„Aufatmen. Ansingen gegen Long-Covid“ lautet das Motto eines Projekts, das für jene Betroffene entwickelt wurde. Vor wissenschaftlichem Hintergrund, der im Weißbuch des Vereins „Arts for Health Austria“ dargelegt wird und das Anfang nächsten Jahres erscheint, zeugt dieses von der Dringlichkeit einer neuen Bewegung. EDITH WOLF PEREZ, Founder und Obfrau von ARTS FOR HEALTH AUSTRIA, im Gespräch mit Sophia Umfahrer.
Können Sie kurz beschreiben, wer und was hinter „Arts for Health Austria“ steckt?
Edith Wolf Perez: „Arts for Health Austria“ ist ein Zusammenschluss von Künstlerinnen und Künstlern, Musikerinnen und Musikern sowie von Tänzerinnen und Tänzern, die angetreten sind, das Bewusstsein über die Rolle der Kunst für die Gesundheit zu schärfen. Wir machen das mit verschiedenen Veranstaltungen, zurzeit etwa mit der Tournee „Kunst trifft Gesundheit“ durch ganz Österreich, wo wir Soiréen und Fokusgruppen veranstalten, und das Konzept sowie auch die Evidenzlage, die es dazu gibt, vorstellen. Da gibt es z. B. ein interaktives Programm mit dem Publikum, wir singen und tanzen zusammen; aber wir haben auch Inputreferate, die das Thema behandeln. Das dauert etwa eine Stunde und ist immer mit sehr viel Spaß verbunden! Arts for Health Austria vertritt vorwiegend partizipative Kunstinterventionen und arbeitet mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammen, um die Interventionen durch Studien zu evaluieren. Wir sind also sehr evidenzbasiert und folgen da auch dem Rat der WHO, die zum Thema Kunst und Gesundheit einen Report herausgegeben hat („What is the evidence on the role of the arts in improving health and well-being?“), in dem 6000 (Meta-/Einzel-)Studien untersucht wurden und die Evidenzlage sehr gut dargestellt ist.
Der WHO-Report stammt aus welchem Jahr?
Edith Wolf Perez: Der ist 2019 erschienen, kurz bevor das Bundesministerium für Kunst und Kultur das Thema in einem Workshop „Arts for Health“ erstmals in Österreich breit zur Diskussion gestellt hat. Seither entwickelt sich das Thema beständig auch hierzulande, weil wir auch viel dafür tun!
„Es gibt keine Bewegung und keinen Ansatz, der versucht, das Thema in den Public Health Bereich zu integrieren. Daher haben wir Arts for Health Austria gegründet, um damit zu beginnen.“
Der Verein wurde erst nach diesem Workshop gegründet?
Edith Wolf Perez: Ja, der Verein ist auf Anregung dieser Veranstaltung von meiner Kollegin Katy Geertsen und mir gegründet worden. Wir hatten auch schon lange in dem Bereich gearbeitet. Katy ist zum Beispiel Dance for Parkinson Facilitator und ich habe bereits während meiner Tanzstudien in England mit Community-Projekten im Gesundheitsbereich und in Spitälern gearbeitet. Dann ist auch gleich der Komponist, Musiker und Musikwirkungsforscher Oliver Peter Graber zu uns gestoßen. Aber das Thema war bislang in Österreich nicht greifbar. Es gibt zwar sehr viele, sehr gute Projekte, keine Frage! Aber es gibt keine Bewegung und keinen Ansatz, der versucht, das Thema in den Public-Health-Bereich zu integrieren. Daher haben wir Arts for Health Austria ins Leben gerufen, um damit zu beginnen.
Dann ist das tatsächlich – bei uns zumindest – alles noch sehr frisch …
Edith Wolf Perez: Ja, das gibt’s noch nicht so lange. In Österreich ist die Musiktherapie sehr etabliert und ihre Ausübung in einem Musiktherapiegesetz geregelt. Wir unterscheiden uns dadurch, dass wir keinen (psycho-)therapeutischen Ansatz verfolgen. Wir glauben, dass die Kunst an sich, der künstlerische Prozess, das Kreativ-Sein, eine heilende Wirkung haben. Und das ist auch wissenschaftlich bestätigt. Wir arbeiten bei Projekten auch immer wieder mit Musiktherapeutinnen und -therapeuten zusammen, wo man sich gut ergänzen kann. Die Prävention und Gesundheitsvorsorge sind uns wichtig, aber natürlich gibt es auch Einsatzgebiete für das Management von Krankheiten. Gerade bei Parkinson, Demenz und Schlaganfällen oder wenn Geist und Seele in Unordnung sind, kann man viel mit Kunst stabilisieren, verbessern und das psychosoziale Wohlbefinden steigern. Es ist ja schon viel wert, wenn sich die Menschen besser fühlen.
Die Tournee ist jetzt gerade voll im Gang und wird sich noch bis ins Jahr 2023 hineinziehen?
Edith Wolf Perez: Ja, sie geht noch bis 2023. Bis jetzt waren wir in St. Pölten, in Graz und Innsbruck, dann geht’s weiter nach Eisenstadt, Linz, Bozen und Vorarlberg. Die letzte Veranstaltung in Wien wird auch gleichzeitig die Präsentation des Weißbuchs sein, das spätestens Ende Jänner rauskommt. Da werden wir unsere Soirée in Wien machen. Vielleicht wird’s auch eine Matinee … das wissen wir noch nicht.
„Wir stellen die Situation in Österreich im Kontext der internationalen Entwicklung dar.“
Das Weißbuch, das Sie vorstellen werden, soll u. a. Grundlagen schaffen, Kunst und Kultur in das öffentliche Gesundheitswesen in Österreich einzubinden. Darin werden auch Policy-Empfehlungen zu finden sein. Wie sehen die ungefähr aus?
Edith Wolf Perez: Im Moment trifft sich ja alles ganz gut. Die Ansätze sowohl im Gesundheits- als auch im Kulturbereich in Österreich sind für unser Thema sehr positiv. Im Weißbuch stellen wir die Situation in Österreich im Kontext der internationalen Entwicklung dar. Wir haben Länderberichte aus Großbritannien, Dänemark, den Niederlanden, Finnland und Irland als Beispiele. Da gibt es ganz unterschiedliche Ansätze. In England ist z. B. die Policy-Entwicklung ganz wichtig und wird auch auf politischer Ebene intensiv verhandelt. Finnland konzentriert sich auf die strukturelle Ebene. In Irland fehlen zwar die Strukturen, aber es gibt spannende Einzelprojekte, ähnlich wie in Österreich. Allerdings wurde im letzten Jahr vom Gesundheitsminiterium das Pilotprojekt „Social Prescribing“ lanciert, das auch weitergeführt werden soll. Im Rahmen von „Social Prescribing“ kann man Kunstaktivitäten sehr gut anbieten. Gleichzeitig erfährt der Kunstbegriff eine Erweiterung. In Österreich liegt sehr großes Augenmerk auf der Hochkultur. Wenn man Kultur hört, denkt man ans Theater, die Oper etc., aber nicht an Seniorentanz oder an die CliniClowns. Aber es ist ein Umdenken im Gange. Auch weil die Policy- Empfehlungen der EU stark in diese Richtung gehen, den Kulturbegriff tatsächlich erweitern zu wollen. Überlegungen, welche Rolle Kunst und Kultur bei den siebzehn Entwicklungsschritten der „2030 Agenda for Sustainable Development” der UNO spielen kann, werden ebenfalls diskutiert. Auf unserer Tournee versuchen wir auch, die Gesundheitsverantwortlichen mit den Kulturverantwortlichen auf Landes- und Gemeindeebene zusammen zu bringen. Es ist ein mühsamer Weg, aber die Zeit ist reif, ihn zu beschreiten.
Höchste Zeit! Eigentlich ist der Einfluss von Kunst auf die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden dem Einzelnen doch längst klar.
Edith Wolf Perez: Ja, aber es ist sehr schwierig, ressortübergreifend zu arbeiten. Wir haben ein strukturelles Boxendenken. Hier ist die Gesundheit und da die Umwelt und dort die Kultur. Das alles als zusammenhängend zu erklären, ist die große Aufgabe der nächsten Jahrzehnte.
„Was mache ich mit meinen Long-Covid-Patientinnen und -Patienten?“
Die Tortenstücke müssten ihre gemeinsame Mitte wiederfinden, dann würden alle sicherlich mehr profitieren. Das Pilotprojekt „Aufatmen“, Ihr aktuelles Atem- und Musikprogramm für Long-Covid-Betroffene, macht das sehr deutlich. Ebenso genau rechtzeitig, wie ich finde, denn die Corona-Politik hat ja gerade Kunst, Kultur und alles Soziale stillgelegt, was aber für die Gesundheit wiederum schlecht ist. In dieser Hinsicht: ein nachdrückliches Hinweisen auf die Notwendigkeit des Musischen?
Edith Wolf Perez: Eigentlich ist das sogar von Ärztinnen und Ärzten ausgegangen, die mit uns in Kontakt getreten sind und uns dazu angeregt haben, weil sie keine Therapie für ihre Long-Covid-Patientinnen und -Patienten hatten. In England gab es bereits „ENO Breath“ von der English National Opera, die uns auch bei der Entwicklung unseres Programms unterstützt hat. Wir haben ein spezifisch österreichisches Programm zusammengestellt, das die Wiener Musiktradition in den Fokus stellt. Das Pilotprojekt von „Aufatmen“ ist sehr, sehr gut gelaufen. Wir sind auch sehr dankbar, dass wir die Unterstützung vom Kulturamt der Stadt Wien, vom Gesundheitsministerium und von einer privaten Stiftung bekommen haben, um den Piloten durchzuführen. Die Studie dazu ist fast fertig und wird demnächst in Peer-Review gehen. Beim Feedback der Teilnehmenden haben über 80 Prozent angegeben, dass sie durch das Sing- und Atemtraining eine Verbesserung ihres allgemeinen Wohlbefindens erlebten, mehr Lebensfreude haben und den Alltag besser bewältigen. Wenn du dich wohler fühlst, kannst du auch besser atmen.
Tief und befreit durchatmen trägt ja ganz allgemein auch zur Reduktion von Stress- und Angst bei, was bei den Betroffenen bestimmt auch ein Thema ist oder war. Dabei ist es auch gar nicht wichtig, super singen zu können.
Edith Wolf Perez: Überhaupt nicht! Man muss nur aufmachen, einmal durch- und aufatmen! Was uns sehr freut, ist, dass einige Teilnehmenden nun einfach weitersingen wollen. Wir haben seit dem Pilotprojekt neben dem „Aufatmen“-Programm immer eine Gruppe „Weiteratmen“ laufen, die einfach nur singt.
Welche Altersgruppen waren vertreten?
Edith Wolf Perez: Wir hatten Teilnehmende von 18 Jahren bis 60+, vorwiegend Frauen.
Erfolgt in Zukunft auch eine Erweiterung auf andere Altersklassen?
Edith Wolf Perez: Ja, wir arbeiten an einem Programm, das auch für Kinder und Jugendliche abgestimmt ist. Wir werden dafür ein künstlerisches Programm mit anderen Materialien entwickeln, die diese Altersgruppe anspricht. Das wird auch spannend!
Das im Piloten bearbeitete Repertoire war auf Oper festgelegt.
Edith Wolf Perez: Ja, weil unsere künstlerischen Leiterinnen Opernsängerinnen sind und sie die Qualität garantieren können. Aber das Jugendprogramm wird auf andere Musikstile fokussieren und nur wenig Oper enthalten.
Wusste die Gruppe denn, was auf sie zukommt? Das Opern-Genre ist jetzt auch nicht jeder und jedes Erwachsenen Sache.
Edith Wolf Perez: In den Einstiegsgesprächen wird auch gefragt, ob sie klassische Musik oder Oper mögen. Einige haben gesagt, dass sie Oper überhaupt nicht mögen, aber am Ende fanden sie es eigentlich doch sehr schön! Und einige wollen jetzt sogar in die Oper gehen. So bringt das Programm auch neues Publikum für die Oper. Einige interessieren sich jetzt für Gebiete, für die sie früher gar nichts über hatten! Andererseits ist natürlich auch niemand verpflichtet, die begleitenden Online-Angebote anzunehmen. Aber wer doch reinschaut, entdeckt vielleicht Neues.
„Diese Ergänzung, dieses Zusammenspiel zwischen Kunstgenuss und Kunstausübung ist natürlich eine schöne runde Sache.“
Was sind Besonderheiten des Projekts?
Edith Wolf Perez: Wichtig ist die durchgehende Betreuung, die auch über die 6-wöchige Laufzeit hinausgeht. Das Programm wird mit dem Erstgespräch eröffnet, ein halbstündiges Telefonat mit jeder und jedem Teilnehmenden, in dem das Befinden abgefragt wird und wir einschätzen, ob das Programm passend ist. Es gibt gewisse Kontraindikationen, auf die man auch in der Kunst aufpassen muss. Wir haben außerdem ein sehr rigoroses Erinnerungsinstrument aufgebaut. Alle werden vor der Session erinnert. Wenn jemand unabgemeldet nicht kommt, bekommt er eine Viertelstunde nach Beginn eine SMS „Wir warten alle auf dich!“. Wir geben also Unterstützung, damit die Leute auch dranbleiben. Wenn man krank ist, dann ist es noch schwieriger, einem regelmäßigen Programm zu folgen. Uns wurde auch rückgemeldet, dass das sehr geschätzt wurde. Beim Endgespräch wird die Wirkung des Programms auf das subjektive Wohlbefinden erhoben und wir nehmen von den Teilnehmenden Tipps für die Weiterführung auf. Das künstlerische Programm, das online ist, kann für die Teilnehmenden auch nach dem Programmende für ein paar Monate weiterhin benützt werden. Diese Ergänzung, dieses Zusammenspiel zwischen Kunstgenuss und Kunstausübung, ist natürlich eine schöne runde Sache.
Findet das Programm dann regelmäßig statt?
Edith Wolf Perez: Wir haben das Programm bisher viermal durchgeführt und hoffen, dass wir einen Träger finden. Unsere Zielvorstellung wäre eine Sozialversicherung, die das ins Rehaprogramm aufnimmt. Da sind wir noch nicht, aber Schritt für Schritt werden wir da schon hinkommen, denn die positiven Ergebnisse liegen vor.
Sehr interessiert an unseren Aktivitäten sind auch die Gesunden Gemeinden in den Bundesländern. Wir sind diesbezüglich im Gespräch in Kärnten. Auch Oberösterreich hat Interesse an einer Zusammenarbeit signalisiert, ebenso die Steiermark. Also das Thema ist da. Jede und Jeder, auch im Gesundheitsbereich, weiß, dass etwas passieren muss, besonders in der Gesundheitsförderung- und -erhaltung. Ökonomisch haben Arts-for-Health-Interventionen den Vorteil, dass sie in der Gruppe stattfinden. Gleichzeitig wird dadurch auch das biosoziale Wohlbefinden angesprochen. Die soziale Einbettung ist sehr wichtig, denn egal, welche Beschwerden und Konditionen vorliegen, meist trifft Betroffene als erstes die soziale Isolation. Man kann vielleicht nicht mehr arbeiten, ist nicht mehr so leistungsfähig, passt möglicherweise nicht mehr in den Freundeskreis. Daher ist es auch ganz wichtig, eine Gruppe zu finden. Das ist uns von den Long-Covid-Betroffenen oft rückgemeldet worden, endlich auch andere Betroffene gefunden zu haben. Man glaubt ja immer, man ist allein auf weiter Flur – dabei stimmt das nicht.
Gruppendynamik stärkt ja enorm. Das Projekt hat allerdings vorwiegend online stattgefunden, wo das intensiver anregende Zwischenmenschliche fehlt. Wie hat es trotzdem funktioniert?
Edith Wolf Perez: Unerwarteter Weise hat die Gruppenkohäsion und der Zusammenhalt auch online sehr gut funktioniert! Das hat mich total überrascht. Wir hatten im Pilotprojekt mehrere Online-Gruppen, und manche, die wegen Terminschwierigkeiten wechseln mussten, wollten immer wieder zurück in ihre Stammgruppe, weil sie sich schon so verbunden gefühlt haben. Natürlich ist es live noch schöner, da gab es aufgrund der Corona-Situation aber bisher nur eine Gruppe. Und online hat außerdem den Vorteil, dass wir Menschen von überall einbeziehen können.
Die betreuenden Künstlerinnen und Künstler haben sodann auch eine Aufgabe, sollte wieder einmal so ein existenzbedrohender Lockdown kommen.
Edith Wolf Perez: Ja, unsere künstlerischen Leiterinnen Bea Robein und Jennifer Davison sind sehr aktiv auf dem Gebiet und gleichzeitig aktive Opernsängerinnen. Sie hatten auch vorher schon eigene Projekte in Gesundheitskontext entwickelt und wir hatten Kontakt mit ihnen. Als die Anfrage von den Ärztinnen und Ärzten kam, haben wir sie sofort ins Team geholt. Die Sessions werden von den erfahrenen Stimm- und Gesangstrainerinnen Monica Eröd und Johanna von der Deken geleitet. Für alle ist „Aufatmen“ und „Weiteratmen“ eine wunderbare Ergänzung und sie haben selbst einen Gewinn aus dieser Erfahrung, den sie so nicht vorhergesehen haben. Das ist doch anders, als vor einem Publikum zu singen oder Musikstudierende zu unterrichten. Übrigens wird im Herbst auch der erste universitäre Weiterbildungslehrgang „Arts for Health“ an der Jam Music Lab Private University angeboten.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Sophia Umfahrer
Arts for Health Austria: „Kunst trifft Gesundheit“ bei tanz.ist
Freitag, 4. November 2022, 18:00 Uhr
Spielboden Dornbirn, Großer Saal
Färbergasse 15, Rhombergs Fabrik, 6850 Dornbirn
Eintritt frei, Anmeldung unter office@tanzist.at
Termine:
Arts for Health Austria: „Kunst trifft Gesundheit“ beim Zirkus des Wissens
Freitag, 16. November 2022, 19:00 Uhr
Johannes Kepler Universität
Altenberger Str. 69, 4040 Linz