Von 10. bis 11. September 2020 fand zum zehnten Mal die von WAVES VIENNA und AUSTRIAN MUSIC EXPORT organisierte WAVES VIENNA MUSIC CONFERENCE statt. Thematisch drehte sich in diesem Jahr verständlicherweise vieles um die Corona-Krise und deren Auswirkungen auf die Musikbranche. Aber nicht nur. Itta Ivellio-Vellin hat den ersten Konferenztag zusammengefasst.
The Future of Booking: Sold out Shows using Data How does music streaming influence the live music industry?
11. September 2020 – 12.15-12.45 Uhr
Der Redner: Marcus Fitzgerald (Gigmit/DE)
Moderation: Itta Francesca Ivellio-Vellin (mica – music Austria/AT)
Der zweite Tag der Waves Vienna Conference im Hybrid-Format startete mit einem Vortrag von Marcus Fitzgerald, Gründer und CEO von Gigmit, der die neuesten Features der Plattform vorstellte. Gigmit, eine „matchmaking platform“, bietet die Möglichkeit für Musiker*innen, Promoter*innen mittels eigens erstellter Profile auf sich aufmerksam zu machen. „Wir wollten eine Technologie entwickeln, die Kreative unterstützt; eine Technologie, die es Musiker*innen erlaubt, sich völlig auf ihre Kreativität zu konzentrieren“, erklärte Marcus die Idee von Gigmit. Management und Booking sollten kein Thema sein, das Kreative von ihrer Arbeit ablenkt. Musiker*innen kreieren also Profile, auf denen alle für Promoter*innen relevanten Informationen stehen. Promoter*innen, also Festivals sowie Veranstaltungsorte, veröffentlichen im Gegenzug Veranstaltungen, sogenannte Gigs, für die sie Musiker*innen buchen können. Gleichzeitig haben auch Musiker*innen selbst die Möglichkeit, sich für diese Gigs zu bewerben. Somit vereinfacht Gigmit den gesamten Booking-Prozess und kümmert sich sogar um Verträge.
In den letzten Jahren konnte allerdings ein großer Umschwung in Richtung Musik-Streaming beobachtet werden. Im Gegensatz zum CD-Verkauf kann man mittels Streaming wesentlich besser feststellen, wer wo welche Musik hört. Für Marcus Fitzgerald und sein Team stellte sich also die Frage: Wie kann man diese Daten für den Live-Musik-Bereich nutzen? „Die Daten sind ja da, sie waren nur bisher nicht zugänglich für Promoter*innen“, meinte Marcus. Dies lieferte die Idee für das neue Feature von Gigmit: die „Fan Insights“. Diese machen Daten von Spotify und Facebook sichtbar auf den Gigmit-Profilen der Musiker*innen. Es galt allerdings zuerst, herauszufinden, welche Daten denn für das Planen von Konzerten tatsächlich relevant sind. So ist beispielsweise die Anzahl der Hörer*innen auf Spotify nicht so aussagekräftig, wie die Zahl der Follower*innen, da eine hohe Anzahl von Hörer*innen auch durch zufällig generierte Playlists zustande kommen können. Dies bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese Hörer*innen auch zu Konzerten gehen würden. Ebenso sind die Like-Zahlen auf Facebook nicht so spannend wie die Daten über das Engagement der Personen mit den Facebook-Seiten der Musiker*innen und wie sich diese Daten im Laufe der Zeit entwickelt haben.
Zusätzlich hat das Team von Gigmit sogenannte „Fan Charts“ erstellt, um das Entdecken von neuen Musiker*innen einfacher zu gestalten. „Diese Funktion ist erst seit zwei Tagen online!“, erzählte Marcus begeistert. Die Fan Charts inkludieren die geographischen Daten der Streaming-Dienste und lassen so erkennen, welche Bands in welcher Stadt besonders viel gehört werden. Um Live-Events planen zu können, sind genau diese Daten von Interesse, denn „wenn ein*e Künstler*in zum Beispiel in den USA sehr groß ist, aber in Wien von kaum jemanden gehört wird, macht es wenig Sinn, diese*n Künstler*in für eine Show in Wien zu buchen“, fügte Marcus hinzu.
Am Schluss kam im Publikum natürlich die Frage der Kosten auf. „Die gesamte Plattform ist kostenlos verfügbar“, erwiderte Marcus. Es gibt auch keinerlei Kommissionen für erfolgreiche Buchungen. Sollte man als Musiker*in allerdings eine höhere Reichweite haben wollen, gäbe es um EUR 19,- monatlich ein „Pro Upgrade“.
Fair Streaming hosted by VTMÖ
11. September 2020 – 13.15-14.15 Uhr
Die Redner: Anton Gourman (Deezer/UK), Nermina Mumic (Legitary/AT), Birte Wiemann (Cargo Records/VUT/DE)
Moderation: Alexander Hirschenhauser (VTMÖ Indies/AT)
Schon vor COVID-19 konnte man kontinuierlich einen großen Anstieg der Anzahl der Musik-Streaming Nutzer*innen verzeichnen. In Zeiten, in denen Live-Musik allerdings eine Seltenheit geworden ist, haben Streaming-Dienste einen noch höheren Stellenwert erreicht. Ein guter Moment, um kurz innezuhalten und im Rahmen von Waves Vienna darüber zu diskutieren, wie man Musik-Streaming fairer gestalten kann.
Diesem Thema haben sich die Gäste des Podiums „Fair Streaming“ gestellt, das von Alexander Hirschenhauser, Sprecher der VTMÖ Indies, dem Dachverband unabhängiger Tonträgerunternehmen, Musikverlage und Musikproduzent*innen Österreichs, moderiert wurde.
Das derzeitige Distributionssystem der Streaming-Dienste ist ein „pro-rata“-Modell, bei welchem alle Einnahmen durch die Gesamtanzahl der Streams geteilt werden. Dabei muss ein Lied gar nicht zu Ende gehört werden, denn nach dem „Checkpoint“, also nach 30 Sekunden, zählt es als gehört. „Viele Konsument*innen wissen das vermutlich nicht, aber selbst wenn ich das ganze Monat lang Musik einer linken Punkband höre, könnte es sein, dass meine Zahlung an die misogyne Hip-Hop-Band geht“, eröffnete Birte Wiemann provokant. Sie ist die stellvertretende Vorsitzende des VUT, dem deutschen Pendent des VTMÖ und wurde ebenso wie der Leiter der Kommunikationsabteilung des Musik-Streaming-Diensts Deezer, Anton Gourman, per Videokonferenz zugeschaltet. Gourman erklärte, dass teilweise nur 5-10% der monatlichen Zahlung des*der Konsument*in an die Rechteinhaber*innen der tatsächlich gehörten Songs gehen. „Es ist einfach bizarr“, fügte er hinzu.
Es gibt allerdings auch Alternativen zum pro-rata-System, die von Alexander Hirschenhauser vorgestellt wurden. Eines davon ist das „user-centric“-Modell. Bei diesem soll der Abo-Betrag, den der*die Konsument*in zahlt, ausschließlich auf die Rechteinhaber*innen der Songs verteilt werden, die von dem*der Konsument*in selbst gehört wurden.
Wenn der Streaming-Dienst Deezer sich der Ungerechtigkeit, die mit dem pro-rata Modell einhergeht, bewusst ist, warum habe es nicht schon längst – wie eigentlich angekündigt –das fairere user-centric-System implementiert, wollte Wiemann von Gourman wissen. Die Antwort: Das Problem läge nicht beim Streaming-Dienst, sondern bei den Rechteinhaber*innen, da diese dem neuen Modell zustimmen müssten. „Dies bedeutet“, hängte Hirschenhauser an, „dass die Major Labels als erstes zustimmen müssen – dieses Einverständnis sehe ich allerdings noch nicht in naher Zukunft“.
„Welches Distributionssystem auch verwendet wird, ein essenzieller Faktor sind auf jeden Fall die korrekten Streaming-Zahlen“, warf Nermina Mumic, Mitgründerin des Wiener Start-Ups Legitary, ein. Ihr Unternehmen sieht sich als ein „Transparency-Tool“, da es die von den Streaming-Diensten berichteten Zahlen analysiert und kontrolliert. So konnte Legitary herausfinden, dass beim Musik-Streaming eine durchschnittliche Unterbezahlung von 7% herrscht.
Probleme wie die faire Vergütung von Songs unterschiedlicher Längen und die zu günstigen Tarife der Streaming-Dienste würden zwar mit der Implementierung des neuen Modells nicht gelöst, trotzdem bringt Gourman die Meinung des Podiums auf den Punkt: „User-centric, let’s just give it a go!“
Brexit Workshop
11. September 2020 – 15.00-15.45 Uhr
Die Redner: Ian Smith (Frusion/UK), Alexandra Wachek (Austrian Cultural Forum London/AT)
Am 1. Jänner 2021 ist es so weit: der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union ist vollendet. Dass dies für unzählige Menschen schwerwiegende Konsequenzen hat, ist wenig überraschend. Auch Musiker*innen, die in Großbritannien Live-Shows planen, haben dadurch einen höheren Organisationsaufwand. Ian Smith von der Agentur Frusion und Alexandra Wachek vom Österreichischen Kulturforum in London hielten deshalb im Rahmen des Waves Vienna 2020 einen Brexit-Workshop, in dem etwaige Komplikationen wie Visumsanträge, Arbeitserlaubnisse und Steuern behandelt wurden.
Ian Smith und Alexandra Wachek ist es ein großes Anliegen, dass die Unsicherheiten, die durch die oft intransparenten Regelungen, Falschmeldungen und Gerüchte entstehen, nicht zur Folge haben, dass Kulturschaffende zögern, in Großbritannien zu arbeiten. Auch wenn es ironisch klingt: Das Ziel ist es, Grenzen zu überwinden.
„Das größte Problem liegt darin, dass Menschen, die von der EU nach Großbritannien – oder umgekehrt – einreisen, als Drittstaatsangehörige zählen“, meint Ian Smith. Somit brauchen sie also ein Visum. Es gibt verschiedene Arten von Visa, mit denen man als österreichische*r Musiker*in in Großbritannien auftreten könnte. Die von Ian Smith empfohlene Weise ist das Visum „Permited paid engagement“ (PPE), welches für einen Monat gültig ist und derzeit £94.00 kostet. Weiters gibt es noch das „Certificate of Sponsorship“, das je nach Sponsor*in zwischen £20 und £100 kostet, aber momentan nur für US-Amerikanische Künstler*innen das Visum ersetzt. Ansonsten gäbe es da auch noch „Standard Visitor Visa“.
„Confused, yet?“, fragt Ian Smith nach kürzester Zeit in die Runde. Das Fazit der Visumsvorstellung ist auf jeden Fall: Das Visum Permitted paid engagement ist die beste Option für Musiker*innen. „Um die Kosten zu minimieren, ist es außerdem unumgänglich, sich rechtzeitig um die Anträge zu kümmern“, bekräftigt Alexandra Wachek. Für das PPE-Visum kann man sich bis zu drei Monate im Vorhinein bewerben.
Die verwirrende Frage nach dem richtigen Visum ist allerdings nur der Anfang. Als nächstes muss man auch ein sogenanntes Carnet bei der Einreise vorweisen. Dabei handelt es sich um eine Liste, auf der exakt das gesamte Equipment aufgeführt ist, mit dem man einreisen möchte.
Der letzte Punkt, der im Workshop angesprochen wurde, betrifft Merch. Wenn man plant, Merch nach Großbritannien mitzunehmen, um ihn dort zu verkaufen, müssen im Vorhinein leider Importzoll und Mehrwertsteuer für alle Produkte gezahlt werden. Der Umweg, den Ian Smith vorschlägt: Einfach in Großbritannien Merch produzieren lassen und dort abholen!
Zu jedem dieser Punkte und mehr hat Ian Smith kurze Videos erstellt, in denen er die Sachlage kurz erklärt und auf die einfachsten Methoden, Probleme zu überwinden hinweist.
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Earning Money in times of crisis
11. September 2020 – 16.15-17.00 Uhr
Die Redner: Julian Angerer (Musician/Anger/AT), Jan Clausen (Factory92/DE), Mandy Mozart (Vienna Struggle/AT), Nora Pider (Musician/Anger/AT)
Moderation: Tristan Bath (Music Journalist/UK)
Bei der letzten Podiumsdiskussion des Waves Vienna 2020 durften Vertreter*innen verschiedener Sparten des Musikbusiness erzählen, wie sie die COVID-19-Krise in ihrem Umfeld bisher erlebt haben. Von der musikalischen Seite waren Julian Angerer und Nora Pider der Band ANGER dabei. Jan Clausen repräsentierte als Partner der PR und Management-Agentur FACTORY92 den Kommunikationssektor. Programmierer, Künstler und Produzent Mandy Mozart vertrat das Start-Up Vienna Struggle und Tristan Bath moderierte die Diskussion und gab seine Einblicke als Musikjournalist preis. Der Fokus der Diskussion war nicht darauf, universell gültige Krisenbewältigungskonzepte zu erstellen, sondern diesen Menschen die Möglichkeit zu geben, über ihre persönliche Erfahrung der letzten Monate zu berichten.
„Als der Lockdown bekannt gegeben wurde, hatten wir eigentlich 24 Shows in ganz Europa geplant, was natürlich auch unser Einkommen hätte sein sollen“, enthüllte Julian Angerer gleich zu Beginn. Selbstverständlich wurden all diese Auftritte verschoben oder abgesagt. Bandkollegin Nora Pider beschrieb diese Zeit als anfangs sehr ungewohnt, vor allem, da sie es nicht gewohnt war, so wenig zu tun zu haben. „Plötzlich hatten wir so viel Zeit, und so viel Platz in unseren Köpfen. Wir haben endlich die Zeit gefunden, uns wieder viel auf das Schreiben zu konzentrieren“, berichtete sie. Die finanzielle Unterstützung, die ANGER von Institutionen wie AKM, LSG, Music Export, aber auch aus staatlicher Hand, bekamen, machte es möglich, dass sie sich auf ihre kreativen Prozesse fokussieren konnten – zumindest nach einer dreiwöchigen Periode, in der sie ausschließlich mit dem Ausfüllen von Anträgen beschäftigt waren.
Mandy Mozart kritisierte an dieser Stelle die Musikindustrie, die seiner Meinung nach Künstler*innen keine Zeit lässt, sich mit ihren kreativen Prozessen auseinanderzusetzen – erst eine Pandemie mache es möglich für manche, wie es eben bei ANGER der Fall war. Seine Erfahrungen waren hingegen komplett konträr. Als Künstler, der sich in erster Linie mit digitalen Methoden und Techniken beschäftigt, explodierte seine Arbeit während der Zeit der Isolation. Viele Künstler*innen, mit denen Mandy Mozart schon seit langem kollaborieren wollten, hatten zudem aufgrund der abgesagten Konzerte, endlich Zeit, mit ihm zusammenzuarbeiten.
„Tatsächlich wollten wir im März neue Leute einstellen, da immer mehr Festivals und Projekte auf uns zukamen“, begann Jan Clausen von der PR und Management-Agentur FACTORY94 über die Zeit während der Krise zu erzählen. Wenig überraschend mussten sie die geplanten Bewerbungsgespräche absagen. Auch FACTORY94 verbrachte viel Zeit damit, um Förderungen anzusuchen, was für sie besonders schwer war: „Wir sind weder eine Booking-Agentur noch eine Band – wir sind ein Kommunikationsunternehmen, und werden als solches gerne vergessen, wenn es um Kulturförderungen geht“. Ohne Festivals, für die die Agentur PR gemacht hätte, konnte sich das FACTORY94-Team allerdings auf die Pressearbeit für Labels und Releases konzentrieren. Zudem unterstützten sie Export-Teams, indem sie in Deutschland PR-Arbeit für Künstler*innen, die in diesem Jahr promotet werden sollten, leisteten.
Die kurzen Einsichten in das Leben währen der letzten Monate dieser Menschen aus unterschiedlichen Sparten der Musikszene zeigte also, dass es sehr individueller Strategien bedarf, um eine solche Krise zu bewältigen. Vor allem wird allerdings eines benötigt, und zwar finanzielle Unterstützung.