Schwere Zeiten für Platten-Labels: Die Auswertung von Back-Katalogen steht im Mittelpunkt und kaum noch wird in neue, viel versprechende MusikerInnen investiert. Wer investiert dann überhaupt noch in junge Musik? Das Internet? Es diskutierten: Shigs Amemiya (iMusician Digital, CH), Ilias Dahiméne (Seayou, AT), Andreas Jantsch (Las Vegas Records, AT) und Lars Potyka (VUT; DE). Gastgeber: Stefan Trischler (Radio fm4, AT)
In der Einleitungsrunde weist Andreas Jantsch als Betreiber eines kleinen Labels darauf hin, dass es auf den richtigen Zeitpunkt ankomme. „Wenn man die Bands zu früh bekommt, dauert es zu lange, sie aufzubauen“, sagt er. „Wenn man sie zu spät bekommt, ist die Zeit, die man hat, bevor sie einem ein großes Label, ein Major, wegschnappt, vielleicht zu kurz.“ Als Label sei es heute nicht leicht, aber ein Debüt sei nach wie vor eine große Chance. Genau deshalb, arbeite er grundsätzlich auch lieber mit neue Artists als mit arrivierten zusammen. „In die aber muss man investieren.“
Lars Potyka wirft ein, dass die ersten Relases doch ohnehin meist vom Artist selbst kämen. Das komme ganz darauf an, was man einen Release nennt, kontert Jantsch. „Einen Release mit einem halbwegs internationalen Vertrieb bringt keine Band selber raus…!“ Die Band müsse doch erst mal ihr erstes Publikum aufgebaut haben, ja gezeigt haben, dass sie eine Tour organisieren könne, dass sie eine Zukunft habe und nicht wegen Kleinigkeiten aufhöre. „Diesen Punkt muss man erst einmal erreicht haben.“
Shigs Amemiya sieht die Plattform, die er als CEO betreibt, nicht als Label, sondern als Geschäft mit Daten, die es optimal zu administrieren gilt. „Wenn man sich die digitalen Märkte anschaut, gibt es keine Zukunft für Labels im herkömmlichen Sinne“, ist er überzeugt. Das meiste an Investment passiere mittlerweile durch den Musiker bzw. die Band selbst. Und genau das ist auch der Grundgedanke, auf dem das Business-Model von iMusician Digital aufbaut.
Ilias Dahiméne, Betreiber des kleinen, aber erfolgreichen Labels Seayou, nennt Zahlen: 15 Alben pro Jahr seien es in etwa, die bei ihm abgewickelt werden. „Und wir kümmern uns beinahe monatlich um neue Acts, d.h. wir signen neue Bands.“ Der erfolgreichste Act von Seayou (auf Nachfrage am Podium, Anm.) verkaufe um die 20.000 Kopien. Andere Alben aber würden nur um die 1.000 Kopien verkaufen, so Dahiméne. Shigs Amemiya gibt zu bedenken, dass es ohne Turnover kein Geld für Marketing gebe. Auch wenn er die Arbeit, die Leute wie Dahiméne leisten, respektiere.
Das sehe er grundlegend falsch, erwidert Dahiméne, denn 1.000 Kopien verkaufe man in etwa auf Konzerten. Da müsse man rein gar nichts an Marketingbudget reinstecken.
Amemiya neuerlich: Auch wenn es durchaus respektabel sei, 15.000 Euro in ein Projekt zu investieren und dann nur und 1.000 Einheiten davon zu verkaufen, die Frage, wer heute noch in Musiker investiert, sei doch gleichbedeutend mit der Frage, wie man es schafft, ein Musiklabel profitabel zu betreiben. Bei iMusician Digital habe man derzeit 10.000 Acts unter Vertrag. Und das Beste sei, dass es ihm und seinen Kooperationspartnern egal sein könne, wie klein die Revenues vom CD-Verlauf oder von Spotify letztlich sind. Bei Konzept bzw. Business-Model von iMusician kommt das Geld nämlich von den Musikern selbst. Jede Band, die die Dienste in Anspruch nimmt, muss sich einkaufen. „Sobald Geld rein kommt, wird es wieder in Musiker re-investiert“, so Shigs Amemiya. Gastgeber Trischler hakt nach: „Vom Profit wollt ihr die kommerziell erfolgversprechenden unterstützen?“
„So ist es“, antwortet Amemiya. „Wenn du 200.000 Kunden hast, kommt ja auch einiges an Geld zusammen, das man investieren kann.“
Potyka hat einige Fragen an Amemiya: Da Projektpartner Motor Music selbst nicht investiere, stellt sich für ihn die Frage: Wer investiert dann? Die Antwort liege für ihn auf der Hand: Der Artist selbst – ein Faktum, das von Amemiya auch nicht groß bestritten wird. „Wenn wir 10.000 in eine Band investieren, müssen wir natürlich auch schauen, wie wir das Geld wieder rein kriegen.“
Wie stehe es mit Verlagsdeals, will Trischler wissen. „Ab dem Zeitpunkt, ab dem es Vorausleistungen gibt, muss man auch darauf achten, dass das Geld zurück kommt, meint Amemiya lapidar, allerdings seien Verlags-Deals für ihn zu sehr im Denken des 20. Jahrhunderts verhaftet. Im Ergebnis heißt das, dass keine Verlagsrechte eingeräumt werden. „Es gibt andere Möglichkeiten!“
Und dann kommt Amemiya noch einmal auf seine Prognosen zurück, was den Fortbestand der althergebrachten Strukturen im Musik-Biz anbelangt. „Während die Labels selbst in der uns bekannten Form nicht überleben werden, werden die Skills, d.h. also die Fähigkeiten, die bislang ein gutes Label ausmachten, wie etwa Management, Product-Placment etc selbstverständlich weiterhin gefragt sein.“ Allerdings in einem anderen Package und unter einem anderen Namen, so Amemiya.
Daraufhin wendet Andreas Jantsch ein, dass es unter diesen Voraussetzungen nur bereits erfolgreiche, arrivierte Musiker schaffen würden. Darin gibt ihm Amemiya Recht. Aber: „Wenn die Musik intensiv genug ist, wird sie auch so Feedback bekommen.“
Lars Potyka meint dazu lakonisch: „Investieren tut doch weder ein Label, noch ein Format wie das eure.“ IMusician sei nichts weiter als ein smartes System. Das Geld komme dabei vom Artist, der in sich selbst investiert. „Bis jetzt waren es die Konsumenten, die das Geld beischaffen, das investiert wird.“ Das sei nun anders und das sei auch der maßgebliche Unterschied zwischen den beiden Systemen.
Ja und nein, meint Amemiya. Ein fundamentales Problem der traditionellen Musikindustrie sei doch, dass man immer gezwungen sei, ein Produkt mit einer Gewinnmarge verkaufen zu müssen, um Geld für Investment zu haben. „Wir aber müssen kein Produkt mit einer Marge mehr verkaufen.“
Eigentlich, wirft Ilias Dahiméne ein, sei doch nichts anderes passiert „als dass ihr die Konsumentenebene vom Musikliebhaber zum Musiker hin verschoben habt.“
„Ja“, bestätigt Amemiya, aber das tun wir, um zu überleben und Erfolg zu haben.
Dazu Andreas Jantsch: „Ihr macht nichts anderes als den Traum ein erfolgreicher Musiker, eine erfolgreiche Band zu sein, zu verkaufen. Er selbst habe schon des öfteren mit iMusiicians zu tun gehabt. Bands hatten, bevor sie zu seinem Label Las Vegas Records kamen, mehrere kleine Releases bei iMusician Digital gemacht. „Aber die eigentliche Aufbauarbeit hab dann ich gemacht. Das bei euch ist en gros nicht die Qualität, die es braucht, um Erfolg im Radio oder sonstwo zu haben.“ Hauptsächlich Hobby-Bands seien das, die euch ein wenig Geld zahlen. „Und über die Masse macht ihr dann das Geld.“
Bei seiner Darstellung vergesse Jantsch die natürliche Evolution, so Amemiya. „In den nächsten zehn Jahren wird sich einiges ändern. Und ich werdet eure Expertise, die ihr unbestritten habt, anders einsetzen müssen.“
Ilias Dahiméne wiederum möchte in dem Zusammenhang einen anderen, noch nicht zur Sprache gekommenen Wert, den Labels wie Seayou und vergleichbare, haben, erwähnt wissen. Abgesehen von der Vermarktung des Produktes gehe es ja auch darum, etwas zu kuratieren. „Das Label hat eine kuratierende Funktion. Das darf nicht unterschätzt werden. Labels wissen nun einmal viel über Musik, wissen, was Radios wollen etc.
Jan Potyka stimmt dem zu. Das sei eine kulturelle Motivation, die unbestritten ist. Die Frage sei aber doch, wer noch in junge Artists investiert. „Tut das der Konsument, der sich auf youtube etwas anschaut, oder bei itunes etwas runterlädt, noch?“ fragt er.
Der im Publikum sitzende Musik-Manager Manfred Lappe meldet sich zu Wort.
Es gebe den Musiker einerseits und den Fan oder Consumer andererseits. Jeder, der dazwischen ist, müsse einen guten Grund haben, dazwischen zu sein, so Lappe. Er äußert ernsthafte Zweifel daran, dass iMusician Digital ernsthafte Promotion oder Label-Arbeit für die bald 200.000 unter Vertrag stehenden Acts leisten kann.
„Ach, niemand investiert mehr, weil niemand Geld hat“, konstatiert Jan Potyka. „Das ist doch die Wahrheit“, und der müsse man mal ins Auge sehen. Amemiya widerspricht dem vehement und berichtet, um seine Position zu untermauern, von Historischem: In den 1970ern gründete der Konzern Sony ein Label, weil sie in Musik investieren mussten, um mehr Cds zu verkaufen. Ein Label zu betreiben, sei nie der vorrangige Geschäftszweck gewesen. Das aber sei ein gutes Beispiel dafür, wie eine Firma, die ursprünglich mit Musik nichts zu tun hat, plötzlich in Musik investiert. Facebook, Apple, Spotify, sie alle würden früher oder später auch in Musik investieren, ist Amemiya überzeugt. Bis jetzt habe das aber noch niemand getan, kommt als Wortmeldung au dem Publikum.
Amemiya: „Wir sind zehn Jahre in der digitalen Revolution und reden immer noch über Gatekeepers.“ Das verstehe er nicht. Darauf reagiert nun der im Publikum sitzende Musik-Manager Walter Gröbchen: Man könne die Funktionäre doch nicht auf ihre Eigenschaft auf Gatekeepers reduzieren, sie hätten auch positive Aufgaben.
Es sei ein Traum, dass das Business so funktionieren könnte, wie Amemiya das hier wortreich dargestellt habe. Ebenso verkaufe Tim Renner seit Jahren einen Traum. Das sei durchaus legitim. „Aber die Musik, die in den sozialen Medien heute erfolgreich ist, ist über einen A&R gegangen und auf einem Label erschienen“, so Gröbchen.
Manfred Lappe stellt daraufhin klar, dass aus seiner Sich jeder, der zwischen Artist und Consumer positioniert ist, investiere. Die Frage sei aber, ob der Split fair ist. Darüber könnte man diskutieren.
Potyka nimmt noch einmal auf iMusician Bezug: Das sei jedenfalls kein Modell, das dazu geeignet wäre, jemanden aufzubauen.
Moderator Trischler hingegen findet das Modell interessant. Was ihm aber in diesem Daten-zentrierten System ein wenig abgeht, sei die Kunst. Oder die Kreativität. Irgendwo da draußen gebe es eine Idee, die vielleicht irgendwann mal durch das Dach geht. In einer Daten-zentirerten würde niemand auf diese Ideen aufmerksam.
Aus dem Publikum meldet sich abschließend jemand zu Wort, der wissen will, ob abseits des ganzen Hick Hacks die Möglichkeit bestehe, dass beide Modelle – Label-Arbeit im herkömmlichen Sinne und eine Artist-fiannzierte Digital-Plattform wie iMusician – gemeinsame Sache machen und wirkliche Synergien erzeugen.
Ilias Dahiméne (Seayou, AT) meint, er habe viele Business-Partner, die aus der Ecke kämen. „Wir schauen immer, was zum Artist passt und dann wählen wir dementsprechend aus.“ Und auch sonst sind alle der Auffassung, dass eine gemeinsame Zusammenarbeit sinnvoll sei. Musiker brauchen mehr Support und Expertise denn jemals zuvor. Auch wenn es eine Stunde lang nicht den Eindruck erweckte: Darin sind sich alle einig.
Markus Deisenberger
Foto © Martin Wirbel