Die Frage, wieso in der Metal-Szene trotz geänderter Rahmenbedingungen und einer vielzitierten Krise der Musikindustrie nach wie vor viele CDs verkauft werden, beschäftigt die gesamte Branche. Ebenso funktionieren auch der Live- und Merchandising-Sektor bestens. Was aber läuft dort anders resp. besser als im Rest der Branche? Gibt es ein spezielles Business-Modell, das sich auch Musikmanager anderer Genres einverleiben könnten? Es diskutierten: Roman Filez (MetalDays; Sl), Paul Kraker (ORF; fm4, A) undThomas Zsifkowits (Nova Music; AT). Gastgeber war: Michael Ternai (mica – music austria; AT)
Wenn sich eingangs einer Diskussion, die zum Ziel hat, herauszufinden, ob man vom Metal etwas lernen könne, alle Beteiligten einig sind, dass es nichts, aber auch gar nichts gibt, das man vom Metal lernen kann, ist es eigentlich Zeit, nach Hause zu gehen. Doch vielleicht wäre das auch voreilig. Denn, meint Paul Kraker vom ORF, man müsse schon zwischen dem „Phänomen“ Metal und damit einher gehenden Marketing-Maßnahmen unterscheiden. Es gäbe vielleicht kein Business-Modell, das sich auf andere Genres anwenden ließe, aber ganz sicher ein Phänomen, das sich zu betrachten lohnt.
Leidenschaft und Eskapismus
Doch was macht es aus, das „Phänomen“ Metal? Kraker, der seit seiner Jugend selbst Metal hört und die fm4-Sendung „House of Pain“ moderiert, meint, es sei schlicht und ergreifend die Zugehörigkeit zu einer Minderheit und der Hang zum Extremen, der alle Metal-Fans eine. Metal sei einzigartig, weil die Musik das einzige Ziel habe, „zum nächsten Traum zu gelangen“. Um nichts anderes gehe es in Wahrheit, so Kraker. Er selbst habe sich das erste Mal im Alter von 25 Jahren vorgesagt, dass es in fünf Jahren dann wohl vorbei sein werde mit dem Metal-Fan-Sein. Als er dann 30 war, prognostizierte er 35 als Ende der Leidenschaft und so weiter und so fort. Man komme einfach nicht mehr los davon und er habe sich längst damit abgefunden, dass ihn Metal wohl sein Leben lang begleiten werde.
Eine Szene also, die das Kind im Manne weckt und aus der man, weil es schließlich so viel Spaß macht, ein Kind zu sein, einfach nicht mehr herauswächst? Das, ist Roman Filez überzeugt, werde wohl zu kurz greifen. Immerhin, so der slowenische Konzertveranstalter, sehe man immer mehr Frauen auf Metal-Konzerten. Der Festivalspaß sei längst keine Männer-Domäne mehr. Aber mit der Erklärung in Richtung Szene und Lebenseinstellung komme man dem Ganzen schon sehr nahe.
Respekt & starke Fanbase
Ein wesentlicher Unterschied, den er im Zuge seiner Veranstalter-Karriere zu Pop- und Rock-Veranstaltungen beobachtet habe, sei die Solidarität weniger bekannten Acts gegenüber, die bei einem Pop-Festival einfach nicht gegeben sei. Dort fülle sich das Gelände erst nach und nach zu den großen Acts hin, während bei einem Metal-Festival alle Gäste um Punkt 13.00 Uhr zur bereits ersten Band da sind. Dieser Respekt auch der jungen Szene gegenüber sei hauptverantwortlich dafür, dass man sich um den Nachwuchs keine Sorgen zu machen braucht. Die Jungen bekämen immer eine Chance und irgendwann seien sie dann so weit, große Bühnen bespielen zu können.
Genau das sei auch das, was er immer gefühlt habe, wenn er Konzerte besuchte, bestätigt Kraker: eine Art Vertrag zwischen Band und Fans. Als Fan, so Kraker, fühle man jederzeit, dass man selbst auch dort oben stehen könnte, hätte man nur länger geübt. Beinahe jeder im Publikum spielt ein Instrument, ist also fachkundig. Und die Band bestehe nicht aus unantastbaren Stars, die diese Andersartigkeit inszenieren, sondern würden einfach ihren Job machen und das so professionell wie möglich, ohne dabei abgehoben zu wirken. Daher stehe die starke Fanbase ihren Idolen so nahe – anders als bei Rihanna oder Lady Gaga.
Der Metal-Fan ließe sich auch schon lange nicht mehr so leicht mit den üblichen Klischees beschreiben, meint Kraker. Filez stimmt ihm dabei vollinhaltlich zu. Das Publikum habe sich in den letzten Jahren sehr stark verändert. „Die Leute kommen aus allen Schichten und von überall her“, ist er sich sicher. Was sie alle eine, sei ein Hang zum Eskapismus. Das war es auch, was Kraker mit dem „nächsten Traum“ meinte, den es zu erreichen gelte.
Auch Thomas Zsifkowits von Nova Rock glaubt, dass sich das Publikum in den letzten 20 Jahren stark verändert hat. Früher sei es noch sehr strikt an gewisse Veranstaltungsorte gebunden gewesen. Das habe er auch stark zu spüren bekommen, als er zum ersten Mal ein Metal-Line-Up nach Wiesen programmieren wollte. Das habe überhaupt nicht funktioniert. Heute, Jahre später, akzeptiere man in Wiesen längst auch über den Jazz und den Pop hinaus andere Genres. Dass dort auch Metal stattfindet, weiß man und goutiert man. Vor 18 Jahren auch sei es schlicht unmöglich gewesen, dass eine Band wie Pendulum auf dem Nova Rock-Festival spielt. Heute ist das Realität. Den Unterschied zu anderen Genres, ist er überzeugt, machen die Leute aus, die den Bands so viel Respekt entgegen bringen.
Gefühls-Transfer
„Woran aber liegt das?“, will man aus dem Publikum wissen. „Was genau ist der Grund dafür, dass der Respekt so groß ist?“ „Das Feeling“, gibt Zsifkowits zur Antwort. „Man geht auf ein Metal-Konzert, um seinen Alltag zu vergessen und will das Gefühl, das man dort hatte, mit nach Hause, ins normale Leben also, mitnehmen.“ Style hingegen sei egal. Metal-Fans gäben keinen Deut auf Style. „Sie machen das, was Spaß macht, ob es nun in ist oder nicht.“
In puncto Feeling stimmen auch die andern Diskutanten zu. Ein „Gefühlstransfer“ sei das, der eben auch mittels CDs, T-Shirts und anderen Fan-Artikeln initiiert werde.
Zu einem Motörhead-Konzert kämen deshalb 8jährige genauso wie 68jährige, meint Filez. Außerdem könne man vom Metal auch sehr viel lernen, was Guitarpicking und Crossover anbelange. Allgemeine Zustimmung.
Zsifkowits hat es mit seinem Verweis auf Pendulum und eine heute oft sehr breit praktizierte Programmierung schon angesprochen, das Publikum aber will diesen Berührungspunkt intensiviert betrachtet wissen.
Die Berührung mit dem Mainstream mache keine Angst, meint Zsifkowits. Es gäbe nun einmal Bands, die in Richtung Mainstream gehen wie etwa In Flames und das sei auch völlig in Ordnung so. Auch Filesz stimmt dem zu. Bands wie Korn oder Slipknot seien live eine Wucht, völlig unabhängig davon, wie viele Alben sie verkaufen oder nicht. „Das hat ja auch den gleichen Kern“, so Zsifkowits.
Vielleicht liege aber gerade darin ein wesentlicher Unterschied zwischen Metal und anderen Genres: Werden die Helden berühmt und deshalb auch ein wenig kommerzieller als einem vielleicht lieb ist, folgt man ihnen trotzdem weiter. Man bleibt der Band, die man gerne hat, treu. Am besten ließe sich das auch an einer Band wie Metallica nachvollziehen, die – da sind sich alle Anwesenden einig – ihr letztes gelungenes Album Anfang der 1990er Jahre veröffentlicht hätten, trotzdem aber noch Stadien füllen.
Kein Airplay erforderlich
Erstaunlich ist der kommerzielle Erfolg, was Verkaufszahlen von Tonträgern und Tickets für Live-Konzerte anbelangt, vor allem im Hinblick auf die Tatsache, dass Metal im Radio so gut wie nicht läuft. Selbst in Special Interest-Sendungen wie „House of Pain“ habe man Rücksicht auf vorherrschende Geschmackrichtungen zu nehmen, so Kraker, soll heißen: man könne nicht von der ersten Minute ab 22.00 Uhr Grindcore spielen, sondern müsse mit den wirklich harten Dingen wie etwa Black Metal ein wenig zuwarten. Das heißt, je länger die Sendung dauert, desto unbequemer und weniger massen-kompatibel wird auch oft der Sound.
Wie aber schafft man es, ein Venue auszuverkaufen ohne im Radio gespielt zu werden? Viel laufe über Mundpropaganda, meint Filez. Und die anderen beiden Diskutanten stimmen ihm zu. Es gäbe viele Beispiele. Bands wie Flogging Molly etwa würden Jahr für Jahr, wenn sie ein Album releasen, schlecht rezensiert. Dennoch würden sie problemlos tausende Leute bewegen, zu ihren Konzerten zu kommen, einfach, weil sie live eine Bank seien, erzählt Zsifkowits.
Apropos Rezensionen: Als wirklich auf großer Ebene funktionierendes Sprachrohr gibt es das Magazin Rock Hard, das eine Institution in der Szene ist. Filez gibt zu bedenken, dass vielleicht ja auch Magazine genauso wieder kämen wie das Vinyl. Das wäre wünschenswert, darin sind sich alle einig. Und so unwahrscheinlich sei es auch gar nicht. Tatsächlich nämlich gibt es derzeit auf dem Fanzine-Sektor viele Veröffentlichungs-Bestrebungen. Es tut sich was. Vielleicht kommt hier wieder mehr Leben in die Szene.
Aus dem Publikum wird Roman Filez sodann nach den Eigenheiten des slowenischen Marktes gefragt. Klein sei er, gibt er zur Antwort. Wer raus will, d.h. auch auf anderen Märkten etwas erreichen will, müsse dafür drei Mal so hart arbeiten wie unter „normalen“ Umständen.
Die Kleinheit des Marktes habe Slowenien mit Österreich gemein, meint Kraker. Er erinnere sich an einen Abend, an dem er in die Arena ging, um eine Grindcore-Band zu hören. Die Karte sei ihm damals von Alex Wank von Pungent Stench abgerissen worden, während die Band drinnen die Cover-Version eines Pungent Stench-Songs spielte.
Müsse man sich trotz guter Verkaufszahlen Sorgen um die Szene machen, will Moderator Michael Ternai wissen. Ja, meint Filez. Sorge bereite ihm, dass es mittlerweile Autos gibt, die keinen CD-Player mehr hätten. So würden selbst Metal-Fans irgendwann keinen CDs mehr kaufen. Andererseits, meint Kraker, werde es laute Musik und schwarze T-Shirts immer geben. Ebenso Leute, die ihre „Scheiß-Umgebung“ vergessen wollen und genau deshalb auf ein Metal-Konzert gehen.
Er selbst sei jetzt 45 Jahre alt und komme sicher nicht mehr los vom Metal. Warum auch?! Und noch einmal wird aus dem Publikum gefragt, ob es denn nicht doch ein Business-Modell gäbe, das sich für andere Genres adaptieren ließe. Nein, das gibt es sicher nicht. Es gibt kein Businessmodell. Und vielleicht ist genau das die Stärke des Metal.
Dennoch werde es doch typische Dinge geben, die den Metal auszeichnen, wird abermals aus dem Publikum fragend formuliert. Klar gibt es die. Die Beteiligten fassen noch einmal zusammen: Starker Support für junge Bands, kein aufgeblasenes Marketing, Respekt zwischen Bands und Fans und die Inszenierung eines gemeinsamen Rituals. Ebenso ein starker DiY-Aspekt, was Management, Tourplanung etc. anbelangt, eine starke und treue Fanbase und: der mittels Konzerterlebenis, CDs und Merch-Produkten gelungene Gefühls-Transfer.
Markus Deisenberger
Foto © Austin Settle
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