Am 9. September fand der erste Tag der Waves Vienna Konferenz 2021 statt, die gemeinsam von Austrian Music Export und Waves Vienna jedes Jahr organisiert wird. Inspirierende Podiumsdiskussionen, faszinierende Vorträge und spannende Präsentationen standen auf dem Programm. Welches Fazit können wir aus den Panels ziehen? Vor welchen Problemen stehen wir derzeit in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter in Europa? Wie verändern die Musikschaffenden der Gen Y die Musikszene in der Ukraine? Wer steckt hinter deutschen Festivals wie Immergut und Fuchbau? Und was haben die Slowakei und Brünn zu bieten?
What’s up, Germany? Festivals Beyond the Mainstream
Die Initiative Musik hostete das erste Panel am 1. Tag der Waves Vienna Conference im WUK und legte den Fokus auf „Musikfestivals jenseits des Mainstreams“. Neus López, Leiterin der Abteilung Exportförderungen & Plattformprojekte, lud Vertreterinnen und Vertreter von vier deutschen Festivals ein: Alex Härtel (Summer Breeze Open Air), Florian Zoll (Taubertal), Christoffer Horlitz (Fuchsbau Festival) und Friederike Tesch (Immergut). Während Summer Breeze Open Air und Taubertal in Bayern angesiedelt sind, finden Fuchsbau und Immergut im nördlichen Teil von Deutschland statt. Die vier Festivals sind in Bezug auf Genre, Geschichte und Größe sehr unterschiedlich.
Taubertal und Summer Breeze feiern 2022 ihr 25-jähriges Jubiläum – was hat sich also in den letzten 25 Jahren verändert? „Vor 25 Jahren hat sich niemand für Duschen auf einem Rockfestival interessiert!“, scherzt Florian Zoll. „Ganz im Ernst: Eine große Veränderung ist, dass Musikgenres nicht mehr so relevant sind. Man kann ein Metalhead sein und auch ein Hip-Hop-Konzert genießen. Das Publikum ist in dieser Hinsicht vielfältiger geworden, und wir haben jedes Jahr neue Leute im Publikum.“ Alex Härtel, Vertreter des Metal/Rock-Festivals Summer Breeze Open Air, nickt zustimmend, fügt aber hinzu, dass die Zahl der Stammgäste, die jedes Jahr kommen und schon seit der ersten Ausgabe Fans sind, ebenfalls hoch ist.
Diversität
Wenn es um Diversität geht, haben die Festivals unterschiedliche Ansätze. „Wir wollen ein wirklich vielfältiges Programm, wir wollen Leute mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Vibes – das ist ein wichtiges Thema für das ganze Team“, sagt Christoffer Horlitz mit Nachdruck. Florian Zoll hingegen meint, dass das Geschlecht beim Booking keine große Rolle spiele, die Qualität der Musik sei wichtiger. Summer Breeze hat sein Publikum sogar in einer Feedback-Umfrage gefragt, ob ihnen die Gleichstellung der Geschlechter wichtig ist. Die allgemeine Antwort war, dass sie sich in erster Linie für die Musik interessieren. Wie Alex Härtel jedoch einräumt, ist das Publikum zu 65% männlich. Daher bleibt die Frage, ob die Umfrage aussagekräftig ist, offen.
Laut Härtel wird versucht, das Line-up des Festivals vielfältig zu gestalten, nicht unbedingt in Bezug auf das Geschlecht, sondern in Bezug auf die Nationalität: „2018 hatten wir zum Beispiel eine Band aus Malaysia auf dem Festival, weil sie unbedingt spielen wollten! Sie wollten nicht einmal Geld oder ein Hotel, sie wollten einfach nur spielen!“ Das Immergut Festival hingegen hat sich schon immer mit dem Thema Diversität beschäftigt und bemüht sich nicht nur um ein vielfältiges Line-up, sondern auch um Diversität im Team hinter den Kulissen, in der Organisation, der Produktion sowie der Technik-Crew.
Networking
Für Musikfestivals, vor allem für kleinere, ist die Vernetzung ein wichtiges Thema. Friederike Tesch stellt in diesem Zusammenhang die Initiative Höme for Festivals vor, die die Vernetzung von Festivals in ganz Deutschland fördern will. So lud Höme in der Vergangenheit 80 Festivals ein, gemeinsam ein Festival zu veranstalten, und veranstaltet Workshops für Festivalteams zu Themen wie Nachhaltigkeit und Vielfalt. „Vor allem während Corona kamen die Festivals zusammen und fragten ‘Wie macht ihr das? Woher kommt eure Finanzierung?’ und tauschten Ideen aus, also passiert hier definitiv etwas“, führt Christoffer Horlitz weiter aus.
Die Pandemie hat gezeigt, dass ein umfassendes Gesundheits- und Hygienekonzept für Festivals notwendig ist. Vor diesem Hintergrund entwickelten Alex Härtel, sein Team sowie Gesundheitsexpertinnen und -experten einen sicheren Ansatz, wie Veranstaltungen in Zeiten einer Pandemie organisiert werden können. Das Ergebnis ist ein Infektionsschutzkonzept, das auf alle Arten von Veranstaltungen unterschiedlicher Größe angewendet werden kann. Der Festival-Saison 2022 scheint also nichts mehr im Wege zu stehen!
Introducing: BRNO
Die legendäre, wenn auch weniger bekannte Stadt, nur eineinhalb Stunden von Wien entfernt, ist Brünn. Mit fast 400.000 Einwohnern und einer lebendigen Studentenszene, in der 145 verschiedene Nationalitäten vertreten sind, hat die zweitgrößte Stadt der Tschechischen Republik viel zu bieten – und ganz sicher viel mehr, als der globale Kultursektor eigentlich weiß. Das erfuhren das Live-Publikum und die Streamerinnen und Streamer hinter den Kulissen beim Panel „Intro – Brno“ auf der Waves Vienna Konferenz 2021. Fünf Vertreterinnen und Vertreter der Brünner Szene (Petra Braddock (Fair Prize Music), Marek Fišer (Stadtrat für Kultur der Stadt Brünn), Martin Kozumplik (Kabinet múz / SMILE Music), Lukáš Stara (FLÉDA), Milan Tesař (Radio Proglas)) schilderten unter der Moderation von Márton Náray (Czech Music Office/SoundCzech) ebenso liebevoll wie leidenschaftlich die Bandbreite des kulturellen Angebots in der Stadt.
Die alternative DIY Musikszene
Unter der Fülle an Informationen und Highlights, die das Podium lieferte, war die wohl größte Erkenntnis die Stärke der alternativen DIY-Musikszene in Brünn. Bemerkenswert war die Anzahl der Clubs, die nicht nur eine große Menge an interessanter und ungewöhnlicher Musik anbieten, sondern auch Gemeinschaftsräume mit dem Ziel, Künstlerinnen und Künstler und Publikum sowie Einheimische und Besucherinnen und Besucher auf mehreren Ebenen zusammenzubringen. So erläuterte Martin Kozumplik vom Kabinet múz, wie sie versuchen, nicht nur Menschen aus Brünn, sondern aus der ganzen Region anzusprechen. Das Kabinet múz ist nicht nur ein Veranstaltungsort, sondern auch ein Plattenlabel und ein eigener Plattenladen, der den Musikerinnen und Musikern den Verkauf von Schallplatten ermöglicht. Darüber hinaus haben sie im Club auch ein veganes Restaurant eröffnet, das sich großer Beliebtheit erfreut. Die Innovation und der Weitblick sind greifbar.
Obwohl sich alle einig zu sein scheinen, dass Kabinet múz und FLÉDA die wichtigsten Clubs in der Stadt sind, gibt es noch viele andere, geheime oder öffentliche, reguläre oder Pop-up-Clubs, die alle zum reichhaltigen Flair der Stadt beitragen. Darüber hinaus hat die Corona-Krise überraschenderweise einige positive Auswirkungen gehabt. Das heißt, dass sich große, alternative Räume für die Durchführung von Veranstaltungen öffneten, um sichere Bedingungen für Konzerte zu schaffen. Und auch einige Festivals, bei denen ausschließlich lokale Künstlerinnen und Künstler auftraten und die sich als sehr erfolgreich erwiesen, entstanden unter diesen Umständen.
Community
Brünn verfügt auch über eine große Anzahl von Vereinigungen und Kollektiven. Der Gemeinschaftssinn ist in diesem kleinen Kulturmekka tief verwurzelt. Das Ava Kollektiv ist ein Kollektiv, das sich auf Ambient und elektronische Musik konzentriert und versucht, Veranstaltungsorte in alternativen Räumen zu finden und internationale Künstlerinnen und Künstler ausfindig zu machen. Ein anderes ist Resistor Sound Sessions, das Konzerte mit Live-Aufnahmen kombiniert. Eine relativ neue und sehr erfolgreiche Initiative der Stadt ist BACH (Brno Association of Music Clubs), die aus 13 Mitgliedern besteht, 2019 gegründet wurde und als Kommunikationsorgan zwischen den Brünner Musikclubs und der Stadtverwaltung fungiert. Dies hat sich nicht nur als extrem wichtig, sondern auch als entscheidend für die Effizienz und Effektivität der Arbeitsabläufe zwischen den beiden „Seiten“ erwiesen. Eine echte Inspiration.
Neben den Koalitionen und der alternativen Musik hat Brünn eine bemerkenswerte Tradition im Bereich der klassischen Musik, des Jazz und der Big Band. Die erste Jazzuniversität wurde nicht in der Hauptstadt, sondern in Brünn gegründet. Das renommierte Jazzfest Brno findet jedes Jahr in der Stadt statt. Die World Music Charts Europe (das älteste Expertengremium für Weltmusik) sind kürzlich von Berlin nach Brünn umgezogen. Dies sind nur einige Beispiele dafür, was Brünn zu dem kulturellen Zentrum macht, das es ist, und auch dafür, warum es 2017 zur UNESCO City of Music ernannt wurde.
Die Podiumsdiskussion endete mit einem Zitat von Marek Fišer, dem Stadtrat für Kultur der Stadt Brünn: „Wir sagen, Prag ist die UNESCO-Stadt der Literatur, weil sie dort gut lesen und schreiben. Und Brünn ist die UNESCO-Stadt der Musik, weil man hier gut trinken und singen kann.“ Prost!
Slovakia: The Music Scene Outside of Bratislava
Die Slowakei liegt strategisch günstig an der Donau – für eine reisende Künstlerin oder einen reisenden Künstler liegt sie perfekt auf dem Weg von West nach Ost. Dieses Mal haben wir Bratislava ausgelassen und darüber gesprochen, was außerhalb der Hauptstadt passiert. Was sind die aktuellen Veranstaltungsorte, wer steckt dahinter und was machen sie? Michal Klembara, Gastgeber der Podiumsdiskussion und Vorsitzender von ANTENA, einem Netzwerk von Kulturzentren und -organisationen, hat drei Vertreter von Kulturzentren aus der ganzen Slowakei eingeladen: Robert Blaško von Stanica Žilina-Záriečie, Patrik Richtárech vom Klub Lúč und Milan Slama von CNK Záhrada.
Stanica Žilina-Záriečie, eine ehemalige Synagoge und ein Bahnhof, befindet sich in Žilina im Nordwesten der Slowakei. Das Kulturzentrum organisiert jedes Jahr etwa 300 Veranstaltungen, davon 40-50 Musikkonzerte. Westlich von Žilina, in Trenčín, ist Klub Lúč seit 1968 ein Zentrum für Live-Musik. Der CNK Záhrada befindet sich in der Mitte der Slowakei in Banská Bystrica. Ähnlich wie in Stanica Žilina-Záriečie finden im CNK Záhrada jedes Jahr 350 Veranstaltungen statt, von denen 15 % Konzerte sind.
Was ist nun der Unterschied zwischen Kulturzentren und Musikclubs? „Die Musik steht einfach nicht im Vordergrund, unser wichtigstes Ziel ist es, die Gemeinschaft aufzubauen und zu unterstützen“, erklärt Robert Blaško. Milan Slama fügt hinzu: „Wir sind auch mehr ein Gemeinschaftszentrum. Wir fördern eine breite Palette von Künsten. Es gibt auch einen Unterschied in der Finanzierung: Musikclubs können sich normalerweise selbst tragen. Wir werden vom slowakischen Kunstrat finanziert“. Der Klub Lúč hingegen ist ein Zentrum für darstellende Künste, hauptsächlich Musik und Theater.
Diverse Programmierung
Was die Programmgestaltung angeht, sind sich die drei Kulturzentren recht ähnlich. Jedes Zentrum hat etwa fünf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für die Buchung von Künstlerinnen und Künstlern zuständig sind. Das führt zu einer großen Vielfalt im Programm – zumindest bis zu einem gewissen Grad. „Wir wollen wirklich ein vielfältiges Programm anbieten, aber es ist schwierig, ein Publikum für einige Genres wie experimentelle Musik zu finden“, gibt Milan Slama zu.
Das CNK Záhrada hat daher zwei verschiedene Programmschienen. Die eine wird von den eigenen Booking-Agents des Zentrums gestaltet, das andere beruht auf der Vermietung des Zentrums an Bands. „Auf diese Weise können wir Geld einnehmen, um mehr unabhängige, alternative Künstlerinnen und Künstler buchen zu können“, erklärt Milan. Für CNK Záhrada ist es wichtig, dass die Künstlerinnen und Künstler, die ins Zentrum kommen, sich die Zeit nehmen, mit dem Publikum in Kontakt zu treten. „Wir möchten, dass die Künstlerinnen und Künstler nicht nur ihre Darbietungen mit dem Publikum teilen, sondern auch ihre Zeit – zum Beispiel in Form von Workshops“. Ein erfrischender Ansatz!
Gen Y of the Ukrainian Music Industry
Einzigartige elektronische Festivals, aufstrebende Labels, wiederbelebte Musiklokale, Online-Musikmarathons – es scheint, als würden die Branchenprofis der Generation Y die Landschaft der ukrainischen Musikindustrie tiefgreifend verändern. Was macht die Millenials zu Gamechangern?
Host Dartsya Tarkovska, Mitbegründerin von Music Export Ukraine und Gründerin der Musikberatungsagentur Soundbuzz, lud vier Vertreterinnen und Vertreter ein, die mit ihr an der Etablierung und Unterstützung einer jungen und lebendigen Musikszene in der Ukraine arbeiten. Alisa Mullen ist die Geschäftsführerin der Strela Booking Agency, deren Ziel es ist, eine europäische Infrastruktur für die Interaktion zwischen den Akteurinnen und Akteuren der ukrainischen Elektronikszene zu entwickeln. Ivanna Havliuk ist Mitglied des Closer-Teams und des Labels Bitanga Blood. Serge Synthkey ist nicht nur selbst Musiker, sondern auch der Gründer, Dozent und Kurator von „Module Exchange“, einer innovativen Schule für elektronische Musik. Yurii Bazaka gründete eine Underground-Kulturagentur, kontrabass promo, und ist Mitbegründer und Executive Producer des Intercity Live Festivals.
GEN Y & die Zoomer Generation
„Wir tanzen auf vielen verschiedenen Hochzeiten und arbeiten an so vielen unterschiedlichen Projekten“ fasst Dartsya Tarkovska die Einführungsrunde zusammen. Und sie hat Recht. Anstatt nur einen Job zu machen, wie es früher die Norm war, sind die Vertreterinnen und Vertreter dieser Generation, der Gen Y, in verschiedenen Projekten in unterschiedlichen Funktionen tätig. Wenn diese Generation ukrainischer Musikprofis es geschafft hat, die Szene zu verändern und mehr spannende Möglichkeiten für elektronische Musikerinnen und Musiker und ihre Fans zu bieten, was ist dann von der nachfolgenden Generation zu erwarten? „Seien wir ehrlich: die Zoomer kommen“, lacht Dartsya, „was sind deren Stärken?“
Yurii Bazaka, begeisterter Fan von Hyper-Pop und Trash-Pop, behauptet: „Es geht nicht unbedingt um das Alter, sondern eher um den Ansatz.“ Ivanna stimmt Yurii voll und ganz zu: „Sie scheren sich nicht um Normen und Standards, sie haben keine Angst, etwas anders zu machen!“ Was die Zoomers eint, so die Podiumsgäste, ist also eine gewisse DIY-Ästhetik, das Fehlen von Vorurteilen und das Bestreben, sich von Konventionen zu lösen. Wie sie die Musikszene verändern werden, bleibt abzuwarten, aber spannende Zeiten stehen bevor, das ist sicher!
Gender Equality in East & West Europe hosted by MEWEM
Die von MEWEM (Mentoring Programme for Women Entrepreneurs in the Music Industry) veranstaltete Podiumsdiskussion „Gender Equality within the Music Scenes, in Comparison: East vs. West“ – erwies sich als eine der spannendsten der Waves Vienna Konferenz 2021. Zu Beginn wurden die Besonderheiten Osteuropas in Bezug auf die (Un-)Gleichstellung der Geschlechter untersucht, aber recht schnell ging es in eine breit angelegte Diskussion über Feminismus, gesellschaftspolitische Einflüsse, Empowerment und Gleichberechtigung (bzw. deren Fehlen) über. Die Diskussion war hitzig und leidenschaftlich und warf viele schwierige, aber wichtige Themen und Fragen auf.
Unter der Moderation von Musikjournalistin Itta Francesca Ivellio-Vellin (mica – music austria) wurden die Podiumsgäste – Nina Jukić (Musikerin/Don’t Go/AT/HR), Mascha Peleshko (Künstlerin/AT/UA), Iulia Pop (Overground Music/RO) – in der ersten Fragerunde aufgefordert, sich Gedanken darüber zu machen, wie ihre Wurzeln und Erfahrungen mit geschlechtsspezifischen Themen zusammenhängen und ob diese geopolitischen Unterscheidungen (Ost und West) überhaupt relevant sind, wenn es um solche Diskursbereiche im Jahr 2021 geht. Auf die Frage, ob sie sich selbst als Ost- oder Westeuropäer betrachten, gab es ein mehr oder weniger einstimmiges “Nein”, wobei Nina Jukić es am eloquentesten ausdrückte: „Die Vorstellung von Ost und West ist vielleicht ein bisschen veraltet. Ich sehe mich als beides.“ (Während ihre Aussage durch den Raum wanderte, fragte man sich, ob sie nicht in den Köpfen vieler Menschen über sich selbst oder Menschen, die sie kennen, widerhallte, besonders in einer Stadt wie Wien, wo eine Konferenz rund um den „Donauraum“ stattfand).
Die Frage des Feminismus
Auf die Frage, wie sich der Feminismus in den Herkunftsländern der Podiumsteilnehmerinnen auswirkt, verwies Mascha Peleshko stark auf die Geschichte der Region – insbesondere auf den Kalten Krieg – und zeichnete ein Bild davon, wie die Gegenwart zweifellos von der Vergangenheit beeinflusst wird. Sie erklärte: „… wenn man sich die Geschlechterrollen ansieht, sind sie immer noch präsent. Die Vorstellung von Männlichkeit und Weiblichkeit ist immer noch stark, und alles andere wird als Abweichung betrachtet“. Sie fuhr fort: „Der Begriff ‘Feminismus’ hat in der Ukraine immer noch einen negativen Beigeschmack. Denn sie (Anm.: die Frauen) sagen: ‘Aber ich fühle mich nicht unterdrückt’“, was darauf hindeutet, dass der Begriff selbst von den Frauen als anstößig empfunden wird. Sie schloss mit einem Zitat: „Wenn man herausfinden will, wie frauenfeindlich ein Mann ist, muss man ihm nur respektvoll widersprechen und sehen, wie er reagiert“.
Iulia Pop fügte hinzu: „Zu kommunistischen Zeiten mussten Frauen so viele verschiedene Aufgaben erfüllen. Sie mussten Mütter sein, arbeiten gehen, sozial sein, usw. Auch wenn der Kommunismus vorbei ist, gilt das auch heute noch. Das Patriarchat hat nicht vergessen, was die Frauen alles geleistet haben. All die Kästchen, die Frauen abhaken sollten, sind noch mehr geworden“. Als Beispiel erwähnte sie, dass sie in der Musikbranche keine Frauen sieht, die sowohl eine wirklich erfolgreiche Karriere als auch eine Familie haben.
Nina Jukić bestätigte die anderen und erklärte, dass es in Kroatien „die gleiche Geschichte ist“. Sie fügte jedoch eine weitere Ebene hinzu. Nämlich die Musikausbildung – sie erklärte, dass es in Kroatien keine Pop-, Rock-, Jazz-, Elektronik- usw. Musikschulen gab, als sie noch dort war (vor etwa einem Jahrzehnt). Es gab nur eine klassische Musikausbildung. Doch seit Anfang der 2000er Jahre begann sich die kroatische Musikszene zu verändern. „Frauen fingen an, mehr und mehr ihre eigenen Sachen zu machen. Die Indie-Szene begann sich zu entwickeln. Die Dinge werden besser.“
Die Frage der Quote
Alle Diskussionsteilnehmerinnen waren sich einig, dass Vorbilder in diesem Bereich sehr wichtig sind. Das Beispiel, dass „bestimmte Instrumente geschlechtsspezifisch sind“, wie Schlagzeug und Musikproduktion oder Tontechnik, und dadurch Nicht-Männer daran gehindert werden, sie für ihren musikalischen Weg zu wählen, war sehr treffend. Itta Francesca fügte hinzu, wie wichtig die Rolle der Bildung in diesem Zusammenhang ist, ebenso wie der Umgang mit Monopolen über Gremien, Jurys und Institutionen, die letztendlich entscheiden, wer finanziert wird und wer nicht, für welche Rollen und welche Kapazitäten. Es überrascht nicht, dass die Frage nach Quoten und ihrem Wert aufgeworfen wurde. Ninas Antwort darauf war wiederum treffend: „In einer idealen Welt brauchen wir solche Maßnahmen nicht. Aber wir sind nicht in einer idealen Welt.“
Eine der Schlussbemerkungen kam von einem Zuhörer, der feststellte, dass diese Diskussion zwar großartig sei, er aber beim Blick ins Publikum leider feststellen musste, dass nur sehr wenige männliche Teilnehmer anwesend waren. Dies war eine ernüchternde Bemerkung, deren Widerhall im Saal verzweifelt nachhallte. Gleichzeitig war damit aber auch ein Gefühl der Ermächtigung verbunden. Der Raum, der hier geschaffen wurde, war von Ehrlichkeit und Proaktivität geprägt. Man kann einen Kampf nur gewinnen, wenn man weiß, womit man es zu tun hat.
Sowohl die Podiumsteilnehmerinnen als auch die Zuhörerinnen und Zuhörer verließen den Raum mit dem Gefühl, inspiriert, gestärkt und bereit für Veränderungen zu sein, aber auch mit dem Wissen, dass der Kampf lang, hart und chaotisch ist und es auch weiterhin sein wird. Wenn es eine Erkenntnis gibt, die man aus diesem Vortrag mitnehmen kann, dann ist es die, dass der Kampf ebenso real wie universell ist, aber auch der Fortschritt und der Wille zu kämpfen.
Arianna Fleur Alfreds & Itta Francesca Ivellio-Vellin
Übersetzung aus dem englischen Original von Itta Francesca Ivellio-Vellin