„WAS PASSIERT MIT TANZMUSIK, WENN MAN DEN BEAT WEGLÄSST“ – DINO SPILUTTINI im mica-Interview

Mit „Death Chants II“ veröffentlicht der österreichische Ausnahmeelektroniker DINO SPILUTTINI gleichermaßen eine Exegese auf die Frage, nach dem Stand und der Funktion von Dancemusic angesichts der aktuellen Verhältnisse zwischen Corona, Klimakrise und Krieg. Funktionieren die „Politics Of Dancing“ noch, oder sind all die Dancefloor-Utopien der 1990er mittlerweile zu dystopischen Alpträumen zerronnen? Dabei zeugt „Death Chants II“ vor allem auch wie (instrumentale) elektronische Musik immer noch politisch sein kann, sofern es ein Bewusstsein für die jeweiligen Verhältnisse und deren Widersprüche gibt. Für mica – music austria hat sich Didi Neidhart mit DINO SPILUTTINI zum Interview getroffen.

Wie kam es zur Idee, nach den ersten „Death Chants“ von 2020 jetzt noch einen zweiten Teil zu machen?

Dino Spiluttini: Das war eine extrem spontane Entscheidung. Eigentlich habe ich seit Sommer 2019, also kurz vor der Veröffentlichung meines letzten Albums „Heaven“ (2019), intensiv an meiner nächsten Platte gearbeitet, und dabei ganz schnell gemerkt, dass ich mich herausfordern und meinen Zugang radikal ändern muss, um das Produzieren für mich selbst befriedigend zu halten.

Dabei habe ich mich dann leider irgendwann total verzettelt und selbst sabotiert. Nach fast drei Jahren bin ich dann daraufgekommen, dass ich nur mehr versuche, mir selbst – und vermutlich auch anderen – was zu beweisen. Sämtliches entstandene Material war viel zu komplex und halt “super” produziert, aber auch viel zu verkopft und eigentlich allen Maßstäben, die ich mir musikalisch setze, widersprechend. Am Anfang, also 2019, haben auch die gerade neu eingeschlichenen Antidepressiva extrem gekickt, wahrscheinlich hat das auch sehr viele Zweifel maskiert, oder mich halt zu unfähig gemacht, irgendeine sinnstiftende emotionale Verbindung zwischen mir und dem Produzieren aufzubauen. Und über die folgenden Jahre habe ich immer mehr Frust angesammelt. Es hat für jemanden wie mich, der seinen eigenen Wert als Person zu fast 100% über die Qualität seines Werkes definiert, halt auch eine echt zerstörerische Kraft, wenn mal über einen langen Zeitraum nichts funktioniert.

Naja, der langen Rede kurzer Sinn: Im Frühling 2022 ist es mir eher durch Zufall gelungen, quasi eine Formel für meine Musik zu finden, die einfach funktioniert. Funktionieren bedeutet in diesem Fall eine Rückkehr von kreativer Leichtigkeit, die gleichzeitig eine ausreichende emotionale Bedeutsamkeit für mich innehat, und mich außerdem auch noch technisch reizt. Und das Ergebnis ist jetzt „Death Chants II“. Ein Befreiungsschlag, der innerhalb von nur ca. zwei Wochen fast manischer Arbeit aus mir herausgeschossen kam. Das Ganze dann konzeptionell oder thematisch dann zu einem Sequel zu „Death Chants“ zu machen, war halt aufgelegt: Viel Vocal-Samples und ein Release in EP-Länge.

Bild Dino Spiluttini
Dino Spiluttini (c) Tina Bauer

„Mit dem Älterwerden mutiert der coole No Future Gestus der Jugend immer deutlicher in eine Realität der Lost Futures.“

Wieso eigentlich „Death Chants“? Reflektiert das auf all die Unsicherheiten und immer realer werdende Dystopien des bisherigen 21.Jahrhunderts?

Dino Spiluttini: Die erste „Death Chants“-EP war tatsächlich in mehrerlei Hinsicht eine Reaktion auf die damals zum ersten Mal einschlagende Covid-Pandemie. Zum einen war es ein Mittel, schnell ein bisschen Geld zu verdienen. Das habe ich auch ganz offen kommuniziert. Es war halt die Zeit, in der alle geplanten Konzerte abgesagt wurden, und eine gewisse existentielle Unsicherheit vielen den Boden unter den Füßen weggerissen hat. Mit der Ankündigung des ersten Bandcamp-Friday, damals noch als singuläres Event geplant, gab es halt den Ansporn, schnell was zu veröffentlichen und die Krise kurzfristig wenigstens finanziell ein bisschen abzufedern. Deshalb besteht „Death Chants I“ auch zur Hälfte aus Archivmaterial und ist insgesamt sehr zerfasert und unzusammenhängend. Nicht gerade ein persönlicher Favorit in meiner Diskografie. Bei den neu dafür produzierten Stücken habe ich zum ersten Mal mit Vocal-Samples gearbeitet, daher das „Chants“.

Das mit dem „Death“ war halt hochaktuell. Die Gefährlichkeit von Covid war niemandem so richtig klar, man wusste halt, dass die Krankheit für viele Leute tödlich verlaufen kann. In dieser ursprünglichen Unklarheit hat sich bei mir einfach eine Angst vor dem Tod entwickelt, gar nicht vor dem eigenen, eher dem von älteren oder aus anderen Gründen gefährdeten Menschen, die ich kenne, allen voran meinen Eltern. Andererseits klar, die Verdichtung dystopischer Bedrohungen macht natürlich was mit mir. Und mit dem Älterwerden mutiert der coole No Future Gestus der Jugend immer deutlicher in eine Realität der Lost Futures. Ein Absterben alter Hoffnungen und Erwartungen. Es ist schon alles recht düster, finde ich.

Du hast alle Tracks hauptsächlich mit einem Roland JP-8080-Synthesizer eingespielt. Der wurde zwischen 1998 – 2001 produziert und beim Googeln finden sich zu dem Teil vor allem Schlagwörter wie „Trance“ und „Like it’s 1999“. Wie wichtig waren dir diese 1990er-Referenzen? Bzw. gehts da womöglich auch um all die Utopien, die es damals noch gab?

Dino Spiluttini: Mir war eigentlich schon nach meinem letzten Album klar, dass ich musikalisch mehr in den Club-Bereich gehen will, nachdem ich die Jahre davor im Prinzip sehr sakrale Musik gemacht habe. “Heaven” wird ja sogar als mein Kirchenmusik-Album bezeichnet. Wie gesagt, ich musste mich selber herausfordern, die Komfortzone verlassen, und bin dann halt vom Heiligen zum Unheiligen gewandert, von der frommen Strenge zum ekstatischen Hedonismus. Meinem Alter entsprechend nähere ich mich dem Ganzen halt aus der Perspektive einer Person, die in den späten 1990ern jugendlich war. Du kennst mich jetzt auch schon seit fast 25 Jahren, und ich kann dir nichts vormachen: Ich war damals ja eher an Grunge und später (Post-)Hardcore interessiert. Trotzdem hat mich die Tanzmusik von damals schon stark geprägt. Das kann man sich vielleicht ja heute nicht mehr vorstellen, aber der Dance-Untergrund ist teilweise auch stark in den Mainstream reingegrätscht – natürlich oft in leicht verwässerter Variation.

Die frühen Prodigy haben Jungle salonfähig gemacht, es gab Vocal-House in den Charts, und dann halt Trance und irgendwann wurde alles irgendwie verwurschtelt und gestreamlined als Eurodance für den Markt erdacht. Dem konnte man ja gar nicht entgehen. Also auch wenn ich damals nicht in klassischen Clubs, und schon gar nicht in irgendwelchen Warehouses unterwegs war, habe ich die sonischen Codes trotzdem in meiner DNA.

Alles andere wäre irgendwie verlogen. Wenn ich mir vornehme, mich der Clubmusik aus einer authentischen, persönlichen Perspektive zu nähern, dann kann ich ja nicht mit einem Festival-EDM oder Grime-Album daherkommen. Meine Tanzmusik Wurzeln sind halt Jungle, House, Techno, Trance, und das alles in der jeweils ursprünglichen Inkarnation. Und eine Grunge-EP wollte ich halt auch wirklich nicht machen.

Bild Dino Spiluttini
Dino Spiluttini (c) Tina Bauer

Was reizt an dem doch sehr minimalen Set-Up aus Sequencer, Vocal- Samples, Flächen und gelegentlichen Beat-Ansätzen?

Dino Spiluttini: Mich reizt hauptsächlich, dass es einfach funktioniert. Ein ist ein gelöstes Puzzle. Es gibt mir emotional zurück, was ich reinstecke, und reizt mich eigentlich auch konzeptionell. Wobei mir intellektuelle und ästhetische Posen immer sehr unwichtig waren und sind. Und es ist auch einfach der Zauber eines geschlossenen Systems. Gerade wenn man dazu neigt, alles immer tausendmal zu hinterfragen, gibt es nur den Ausweg, sich möglichst wenig Optionen auszusetzen. Closed systems get shit done.

„Ich habe einen kompakten Synthesizer gesucht und mich einfach für den Klassiker der 1990er Dance Music entschieden.“

Und wieso der Roland JP-8080?

Dino Spiluttini: Ich habe einen kompakten Synthesizer gesucht und mich einfach für den Klassiker der 1990er Dance Music entschieden. Ein sehr verlockendes Second Hand-Angebot hat den Deal dann buchstäblich besiegelt.

Geht es da bei einigen Track vielleicht auch „nur“ um gefinkeltes

Filternknöpfchendrehen?

Dino Spiluttini: Nein, überhaupt nicht. Wie schon weiter oben gesagt, sämtliche Posen liegen mir fern.

Los geht es ja durchaus (noch) optimistisch mit „Aldi Strings“, einem schönen uplifting Track, der aber auch schon mit nahenden Gewitterwolken versehen ist. Bezieht sich der Titel dabei vielleicht auch auf Derrick Mays 1987er Technoklassiker „Strings Of Life“?

Dino Spiluttini: Uplifting, aber mit nahenden Gewitterwolken finde ich gut. Das ist ja auch wieder eine Metapher für wegbröckelnde Utopien und Lost Futures. Das mit dem Titel ist leider viel uninteressanter: Ich führe eine Liste mit potentiellen Tracktiteln und schaue dann halt, was passt.

Alle Tracks sind gekennzeichnet durch einen unglaublich klaren, aber auch „kalten“ Sound. Paradoxerweise suggeriert dieses Sounddesign jedoch eine auch eine Art lost in space bzw. jene Verlorenheit im Club/der Disco, wenn vor lauter Nebel nichts mehr zu sehen ist und es einem die Orientierung auch schon ein wenig durcheinandergebracht hat. War diese Irritation durch Klarheit ein bewusst gesetzter Kniff?

Dino Spiluttini: Ja genau, Klarheit auch als Gegenteil vom verschwommenem Ambient, den ich sonst gemacht habe. Direkter, konkreter, mehr horizontal als vertikal. Ich war davor sicher auch eher auf der Suche nach einer gewissen Wärme, und das ist mir halt irgendwann auch langweilig geworden. Das Gefühl der Verlorenheit kommt vielleicht hauptsächlich daher, dass ich die Rolle der Stimmen in der Musik umgedreht habe: Sie stehen nicht klar im Vordergrund, sondern ordnen sich unter. Sie sind dumpfer und dunkler, verstecken sich hinter den Synthesizermotiven. Das ist tatsächlich bewusst so produziert. Ich wollte ja keine traditionelle Clubmusik machen, sondern de- und rekontextualisieren, Positionen überdenken und verschieben, die Lupe auf andere Details richten als üblich. Deswegen sind ja auch alle rhythmischen Elemente – normalerweise ja die Basis dieser Art von Musik – allen anderen Ebenen extrem untergeordnet. Bringt ja niemandem was, wenn ich die hundertausendste “funktionierende” Tanzmusik-Platte rausbringe, schon gar nicht mir selber.

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„Vielleicht stelle ich mich ja wirklich meinen Geistern, also der Musik, die ich als Jugendlicher eher peinlich fand.“

Was vielleicht noch mehr irritiert bzw. aufreibt sind die fehlenden bzw. ausbleibenden Beats. Fast alle Tracks kommen wie elendslange, ewige Intros daher. Bei „Trust In Me“ kommen erst knapp nach der Hälfte des Tracks endlich Claps ins Spiel, aber das war es dann auch schon wieder. Bei „Inverse Mecha“ erklingt kurz vor dem Ende noch eine Art minimaler Housebeat, jedoch auch nur mit Hi-Hats. Jetzt werden Beats ja schon eher mit einem Vorwärts, also auch mit Utopien assoziiert (speziell, wenn es um Clubculture geht). Wieso werden die bei dir nur angedeutet, übernehmen aber nie den Part, den sie sonst bei Dance-Tracks haben?

Dino Spiluttini: Beats haben ja was sehr Funktionelles, sie müssen abliefern. Daran habe ich als Produzent relativ wenig Interesse. Viel interessanter finde ich, was passiert mit Tanzmusik, wenn man den Beat weglässt? Da ich mich aber stark auf Rave-Culture beziehen wollte, kann ich sowas natürlich auch nicht ganz weglassen. Die in meiner Musik noch vorhandenen Beat-Fragmente dienen eher als Sonic-Shoutouts. Genau so wie die in „Aldi Strings“ versteckten Korg M1-Organ-Bass und House Piano-Presets. Vielleicht stelle ich mich ja wirklich meinen Geistern, also der Musik, die ich als Jugendlicher eher peinlich fand. Und Geister sind ja am schrecklichsten – also wirkungsvollsten -, wenn man sie nicht ganz sehen kann, sondern vielleicht nur so im Augenwinkel.

Geht es dabei vielleicht auch um eine Art Klaustrophobie am Dancefloor? Gerade bei „Paladin (Plucked)“ hatte ich das Gefühl. hier geht es um einen Track, der immer losrennen will, der aber quasi in einem Loop gefangen ist. Sind die Tracks auf „Death Chant II“ vielleicht insgeheim alles „Locked Loops“?

Dino Spiluttini: Wiederholungen sind ja in allen Kulturen ein wichtiger Bestandteil von Tanzmusik. Egal ob rituell oder im Club: es geht um Transzendenz und Ekstase. Mit einem Loop kann man einfacher zu einem größeren Ganzen verschmelzen. Aber weil ich ja eben keine klassische Clubmusik machen will, verfolge ich auch dieses Konzept nur bedingt und breche es instinktiv auf. Es gibt ja auch keine Drops oder Auf- bzw. Erlösungen in meinen Tracks. Das ist vielleicht das Klaustrophobe. Die Tür öffnet sich immer weiter, aber im letzten Moment haue ich sie wieder zu. Also buchstäblich Locked-Loops.

Im Promotext ist von „RnB acapellas“ die Rede. Wieso „RnB acapellas“? Magst du „digitalen“ RnB?

Dino Spiluttini: 90% der Vocals auf der EP sind von Youtube gerippte Acapellas von 1990er RnB-Songs, bzw. aktueller Songs, die sich stilistisch an dieser Ästhetik bedienen. Der Rest sind einfach Doppelungen mit meiner eigenen Stimme. Gerade eben Neunziger und früh-Zweitausender RnB finde ich schon lange super. Ich glaube, da greift dasselbe Prinzip wie bei Trance und House: Das ist halt auch der Mainstream-Pop meiner Kindheit und Jugend. Sowas prägt halt. Und wenn ich mich richtig erinnere, hat doch auch Mark Fisher mal behauptet, dass der amerikanische RnB und der UK-Dance-Underground der Neunziger die letzten beiden innovativen, futuristischen Musikrichtungen waren. Insofern habe ich das ja ganz gut kombiniert.

„‚Death Chants II‘ ist ästhetisch weder hundertprozentig in der Vergangenheit verortet, noch versucht es in irgendeiner Art und Weise “futuristisch” zu sein.“

Meine erste Assoziation bei den Vocal-Samples bei „Trust In Me“ war „nebeliges Burial-Terrain“. Auch bei „Distance“ klingen die Vocals eher nach Geisterstimmen, was mich wiederum an das Konzept der Hauntology von Marc Fisher erinnert hat, wo es u.a. ja auch um „Haunted Ballrooms“ geht, also um schon lange geschlossene Clubs, in denen sich nur noch die Geister von früher herumtreiben. Sind deine „Death Chants“ vielleicht auch solche Geisterbeschwörungen?

Dino Spiluttini: Verständliche Assoziation. Das Neblige und Geisterhafte in den Stimmen kommt, wie gesagt, hauptsächlich von der Art, wie ich die Hierarchie der Ebenen auf den Kopf gestellt habe. Alle Präsenz aus den Vocals nehmen, und woanders hinpacken. Ich habe mich der Produktion aber ohne theoretisches Konzept angenähert, es war eigentlich alles sehr intuitiv, was auch der Grund ist, warum es mir so leichtgefallen ist.

Aber es würde mich natürlich sehr interessieren, wie Mark Fisher meine EP einordnen würde.  Auf jeden Fall sind meine Stücke stark beeinflusst von meiner ganz persönlichen Erinnerung an frühere Musik. Also natürlich geht es bei mir auch um Nostalgie, allerdings nicht um die Erforschung dieser. Wobei ich Hauntology natürlich nicht mit Nostalgie gleichsetzen will. Mark Fisher würde sich im Grab umdrehen. Die Entwicklung neuer medialer Inhalte in der Postmoderne ist ja geprägt von einer anachronistischen Trägheit, gerade im Kapitalismus und nach dem kulturellen Imperialismus. Alles, was aus den USA oder UK kommt, ist super, selbst wenn es uns zum zehnten Mal als neu verkauft wird.

Wie soll man darauf als Künstler reagieren? Ich erkenne und akzeptiere halt, dass es einfach keine radikal neue Kultur geben kann. Darum zitiere und rekontextualisiere ich. Das kann man durchaus auch als ein Beschwören von Geistern sehen, glaube ich. Ich sehe es aber nicht als meine Rolle, da groß drüber nachzudenken oder zu reflektieren. Ich bin Musiker, und kein Kulturwissenschaftler. Sagen wir mal so: „Death Chants II“ ist ästhetisch weder hundertprozentig in der Vergangenheit verortet, noch versucht es in irgendeiner Art und Weise “futuristisch” zu sein. Ich glaube weder Leute in den 1990er Jahren als auch in, sagen wir mal, 2035, würden besonders überrascht oder gar geschockt auf die Musik reagieren.

Zum Thema Burial fällt mir ein: seine Ästhetik liegt ja lustigerweise genau zwischen der Musik, die ich ursprünglich unter meinem Namen gemacht habe, und dem was ich jetzt mache. “All I want is to be a happy man” von 2014 ist ja eigentlich purer Basinski-Core. Wobei ich mir gerade nicht mal sicher bin, ob William Basinski und überhaupt Hauntology mir damals schon ein Begriff waren.

Bild Dino Spiluttini
Dino Spiluttini (c) Tina Bauer

Der Promotext beschreibt die Tracks auch als „Reductive club expressionism“. Was ist darunter zu verstehen? Die zuvor schon erwähnten „Locked Grooves“ könnten jetzt aber auch als Art Ausharren/Warten verstanden werden. Also als Trax für Warteräume und Zwischenräume, die nur noch auf den richtigen Moment warten, um loszulegen. Ging es dir vielleicht auch um eine Art persönlicher „Durchhalte“-Tracks, um überhaupt weitermachen zu können?

Dino Spiluttini: „Reductive Club Expressionism“ lässt sich, glaube ich, recht einfach erklären: Den Reiz der Reduktion habe ich ja schon erläutert. Elemente, die erwartet werden, einfach wegnehmen. Closed Systems. Und so weiter. Club halt wegen der Clubculture-Referenzen. Und Expressionism bezieht sich darauf, dass sich meine Musik halt sehr stark durch emotionalen Ausdruck charakterisiert. Außerdem ist das Ganze auch als Abgrenzung von “Deconstructed Club” gemeint, einem zum Buzzword verkommenen Genre, mit dem ich so gut wie gar nichts anfangen kann. Das mit den “Durchhalte”-Tracks war so nicht konzipiert, aber jetzt wo ich darüber nachdenke: „Death Chants II“ war ja tatsächlich ein wichtiger Wendepunkt für mich, ein Ausweg aus der lähmenden Frustration, eine Rückkehr zur Intuition und zur persönlichen Verbindung mit der Musik. Insofern ja, die EP war und ist sehr wichtig für mich, um überhaupt weitermachen zu können.

„Aber wenigstens ist Trance keine direkte Cultural Appropriation. Das ist ja vielleicht auch schon ein politisches Statement für sich.“

Siehst du dich da vielleicht auch in einer Reihe mit anderen Künstler:innen, die aktuell scheinbar an einer Rückkehr von House, Disco und den damit verbundenen „Politics Of Dancing“ arbeiten (mit Beyoncé und Lizzo als wahrscheinlich prominentesten Beispielen)? Du bist sonst ja vor allem auch durch eher experimentelle Arbeiten und Projekte bekannt, wobei da schon immer Einflüsse und Transformationen von u.a. Post- Punk (Goth, Dark Wave) und eben auch Clubculture durchgeschimmert haben. Wie wichtig sind für dich diese Einflüsse? „Death Chants II“ kann ja auch als Paraphrase oder Kommentar zu Clubculture 2022 (also nach Corona) gelesen werden. „Death Chants II“ erscheint auf deinem gerade gegründeten Label Tortured Anthems. Wieso ein eigens Label und welche Art von „gefolterten Hymnen“ wird es hier zu hören geben?

Dino Spiluttini: Wie erwähnt, war die EP für mich ja schon eine Art Empowerment, aber natürlich wäre es anmaßend, es in irgendeiner Weise mit Beyoncé’s politischer Schwere zu vergleichen. In meinem Fall ist es natürlich kein Reclaiming von ursprünglich afroamerikanischer Musik bzw. Kultur. Meine “Liberation on the Dancefloor“ ist ja nur eine ganz persönliche, narzisstische, gesellschaftlich irrelevante. Aber wenigstens ist Trance keine direkte Cultural Appropriation. Das ist ja vielleicht auch schon ein politisches Statement für sich.

Das Adjektiv “experimentell” hat mich immer gestört, was, glaube ich, daran liegt, dass es oft abwertend verwendet wird, oder halt als Distinktion von “echter” Musik.  Aber eigentlich stimmt es schon. An akademischen Zugängen zum Musikmachen habe ich, trotz lange zurück liegendem ELAK-Studium, kein Interesse, aber einen guten Teil meines Lebens verbringe ich tatsächlich mit klanglichen Experimenten. Das heißt nicht, dass ich verrückte Klangfarben suche oder so, oder was man sich sonst so darunter vorstellt. In meinem Fall bedeutet das hauptsächlich, dass ich mir Systeme aufbaue, sei es in Soft- oder Hardware, mit denen ich nichtlinear arbeiten kann, und die einen Zugang erfordern, den ich noch nicht blind beherrsche. Ein musikalisches Ergebnis ist mir aber immer wichtig, ich bin kein Klangforscher. Schreckliche Assoziation, finde ich.

Und die düsteren Elemente der Popkultur sind nach wie vor ein großer Teil meiner Ästhetik. Jetzt halt nicht mehr in Form von Kathedralen, sondern halt dunklen, leeren Clubs. Die Entscheidung, „Death Chants II“ auf einem eigens dafür gegründeten eigenen Label zu veröffentlichen, war eher eine Notlösung. Keines der Vocal-Samples ist rechtlich geklärt. Auch wenn ich es gar nicht erst versucht habe: ich glaube nicht, dass irgendein größeres Label das so veröffentlicht hätte. Aus dem gleichen Grund gab es auch keine offizielle Promokampagne.

Außerdem wollte ich die EP so schnell wie möglich veröffentlichen, um gleich weiter an neuen Sachen arbeiten zu können. Im natürlichen Verwertungskreislauf eines Labels hätte ich auf die Veröffentlichung mindestens sechs Monate, höchstwahrscheinlich sogar noch länger, warten müssen. Und weil es das Label jetzt gibt, werde ich immer wieder mein eigenes Material darüber veröffentlichen. Eigentlich hasse ich Labelarbeit aber, und alleine deswegen werde ich das Ganze vorerst nicht für andere Künstler:innen öffnen. Ich will ja niemanden enttäuschen.

Wird es Live-Gigs zum Release geben?

Dino Spiluttini: Bisher ist nichts geplant. Ich arbeite gerade einem komplett neuen Liveset. Wer mich dabei beobachten will, dem empfehle ich mein Instagram-Profil, wo ich das Ganze ein bisschen mit Videos dokumentiere. Sobald ich das geschafft habe, möchte ich gerne wieder viel live spielen. Liebe Veranstalter:innen und Booking Agents: Bitte melden für Termine in 2023!

Danke für das Interview.

Didi Neidhart

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