Weißes Rauschen – Tumido im mica-Interview

Es gibt Bands, die nicht und nicht in eine bestimmte Schublade passen wollen, die sich gekonnt allfälligen musikalischen Dogmen und Konventionen gekonnt entziehen, denen es egal scheint, welches Etikett sie umgehängt bekommen und ganz ohne Scheuklappen ihr eigenes unverwechselbares Ding durchziehen. Eine solche Band ist Tumido. Das mica traf die Combo kurz vor einem ihrer Live-Auftritte und sprach mit Bernhard Breuer (Schlagzeug), Mario Stadler (Sound) und Gigi Gratt (Bass) über organische Entwicklung, Sogwirkung und weißes Rauschen. Das Interview führte Markus Deisenberger.

Wie viele Leute, glaubt ihr, werden heute kommen, um euch live zu sehen?

Bernhard Breuer: Ich glaube, es werden schon einige kommen. (lacht) Und hoffentlich nicht nur, weil es gratis ist.

Gigi Gratt: Weil wir in Wien schon oft gespielt haben, vor allem mit Bulbul.

Du lieferst ein schönes Stichwort. Was verbindet euch eigentlich mit Bulbul?

Bernhard Breuer: Viel, das ist eine lange gemeinsam Geschichte. 2005 haben wir uns in Wels kennen gelernt.

Beim Unlimited-Festival?

Bernhard Breuer: Nicht direkt, aber im Unlimited-Umfeld, ja.

Gigi Gratt: Und es gibt ein kleines Festival in Schrattenberg , wo Künstlerpräsentationen stattfinden. Da waren Bulbul dort, und ich auch. Und da haben wir die Idee geboren, einen gemeinsamen Set zu spielen. Daraufhin haben wir eine Woche lang ein gemeinsames Programm erarbeitet und das im Anschluss auch gemeinsam präsentiert. In weiterer Folge hat es sich dann immer wieder ergeben. Der Gipfel war letztes Jahr, als wir beide neue Platten draußen hatten und gemeinsame eine Reihe Dreier-Konzerte spielten, d.h. am Anfang spielte Bulbul, dann wir und zum Schluss beide Bands gemeinsam.

Wie kann man sich das live vorstellen? Läuft das auf Impro hinaus?

Mario Stadler: Das kommt ganz darauf an, worauf wir gerade Lust haben.

Gigi Gratt: Es gibt schon auch gemeinsame Nummern. Bubul sind über die Jahre einfach gute Freunde geworden.

Habt ihr auch die gleiche musikalische Sozialisation?

Bernhard Breuer: Eigentlich nicht.

Gigi Gratt: Wo wir herkommen nicht, wo wir jetzt sind, schon.

Bernhard Breuer: Bulbul kommen grundsätzlich eher aus dem Rock oder DIY-Punk, während wir eher vom Jazz oder Free-Jazz kommen.

Gigi Gratt: Bulbul wurden im Laufe der Zeit jazziger und wir rockiger, so haben wir uns in der Mitte getroffen. Wir haben einfach eine ähnliche Auffassung von Musik.

Ihr habt alle Jazz studiert?

Bernhard Breuer:  Ja

Und wo?

Gigi Gratt: In Linz

Und dann irgendwann wie alle anderen, die ich bisher zu diesem Thema befragt habe, die Nase voll gehabt?

Bernhard Breuer: Nein, das war eigentlich nicht so schlimm. Weil es viele Leute gab in unserem Jahrgang, die eine ähnliche Auffassung von Musik hatten.

Gigi Gratt: Im Umfeld von artonal konnten wir gemeinsam viele verschiedene Sachen probieren.

Bernhard Breuer: Mit Jazz kamen wir gar nicht so viel in Berührung.

Gigi Gratt: Ich glaube, wenn man Musik studieren will, ist Linz noch immer die beste Station. Trotzdem ist es wie in jeder anderen Institution auch zuerst einmal schwierig.

Wenn ihr euch jetzt zwischen Chaos und Konzept, zwischen Noise und Mathematik entscheiden müsstet, was würdet ihr nehmen? Worauf könnte ihr leichter verzichten?

Gigi Gratt: Hilfe! Das ist schwer zu sagen.

Bernhard Breuer: Eine Zeit lang waren wir mathematischer, jetzt regiert wieder mehr das Chaos, würde ich sagen.

Gigi Gratt: Das glaube ich auch. Aber ich würde es eher auf Sound und Energie statt Struktur und Konzept fest machen. Die sind im Laufe der Zeit immer wichtiger für uns geworden. Gerade mit diesem Album jetzt hat sich das so entwickelt, dass Sound und Energie immer weiter in den Vordergrund rückten und Technik und Strukturen zurück gedrängt wurden.

Am aktuellen Album habe ich den Eindruck, dass ihr euch streckenweise sehr weit rauslehnt, aber doch immer wieder zum Beat, also zu einer Art von Struktur zurückkehrt. Kann man das so sagen?

Gigi Gratt: Schon, ja. Das kann man schon so sagen

Bernhard Breuer: Für das neue Album haben wir versucht, das Strukturdenken ad acta zu legen. Ein Jam sollte es aber auch nicht werden, es ging uns vielmehr um ein energetisches Konzept. Wir sagten uns zum Beispiel: Jetzt spielen wir so lange, bis sich weißes Rauschen ergibt. Wir verdichten die Musik so, dass irgendwann nur noch weißes Rauschen übrig bleibt. Das war die Vorgabe und nicht: Jetzt spielen wir vier Takte das und anschließend vier Takte das.

Gigi Gratt: Damit setzt das jetzige Album auch einen starken Kontrapunkt zum letzten Album, das sehr strukturiert war und aus richtigen Songs bestand.

Seid ihr komplizierter geworden?

Bernhard Breuer: Nicht unbedingt, aber unsere Musik hat auch nicht an Komplexität verloren.

Euer aktuelles Album ist auf den Punkt gespielt und präzise, es klingt aber trotzdem rau und dreckig. Wie habt ihr das geschafft? War euch das überhaupt ein Anliegen?

Bernhard Breuer: Dreck ist immer ein Anliegen.

Mario Stadler: Das ergibt sich von selber, würde ich sagen.

Bernhard Breuer: Klinischen Sound zu vermeiden ist keine bewusste Entscheidung, sondern es gibt so eine Art Grundverständnis zwischen uns, was den Sound angeht. Über das haben wir nie diskutieren müssen.

Gigi Gratt: Stimmt. Das ist eine klare Vorstellung. Schon das letzte Album haben wir gemeinsam mit Mario und Manuel aufgenommen. Da braucht es keine großen Worte mehr. Da herrscht blindes Verständnis.

Dein Sound am Bass, Gigi, ist aber ganz bewusst so wie er ist, nehme ich an.

Bernhard Breuer: So ist es. Jeder für sich weiß, was er tut.

Gigi Gratt: Der Sound selbst ist natürlich schon sehr bewusst. Es geht um das Wissen, wie es zu klingen hat.

Bernhard Breuer: Jeder weiß, was er beizutragen hat, damit es so klingt, wie wir wollen, dass es klingt.

Mario Stadler: Jeder zieht seine eigenen Schlüsse aus dem, was passiert.

Bernhard Breuer: Genau, aber es gibt einen unausgesprochenen Grundkonsens darüber, wie es klingen soll. Da braucht man sich kein großartiges Konzept dazu überlegen.

Gigi Gratt: Tumido selbst hat sich auch immer sehr organisch entwickelt. Ursprünglich etwa haben wir Gitarre und Schlagzeug gespielt, dann kam erst Bass dazu. Dann haben wir mit Loops gearbeitet. Was ich sagen will ist: Bestimmte Dinge haben sich zwar verändert, es war aber immer klar, wo sich das gesamte Projekt hinentwickeln soll.

Dass das neue Album nur zwei Nummern, nämlich „Hunde“ und „Potop“, aufweist, war auch geplant, nehme ich an.

Gigi Grat: Das war der Plan, ja.

Bernhard Breuer: Und dass es ein Vinyl in kleiner Auflage wird, das war auch von Anfang an klar.

Und der Titel „Hunde“? Wie kam es zu dem?

Bernhard Breuer: Das war purer Zufall. Manuel hat während der Aufnahmen, als wir noch keinen Titel hatten, gemeint: Warum nicht Hunde? Und das hat einfach super in die Stimmung gepasst und wurde sofort übernommen.

Gigi Gratt: Was ich auch immer wieder von außen höre ist, dass auch wenn das jetzige Album anders als das vorangegangene ist, man trotzdem immer noch Tumido raus hört. Das heißt es ist ein Kern da, den man trotzdem immer raushört.

Wir haben also zwei Stücke auf zwei Vinyl-Seiten. Bei einem Stück war die konzeptuelle Vorgabe: White Noise. Und beim anderen Stück, bei „Potop“?

Gigi Gratt:  Grundsätzlich hatten wir mehrere Ideen. Die Grundidee war, dass es eine Plattenlänge ist. Wenn das Stück aber nur acht Minuten lang gewesen wäre, wäre das auch OK für uns gewesen. Dann haben wir uns im Studio mit den verschiedensten Techniken gespielt, haben verschiedensten Versionen aufgenommen und die, die uns am besten gefallen hat, dann genommen.

Bernhard Breuer: Wir spielen jetzt seit zehn Jahren und finden es mittlerweile viel spannender, wenn sich die Dinge beim Spielen ergeben als vorher viel darüber reden zu müssen, wie es werden soll. Man kennt sich in- und auswendig.

Gigi Gratt: Ein weiterer Einfluss war das Hochwasser in Ottensheim. Da haben wir spontan einen Radausflug zum Kraftwerk gemacht. Als dort die Schleusen aufgemacht wurden, war das ein unfassbarer Lärm.

Die Szene findet sich am Cover wieder.

Gigi Gratt: Nicht direkt, aber das war auch dreckiges Donauwasser. Insofern passte es. An der Stelle haben wir dann auch einen Film gedreht. Was uns so faszinierte, war die unglaubliche und spürbare Energie der Fluten.

Mario Stadler: Im Prinzip erzeugt der Sound von derartigen Wassermassen ein heftiges, ein gewaltiges weißes Rauschen. Und obwohl vollkommenes Chaos, ist es nie langweilig und auch nie das gleiche Bild, das sich einem bietet. Eine gewaltige Energie…

Bernhard Breuer: Das Video passt auch super zur ersten Nummer. Wir haben einfach zehn Minuten lang das Wasser gefilmt, die Kamera drauf gehalten.

Wie kann man sich eure Live-Auftritte vorstellen?

Gigi Gratt: Heute zum Beispiel spielen wir vier alte Nummern, die aber neu interpretiert werden, indem sich Mario live einbringt.

Das heißt, dass Mario nicht nur als reiner Techniker fungiert, der euren Sound mischt, sondern sich live aktiv ins Geschehen einmischt.

Mario Stadler: Genau, ich bringe meine Effektgeräte in Stellung, durch die ich dann abwechselnd Bass, Snare und andere Sounds durch schicke und sie verändere.

Bernhard Breuer: Das, was wir im Studio gemacht haben, nämlich dass wir Sounds verändern und entfremden, tun wir eben auch live auf der Bühne.

Gigi Gratt: Und eigentlich spielen wir nur die eine der beiden neuen Nummer, „Hunde“, live, dafür aber wesentlich länger als auf Album.

Ich vermute jetzt einmal, in ziemlich hoher Lautstärke…

Bernhard Breuer: Die Lautstärke gehört dazu, sie erzeugt Energie.

Mario Stadler: Trotzdem geht es darum, dass man ein Konzert von Tumido auch ohne Ohropax aushalten muss, weil ich das selbst immer als sehr unangenehm empfinde, wenn es so laut ist, dass meine Ohren Schutz brauchen. Die Stöpsel, die man an der Kassa bei Venues bekommt, jene aus Schaumstoff meine ich, nehmen ja die Hälfte der Musik weg. Da bleibt der Hörgenuss auf der Strecke. Die Musik verliert.

Gigi Gratt: Es soll nicht die Lautstärke im Vordergrund stehen.

Wie ist das Verhältnis von Fordern und Überfordern? Eure Musik soll fordern, aber soll, darf, kann sie auch überfordern?

Gigi Gratt: Schwierige Frage. Es soll jedenfalls ein Sog entstehen, in dem man reinkippen kann. Dazu braucht es eine gewisse Grundlautstärke, die aber nie eine so wichtige Rolle einnehmen darf, indem man jetzt die lauteste Band der Welt oder irgendetwas anderes in der Richtung sein will. Dynamik und Entwicklung sind wichtiger. Es soll einen beeindrucken, aber nicht unangenehm sein.

Bernhard Breuer: Wie der Gigi richtig gesagt hat, braucht es aber eine gewisse Lautstärke, um jene Körperlichkeit zu entwickeln, derer es bedarf.

Wie würdet ihr eure Musik genremäßig bezeichnen?

Bernhard Breuer: Wir machen Rock.

Tatsächlich?

Bernhard Breuer: Noise-Rock ist immer der Überbegriff, mit dem wir bedacht werden.

Gigi Gratt: Man kann das ja auch immer schwer beschreiben. Was bitte ist Noise-Rock mit Impro-Einschlag? Kann sich da irgendjemand etwas darunter vorstellen?

Ist die Impro-Schiene unter anderem auch deshalb interessant, weil man dort unter Umständen mehr Geld verdienen kann, als im schwer gebeutelten Pop-Universum?

Mario Stadler: Es gibt bei Tumido ganz eindeutig keinen finanziellen Hintergrund.

Bernhard Breuer: Jeder von uns hat seine Projekte nebenbei und kratzt die Kohle zusammen, damit es sich irgendwie ausgeht. Mittlerweile trifft man sich bei Tumido nicht mehr so oft wie noch vor Jahren.

Wieso? Weil sich das Geld woanders besser verdienen lässt?

Bernhard Breuer: (lacht) Nein, weil es sich einfach nur noch dann ergibt, wenn wir wirklich Lust darauf haben, gemeinsam etwas zu bewegen. Dadurch bekommt das Ganze eine neue Leichtigkeit, die auch auf dem neuen Album zu spüren ist. Da geht es nicht darum, irgendwo spielen zu müssen und soundso viele Alben verkaufen zu müssen. Das ist völlig nachrangig geworden.

Gigi Gratt: Erwartungen zu erfüllen ist nicht das Ziel. Wir haben jetzt dreihundert Stück pressen lassen und schauen, was passiert.

Bernhard Breuer: Wir sind auch nicht die Band, die mordsmäßig viel herumtourt. So agiert man meistens, wenn man eine neue Band startet. Man pusht unheimlich. Aber diesen Druck gibt es bei uns nicht mehr, er ist einem echt entspannten Arbeiten gewichen.

Gigi Gratt: Der Kampf ist nicht mehr dahinter. Wen wir wieder mal eine Woche auf Tour fahren wollen, dann stellen wir uns eine Route zusammen und fahren los.

Gehen wir noch einmal zum aktuellen Album. Sechzig Minuten Musik. Wie viel ist komponiert, wie viel improvisiert?
Bernhard Breuer: Der Grundsound war vorgegeben. Wir hatten so um die zehn Ideen, wie die Grundsounds und der Groove klingen sollen. Und dann haben wir jeweils die beste Version genommen und massivst nachbearbeitet

Was kann man sich unter „massivster“ Nachbearbeitung vorstellen?

Mario Stadler: Alle generierten Sounds durch zehn Effekt-Kästchen durchzuschicken und dann noch mal aufzunehmen.

Gigi Gratt: Was es von einem Jam unterscheidet ist aber, dass es bei uns immer gewisse Vokabeln gibt, mit denen wir arbeiten. Es geht also nicht darum, irgendwas zu spielen, sondern man arbeitet an einem bestimmten Bild und intensiviert es nach und nach…

Bernhard Breuer: Ein Jam steuert auf den Höhepunkt hin. Wir aber beginnen am Höhepunkt und arbeiten dort weiter. Dadurch ist man von Beginn an unter Hochspannung und muss sich völlig neu orientieren.

Dadurch kann es auch nicht dahinplätschern wie manche Jam-Sessions, bei denen ewig nichts passiert, bis irgendjemand das Tempo anzieht.

Bernhard Breuer:  Exakt. Dadurch verläuft es sich nicht

Mario Stadler: Die Musik selbst ist so strukturiert, dass es schon ähnlich klingt wie auf Platte, wenn wir live spielen, aber doch auch anders ist. Dennoch wird „Hunde“ jedes Mal zu weißem Rauschen.

Gigi Gratt: Man beginnt auf einem Energie-Level, wo sich das Publikum fragt: O mein Gott, wo soll das hingehen? Doch es verdichtet sich immer weiter und wird immer noch intensiver.

Bei „Hunde“ war der Zielgedanke also das weiße Rauschen. Was war der Grundgedanke bei der B-Seite des neuen Albums?

Bernhard Breuer: Wir wollten etwas zu elektronischen, tanzbaren Rhythmen entwickeln, sie zerfallen lassen und wieder zusammen setzen.

Wieso habt ihr „Hunde“ auf dem kleinen Label Interstellar Records veröffentlicht?

Bernhard Breuer: Das war eine klare Entscheidung, weil Label-Boss Richie ein Freund von uns ist
Er war schon mit auf Tour. Und da wir unbedingt nur ein Vinyl machen wollten, war das eine fast logische Entscheidung.

Gigi Gratt: Interstellar Records gibt es jetzt schon zehn Jahre und das Label ist in Italien, Kroatien gut vernetzt. Letztendlich ist die Szene, in der wir uns bewegen, ja auch überschaubar.

Bernhard Breuer: Und abgesehen davon, dass die Entscheidung von vorneherein feststand, traut sich heute auch kein Label mehr, eine neue Band aufzunehmen. Man kennt uns zwar im umliegenden Ausland, dennoch müsste man uns als Act, wenn wir darüber hinaus Erfolg haben wollen, aus Labelsicht neu aufbauen. Die Möglichkeiten sind aber sehr begrenzt, weil das Risiko aus Labelsicht zu groß ist. Selbst etablierte Acts verkaufen nichts mehr. Umso wichtiger ist es, dass man kleine Labels wie Interstellar, die gut vernetzt und sehr aktiv sind, stützt und wieder mehr auf den regionalen DIY-Grundsatz setzt. So läuft es noch am besten, es passiert am meisten, und der persönliche Kontakt ist gegeben.

Gigi Gratt: Es passiert ja wirklich viel bei Interstellar. Da bemüht man sich und das gibt einem ein gutes Gefühl.

Vielen Dank für das Gespräch.