Dieses Porträt von Marie-Rose Ströbinger entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
Für die 1991 in Deutschland geborene Annamaria Kowalsky, die sich selbst als „Aesthetic Alchemist“ bezeichnet, liegt der Zauber darin, Musik und Malerei zu beeindruckenden Gesamtkunstwerken zu verbinden. Kunst von einem Medium in ein anderes zu übersetzen, eröffnet eindrucksvolle Möglichkeiten des persönlichen und künstlerischen Ausdrucks.
WERDEGANG – Höhen und Tiefen einer Beziehung
Die Ursprünge dieser Verbindung des visuellen und akustischen Schaffens verortet die Künstlerin in ihrer Kindheit. Als Tochter eines Chorleiters waren die vielen im Theater verbrachte Stunden und die ständige Präsenz von Musik und Bühnenbild als eine Einheit prägend für die spätere Laufbahn der jungen Komponistin. „Ich glaube, ich habe da unbewusst viel mitgenommen und kreiere jetzt immer mein eigenes kleines Theater“, beschreibt sie ihre Arbeit.
Obwohl sie umgeben von Musik aufwuchs, litt die Beziehung der Künstlerin zu dieser unter den Umständen der klassischen Musikausbildung. Das Konzertfachstudium Viola an der mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien hinterließ Spuren. „Die Message war ständig: ‚So wie du’s machst, machst du’s falsch, du musst das nach meiner Methode machen.‘“ Die vollkommene Unterdrückung der Individualität und der Drill unterschiedlicher Methoden resultierten für sie – und vermutlich viele andere – in dem Gefühl, trotz vieler Jahre Unterricht keine eigene Methode oder Ausdrucksmöglichkeit entwickelt zu haben und damit einhergehend in einer Frustration an der Musik als solche.
Durch all diese Prozesse hindurch – von der Realisation, über die Erkenntnis auf diesem Weg keine Freude zu finden, den Entschluss, keine Orchestermusikerin zu werden und der Musik schließlich vorerst den Rücken zu kehren – waren Fotografie und Malerei ein Fluchtort für Kowalsky. Autodidaktisch erlernt, verkörpert die visuelle Kunst stets den Gegenpol zur schulischen Musikausbildung. „Als es immer dieses Müssen war, war der visuelle Ausdruck das, was ich machen will.“
Erst Kammermusikkonzerte in Norwegen und drei Tourneen (2015–2017) mit der Reggae-Band Gentleman erlaubten Annamaria Kowalsky einen Neuanfang mit der Musik. Die wiederentdeckte Freude am gemeinsamen Musizieren hatte bedeutende Nachwirkungen für die Künstlerin. Aus reiner Experimentierfreudigkeit begann sie, selbst Klänge auf Violine, Viola, Klavier oder auch Kontrabass zu spielen und aufzunehmen. Zuspruch von Freunden und Bekannten, die die ersten Stücke zu hören bekamen, bereiteten Kowalsky gemeinsam mit dem eigenen Glück am Musikmachen den Weg zur Komposition.
So performte schon im November 2018 der Cantus Novus Wien ihr Chorwerk „Rewind“ in London, im Jahr darauf folgten Aufführungen von „Archipelago“ und „Dreams of Lunacy“ für Streicher in Rumänien. Im Rahmen von Wien Modern führte das Ensemble Kontrapunkte 2019 mehrere Werke Kowalskys auf. Das Auftragswerk „Xodus Hymn“ des Swedish Chamber Orchestra und Royal Stockholm Philharmonic Orchestra als Teil von Martin Frösts und Jesper Walderstens Multimedia-Œuvre „Xodus“ wurde im April 2022 uraufgeführt.
KOMPOSITIONSTECHNIK – Freiheit innerhalb des Rasters
Diese Experimentierfreudigkeit ist es auch, die den besonderen Klang Kowalskys Werken ausmacht. Egal ob Klavier, Gitarre oder Kontrabass, die Künstlerin entlockt den Instrumenten mit ihren ganz eigenen Zugängen und Methoden Klänge, die sie – auch mit Elementen aus der Elektronik – zu einzigartigen Kompositionen verbindet. Ihr wichtigstes Werkzeug dabei? Raster. Raster, innerhalb derer sie sich künstlerisch frei ausgelebt kann. Ein ideales Beispiel dafür: Auftragswerke mit vorgegebenem Zeit- oder -besetzungsrahmen, welche als Raster dienen, aber freier musikalischer Struktur, die ganz der Komponistin überlassen ist.
In der Musik äußert sich diese Freiheit in Kombination mit Schemata durch polyrhythmische Überlagerungen und einen sich durch die Stücke ziehenden Puls – die Affinität zur Minimal Music ist unüberhörbar. So strahlen viele der Werke eine grundlegende Ruhe aus, welche sich durch ein breites Spektrum an Klängen ausbreitet und fesselt.
Im Streichquartett Nr. 1 beispielsweise wechseln sich sanfte Passagen mit durchaus dramatischeren, dissonanten Momenten ab, dennoch bleibt das gesamte Stück über ein tiefes Gefühl von Ruhe und Gelassenheit erhalten. Langsam wandeln sich die sanften Klänge des ersten Satzes zu energischeren Figuren, die rhythmischen Strukturen werden intensiver und komplexer, behalten aber immer denselben zugrundeliegenden Puls.
Wo die Neigung zu Rastern und geometrischen Formen am ehesten greifbar wird, ist in der Verbindung ihrer Musik mit Bildern. Konzerte werden von Bildern begleitet, Ausstellungen von Musik – Visuelles wird in Akustisches übersetzt und umgekehrt.
Omnipräsent in all ihren Werken ist das Moment der Freiheit. „Ich kann es ausprobieren, und wenn es für mich nicht passt, mach ich halt etwas anderes“, fasst die Künstlerin selbst die Leichtigkeit zusammen, die ein wesentlicher Bestandteil ihres Schaffens ist. Ihr Schlüssel zum Glück ist die Abwesenheit einer Wertung, die Erlaubnis an sich selbst, im Moment zu leben und für die eigene Bereicherung zu arbeiten, ohne Urteil über schlechte oder gute Kunst.
Während das Endprodukt – die Komposition, das Bild – an ein Publikum gerichtet ist, ist der Schaffensprozess ein Geschenk an sich selbst.
AKTUELLES – Viele Violinen mit Elektronik
Ein solches aktuelles Geschenk ist etwa ein Auftragswerk eines Violinkonzertes des Swedish Chamber Orchestra. Solistin wird die schwedische Geigerin Ava Bahari sein, begleitet wird sie dabei von verschiedenen skandinavischen Orchestern . Doch es wäre kein Werk von Annamaria Kowalsky, würde es nicht durch Visuals um eine weitere mediale Dimension bereichert werden. Einen individuellen und bislang unerforschten Ansatz integriert sie in diesem Violinkonzert allerdings in Form eines olfaktorischen Elements, einem weiteren Medium, in welches sie ihre Kunst übersetzt. Die Uraufführung wird im Herbst 2025 stattfinden.
In näherer Zukunft gibt es ein weiteres Werk Kowalskys für Violine und Elektronik zu hören, komponiert für Ingerine Dahl, Konzertmeisterin des Stavanger Sinfonieorchesters in Norwegen. „Sei solo la luce“ wird am 15. April im Stavanger Konzerthaus uraufgeführt. Bereits auf CD zu hören ist ihre Komposition „Perpetuo“, ein ganzes Album von Annamaria Kowalsky ist in Arbeit, „Kaleidoscope“ wird noch in diesem Jahr erscheinen.