Waves Vienna Konferenz: Der polnische Musikmarkt

Die Gastländer des diesjährigen Waves Vienna Festival waren Frankreich und Polen. Im Rahmen von drei aufeinanderfolgenden Panels wurde auf das Musikbusiness in Polen eingegangen. ExpertInnen aus den Bereichen Neue Medien, Marketing und der Musikszene diskutierten nicht nur über mögliche Wege den Markt gen „Westen“ zu öffnen, sondern auch über seinen Status Quo.

Wie ein roter Faden zog sich die sozialistische Vergangenheit durch die Gespräche. Dass sich durch Zensur ein starker Untergrund entwickeln kann, zeigt sich besonders am Beispiel der Musikpiraterie. Noch Anfang der 1990er, als durch den Fall des Eisernen Vorhanges ein Neubeginn für den ehemaligen Ost-Block eingeläutet wurde, boomte der Markt mit den selbstbespielten Kassetten.

Es sorgte dafür, dass die Polen nicht nur wussten, wie sie einander die zensurierte Musik zugänglich machten, sondern, dass sie auch heute gekonnt mit den illegalen Mitteln des File-Sharing dem Zahlen entfliehen. Einerseits mag dies, laut Paula Bialski (Musikerin/CN/PL), daran liegen, dass in den 1990ern gratis Konzerte Gang und Gebe waren. Andererseits besitzen vor allem legale Downloads, also die Musikfiles selber keine Wertigkeit für Musikhörer. Kurz gesagt, warum für etwas zahlen, das keinen physischen „Körper“ hat?

Doch nicht nur der Schwarzmarkt entwickelte sich. Auch Vielfalt der Musikgenres und die Segmentierung des Marktes sind erheblich damit verbunden sind, betont besonders Jarek Szubrycht (T-Mobile Music/PL). Eine Vielzahl an Genres ist in einem Land mit fast 40 Millionen Einwohnern nicht ungewöhnlich, doch polnische Musikfans zeichnen sich laut Malgorzata Halber (Journalistin/PL) durch ihr „Special Interest“ und die Loyalität zu einem bestimmten Genre aus. Rock, Metal, Hip Hop und eine Form des Schlagers, das sogenannte „Disco Polo“, sind besonders beliebt, zählen aber nicht zum polnischen Mainstream. Die extremen Gegensätze machen den Musikgenuss in einem Land aus, dass nur zirka fünf Mainstream Musiker sein „eigen“ nennt.

Um diese Genre-Lastigkeit zu verstehen, muss man auf die Formierung eines polnischen Independent-Labels eingehen. Diese entstehen durch den Zusammenschluss ähnlich klingender Bands, die in einem gewissen Stammclub auftreten. So erklärt sich auch Michal Hajduk (Adam-Mickiewicz-Institut/PL) den Fakt, dass viele Bands verschiedener Kategorien voneinander nichts wissen, und so nicht Netzwerken können.

Dazu kommt, dass kaum neue Musik an die Rezipienten gelangt, denn weder Radiosendern noch Magazinen ist eine Langlebigkeit beschert, wenn sie sich um das Indie-Genre drehen. So machen immer mehr Booker und Label-Inhaber die Erfahrung, dass ihre Schützlinge in den polnischen Talentshows auftreten. Dies tun sie nicht um zu gewinnen, sondern um sich in der Primetime dem Fernsehpublikum zu präsentieren und ein paar „Likes“ zu sammeln.

Auch wenn die oberen Beobachtungen eher als pessimistisch bezeichnet werden können, hat der polnische Markt seine eigenen Wege entwickelt um alles am Laufen zu halten. Nick Hobbs (Charmenko/UK) nimmt eine interessante Unterteilung der Finanzierungsmöglichkeiten vor. Neben der klassischen kommerziellen Promotion durch Sponsoring, gibt es ein starkes Einwirken der einzelnen Gemeinden, die das Potenzial der kulturellen Aktivitäten für sich entdeckt haben. Außerdem gibt es eine Hybrid-Version, die nicht nur eine Mischung aus verschiedenen Kulturaktivitäten wie Musik, Tanz und Film gemeinsam, sondern ebenso eine Mischung aus Sponsoring und Gemeindegeldern umfasst.

Um den Markt erfolgreich öffnen zu können, muss an der Distribution und an Förderungen für MusikerInnen gearbeitet werden. Besonders die Selbstverständlichkeit für Kultur zu zahlen soll in den Rezipienten verankert werden. Und das kann wegen der langen Tradition des Schwarzmarktes ein schweres Unterfangen werden, da ein Umlernen gewohnter Tatsachen immer eine heikle Sache ist. Doch im Laufe, und auch am Ende eines intensiven Nachmittages stand für alle ExpertInnen fest, dass der polnische Musikmarkt nicht nur Potenzial hat, sondern schon auf einem guten Weg ist.

Martin Riedl führte die Gespräche mit:

Panel 1 – Music of Poland
Michal Hajduk (Adam-Mickiewicz-Institut/PL), Malgorzata Halber (Journalistin/PL) und Jarek Szubrycht (T-Mobile Music/PL)

Panel 2  – The Polish Music Market
Krzysztof Bialkowski (Spezialist für Musik Marketing im Independent-Bereich/PL), Paula Bialski (Musikerin/CN/PL), Michal Brzozowski (1500m²/Roxy FM/PL) und Arek Marczynski (Antena Kryzku/PL)

Panel 3 – How to Enter the Polish Market?
Nick Hobbs (Charmenko/UK), Magdalena Jensen (European Music Fair/PL/US), Elke Kuhlen (2Bild/D), Mat Schulz (Unsound/PL) und Ian Smith (Frusion/UK/AT)

 

http://www.wavesvienna.com