Die mitunter wichtigste Seite des Festivals WAVES VIENNA ist es, europäische Kulturen zusammenzubringen und einander bekannter zu machen. Österreich als mitteleuropäischer Staat hat eine ziemlich gute Basis dafür, zumindest ein bisschen mehr über die verschiedenen benachbarten Kulturen zu wissen. Aber wenn man ehrlich ist, dann hat man trotzdem mehr Ahnung vom Westen als vom Osten.
Diese Entwicklung ist natürlich durch die Trennung Europas in der nahen Vergangenheit bedingt. Und auch wenn nun die physischen und psychischen Grenzen schon lange abgebaut sind, muss man ebenso den Gedanken aus dem Kopf bekommen, dass Neuerungen in Sachen Musik nur aus England, Frankreich oder Skandinavien kommen können. Natürlich verstricken wir uns nicht bewusst in solch stereotype Gedanken, vor allem nicht, wenn man aus der Branche kommt, aber unterbewusste Veränderungen des Denkens passieren nur langsam.
So kam es auch, dass die Sprecherin Dartsya Tarkovska vor mehr als einer Handvoll musikbrancheninternen Personen saß, von denen nur wenige die Musikszene der Ukraine kannten. Die Leiterin der osteuropäischen Musikkonferenz Colisium sollte Antwort auf die Frage geben, ob die Krisen einen Auftrieb oder einen Zusammenbruch der dortigen Musikwelt veranlasst hätten. Perfekt vorbereitet und durch anschauliches Bild- und Filmmaterial unterstützt hielt Tarkovska einen Kurzvortrag über die Lage in ihrem Heimatland.
Die perfekte Basis für ein tieferes Verständnis schaffte sie mit einer Zusammenfassung der Ereignisse in der Ukraine. Begonnen haben die Veränderungen der Musikszene 2013 mit den friedlichen Studentenaufständen auf dem „Platz der Unabhängigkeit“ (Majdan Nesaleschnosti), die sehr bald gewaltvoll durch die Polizei aufgelöst wurden. Doch anstatt klein beizugeben, wurde weiterhin der Beitritt zur EU gefordert, sodass sich die Straßen Tag um Tag mit Menschen füllten, die Teil der Revolution – heute bekannt als „Euromaidan“ – sein wollten.
Zuerst hatte das eine negative Auswirkung auf das Musikbusiness, da ausländische Künstlerinnen und Künstler ihre Konzerte aus Sicherheitsgründen absagten. Dies führte dazu, dass ein beträchtlicher Teil der Konzertveranstalterinnen und -veranstalter ihren Job aufgeben mussten, weil die finanziellen Probleme zu gravierend wurden. Und obwohl der Euromaidan eigentlich ein Happy End hätte haben sollen, geriet die Ukraine schon bald darauf in Konflikt mit Russland.
Die Musik wurde politisch
Dies führte dazu, dass die zuvor sehr friedliche und harmonische Zusammenarbeit zwischen dem ukrainischen und dem russischen Musikbusiness langsam zerbröckelte. Die Hörerinnen und Hörer begannen sich zu fragen, auf welcher Seite sie stehen wollten und ob es vertretbar sei, weiterhin russische Musik zu unterstützen. Dies war eine sehr schwerwiegende Veränderung für einen Markt, der eigentlich grenzenlos gewesen war.
Und auch die ukrainischen Künstlerinnen und Künstler mussten sich für eine Seite entscheiden. Einheimische Bands schrieben Songs über die Revolution, die zu wahren Hymnen jener Zeit wurden. Die Hörerinnen und Hörer wurden durch das Ausbleiben von Konzerten von Ausländerinnen und Ausländern auf die eigene Musikwelt zurückgeworfen und fanden von Neuem Gefallen daran. Die Shows ukrainischer Bands waren plötzlich ausverkauft, was schon seit langer Zeit nicht mehr passiert war.
In diesem Sinne sieht Tarkovska die Krisenzeit als ziemlichen Boost für die lokale Szene. Laut ihr hat die Revolution außerdem dazu geführt, dass die politische Dimension der Musik wieder in den Vordergrund gekehrt wurde und die Menschen motiviert wurden, ihr Geld in Bands zu investieren, die dieses wiederum für humanitäre Zwecke spendeten.
Am Beispiel der Ukraine sieht man, dass Musik in schwierigen Situationen eine zusammenschweißende Funktion erfüllen kann, aber dass eine politische Krise gleichzeitig auch einen zerstörerischen Effekt auf einen vorher gut funktionierenden, stabilen Markt haben kann.
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