„Wenn ich mich als weißer Mitteleuropäer an diese Musik herantraue, dann möchte ich das so gut wie möglich machen“ – SULUKA im Mica-Interview

Unter dem Künstlernamen SULUKA tritt der 30-jährige Luka Sulzer, den man aus der Band SAINT CHAMELEON kennt, seit kurzem solo in Erscheinung. Mit „313“ erscheint am 25. August das Debütalbum, auf dem der Steirer nicht nur seine Musikalität, sondern auch seine inhaltliche Tiefe unter Beweis stellt. Der Sound der sieben Pop-Tracks, die auf dem Album zu finden sind, hat seine Ursprünge in den verschiedensten Ebenen der Black Music. Katharina Reiffenstuhl hat sich mit SULUKA über gesellschaftliche Freiheitskämpfe, Grazer Aktivismus, seine Zeit als Bandmitglied und seinen dahingehenden Weg zum Musiker unterhalten – gelernt hat er nämlich eigentlich Keramik und Informationsdesign.

Wie kommt man von Keramik zu Musik?

Luka Sulzer: Ich glaube, das hat seinen Ursprung in meiner Kindheit. Meine Schwestern haben immer viel gesungen, beide sind voll talentiert. Eine war eher Sängerin, die andere bildende Künstlerin, und ich habe von beiden ein bisschen was mitgenommen. Ich bin dann auf die Ortweinschule für Keramik gegangen und habe danach nicht genau gewusst, wie es damit weitergehen soll. Es ist eigentlich recht zufällig passiert, dass ich dann mit ein paar tollen Musikern zum Musizieren angefangen habe. Daraus hat sich meine alte Band entwickelt und wir haben da sechs Jahre gespielt. Jetzt bin ich hier und mache Musik. Im Endeffekt habe ich auch noch einen kleinen Umweg gemacht über die FH und habe dort Informationsdesign studiert. 

Du bist dann vor vier Jahren ausgestiegen aus der Band. Warum?

Luka Sulzer: Ich habe zu der Zeit schon angefangen, Songs zu schreiben, und auch relativ schnell gemerkt, dass das nicht mehr so ganz in die Band reinpasst. Es hat jeder seine eigenen Projekte gehabt, es sind alle sehr starke Persönlichkeiten und wir haben uns alle ein bisschen in unsere eigenen Richtungen entwickelt. Das war auch bei mir so. Ich habe fast zwei Jahre darüber nachgedacht, ob ich mir das erlauben darf, da etwas Neues zu machen. Dann hat der damalige Pianist angekündigt, dass er ab 2020 nicht mehr dabei ist, und dadurch ist mir ein bisschen ein Stein vom Herzen gefallen, weil ich gemerkt habe, dass ich jetzt auch loslassen kann. Ich habe dann mein letztes Konzert gespielt und bin zwei Wochen später für ein halbes Jahr zum Studieren nach Detroit gegangen. Aber ich bin extrem dankbar für diese Zeit.

Was hast du aus der Zeit mitnehmen können für deine Solokarriere?

Luka Sulzer: Viel musikalisches Wissen, was Theorie und Komposition angeht. Die Zeit selbst generell war eine sehr gute Vorbereitung darauf, solo zu beginnen. Die ganzen Vorbereitungszeiten, die Organisation, alles, was man nicht sieht und was im Hintergrund passiert, da habe ich sehr viel lernen dürfen. Die Jungs haben mich viel experimentieren lassen, da konnte ich eine Freiheit entwickeln.

Hast du das Gefühl, du startest jetzt musikalisch ganz von neu?

Luka Sulzer: Ich habe das Gefühl, dass ich komplett back to the roots gehe und das mache, was ich als Kind gehört habe. Ich habe die alte Band mit meinem besten Freund gegründet, da ist ganz viel Einfluss von ihm gekommen, Richtung Blues und Soul. Als Kind habe ich viel Musik aus aller Welt gehört. Das beinflusst meine Musik. Die Musik die ich mache ist aber Pop Musik mit RnB- und Hip Hop-Einflüssen. Die erste Platte, die bei mir wirklich hängengeblieben ist und die jedes Mal aufs Neue voll einfährt, ist “The Miseducation of Lauryn Hill”.

„AUCH, WENN MAN EIN BISSCHEN DEN KULTURELLEN HINTERGRUND KENNT, KOMMT MAN ALS WEIßER MITTELEUROPÄER WAHRSCHEINLICH EH NIE DORT HIN, DASS MAN DAS KOMPLETT VERSTEHT“

Was hat dich an der so fasziniert?

Luka Sulzer: Puh. Da gibt es so vieles. Ich war vor zwei Tagen auf einem KENDRICK LAMAR-Konzert in München und LAURYN HILL ist für mich ein bisschen ähnlich wie er. Eine überlebensgroße Figur, die extrem jung schon eine ausdrucksstarke Musik gemacht hat, die lyrisch so ausgefeilt und tiefgehend war. Sie muss Anfang 20 gewesen sein, als das Album rausgekommen ist. Und in dem Alter so eine Musik zu schreiben, künstlerisch und inhaltlich, ist schon eine arge Leistung. Als Kind habe ich das gar nicht so begriffen, es hat mich einfach nur berührt. Ich habe es damals auch noch nicht verstanden. Jetzt denke ich mit 30 daran zurück, lese die Texte und habe einen ganz anderen Zugang dazu. Auch, wenn man ein bisschen den kulturellen Hintergrund kennt, kommt man als weißer Mitteleuropäer wahrscheinlich eh nie dort hin, dass man das komplett versteht. Aber es catcht mich noch immer und ich bekomme jedes Mal Gänsehaut, wenn ich die Musik höre.

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Deine Musik ist ja voller afroamerikanischer Einflüsse. Heißt das, die haben dich von Kind auf schon begleitet?

Luka Sulzer: Meine Mutter hat ganz viel Musik aus aller Welt gehört, generell viel Schwarze Musik. Über die Popmusik und über das, was ich die letzten Jahre gemacht habe, bin ich vor allem bei schwarzer Musik hängengeblieben.

„ES IST LEIDER OFT SO, DASS MAN DIESE SCHWARZE KUNST KONSUMIERT, ABER NICHT BEREIT IST, DA TIEFER REINZUGEHEN“

Im Song „Mama“ setzt du dich mit gesellschaftskritischen Themen auseinander, unter anderem ‚White Supremacy‘. Etwas, was dich nicht aktiv betrifft – trotzdem beschäftigst du dich damit. 

Luka Sulzer: Ich würde im ersten Moment sagen, es betrifft mich als weiße Person auch aktiv, aber nicht auf negative Art und Weise. Für mich hat es zum einen damit zu tun, dass die Musik, die ich mache, aus einer gewissen Tradition kommt, aus einer Freiheitsbewegung, aus einem Kampf heraus. Wenn ich mich als weißer Mitteleuropäer an diese Musik herantraue, dann möchte ich das so gut wie möglich machen, um dem auch meinen Tribut zu zollen. Es ist leider oft so, dass man diese schwarze Kunst konsumiert, aber nicht bereit ist, da tiefer reinzugehen und sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Für mich als weiße Person ist das trotzdem enorm wichtig, egal, ob es jetzt schwarze Freiheitskämpfe sind oder um LGBTQ-Rechte geht. Das sind alles Freiheitskämpfe, die auch mich im Endeffekt befreien. Wenn es jetzt beispielsweise um Rassismus geht, geht es da ganz viel darum, die Arbeiter:innen mit diesem Werkzeug auseinander zu dividieren. Weiße Menschen sehen da dann nicht, dass sie gegen ihre eigenen Interessen agieren. Man darf das nicht so getrennt voneinander sehen, als betroffene oder nicht-betroffene Person. Aber ich stelle natürlich nicht den Anspruch, als weiße Person eine Tradition des Schwarzen Widerstandes zu vertreten.

Du bist ja aus Graz. Wie weit sind die Grazer:innen, was solche Themen angeht?

Luka Sulzer: Ich bin in St. Nikolai in der Südsteiermark aufgewachsen und bin dann mit 17 nach Graz gezogen. Aber da muss man zuerst mal definieren, was “die Grazer:innen” sind. Sind das nur weiße Personen oder sind da auch BIPoC-Personen dabei? Die BIPoC-Personen sind extrem weit. Dadurch gibt es natürlich auch viele weiße Personen aus dem Umfeld, die dann versuchen aktiv zu sein und unterstützend zu wirken. Ich habe das Glück, in einer guten Community zu sein, mit Leuten, die da extrem gute Arbeit machen und mich auch immer wieder inspirieren. Adjanie Kamucote und Yue-Shin Lin sind da zwei großartige Personen. Adjanie arbeitet als Sozialarbeiterin, Mentaltrainerin und unterstützt Unternehmen und Organisationen dabei, antirassistische Strukturen zu etablieren. Yue-Shin ist Teil von the Cake Escape. Eine virtuelle Band, die sich mit verschiedensten Diskriminierungsformen auseinander setzt und auch mit Wandgemälden in der Stadt darauf aufmerksam macht. Graz ist klein und man hört aus der Richtung relativ wenig. Aber umso mehr freut es mich, wenn man dann kleine Grüppchen findet, die da wichtige Arbeit machen. Peninah Lesorogol, eine Freundin von mir, die im Video zu “Mama” die Hauptrolle übernehmen wird, hat ein feministisches Agrarprojekt in Kenia in ihrem Heimatdorf, wo sie mit den Frauen dort Bäume pflanzt und Lebensmittel wachsen lässt. Wenn ich solche Leute kennenlerne, lerne ich auch total viel über mich selbst. 

“Mama” hat viel mit Klimawandel zu tun, und wie Kapitalismus und White Supremacy da hineinspielen. Dass es einfach schon indigene Lösungen gibt. So wie die Diskussion aktuell läuft, was Klimawandel angeht, habe ich nicht das Gefühl, dass wir das schaffen werden. Weil es nur darum geht, den Status quo aufrechtzuerhalten und den Fokus von den Problemen wegzuschieben und die Wirtschaft aufrechtzuerhalten. Aber um auf deine Frage noch einmal zurückzukommen, um den Kreis zu schließen: Es ist verrückt, dass man das eigentlich in Graz findet. Du kannst irgendwo sein, du kannst in einer kleinen Stadt sein, und trotzdem gibt es Leute, die diese Arbeit machen. Man muss sich einfach raustrauen, raus aus der eigenen Komfortzone.

Also Fazit: Graz ist überraschend weit?

Luka Sulzer: Ja, wenn man weiß, wo man suchen muss. 

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Wofür steht die Zahl 313, nach der dein Album benannt ist?

Luka Sulzer: 313 ist der Regionalcode von Detroit und der Geburtstag meiner Ex-Freundin. Die Stadt hat einen riesigen Eindruck hinterlassen bei mir, und sie kommt aus Detroit. Ich habe ihr das Album gewidmet. Kennengelernt habe ich sie in Graz, sie hat hier studiert. Sie war lange meine beste Freundin, in Detroit sind wir dann zusammengekommen. Als ich dann zurück nach Österreich musste, habe ich ihr erklärt, dass ich keine Fernbeziehung führen möchte, ich habe das schon mal gemacht und das ist einfach zu schwer. Dann waren wir trotzdem jeden Tag in Kontakt und haben es irgendwann doch probiert. Dann ist die Pandemie gekommen und wir haben uns zwei Jahre lang fast nicht gesehen. Das war trotzdem die schönste Beziehung, die ich je geführt habe. Ich habe sehr viel daraus mitnehmen können. Natürlich war das zach, dass man sich nicht nahe sein kann und leider hat es nicht gehalten, aber sie ist trotzdem eine extrem transformierende Person für mich gewesen. Das ganze Album handelt von Liebe in jeder ihrer Formen und sie hat mir sehr gezeigt, dass diese Selbstliebe dieses Vertrauen in mich selbst möglich ist. 

Weiß sie davon, dass es dieses Album gibt?

Luka Sulzer: Ja, sie weiß das alles, wir sind auch heute noch immer wieder ab und zu in Kontakt. Der Titelsong ist speziell für sie geschrieben. Sie ist einfach immer noch eine der wichtigsten Personen für mich in diesem Lebensabschnitt.

Was ist nach deinem Debütalbum geplant, steht da schon etwas in den Startlöchern?

Luka Sulzer: Ich werde wahrscheinlich noch ein paar kleinere Musikvideos machen, da bin ich gerade am Konzipieren.

Da werden die erlernten Skills aus dem Studium eingesetzt.

Luka Sulzer: (lacht) Genau. An neuen Songs schreibe ich auch schon, weil ich nächstes Jahr gern das nächste Album nachhauen möchte. Label und Booking-Agentur wären jetzt die nächsten Stationen.

Das klingt ja vielversprechend. Danke für das Gespräch!

Katharina Reiffenstuhl

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Links:

Suluka (Instagram)