„Warum muss ich darüber nachdenken, was Menschen im Business sagen würden?“ – GHOSTDOG im mica-Interview

Er bezeichnet sich selbst als „random“, seine Homepage als seinen persönlichen Spielplatz und hat eine leichte Abneigung gegen Singles: GHOSTDOG ist das neue Soloprojekt von Stephan Paulitsch. Mit seinem Debütalbum „sweetest“ (VÖ: 4.4.2024) hat der Musiker ein cineastisches Werk erstellt, das sich jenseits des Radio-Mainstreams bewegt und auf sehr experimentelle Art und Weise Einblick in die musikalische Persönlichkeit von GHOSTDOG gibt. Warum er nur noch Alben machen will, wie ihn gesellschaftliche Erwartungen beeinflussen und warum er seine Gedanken gerne frei online teilt, hat er Katharina Reiffenstuhl bei Chai Latte im Café Schopenhauer erzählt.

Wie hat dein musikalischer Weg gestartet?

Stephan Paulitsch: Musik war eigentlich immer schon in meinem Leben. Mein Papa hat viele Schallplatten, meine Mama hat immer viel gesungen. Man kommt dann halt aus Hartberg, Land, Kaff. Damals war die Musikszene dort eigentlich cool. Und dann hat man irgendwie angefangen mit Jazz, Funk, etc., meine erste Band war in diese Richtung. Dann wollte ich unbedingt Bass lernen, habe mir erst einmal alles falsch beigebracht und irgendwann erst bei anderen Leuten gesehen, wie man es richtig macht. In meiner Bandzeit bin ich dann draufgekommen, dass ich einfach gern schreibe. Ich habe mir das nie vorgenommen, aber es hat mich irgendwann gereizt. So hat das seinen Lauf genommen, ich hatte unterschiedliche Projekte und bin zum Studieren nach Wien gezogen.

Was hast du studiert?

Stephan Paulitsch: Eh Bass und Kontrabass. Zuerst habe ich Umweltsysteme und Geografie in Graz studiert. Das wäre finanziell gesehen vermutlich the way to go gewesen. (lacht) Hat mich auch immer sehr interessiert, trotzdem wollte ich dann einfach Musik studieren. Daher bin ich nach Wien, in Graz konnte man nur Jazz studieren und das war irgendwie nicht ganz so meins. Es war für mich immer ein Must-have, kreativ sein zu können und etwas beizutragen. Ich finde es immer spannend, wenn mehrere Leute was schreiben und man dann auch eine gewisse Auswahl hat. Irgendwann landet man dann in einer Kompromiss-Welt, wo die Dinge wirklich nach einer Band klingen. 

„ICH BIN SCHON EIN MENSCH, DER GERN GEGEN DEN STROM SCHWIMMT“

Dein Debütalbum „sweetest“ enthält sehr unterschiedliche Songs auf vielen verschiedenen Sprachen und ist musikalisch sehr experimentell. Gibt es trotzdem ein Konzept hinter dem Album?

Stephan Paulitsch: 
Ja, tatsächlich. Es gibt immer so Zwänge und Vorgaben, wie Dinge sein müssen, damit sie funktionieren. Zum Beispiel, wie ein Song aufgebaut sein muss, damit er ins Radio kommt. Ich denke über sowas sehr viel nach und habe da aber meine Prinzipien. Ich bin schon ein Mensch, der gern gegen den Strom schwimmt. Aber es ist auch nicht immer einfach, das durchzusetzen. Weil dieses Business einfach viel Power hat. Man ist umgeben von kreativen Menschen und bekommt viel mit, wie das funktioniert und wie man wo am meisten rausholen kann. Über die Zeit wird man von dieser romantischen Idee, einfach zu kreieren, geformt, dadurch, dass man ja trotzdem versucht, in dieser musikalischen Welt zu überleben und wachsen. Ich hatte ja mit LIJON schon einmal ein Soloprojekt, das war aber unfassbar geplagt von Perfektionismus. Das hat funktioniert, ist ganz gut angekommen, hatte eine gute Basis. Aber wenn sich etwas nicht richtig anfühlt, dann cutte ich das komplett raus. Und will was Neues machen.

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„FÜR MICH FÜHLT SICH SINGLE-RELEASE IMMER NACH EINER UNVOLLENDETEN REISE AN“

Also ghostdog ist jetzt dein Projekt fernab von jeglichem Perfektionismus?

Stephan Paulitsch: 
Genau. Perfektionismus im Sinne von dem Gefühl, was wir in unserer Gesellschaft ein bisschen mittragen: Wie soll etwas sein? Wie muss man ausschauen? All diese Zwänge. Eigentlich will man ja so sein, wie man ist, ohne darüber nachdenken zu müssen. Von diesen Zwängen wollte ich mich loslösen. Was einen anspricht, ist ja auch Geschmackssache. Ich finde es spannend, wenn irgendwas nicht perfekt ist, oder wenn es so klingt, als wäre es im Wohnzimmer aufgenommen worden. Also war mein Gedanke dahinter: Keine Expectations, so viel wie möglich selber machen, und in mich reinzuhören. Es ist eine Momentaufnahme von ghostdog.

Ich will nicht, dass sich die Leute fragen, ob ich für eine bestimmte Musik stehe oder nicht. Deshalb bin ich auch für ein Album gegangen. Das ist zwar nicht mehr so ein common thing, dass man Alben macht, ich weiß, dass viele Konsument:innen gerne Singles hören und sich dann eigene Playlists basteln. Da verschwindet man dann in so einer Playlist, die halt dann 32 Stunden geht und 400 Songs hat. Ich habe mir gedacht, ich bastel‘ mir da meine eigene Playlist, als Album. Für mich fühlt sich Single-Release immer nach einer unvollendeten Reise an. Nach “Was kommt als nächstes?”. Man muss ja als Künstler auch irgendwie überleben und versucht, an der Wasseroberfläche zu bleiben, ohne unterzugehen. Das heißt, ich muss permanent liefern, und Singles sind Singles, die müssen funktionieren und gut ankommen. Wenn sie nicht gut ankommen, muss ich wieder was Neues raushauen. Da steht man permanent unter Strom. Jetzt habe ich wieder meinen Kopf frei und kann mich auf das nächste Album konzentrieren. Zwischendurch kann man sich auch mal zurücklehnen und Pause machen. Das ist ja in allen kreativen Bereichen so, wenn du ein Buch rausbringst, schreibst du ja auch nicht wieder direkt ein Neues. Ich will nur noch Alben machen. Das entspannt mich mehr, wenn etwas wirklich abgeschlossen ist. Ich habe ja auch andere Projekte, da arbeiten wir auch ein bisschen anders. Zum Beispiel bei ALMOST FAMOUS sind wir auch immer diesen Single-Weg gegangen, wo man sich dann so lianenmäßig weiterhantelt. Ich fühl’s für mich selbst aber einfach nicht so. 

Du sagst von dir selbst, dass deine Musik nicht den klassischen FM4-Sound hat. Siehst du das als positiv an?

Stephan Paulitsch: Es war sicher nicht so gewählt, dass ich sage, “Ich mache jetzt was anderes, ich will nicht auf FM4”. Aber es war trotzdem ein bisschen ein Selbstkampf an manchen Stellen, wo man vielleicht Lyrics hinmachen könnte, es dann aber doch lässt. Ich hatte eine Phase, wo ich extrem viel Musik von Bands wie SURPRISE CHEF aus Australien, die eben nur Instrumentalmusik machen, gehört habe. Das hat mich dann ein bisschen beeinflusst. Ich rede zwar extrem viel, aber beim Texteschreiben ist das was anderes. (lacht) Ich finde es extrem spannend, das zu minimieren. Irgendwann habe ich mir gedacht, ich mache auch mal Songs, wo vielleicht nur im Refrain Vocals sind und sonst alles nur instrumental ist. Das kann sich anfangs ein bisschen eigenartig anfühlen, weil man es nicht gewohnt ist, aber gerade das macht es interessant. Einfach solchen “verrückten” Ideen nachzugehen und dem einen Platz zu geben, auch wenn man sich denkt, das kann man nicht machen. Man ist sehr geprägt von dem, was um einen herum passiert, wie etwas sein soll, Gesang muss nach spätestens 30 Sekunden einsetzen und der Song darf nicht länger sein als zwei Minuten irgendwas, solche Dinge. 

Bild ghostdog
ghostdog (c) Marlene Rahmann

Da sind wir wieder bei den Erwartungen und Vorgaben.

Stephan Paulitsch: Ja. Alleine bei Intros, Outros, Soli oder sonst irgendwas. Da heißt es “Du kannst doch nicht so lange solieren”. Aber ich kreiere das. Warum muss ich darüber nachdenken, was Menschen im Business sagen würden? Da kreiere ich ja für jemanden. Ich will etwas machen, was ich bin, das authentisch ist. Von mir aus hören das zehn Leute, dann sind wir halt elf. Ist auch geil. (lacht)

Was sind typische Situationen, in denen du kreative Momente hast und schreibst?

Stephan Paulitsch: Oft ist es nur ein Rumklimpern. Man probiert irgendeinen Sound aus. Also meistens geht es von kleinen Samples aus, oder auf der Akustikgitarre. Wenn ich Momente habe, wo ich nichts tun muss, oder mich aktiv an den Bass setze und wirklich übe, dann kommen oft Ideen auf. Wenn ich Ideen habe, brauche ich auch irgendwas in der Hand und schreibe meistens alles sofort nieder. Aber Ideen hat man ja schnell, fertigmachen ist wieder eine andere Geschichte.

„DASS MAN ZAHLEN SEHEN MUSS, IST DAS UNNÖTIGSTE AUF DER GANZEN WELT“

Du schreibst nicht nur Musik gerne, sondern auch in Form eines Blogs, auf dem du deine Gedanken teilst, die „ghost notes“. Was steckt dahinter?

Stephan Paulitsch: Vor vier Monaten habe ich angefangen, das viele Nachdenken, was ja in die Musik auch einfließt, aufzuschreiben. Ich mag diese Idee, dass ghostdog eine Welt ist. Ich stehe drauf, wenn ich so ein Zuhause habe, eine Basis, einen Spielplatz, auf dem ich meine Gedanken niederschreiben kann. Man kann immer irgendwas hinzufügen. Dieser zero-pressure-Ansatz, das zu machen, was mich interessiert, ist der Grundgedanke. Es entspannt mich in meiner Kreativität. Normalerweise schreibe ich Wort für Wort, was ich denke, auch, wenn das dann natürlich teilweise sehr random ist. Ich will nicht darüber nachdenken, wie was sein soll. Das belastet mich. So funktioniert es für mich einfach irrsinnig gut, Gedanken loszulassen. Wenn man sich fragt, “Warum habe ich angefangen, Musik zu machen?”, dann ist das, weil ich happy war, spielen zu können. Da denkt man nicht darüber nach, wie viele Views oder Streams man hat. Spotify, YouTube, das ist alles super – aber, dass man Zahlen sehen muss, ist das unnötigste auf der ganzen Welt. Zahlen bewerten da deine Kreativität und Qualität. Wenn es nach mir gehen würde, würde ich das alles weglassen. Es macht ja schon was mit einem, ob man will oder nicht. Spaß und Freude am Prozess, das habe ich mir bei diesem Album vorgenommen.

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Bist du mit dem Outcome des Albums zufrieden?

Stephan Paulitsch: Ich bin ein extrem langsamer Mensch, bis Sachen bei mir ankommen, dauert es. Aber jetzt ist es draußen, endlich, und das ist schon ein gutes Gefühl. Ich bin dann auch schnell sehr hibbelig, ich will neue Sachen schreiben. Da bin ich aber so ein Typ Mensch, der erst neue Sachen schreibt, wenn das andere draußen ist. Sonst ist in meinem Hinterkopf immer drinnen, wie viel Arbeit da nicht noch damit verbunden ist, dieses Album rauszubringen. Jetzt ist es so ein Gefühl von “Tschüss, flieg”.

Und jetzt fängst du wieder von neu an?

Stephan Paulitsch: Ja, ich weiß auch schon, was ich mache. 

Was kommt denn als Nächstes?

Stephan Paulitsch: Ich habe in letzter Zeit recht viel Techno gehört und ich mich da auch ein bisschen reingelesen. 128 bpm ist dieser sweet spot, der alle Leute happy macht, weil es nicht zu schnell und nicht zu langsam ist. Und ich liebe tanzen, vor allem bei Techno könnte ich ewig tanzen, weil das genau das richtige Tempo für meine Moves hat. Ich bin auf meiner Couch gesessen, habe das gelesen, und mir gedacht, ich könnte ein Album machen, das aufgebaut ist wie ein Set, aber schon einzelne Songs hat. Die irgendwie zusammenhängend sind oder Transitions haben. Vielleicht frage ich meinen Bruder, ob er am Schlagzeug dieses Tempo spielt und ich dann darauf etwas schreibe. Das sind so meine Gedanken aktuell. 

Danke dir für das Gespräch!

Katharina Reiffenstuhl

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