Webern und die Zukunft der Musik in Mittersill – Wolfgang Seierl im mica-Interview

Als Gitarrist und Komponist ist er Teil der österreichischen Musikszene, als Gründer und langjähriger Veranstalter des Komponistenforums Mittersill und neuerdings als Präsident des mica auch wesentlicher Mitgestalter eben dieser Szenen; last but not least stellen renommierte Galerien im In- und Ausland seine Bilder vor. Anlässlich eines von Elke Tschaikner gestalteten Zeit-Ton Porträts über Wolfgang Seierl (Di., 20.2., 23.00 Uhr auf Ö1) hier komplementär dazu ein mica-Interview über das Komponistenforum Mittersill, das Heinz Rögl bereits im Sommer 2006 mit dem vielseitigen Künstler und Organisator führte.

Das Komponistenforum (KOFOMI) findet in Mittersill seit 1996 jährlich im Spätsommer statt. Kannst du erzählen, wie es zur Gründung kam?

Wolfgang Seierl: Eigentlich hat es schon im Jahr davor begonnen. 1995 war ein Anton-Webern-Gedenkjahr, der 50. Todestag, der in Mittersill mit einer Feier und einem Gedächtniskonzert begangen wurde, an dem ich organisatorisch und auch künstlerisch beteiligt war. Im Rahmen dieser Veranstaltung habe ich gespürt, dass an diesem Ort mehr möglich ist und auch mehr möglich sein sollte, mehr, als alle zehn Jahre diese Kranzniederlegungen und offiziellen Reden am Grab. Mir ist etwas vorgeschwebt, dass die Tatsache, dass Anton Webern in Mittersill begraben ist, nicht immer nur mit einem Trauerrand versehen und mit einem Rückblick verbunden werden, sondern durch einen Blick auf die Zukunft der Musik, auf neue Entwicklungen, einen positiven Anstrich bekommen sollte.

Welche Situation fandest du in Mittersill vor. Das ist eine Fremdenverkehrsgemeinde – wie kann man dort so etwas machen?

Wolfgang Seierl: Animierend für mich war eine gewisse Unvoreingenommenheit, die ich auch schon 1995 gespürt habe. Die Menschen in dieser Region sind sozusagen unverbildet, leben nicht im großstädtischen Kontext, wo es im kulturellen Angebot bereits eine Art Überfütterung gibt und wo sich in gewissen Szenen eine Überheblichkeit breit macht. Die Leute in Mittersill haben noch relativ wenig zu tun gehabt mit Neuer Musik, die haben sich das einfach einmal angehört. Das machte eine Gesprächsbasis möglich, in der es um ganz andere Dinge als üblich gehen konnte. Und das hat sich eigentlich bis heute erhalten.

Inwiefern hat sich das Projekt Komponistenforum Mittersill von der Konzeption her von herkömmlichen Festivals für Neue Musik unterschieden?

Wolfgang Seierl: Ganz am Anfang war es überhaupt nicht als Festival konzipiert, sondern als kommunikatives Treffen unter Komponisten und Musikern mit Einbeziehung des Publikums. Weil für mich zur Musik eigentlich immer wesentlich dieser Austausch gehört. Komponist, Musiker und Publikum bilden eine Einheit, wenn einer fehlt, passiert nichts. Die Grundidee war einfach, dass Komponisten, die sonst eher zurückgezogen arbeiten und vielleicht auch nicht so irrsinnig kommunikativ wie in anderen Kunstdisziplinen unterwegs sind, eine Chance bekommen, eine Woche lang (beziehungsweise sind es jetzt ja schon zehn Tage) mit anderen zusammen zu sein, zu leben, zu kommunizieren, zu arbeiten. Es hat begonnen mit einer oder zwei zusätzlichen Veranstaltungen. Um das Ganze ein bisschen nach außen zu kommunizieren, haben sich immer mehr kleinere Begleitveranstaltungen ergeben. Und so hat sich die Struktur allmählich zu dem entwickelt, wie sie heute ist.

Was war und ist der ursprüngliche Kern?

Wolfgang Seierl: Das Hauptquartier, das ist der Schachernhof, ein alter Bauernhof am Sonnberg, über Mittersill auf fast 1000 m Seehöhe gelegen, wo alle wohnen, essen, eine wunderbare Atmosphäre herrscht und wo sich alle wohlfühlen können. Dann gibt es in Mittersill einige Orte, die wir uns nach und nach erobert haben, vor allem die St-Anna-Kirche, wo von Anfang an die Konzerte stattgefunden haben, die auch von historischer Bedeutung ist, weil Anton Webern nach seinem Tod dort aufgebahrt war. Dann gab es noch das Kino, das leider seit dem Hochwasser 2005 nicht mehr existiert, und eine ehemalige Tischlerei, wo wir lange Jahre hindurch Veranstaltungen und Konzerte gemacht hatten. Die Veranstaltungsorte änderten sich im Lauf der Zeit.

Begonnen hat es also damit, dass man ein paar Komponisten eingeladen hat, hier Projekte zu entwickeln, zu komponieren, und dass die Ergebnisse dann vor Ort auch uraufgeführt werden.

Wolfgang Seierl: Im ersten Forum gab es das Angebot, dass wir das mit Musikern realisieren, die wir in der Region Oberpinzgau organisiert haben und die wir motivieren konnten zur Verfügung zu stehen, um die in Mittersill entstehenden Kompositionen zu spielen. Das hat sofort Anklang gefunden. Natürlich auch bei den Komponisten, die ja vorzeigen konnten, wie sie arbeiten, welche Vorstellungen sie haben bei der Umsetzung. Es gab bereits im ersten Jahr je eine Komposition von jedem der teilnehmenden Komponisten. Und das hat sich dann auch immer so fortgesetzt. Wir zwingen natürlich niemand zu arbeiten, aber es gab noch nie die Situation, dass das jemand nicht getan hätte. Inzwischen haben wir ja auch ein sehr schönes und attraktives Angebot an Interpreten, eingeladenen Musikern in residence, das für die Komponisten auch sehr verlockend ist.

In diesen elf Jahren hat sich da ja ein ganzes Archiv neuer Stücke angesammelt.

Wolfgang Seierl: Jedes Jahr entstanden von jedem der fünf, sechs Komponisten, die da waren, neue Werke, dazu kommen dann noch etliche Uraufführungen, die bei Begleitveranstaltungen gespielt wurden. Also schon eine unglaubliche Zahl an Produktion in diesem kleinen Ort, der eigentlich so peripher liegt.

Es gibt jährlich wechselnde Themenschwerpunkte, wie werden die Komponisten ausgewählt?

Wolfgang Seierl: Die Themen –  wie “Gesellschaft”, “Kind”, “Volksmusik”, “bewgt” und so weiter – sind für mich immer Hintergrundthemen, die spotartig aus der Vielzahl von Themenkreisen herausgehoben werden, die immer wichtig sind, wenn es ums Komponieren geht, die immer präsent bleiben. Wir suchen daher die Komponisten nicht gezielt themenbezogen aus, wir schauen vielleicht bei dem einen oder anderen ein bisschen darauf, aber das steht nicht im Vordergrund. Wichtiger ist, dass wir eine Gruppe zusammenbringen, die in sich spannend ist, die gut zusammenpasst, aber nicht so gut, dass es langweilig wird. Wir sind schon auch daran interessiert, sehr unterschiedliche Positionen zusammenzubringen.

Keine ästhetischen Präferenzen oder Barrieren?

Wolfgang Seierl: Keinerlei. Die Eingrenzung ist eher die Konzentration auf all das, was im Mainstream weniger vorkommt, also die Bereiche Neue Musik, experimentelle Musik, elektronische Musik, denen wir uns verpflichtet fühlen. Abgrenzungen gibt es da zwangsläufig gegenüber der Popularmusik, dem Jazz und natürlich auch der traditionellen klassischen Musik.

 

 

Die Ergebnisse sind  auf den Tonträgern des Label einklang_records umfassend dokumentiert, stand die Labelgründung in einem Zusammenhang mit dem KOFOMI?

Wolfgang Seierl: Die Labelgründung war prinzipiell darauf ausgerichtet, die Kompositionen zu veröffentlichen, bzw. was in Mittersill jeweils passiert zu dokumentieren. Es wurde im vierten Jahr des Komponistenforums gegründet, seither wurde jährlich eine CD produziert. Seit zwei Jahren versuchen wir diese Reihe noch durch andere Produktionen zu erweitern, die nicht direkt etwas mit dem Komponistenforum zu tun haben, mit Musikern, die vielleicht auch schon einmal beim KOFOMI mit dabei waren oder damit auf Dauer in einem engen Kontext stehen. Diese Reihe hat mit CDs mit Petra Stump und Manon Liu Winter begonnen und wir möchten sie auch fortsetzen, weil wir glauben, dass es wichtig ist den Fokus auf solche Produktionen zu werfen und diesen Öffentlichkeit zu verschaffen, weil es für die so gut wie keinen Markt gibt. Auch beim Komponistenforum selbst geht es ja um Schaffung von Strukturen, Schaffung eines Netzwerkes im Bereich der neuen und experimentellen Musik, um den Informationsfluss in Gang zu halten.

Von Jahr zu Jahr stieg die Attraktivität des Komponistenforums Mittersill. Wie hat sich die Zusammensetzung des Publikums verändert?

Wolfgang Seierl: Am Anfang waren es wirklich ausschließlich Leute aus Mittersill und Umgebung, es hat lange Zeit gedauert, bis sich das auf Leute ausgeweitet hat, die von weiter her schnuppern kamen. Natürlich gab es da auch ein paar Attraktionen, etwa, als der Pianist Markus Hinterhäuser in Mittersill gespielt hat, oder Gert Jonke gelesen, die Brüder Muthspiel konzertiert haben. Seit zwei, drei Jahren kommen immer mehr Leute auch aus Wien, Salzburg, darunter auch viele Teilnehmer aus früheren Jahrgängen, die die Kommunikationsbasis mit uns aufrechterhalten wollen. Das ist uns auch ein großes Anliegen und wir schaffen für diese sogenannten “Ehemaligen” auch immer wieder Programmpunkte.

Begleitend wird meist auch ein Symposion veranstaltet.

Wolfgang Seierl: Wir wollen damit nicht nur das jeweilige Forumsthema aufarbeiten, sondern vor allem künstlerische und wissenschaftliche Positionen zusammenbringen. Da sind auch Lesungen, Performances, Installationen erwünscht, die diesen wissenschaftlichen Bereich erweitern, vielleicht auch sprengen können.

Das Symposion 2006  hieß “Mozarts Knie”.

Wolfgang Seierl:  Joseph Beuys wurde einmal danach gefragt, ob seine Inspiration auch “aus dem Bauch” kommt bzw. ob er aus diesem heraus arbeite – eine für eine bestimmte Epoche typische Frage. Er soll gesagt haben, nein, bei ihm komme das aus dem Knie.

Was waren die Themen?

Wolfgang Seierl:  Es ging als Ausgangspunkt um die Situation der Künstler heute, um das Hochstilisieren von Künstlern zu Kultfiguren, um das Businessmodell Künstler, rund um Mozart auch um den Geniebegriff.

Auch das Thema “Kult” des Komponistenforums schloss ein bisschen an dieses Mozartthema an.

Wolfgang Seierl:  Ja durchaus, es ging aber auch in eine andere  Richtung. 2005 war das Thema “jetzt” dem musikalischen Augenblick gewidmet, 2006 sollte es eher in die Tiefe gehen, es ging auch um den kultisch-religiösen Bezug der Kunst, um das tiefe Erfassen.

Für das Salzburger OFF-Mozart-Festival hast du ein Stück beigesteuert, dass beim Komponistenforum uraufgeführt wurde – “Don Giovanni/Introduzione”.

Wolfgang Seierl: Es ging mir darum, eine Oper von Mozart von einer ganz anderen Richtung her zu beleuchten, den Mut zu haben, einzugreifen, auch kompositorisch. Bei heutigen Produktionen von Mozart-Opern wird ja auch eingegriffen, die Zeit wird verändert, die Kostüme. Die Musik selbst aber wird als unantastbar betrachtet. Ich stelle, ohne sie zerstören zu wollen oder zu können, die Frage, was passiert, wenn man auch einige Noten, Klänge, Tempi in der Partitur verändert. Auch der Text wurde von Ferdinand Schmatz neu bearbeitet, über diesen neuen Text stellte ich eine neue musikalische Struktur.

Interview: Heinz Rögl
Fotos Kofomi: Kurt Hoerbst

Kofomi