„Ich habe immer Musik gemacht und gesungen. Aber ich hatte Angst davor.” W1ze ist eine der vielversprechendsten neuen Künstlerinnen in der Wiener Musikszene, aus vielen Gründen, aber vor allem wegen ihrer Stimme und dem, was sie zu sagen hat, wenn sie singt.
Diesen Sommer setzte sich W1ze, die sich auch Angel nennt, während eines kreativen Retreats außerhalb der Stadt hin, um ihren allerersten Song zu schreiben, der sich von all ihren anderen unterscheidet: Es war ein Lied, das sie für sich selbst schrieb. Der Song, „Angel’s Lullaby“, ist das erste Mal, dass sie sich mit ihrem “inneren Kind” auseinandersetzt. Und ein Schlaflied ist ein so passendes Genre für jemanden, der eine Wunde besänftigt und versucht, sie zu verarbeiten.
Nur wenige Monate, bevor sie diesen Song schrieb, wurde sie auf dem Weg zu einem Videodreh in Wien mit einem*einer Freund*in tätlich angegriffen. Sie wurde geschubst und geschlagen und irgendwann wurde ein Messer auf die beiden Freund*innen gerichtet. Angel hat einen leeren Gesichtsausdruck, wenn sie sich an den Vorfall erinnert, und sagt dann ganz ruhig: „Manchmal denke ich: Was wäre gewesen, wenn er sich entschieden hätte, zuerst das Messer zu ziehen?“
„Er hatte eine solche Verachtung für mich” – die Worte hallen durch den Raum und wirken so bitter, wie sie klingen. Sie fährt fort, ihre Erfahrung zu schildern, wie sie sich zunehmend als weiblich präsentierte und wie eine Art, wie sie sagt, „Angst vor dem Weiblichen” ihr das Privileg bewusst machte, das cis-Menschen und insbesondere Menschen, die sich als Männer präsentieren, im Vergleich dazu haben. Aber es geht um mehr als um Äußerlichkeiten. Die Menschen spürten auch ihr Selbstvertrauen, ihre Stärke, in ihrer Weiblichkeit. Und was die Angst anbelangt, so hat die Künstlerin schnell erkannt, dass die Angst nicht in ihr steckt, sondern ein Ergebnis der Projektionen anderer ist. Das war die härteste Wahrheit, die sie zu schlucken hatte, aber auch die größte Lektion, die sie lernte.
Ihr engster Freundeskreis war ihr Zufluchtsort an einem so entscheidenden Punkt in ihrem Leben: „Diese Menschen um mich herum kannten und fühlten mich und sahen mich so, wie ich war, aber nach außen hin war es anders”, beschreibt sie, „es war einfacher, sich anzupassen, als mit der eigenen Stärke hervorzustechen. Ich habe mich nie so sehr als ich selbst gefühlt, aber ich habe mich auch nie so versteckt gefühlt”. „Angel’s Lullaby“ kam für die Singer/Songwriterin zu einem äußerst wichtigen Zeitpunkt. Für sie war es der Abschluss eines Kapitels nach Jahren der Verarbeitung und des Lernens, wie man ist und wie man heilt.
Im Gespräch mit Angel wird deutlich, dass sich die Angst wie ein roter Faden durch ihren bisherigen musikalischen Weg zieht: Angst, einen musikalischen Weg einzuschlagen, Angst zu versagen, Angst, nicht gut genug zu sein. Dies sind keine ungewöhnlichen Nenner in der Karriere eines*einer Kreativen, doch etwas, das Angel über die Angst sagt, tönt laut und deutlich: Sie ist ihr nicht unterworfen. Im Gegenteil, sie ist voller Kraft, voller Leben und will es voll ausleben. „Wir müssen einfach einen Weg finden, um zu überleben”, sagt sie. Und für sie als Künstlerin, als W1ze, ist dieser Weg zweifelsohne ihre Musik. „Auf der Bühne finde ich meinen Raum – alles andere ist für einen Moment verschwunden und es gibt Menschen, die mir zuhören wollen. Wir sind füreinander Ohr und Trost.”
Angels Songwriting ist ein Schlüsselfaktor für ihre eigene Befreiung gewesen. Sie schreibt ganz ungeniert über alles, was ihr durch den Kopf geht, und sie kann alles tun und sein: von ihrem selbstberuhigenden Schlaflied über Songs über Sexting und Intimität bis hin zu Zeilen, in denen sie zu Recht mit Überzeugung behauptet, dass „Jungs scheiße sind”.
Wie sich ihre Erfahrungen auf ihre Musik auswirken, ist kaum zu übersehen: Alle Einflüsse, die sie bisher hatte, sind vorhanden. Als jemand, der in einer religiösen Familie aufgewachsen ist, sehen wir zum Beispiel, warum „Angel” vor allem für sie selbst so wichtig ist. Sie ist ihr eigener Schutzengel und folgt gewissermaßen ihrer eigenen Denkweise, die sich von der traditionellen Religiosität ihrer Kindheit gelöst hat: „Ich glaube an schlechte Omen und Dinge, die schief gehen können, und an die Macht von Worten und Taten. Du kannst deine eigene Hölle und dein eigener Himmel sein, und Depressionen können ein Dämon sein. Ich bete, ich ertappe mich beim Beten”. Dass sie mit ihrer eigenen Spiritualität Frieden geschlossen hat und die Kirche herausfordert, wird auch in ihren Liedern deutlich. In ihrer Musik hört man gospelartige Überlagerungen, Momente von kirchlichen Acappella-Riffs und Gesang von einer Person, die definitiv im Kirchenchor gesungen hat. Ihre neueste Single „Bless”, die am 9. Dezember veröffentlicht wird, geht von der Beschimpfung von Haters, die eine „komplette Auferstehung” brauchen, bis hin zu “tryna get the Porsche, Lord willin'” – ein gut platziertes Gebet.
Der Sound von W1ze ist ziemlich breit gefächert und umfasst viele verschiedene Genres. Sie experimentiert mit Klängen, um eine Stimme zu finden, doch ihre Stimme passt mühelos in verschiedene Stile. Sie selbst bezeichnet dies als eine „chamäleonartige” Eigenschaft, die sie in ihrer Musik noch verbessern möchte. Heutzutage bewegt sie sich von ihrem früheren, eingängigen Pop von „Gahd Dayum” zu einem eher an Teenagerangst erinnernden, punkigen Pop der Sängerin Pink Pantheress – und was sie in ihrem Sound auszeichnet, ist die Kraft und Echtheit dahinter. Doch dann schwenkt sie auf Trap um und auch ein wenig Drill zeigt sie in einigen ihrer noch unveröffentlichten Werke.
Obwohl ihr Schlaflied an sich selbst zweifelsohne einer ihrer persönlichsten Tracks ist, liegt Angels Stärke darin, dass sie auch für diejenigen schreibt, die eine Stimme und Botschaft wie die ihre hören müssen. Diejenigen, die verstehen, was sie durchgemacht hat. In dieser Rolle als Person, von der andere etwas hören wollen, balanciert sie anmutig zwischen Bescheidenheit und hohem Selbstwertgefühl – und beide Eigenschaften machen sie für diejenigen, die ihr zuhören, sowohl nachvollziehbar als auch ermutigend.
W1ze hat innerhalb von nur einem Jahr einen beeindruckenden Aufstieg hingelegt. Nachdem sie erst vor einem Jahr, 2021, bei ihrem eigenen Launch mit Unterstützung des lokalen Wiener Kollektivs Sounds of Blackness zum ersten Mal aufgetreten ist, hat sie viele wichtige Auftritte absolviert, darunter beim Fem*Friday und einen Auftritt auf der Hauptbühne während Dalia Ahmeds Kuratierung des Popfest Wien 2022. Und das ist für jede*n neue*n Künstler*in auf diesen cliquenhaften Wiener Straßen kein leichtes Unterfangen: Man blicke nur auf die immergleichen Gewinner*innen der Amadeus Awards oder die immergleichen Line-Ups bei jährlichen Festivals – etwas, gegen das sich W1ze und andere (queere, BIPOC) Kreative nur allzu oft aussprechen müssen.
Im krassen Gegensatz zu der mangelnden Repräsentation in der Branche, über die sie spricht, befindet sie sich in einem Umfeld, von dem viele Künstler*innen träumen würden. Ihr reguläres Aufnahmestudio befindet sich in ihrem Plattenlabel, Sony, und ist ein klassisches Plattenlabelsetting. Man fährt mit dem Aufzug in den vierten Stock eines glänzenden Gebäudes in Wiens Haupteinkaufsstraße Mariahilfestraße und wird von einer Empfangsdame begrüßt, die einen durch Glastüren, Plaketten und Auszeichnungen in einen weißwandigen Besprechungsraum führt, in dessen einer Ecke ein Kühlschrank mit kohlensäurehaltigen Getränken steht und in der anderen ein Fotostudio ist.
Die Tatsache, dass sie von einem großen Plattenlabel unter Vertrag genommen wurde, verleiht ihr eine gewisse Nonchalance, aber auch Sicherheit. Ihre Stärke ist spürbar und doch gibt es auch eine Verletzlichkeit und Sanftheit, und vielleicht sogar Schüchternheit, die die ganze Formalität der Szene in ein beruhigendes Gefühl von Normalität und Leichtigkeit fallen lässt. Und das ist wiederum Teil dieser Demut, die ich vorher gespürt habe, und vielleicht liegt es daran, wie sie hierhergekommen ist: Angel war nicht immer auf die Musik fokussiert und ging stattdessen anderen Interessen und Leidenschaften nach – sie besuchte eine Kochschule, als sie 2015 zum ersten Mal nach Österreich kam. „In der Kochschule habe ich zufällig gesungen und die Leute haben es bemerkt. Ich war eine gute Köchin, auch akademisch, aber alle hatten das Gefühl, dass Kochen nicht meine Berufung ist.”
Bevor sie von Simbabwe nach Wien zog, „gab es eine Menge Umstände, die ich nicht kontrollieren konnte und die vieles in meinem Leben zu diesem Zeitpunkt bestimmten”, sagt sie. Sie erzählt zum Beispiel von einem Lehrer*innenstreik in Simbabwe, der viele ihrer regulären Schulstunden durcheinanderbrachte. Auch die Trennung ihrer Eltern bedeutete eine große Veränderung in ihrem Leben, die eine gewisse familiäre Vorliebe für Musik festigte. Dennoch arbeitete sie neben ihrem Studium, um es selbst bezahlen und beenden zu können. Und die Musik fand immer ihren Weg zu ihr – selbst als sie als Kellnerin arbeitete, bekam sie einen ihrer ersten Auftritte zu Hause in derselben Bar. Von da an nahm Angel ihre nächsten Schritte selbst in die Hand, und mit einem kleinen Anstoß von Freund*innen, die ihr Talent erkannten, machte sie sich auf den Weg, der ihre Musikkarriere in Wien festigen sollte.
„Meine Tante meldete mich 2017 zu einem Gesangswettbewerb an, an dem ich eigentlich nicht teilnehmen wollte, aber ich wurde überredet und gewann. Ein A&R-Vertreter von Sony war dort und nahm meine Daten auf, und erst 2019 hörte ich per E-Mail von ihnen, um eine Schreibsession zu machen und mit verschiedenen Produzent*innen zu arbeiten und herauszufinden, ob ich schreiben kann.” Sony gefiel, was sie hörten und sahen, und sie nahmen Angel 2019 unter Vertrag. „Sie erkannten etwas in meiner Stimme und der Art, wie ich sang, und dass ich etwas zu sagen hatte.”
Und das Beste daran ist, dass W1ze das alles weiterhin so furchtlos und feminin sagt und tut.
Tonica Hunter
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