Der Pianist und Komponist DAVID SIX will mit seiner Musik mehr als nur unterhalten, er will in ihr auch politische und gesellschaftliche Aussagen treffen. Hierzu hat er das Album-Projekt DANCE WITH THE GHOSTS ins Leben gerufen, an dem einige der spannendsten Vertreterinnen und Vertreter der jungen heimischen Jazzszene beteiligt sind. Im Interview mit Michael Ternai spricht der Pianist über Musik, der der Bezug zur Gegenwart fehlt, darüber, warum er die Zeit in Wien so sehr geniest, und wie weit das Projekt bereits gediegen ist.
Der Grund unseres Gesprächs ist dein Projekt „Dance with the Ghosts“, das du gestartet hast. Zwei unterschiedliche Ensembles, mit denen du ein Doppelalbum aufnimmst. Ausgangspunkt für dieses Projekt war ja dein Stück „Moria (op.102)“, in dem du gemeinsam mit dem Musiker Said Silbak im letzten Jahr die Vorkommnisse im griechischen Lager thematisiert hast. Was hat dich als Instrumentalmusiker bewogen, mit deiner Musik auch eine Botschaft zu transportieren?
David Six: Es hat eigentlich damit begonnen, dass ich irgendwann einmal das Gefühl bekam, dass viel Musik, die man heute hört oder die auf die diversen Plattformen hochgeladen wird, eigentlich keinerlei Bezug zur Gegenwart, geschweige denn zu politischen Entwicklungen hat. Diese Wahrnehmung hat mich sehr beschäftigt. So ist mit der Zeit in mir mehr und mehr der Wunsch gewachsen, dass, wenn ich wieder ein neues, größeres Projekt mache, dieses auf jeden Fall einen Bezug zu dem Leben, in dem wir stehen, haben muss. Gespräche mit anderen Musikerinnen und Musiker, die diesen Wunsch ebenso mit mir teilen, haben mich dann sehr darin bestärkt, in diese Richtung zu denken. Dahingehend war das Moria-Projekt sicher ein Kristallisationspunkt.
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Wie sehr haben Wien und die hiesige Musikszene dich darin bestärkt, gerade hier dieses Projekt in Angriff zu nehmen? Du bist ja erst vor gar nicht allzu langer Zeit hierhergezogen.
David Six: Genau, meine Frau und ich lebten davor für einige Jahre in Frankfurt. Ich bin von dort aus sehr viel getourt. Die Stadt liegt ja sehr zentral in Europa. Man ist dadurch in vier Stunden in Paris und Berlin und nach London brauchst du auch nicht viel länger. Das war schon sehr cool. Auf der anderen Seite ist die Frankfurter Musikszene aber eher überschaubar und ich empfand sie auch als weniger offen. Es gab dort kaum Austausch mit anderen Musikerinnen und Musikern, sodass mir während dieser Zeit oft nichts anderes übriggeblieben ist, als Klavier zu üben. So gesehen kann man durchaus sagen, dass ich in Frankfurt musikalisch ein etwas eremitenhaftes Leben geführt habe. Aber es war auch ganz fein, denn während dieser Zeit ist auch mein Soloalbum „Karkosh“ entstanden. Ich habe mich auf diesem Album sehr mit dem Thema Spiritualität auseinandergesetzt, was vielleicht damit zu tun hat, dass es in einer Kirche entstanden ist, in der ich tags und nachts spielen konnte.
Wenn ich jetzt zurückdenke, war mein ganzes musikalisches Schaffen bis zu dem Zeitpunkt, an dem wir nach Wien gezogen sind, total darauf ausgerichtet, etwas Interessantes in der Musik selber zu finden, in ihrer Struktur, im Klang, in der Gestaltung, in der Orchestrierung usw., jedoch sicher nicht gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen oder widerzuspiegeln. Das hat sich mit dem Umzug nach Wien dann aber doch etwas geändert, wobei die rein ästhetische Art der Auseinandersetzung mit Musik auch weiterhin etwas sehr Spannendes bleibt.
Ich war wirklich sehr positiv überrascht, mit welch offenen Armen ich hier in Wien von der Szene empfangen wurde. Es gibt hier wirklich eine megaspannende Musikszene und unglaublich viele kreative Leute, die total offen und nicht nur bloß auf ein Genre fixiert sind. Als ich vor etwa 10 Jahren aus Wien weggezogen bin, habe ich das ganz anders wahrgenommen. Jetzt aber habe ich das Gefühl, als stünde ich da in einer anderen Welt. Und das sollte sich auch in meiner Musik reflektieren.
Wie sah deine Vorstellung aus, Instrumentalmusik und politische Aussage miteinander zu verbinden?
David Six: Es ist natürlich nicht ganz einfach, diese beiden Dinge miteinander zu vereinen. Man arbeitet ja nicht mit Texten und kann daher die eigenen Gedanken nicht mit konkreten Worten ausdrücken. Natürlich kann man über den Titel einen Werkbezug schaffen, nur wäre dieses Mittel alleine zu schwach. Es ist dann doch interessanter, in einem Ensemble mit Leuten zu spielen, von denen sich alle – quasi im Kollektiv – mit einem bestimmten Thema auseinandersetzen. Man setzt sich zusammen, schaut gemeinsam Dokumentationen oder liest Texte und versucht, die gewonnen Eindrücke und Emotionen in den Arbeitsprozess einfließen zu lassen und so die Musik gemeinsam weiter zu gestalten. Das ist zumindest die Idee zum Projekt „Dance with the Ghosts“. Ob sie so auch funktioniert, kann ich noch nicht sagen. Aber würde ich es nicht ausprobieren, wäre ich ganz schön blöd.
„Es sind alles Musikerinnen und Musiker, denen ich sehr lange zuhören kann.“
Du hast für dieses Projekt wahnsinnig begnadete Instrumentalistinnen und Instrumentalisten um dich gescharrt.
David Six: Ich habe sie ursprünglich alle eigentlich aufgrund ihres Handwerks und ihres Könnens angesprochen. Es sind alles Musikerinnen und Musiker, denen ich sehr lange zuhören kann. Jede und jeder der beteiligten Personen ist in der Lage, ein einstündiges Solo-Set auf die Bühne zu bringen, das durchgehend interessant ist. Das waren ursprünglich die Parameter, nach denen ich meine Auswahl getroffen habe. Dass dann die Projektidee bei den beteiligten Musikerinnen und Musikern auf fruchtbaren Boden gestoßen ist, freut mich natürlich besonders. Dafür bin ich echt dankbar.
Ich merke auch, dass der besondere Zugang zum kreativen Prozess – und der kann zum Beispiel einfach damit beginnen, dass wir erst einmal eine Stunde herumhüpfen und tänzerisch improvisieren und erst danach zu den Instrumenten gehen – allen gefällt und es bei jeder und jedem irgendwo auch kribbelt.
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Wie weit ist das Projekt schon angelaufen in der Umsetzung?
David Six: Mit dem Projekt begonnen haben wir, glaube ich, ziemlich genau vor etwa einem Jahr. Seitdem haben wir uns immer wieder regelmäßig in unterschiedlichen Besetzungen getroffen. Mir war von Anfang an klar, dass es zwei Ensembles sein müssen – ein Quartett und ein Sextett – und auch Gastsolistinnen und -solisten dabei einen Platz finden werden.
Was die ganze Umsetzung des Projekts begünstigt hat, ist, dass von Anfang an schon sehr viel Repertoire da war. Es war eigentlich nicht mehr wirklich notwendig, neues Material zu schaffen. Dennoch ist es mir wichtig, dass wir alle gemeinsam das Projekt nach vorne treiben, weiterentwickeln und am Ende nur das beste Material nehmen, welches in diesem Prozess entsteht. Bis Jänner 2022 sollte die Musik fertig sein, dann geht es ins Studio zum Aufnehmen.
Warum gerade zwei Ensembles? Wegen der verschiedenen musikalischen Ausrichtungen?
David Six: Ja. Im Sextett geht es einfach viel kammermusikalischer zu als im Quartett, wo es mehr ins Experimentelle geht. Mich interessieren im Moment gerade diese zwei musikalischen Welten. Was noch dazukommt, ist, dass es einfach so viele interessante Musikerinnen und Musiker gibt und ich mit so vielen wie möglich auch zusammenarbeiten will.
Ein weiterer Faktor ist die Zeit. Meine Frau, meine Kinder und ich sind wahrscheinlich nur noch für eine begrenzte Zeit in Wien. Etwa noch ein Jahr. Dann sind wir weg. Und weg kann tatsächlich auch am anderen Ende der Welt bedeuten, was mit dem Job meiner Frau zu tun hat. Ich möchte in der verbleibenden Zeit natürlich das Maximum herausholen. Deshalb auch gleich beide Ensembles gleichzeitig.
„Ich tue mich bei der Beschreibung meiner Musik immer wahnsinnig schwer.“
Du hast die musikalische Richtung kurz angerissen, wo geht es stilistisch hin?
David Six: Ich tue mich bei der Beschreibung meiner Musik immer wahnsinnig schwer. Was ich sagen kann, ist, dass die beiden Ensembles musikalisch schon sehr stark auseinandergehen. Beate Wiesinger (Kontrabass), Lukas König (Schlagzeug), Mario Rom (Trompete), die mit mir das Quartett bilden, können sowohl extrem feinfühlig und transparent spielen, wie auch sehr energiereich, sodass es richtig von der Bühne runterschwappt. Demgegenüber steht das Kammersextett mit einem sehr leisen Grundsound, was auch auf die Instrumentierung mit Violine (Irene Kepl), Klarinette (Mona Matbou Riahi), Trompete (Simon Zöchbauer), Percussion (András Dés) und Violoncello (Clemens Sainitzer) zurückzuführen ist.
Weil du gerade den Zeitfaktor erwähnt hast, was hast du mit dem Doppelalbum vor?
David Six: In erster Linie denke ich im Moment an die Musik und an die Veröffentlichung in Form eines Albums. Weiters will ich natürlich Videos machen, da man damit viel mehr Leute erreicht. Und ich denke, dass dieser Aspekt gerade bei Musik, die sich an gesellschaftlichen Themen aufhängt, doch auch wichtig ist. Längerfristig will ich mit dem Projekt natürlich auch auf Tour gehen und live spielen. Dabei ist beides gut vorstellbar: Entweder mit beiden Ensembles gleichzeitig auf einer Bühne oder auch ganz unabhängig voneinander – mal mit dem Quartett, mal mit dem Kammer-Sextett – je nach Festival und Veranstalter.
Du hast für dieses Projekt eine Crowdfunding-Kampagne ins Leben gerufen, mit dem Ziel, dass deine Mitmusikerinnen und -musiker eine faire Entlohnung erhalten.
David Six: Das stimmt. Mir ist es spätestens seit unserer Familiengründung wichtig, dass alle an der Produktion beteiligten Menschen auch wirklich fair bezahlt werden und geleistete Arbeit tatsächlich entlohnt wird. Mit Musikförderungen alleine hat man leider nicht immer die Sicherheit, dass sich die gesamten Ausgaben abdecken lassen. Mit der Kampagne wollte ich sicherstellen, dass alle Kosten gedeckt sind. Und das Crowdfunding hat wirklich ziemlich gut funktioniert! Nun freu ich mich sehr darauf, mich auf die Umsetzung des Projekts konzentrieren zu können!
Herzlichen Dank für das Interview!
Michael Ternai
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