“Wenn ich das Lied nicht fühle, kann ich es nicht hören […]” – DAGMAR im mica-Interview

Es gibt Musik, die sucht man nicht. Sie findet einen. Man scrollt durch Bandcamp, klickt auf ein, zwei, viele Cover. Manchmal horcht man auf, selten hört man auf – mit allem, was man gerade tut, weil das, was da gerade läuft, wirklich, und ich meine, WIRKLICH gut ist. Jedenfalls ging es mir so mit DAGMAR und ihrem Album „Cupid Things”. Durch Zufall höre ich ein Lied, dann das zweite. Irgendwas lässt mich nicht los. Die spärlichen Songs. Ihre Stimme. Ich weiß, das ist gut, sehr gut, überragend gut! Also schreibe ich DAGMAR. Wir treffen uns. Und fangen bei Null an.

Hallo Dagmar!

Dagmar: Frohe Weihnachten!

Und schöne Ostern! Stell dich bitte vor: Wer ist Dagmar?

Dagmar: Das bin ich.

Aha?

Dagmar: Na ja, ich mach Musik und komm eigentlich von der Avantgarde, hab das aber lange für mich behalten – egal welches Projekt ich begann, es gab nie die Chance, es nach außen zu bringen. Bis letztes Jahr. Da habe ich den Produzenten meiner Träume gefunden.

Das klingt fast …

Dagmar: Romantisch, ja! Ich war ja auch lange auf der Suche nach dem Richtigen und hab gewartet, bis ich ihn endlich gefunden habe. Als es so weit war, ging es ganz schnell. Ich war bei ihm in Mürzzuschlag und wir haben aufgenommen.

Von wem sprechen wir?

Dagmar: Niklas Lueger, er wohnt mittlerweile in England – ein junger Typ, ganz frisch. Jedenfalls konnte er sofort was mit meiner Musik anfangen. Ich war schließlich auch davor schon in anderen Studios gewesen, dort hab ich zwar immer tolle Leute getroffen, die haben mir aber immer mit glitzernden Augen von diesem tollen Traumprojekt erzählt, an dem sie auch arbeiten. 

Nicht deines, sondern ein anderes, nehme ich an.

Dagmar: Genau, es war immer ein anderes! Ist ja auch ok und ganz spannend, aber ich wollte auch mal dieses eine Projekt sein, das die Produzentenaugen zum Leuchten bringt.

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Und dann hast du losgelassen.

Dagmar: Ich bin im Garten gesessen und habe Gitarre gespielt, irgendwelche Akkorde, die mir getaugt haben – für mich und für niemand anderen. Das erste Lied ist dann passiert, ich wollte gar keines schreiben. Und dann sind noch ein paar andere entstanden.

Du hast mir vorhin erzählt, dass du aus Kärnten kommst. 

Dagmar: Ja, aus Kärnten, in der Nähe von Spittal an der Drau, beim Millstätter See, eigentlich eh schön – dabei hab ich die Schönheit erst in den letzten Jahren entdeckt, ich weiß gar nicht, wieso. Vielleicht, weil ich als Kind viel mit meiner Familie gereist bin. Mit sieben war ich schon in Neuseeland. Das war ein ziemlicher Kontrast. 

Und bei euch daheim, was habt ihr da gemacht, gesungen?

Dagmar: Na, gar nicht. Ich hab aber viel Musik über meinen Vater kennengelernt, Cat Stevens, Nina Simone, Led Zeppelin, das Zeug halt. 

Und du hast dir gedacht: Mag ich auch?

Dagmar: Meine früheste Erinnerung hat was mit Tina Turner zu tun. Ich hab Radio gehört, da kam ihr Song, “What’s Love Got To Do With It”. Ich konnte kein Englisch, wollte aber wissen, worüber sie singt. Jahre später hab ich es verstanden. So interessant war das ja gar nicht, hab ich mir gedacht.

Trotzdem hast du mit der Musik angefangen.

Dagmar: Ich hab begonnen, Klavier zu spielen, ja. Mit acht durfte ich dann vorspielen vor der versammelten Schule. Das hab ich gern gemacht. Irgendwann kam die Pubertät. Dann wurde alles schwierig. 

Du wurdest zur Rebellin?

Dagmar: Im Gegenteil, ich hab mich gar nichts mehr getraut. Auf einmal konnte ich nicht einmal mehr den Mund aufmachen. Ich hab mich dann anders ausgelebt, hab Incubus und Radiohead gehört, während ich mir vorstellte, wie es wäre, ein Rockstar zu sein. 

Trotzdem bist du in der sogenannten Avantgarde gelandet, hast du vorhin gemeint.

Dagmar: Ich nenn es so, weil ich nicht weiß, wie ich es anders nennen soll.

Was kann man sich darunter vorstellen, Zwölftonmusik auf dem Bösendorfer?

Dagmar: Na ja, ich mein eher Experimentiermusik, weil mir das Meiste passiert ist. Ich war vielleicht mal betrunken und da war ein Klavier und … Na ja, jedenfalls hatte ich extreme Selbstzweifel, auch später in meinen Zwanzigern. Dauernd habe ich mich verglichen und andere auf ein Podest gestellt. Ich hatte so große Ansprüche an mich, dass ich es erst gar nicht probiert habe, weil: Ich hätt mich doch eh nur enttäuscht.

Trotzdem hast du weiter gemacht.

Dagmar: Gezwungenermaßen, weil ich es ja machen wollte. Ich war dann in einem Proberaum. Mit anderen. Das ging auch ganz gut. Ich hab aber geglaubt, dass ich trinken muss, um singen zu können. Also hab ich getrunken. Und gesungen. Das hat funktioniert, weil ich auch diese Musik-Geschichten aus den 60ern vor Augen hatte: Alle waren permanent drauf – und haben die coolste Musik gemacht. Bis ich gelernt habe, dass ich in drogenähnlichen Zuständen sein kann, ohne Drogen zu nehmen, ist viel Zeit vergangen.

Wie bist du draufgekommen?

Dagmar: Ich hab einfach nichts mehr getrunken. Außerdem bin ich irgendwann schwanger geworden. Das hat mich gepusht. Auf meinem Album „Water” habe ich mich schließlich mit meinen Selbstzweifeln auseinandergesetzt – ich habe Drums gesampelt, alles produziert, allein aufgenommen. Ich musste mir das beweisen. Da wär ich nie auf die Idee gekommen, mir ein Bier aufzumachen.

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Wir haben übers Klavierspielen gesprochen. Wie war das mit dem Singen?

Dagmar: Ich hab zu YouTube-Videos von Jeff Buckley gesungen, aber man kann auch einfach zu den Liedern singen, die einem am meisten taugen – das sind die besten Lehrer. 

Du hast mit Jeff Buckley zu singen gelernt?

Dagmar: Durch ihn habe ich meine Stimme gefunden. Aber das kann jeder. 

Wenn ich unter der Dusche singe, hört sich das anders an.

Dagmar: Du musst es fühlen. Wenn ich das Lied nicht fühle, kann ich es nicht hören – dann funktioniert es nicht. Fühle ich den Song, kann ich meine Stimme bewusst anwenden. Das ist eine mentale Sache, hat was mit Stimmungen zu tun. Und auch mit denen, die zuhören.

Wann hast du gemerkt, dass andere Leute deine Stimmung spüren?

Dagmar: Ich bin zu Open-Mic-Abenden im Concerto gegangen, hab mich auf die Bühne gestellt und gesungen. Einfach so. 

Dabei bist du sehr verträumt. Zumindest hab ich den Eindru….

Dagmar: Ja, extrem. Ich bin gern im Kopf und tagträume. Manchmal sitze ich einfach rum und mach nichts. Das sieht, glaube ich, ziemlich deppert aus. Aber ich hab auch gern Menschen um mich herum, das ist mir schon wichtig.

Bist du deshalb in Wien und machst nichts?

Dagmar: Na ja, ich mach gern nichts.

Und sonst …

Dagmar: Rede ich viel mit meinem besten Freund und Mitbewohner, das wird oft philosophisch. So wie meine neuen Lieder, ich habe gerade erst welche aufgenommen, auf Deutsch sogar. Bei einem Song geht es in Richtung Schlager, das wird interessant.

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In einem Video singst du neben einem Gitarristen: Zed, The Dreamer. Wer ist das?

Dagmar: Ich habe ihn vor einem Jahr über Niklas kennengelernt. Ich wusste zuerst nicht, dass er da sein wird, aber er war dann einfach da, hat sich meiner Musik hingegeben, Gitarre und Bass gespielt – alles gefühlt. Wir haben uns also gleich verstanden. Er ist jetzt Teil meiner Band, auch wenn ich gar keine Band habe.

Du hättest gern eine Band?

Dagmar: Ja, schon immer! Es funktioniert aber nicht.

Weil du zu verträumt bist?

Dagmar: Na ja, ich weiß nicht … Vielleicht sind meine Vorstellungen einer Band zu romantisch. 

Zu romantisch?

Dagmar: So auf die Art: Man findet sich, wächst zusammen und so weiter. Aber so ist es ja nicht. Jeder macht sein Ding. 

Oder auch nicht. 

Dagmar: Vielleicht …

Meldet sich ja jemand, der genauso romantisch ist …

Dagmar: Ja.

Eine letzte Sache noch: Du hast dein Album letztes Jahr schon einem Label gezeigt, die wollten das auch haben. Und dann?

Dagmar: Hab ich einfach zu viel Zeit verstreichen lassen. Irgendwann war ich schon wieder woanders. Und jetzt bin ich hier. Die neuen Sachen sind sowieso mehr … Mainstream.

Also, Dagmar bei Ö3?

Dagmar: Das wär cool. Aber meine Musik soll überall sein.

Von der Avantgarde zur Hüttengaudi, danke für deine Zeit!

Christoph Benkeser

++++

Links:
Dagmar (Website)
Dagmar (Bandcamp)
Dagmar (Soundcloud)