Spezialisten der Musikverwertung trafen sich, um über Möglichkeiten nachzudenken, wie das Repertoire vor allem kleinerer Länder über die Grenzen hinweg EU-weit vertrieben werden kann. Es diskutierten: Shigs Amemiya (iMusician Digital; CH), Alexander Hirschenhauser (VTMÖ; AT), Tomas Miks (SOZA; SK) und Jerome van Win (SABAM; BE). Gastgeber: Peter Jenner (Sincere Management; UK)
In seinem einleitenden Statement zur derzeitigen Lage weist Peter Jenner als Elder Statesman der Musikbranche auf die Konfusion hin, die seiner Auffassung nach derzeit in der Branche herrsche, da so viele neue Business-Modelle etabliert würden, dass man langsam den Überblick verliere. In all diesem Chaos gehe es darum, neue Beziehungen zwischen Musiker und Publikum zu etablieren. Es habe innerhalb der Branche enorme Änderungen gegeben, wie Leute Zugang zur Musik bekommen. Und das System sei kollabiert, als der preis pro Einheit, mit dem die Branche Jahrzehnte lang arbeitete, gefallen sei. „Napster hat den Preis auf Null gesetzt und er liegt noch immer bei einer virtuellen Null“, so Jenner. Wenn er sich Spotify anschaut, werde im angst und bange. „Wie haben heute eine aufgenommene Platte, die im Retail-Markt höchstens um 14 Euro verlauft wird. Im Online-Markt wird sie im schlimmsten Fall für 0,001 Cent lizenziert. Die Marge liegt bei null oder fast null.“
Ein ökonomisches System, das auf Einheitspreisen aufgebaut ist, habe so keine Überlebenschance mehr. „Wir sehen uns völlig anderen Anforderungen gegenüber.“
Während sich der Handel mit Musik früher nicht wesentlich vom Handel mit Orangen unterschied – außer, dass der Preis höher lag – mache man im digitalen Markt heute alles selbst. „Computer, Mobile Device und die Internetverbindung, alles steht zur Verfügung.“ So könne man mit Musik beliefert werden und gleichzeitig liefern, ein Extra-Stream koste wenig bis nichts. Die Musik jemandem zu schicken ebenso wenig. „Und so wird das einstmals teure hochwertige Produkt „for virtual nothing“ verkauft.
Die Situation habe sich also maßgeblich geändert. „Was gleich geblieben ist, ist die relativ geringe Anzahl von Unternehmen, die den Markt dominieren.“
Aber ob Major Labels, die großen Publisher oder die Collecting Societies – sie alle bauen, glaubt man Peter Jenner, ihr Geschäftsmodell auf einer historischen Basis auf.
„Wie können wir aber jetzt sorgsam mit der Frage umgehen, wie wir am Ende des Tages den Kreativen Geld geben können, damit sie für ihre herausragenden Leistungen angemessen entlohnt werden“, fragt er. Die Wahrheit sei doch, dass alle von der kreativen Leistung profitieren. „Der Konsument und alle, die zwischen den Urhebern und dem Konsumenten stehen.“ Fakt sei also eine extrem komplexe Situation und ein Produkt, das kaum mehr etwas wert ist.
Mit einigen seiner Aussagen polarisiert Jenner absichtlich, um etwas Brisanz in die Auseinandersetzung zu bekommen. Etwa mit der, dass Major-Labels ohnedies nur existieren würden, um sich selbst zu erhalten, und nicht, um den Kreativen zu stützen. Und genau deshalb auch würde nie ein Vertreter eines Major-Labels zu solch einem Panel gehen und dort das Wort erheben. „Wie kann es gerechtfertigt sein“, fragt Jenner, „dass ein Artist 15% eines Itunes-Verkauf bekommt, den Rest das Label, wenn es dafür doch rein gar nichts getan hat?“ Und da habe er noch nicht einmal von Recoupments und Verpackungskosten und dergleichen mehr gesprochen. Ein A&R in UK oder USA verdienen immer noch um die 150.000 Euro. Man solle ihm einmal den Künstler zeigen, der solch ein Einkommen beziehe. Man tue dort einfach so, als gelte das alte System noch. Das existiere aber längst nicht mehr.
Es müsse ein Hauptanliegen aller Anwesenden sein, für eine Vereinfachung der rechtlichen Situation zu sorgen, so Jenner. „Die Verwertungsgesellschaften sind ein wichtiger Part, weil sie stark sind, und sie sind der einzige Part, der die Kreativen vertritt“, so Jenner. Das Problem aber sei, dass auch sie wie jeder andere auch ihr Business verteidigen. Was man in der Branche brauche sei ein Common Sense, wie man mit Geld umgeht, das direkt oder indirekt vom Endverbraucher kommt. „Darum kümmern sich die Verwertungsgesellschaften, ja.“ Aber wie sie sich darum kümmern, könne einen nicht zufrieden stellen. In Wahrheit sei er unzufrieden mit Labels, Publishing Companies, Verwertungsgesellschaften und Spotify.
Shigs Amemiya von iMusician Digital wirft ein, dass es für den digitalen Markt zu allererst um Daten-basierte Information gehe. In seinem Anfangs-Plädoyer fordert er mehr Transparenz. Er fragt sich, weshalb es so lange dauert, dass die Verwertungsgesellschaften begreifen, worum es geht, nämlich um die Administration von Daten. Nicht mehr und nicht weniger. Das aber, so Amemiya, könne nicht so schwer sein. „Die Technologien sind da.“
Alexander Hirschenhauser vom VTMÖ bezeichnet einleitend das System der Verwertungsgesellschaften als zutiefst krank. Dem VTMÖ gehe es darum, Fairness bei der Einkommenssituation zu erreichen bzw. zu erhöhen. Der VTMÖ vertrete kleine Player, die über zu wenig Macht verfügen. Er beklagt ein eklatantes Defizit von Transparenz-Standards sowie die mangelnde staatliche Kontrolle bzw. die Zahnlosigkeit selbiger. „Die Kontrolle ist nicht überall gleich stark ausgeprägt“, so Hirschenhauser. Wo öffentliche Interessen vertreten werden, brauche es jedoch auch öffentlich rechtlich geerdete Kontrollmechanismen, die einen fairen Daten- und Einkommens-Transfer garantieren.
Jerome van Win von der belgischen Verwertungsgesellschaft SABAM
weist viele der Vorwürfe zurück. Die Gesellschaft, für die er arbeite, sei zwar ein privates Unternehmen, die Board-Member aber seien frei gewählt
„Hat jedes dieser Mitglieder eine Stimme?“, fragt Hirschenhauser.
„Ja“, gibt van Win zur Antwort.
Und er nennt Zahlen, was das Wirtschaften seiner Gesellschaft anbelangt. Von den mechanischen Rechten sei man aufgrund der bekannten Probleme von ursprünglich 25 Millionen Euro auf 7 Millionen gesunken. Online und Downloads bzw. Streaming etc. würden demgegenüber immer noch nur für 1,5 Mio. Einnahmen ausmachen.
In weiterer Folge geht es um Daten und deren Administration – das Hauptgeschäft, wenn es nach Shigs Amemiya geht. „Sobald Musik digitalisiert ist, geht es nur noch um Administration“, so der Musik-Manager.
Die Daten seien ungenau, sagt Jenner. „International ist das ein riesiger Wirrwarr, das ist oft nicht mehr als Müll. Wer entwirrt, und kontrolliert?“ Die Komplexität, ob etwas letztlich mechanisch oder Aufführungsrecht ist, mache doch online keinen Sinn. Rechtlich aber schon. „Und genau deshalb haben wir dieses Chaos.“
Erst mal müsste man diese Daten in Ordnung bringen Da muss man beginnen zu faren, wer ist der Publisher, wer Sub-Publicher etc. „Es ist nun einmal so, dass wir staatliche Verwertungsgesellschaften haben, die nationale Repertoires verwalten. Wenn diese Einheiten miteinander kommunizieren würden, wäre viel gewonnen.“ In vielen Fällen funktioniere das ja. Durch Konkurrenz aber, in die die Verwertungsgesellschaften miteinander getreten seien, werde es schlimmer. „Die ganze Industrie ist ein Chaos und die Konsequenz daraus ist, dass die Artists immer weniger bekommen. Spotify scheint ein tolles Geschäftsmodell zu sein.“ Er aber habe noch von keinem Künstler gehört, der von Spotify ernst zu nehmende Beträge erhalte.“
Und es brauche ihm auch keiner erzählen, dass Datenverarbeitung keine Manpower erfordert. Spotify habe in zwei Jahren um die 800 Menschen angestellt. „Und dort gibt es genauso wenig Transparenz. Niemand weiß, was für einen Track gezahlt wird. Niemand weiß, wie viel an die Labels und Verwertungsgesellschaften geht. Da gibt es nach allen Seiten Geheimhaltungsvereinbarungen. Alles, was ich weiß ist, dass Spotify zu 20% von Majors besessen wird. Macht das außer mir niemanden hellhörig und skeptisch?“
Er persönlich könne die Ausflüchte der Verwertungsgesellschaften nicht mehr hören, erzählt Shigs Amemiya. Die Daten-Infrastruktur der Verw.ges. sei in Wahrheit ist obsolet. „Ihr solltet Zeit und Arbeit investieren in die Etablierung einer neuen Infrastruktur. In ein Update und in Effizienzsteigerung“, meint er in Richtin van Win.
„99% eurer Zeit verwendet ihr doch darauf, 2% eurer Payouts zu administrieren..“
Jerome van Win entgegnet, dass Investitionen eben nur dann Sinn machen würden, wenn man auch sicher sein könne, dass etwas zurück kommt. Eine kleine Gesellschaft wie die seine müsse das immer bedenken.
Alexander Hirschenhauser VTMÖ fordert mehr Unterstützung für kleine Labels. Und das sei nicht möglich ohne internationale Daten-Standards. „Wie ist es überhaupt möglich“, fragt er, „dass es für Datentransfer, der seit mehr als vierzig Jahren funktioniert, immer noch keine Harmonisierung gibt?“ Immer werde das dem Markt überlassen. Aber dem Markt könne man das nicht überlassen. Es müssten Standards gesetzt werden. Die EU könnte das tun und hätte das längst tun müssen.
„Das Problem ist doch auch“, ergänzt Jenner, „dass egal wie toll deine Standrads sind, wenn die Daten Müll sind, nützt dir die beste Datenverarbeitung nichts.“
Hirschenhauser und Jenner stimmen darin überein, dass es genau deshalb einheitliche Standards geben müsse, weil die jetzige Situation die Großen bevorzuge und die Kleinen benachteilige.
Jenner: „Wie sollen wir Länderübergreifend agieren, wenn es keine Harmonisierung und keine einheitlich europäische Registrierung gibt. Ein standardisiertes System
aber sei nicht in Sicht und die ISRC-Codes würden korrumpiert. „Es fehlt an ganz fundamentalen Dingen“, so der Medien-Spezialist. Die europäischen Verwertungsgesellschaften sollten mehr Zeit darauf verwenden, sich zusammen an einen Tisch zu setzen als einander am Markt zu bekämpfen bzw. zu konkurrenzieren. „Wer heute einen Service aufmachen wolle, der Musik entgeltlich anbietet, kann das nicht tun, weil er siebzehn verschiedene Lizenzen braucht. Und vorher schon sei nicht einmal klar, welche genau das sind.“ Schon darüber bekäme man höchst unterschiedliche Informationen. „Alles was getan wird, macht es nur noch schlimmer.“ Wenn du 12 Autoren eines Songs hast, und jeder von ihnen wechselt seinen Sub-Publisher alle drei Jahre – man überlege sich, wie komplex das ist.“
Jerome van Win stimmt dem zu. Ja, es sei komplex, aber es rentiere sich auch. Er verweist auf eine Lizenzausübung für Universal, aus der es innerhalb der letzten fünf Jahre gelang, die Einnahmen aus Revenues zu verdoppeln.
Genau damit hat aber Alexander Hirschenhauser ein Problem: Die Einkünfte zu verdoppeln sei ohne Frage respektabel, genau das aber, nämlich als ökonomische Einheiten zu operieren, wolle er nicht von Verwertungsgesellschaften. Er will, dass sie ihre Aufgaben als Verwertungsgesellschaften wahrnehmen – „und zwar allen gegenüber und nicht nur jenen, die dadurch privilegiert sind, dass sich ihr Einkommen aus Revenues verdoppeln lässt.“ Es brauche Standards, die klarstellen, dass jedes Repertoire die gleiche Chance hat. „Wir beschäftigen uns schließlich mit Kulturgütern.“ Das dürfe man nicht vergessen.
Markus Deisenberger
Foto © Martin Wirbel
Link:
Waves Vienna