auch ganz oft selbst. Ich habe keinen elektronischen Patch, bei dem alles genau festgelegt und vorhersehbar wäre. Da sind sehr viele zufällige Elemente involviert. Sehr oft weiß ich nicht genau, welcher Klang entstehen wird. Natürlich weiß ich, was passiert, aber es ist nie exakt vorhersehbar. Und das gefällt mir.

Sie unterrichten auch?

Veronika Mayer: Seit Herbst unterrichte ich Werkanalyse von Computermusik am IEM (Institut für Elektronische Musik und Akustik; Anm.) an der Kunstuniversität Graz. Und ich lehre an der Musikschule Wien Computermusik. Der Kurs wurde von Thomas Gorbach vor etwa drei Jahren initiiert. Der Unterricht funktioniert gut, weil Jugendliche sehr neugierig sind und einen selbstverständlichen Umgang mit sehr vielem haben.

Wie sieht eine Unterrichtsstunde aus?

Veronika Mayer: Es gibt verschiedene Aspekte. Ich möchte, dass die Schülerinnen und Schüler eigene Klänge erzeugen und diese dann auch kreativ gestalten können. Das geht in Richtung Komposition, aber es geht auch um Live-Performances. Ich habe mit der Zeit gemerkt, dass es, wenn man bereits verschiedene Klänge auf dem Computer laufen hat, so leicht sein kann, einfach draufloszuspielen. Da kommen oft sehr schöne Sachen heraus.

Wie offen sind Jugendliche Ihrer Meinung nach für Experimente oder untypische Klänge?

Veronika Mayer: Das ist verschieden und hängt vom jeweiligen Charakter ab. Oft sind jene, die nicht intensiv ein anderes Instrument lernen, offener. Sie akzeptieren auch eher Geräusche zur Klangerzeugung. Das funktioniert sehr gut.

Welche Projekte sind in Planung?

Veronika Mayer: Ich habe wieder eine Anfrage vom Ensemble Platypus bekommen. Da geht es um eine Serie von Kurzopern, an denen mehrere Komponistinnen beteiligt sein werden. Am Institut für Geschichte in Wien sind in der Sammlung Frauennachlässe Briefe und Biografien von Frauen archiviert. Das Konzept besteht darin, für die Komposition Texte und Literatur aus diesem Archiv zu verwenden. Im Dezember mache ich gemeinsam mit Lale Rodgarkia-Dara etwas im Grazer medien kunst labor esc. Da geht es um die Präsentation einer Zeitschrift, die sich mit dem Thema Lärm befasst hat. Und dann wäre da noch das Projekt smartphone_migration mit Conny Zenk. Wir haben ja bereits eine Installation gemeinsam realisiert, die auf Videos von Selfie-Posen basiert. Conny hat dafür die Live-Visuals generiert und ich den Sound. Mittlerweile haben wir ein neues Projekt eingereicht, in dem es um Routen von Flüchtlingen geht. Heutzutage sind sehr viele persönliche Informationen auf dem Smartphone gespeichert. So lassen sich auch viele Prozesse, Verläufe, Stationen, aber eben auch Fluchtwege im Nachhinein dokumentieren und auswerten, auch wenn es nur GPS-Daten oder Fotos sind. Wir wollen für dieses Projekt mit einigen Flüchtlingen zusammenarbeiten und eine Installation daraus machen. Für Bild und Ton sollen eben diese Handydaten verwendet werden. Wir werden damit beginnen, Interviews zu führen und Daten zu sammeln, um danach künstlerisch damit zu arbeiten. Es ist ein ziemlich komplexes Projekt, weil man sehr viele Aspekte abdeckt: technische, persönliche und soziale, da man natürlich auch selbst im Austausch mit den Migrantinnen und Migranten steht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Shilla Strelka

Veronika Mayer wird am 21. November 2015 im Rahmen des Festivals Wien Modern in der Alten Schmiede zu hören sein.

Foto Veronika Mayer: (c) Hui Ye

http://veronikamayer.com/