Vorschau auf Wien Modern 2008 (26. Oktober – 16. November)

Countdown läuft: Ab Sonntag braucht man als Neue Musik-Interessierte(r) nicht mehr viel zu überlegen, wie man bis 16.11. drei Wochen lang alle seine Abende, auch Nachmittage verbringt. Über 70 Veranstaltungen (21 Veranstaltungsorte) dieser seit 1988 bestehenden Plattform für wichtige Portraits und Rückschauen, immer mehr auch für aktuelle musikalische Entwicklungen. Wer sich nicht für alles entscheiden will oder kann: Die günstigste Möglichkeit, auch nur wenigstens 10 Veranstaltungen von Wien Modern zu besuchen, bietet der Generalpass um 75 (ermäßigt 48) Euro. Dieser berechtigt zum freien Besuch aller Konzerte und “Events”.

Die Komponistenporträts der Jubiläumsausgabe 2008 sind Karlheinz Stockhausen, Enno Poppe und Peter Ablinger gewidmet. Ein mehrteiliger Fokus ist weiters auf den in New York lebenden Filmkünstler, Musiker und Komponisten Tony Conrad gerichtet.Anlässlich, nicht nur wegen des 80. Geburtstages von Karlheinz Stockhausen, der im Dezember 2007 gestorben ist, widmet Wien Modern dem wichtigen Komponisten zum zweiten Mal ein ausführlicheres Porträt. Von dem frühen “Kreuzspiel” (1951) bis zum Bläsertrio “Balance» aus seinem letzten Lebensjahr kommen exemplarische Werke zur Aufführung, darunter auch Stockhausens bahnbrechende “Gruppen” für drei Orchester (1955-57) in einer zweimal zu hörenden Aufführung mit dem RSO Wien unter den  Dirigenten Jean Deroyer, Rupert Huber und Matthias Herrmann. Daneben erklingt vor allem viel Kammermusik von ihm, aber auch ein wichtiges frühes Stück elektronischer Musik wie der “Gesang der Jünglinge”. Ein zweitägiges Filmfestival zu Musik und Person von Karlheinz Stockhausen rundet den nun zur Hommage gewordenen Geburtstagsgruß von Wien Modern ab.

Der 1969 geborene Enno Poppe erfährt seit einiger Zeit immer stärkere Aufmerksamkeit bei internationalen Festivals, auch durch etliche Aufführungen durch das Klangforum Wien. Sein neues Musiktheater “Arbeit Nahrung Wohnung” als szenische Aufführung im Museumsquartier (Inszenierung und Ausstattung: Anna Viehbrock) wird Abschluss des Poppe-Portraits bei Wien Modern und zugleich das Finale des diesjährigen Festivals sein. Bereits beim Eröffnungskonzert mit  dem  SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg unter Pierre Boulez (26. Oktober) hört man sein Orchesterwerk “Altbau” erstmals in Österreich. Zu Gast ist Enno  Poppe selbst auch mit dem Ensemble Mosaik, das er seit 1998 leitet, Schließlich komplettiert das Klangforum Wien unter Stefan Asburys Leitung das Portrait  mit den lapidar betitelten, aber faszinierenden Ensemblestücken “Knochen”, “Öl” und “Salz” (13. November).

Peter Ablinger, seit 1982 in Berlin lebend, aber sehr viel auch immer in Österreich tätig (v. a. Graz und Wien), gehört heuer das dritte Portrait mit drei Projekten, die sein jenseits jeder Eindimensionalität liegendes Musikdenken, das die Einigelung in eine bestimmte Ästhetik ablehnt, umreißen sollen. Ablingers Leitmotive umfassen nicht nur die “Musik” im engen Sinn, sondern auch die Beschäftigung mit “Klang” bis zum Geräusch und der Wahrnehmung aller Nuancen des Rauschens (insbesondere des  “weißen Rauschens”). Bei Wien Modern sieht bzw. hört man von ihm die Ausstellung “Hören hören” (im WUK) mit Arbeiten elektronischer und instrumentaler Kammermusik, “weiss/weisslich” für Elektronik und Schlagzeug (Alte Schmiede),  sowie – im Kontext des Schwerpunkts “Musik & Gehirn” – Ablingers “Quadraturen III” (wie “A Letter from Schoenberg”, “Freud in England”) für computergesteuertes Klavier und “voices and piano” für Klavier und CD-Zuspielung. Letzteres als einziges im Konzerthaus, doch immer noch dem Hauptspielort vom Festival, bisschen mager für ein Portrait. Tja, wo sind die Zeiten, als ein Dramaturg wie Christoph Becher auch unter dem Jahr sich Projekten wie denen Peter Ablingers dort engagiert annehmen konnte?

Dazu kommt heuer der spannende Themenschwerpunkt “Musik & Gehirn”, der sich zentralen Fragen widmet, die die Hirnforschung mit der Musik verbinden. Wie nehmen wir Musik wahr, wie verstehen wir sie? Wie funktioniert unser Gedächtnis? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede bestehen in der Verarbeitung von Sprache und Musik? Wie erzeugt Musik Emotionen, wie wirkt sie auf Körper und Psyche? – Projekte hiezu sind Vorträge renommierter Hirnforscher, Konzerte, Performances, Filmvorführungen und ein Symposion an der Musikuniversität. Sie setzen dort an, wo das Hören, das Spielen und das Imaginieren von Musik tatsächlich stattfinden: im menschlichen Gehirn.

 

Dem multidimensionalen Werk des in New York lebenden Filmkünstlers, Musikers und Komponisten Tony Conrad gilt der vierte mehrteilige Personenfokus bei Wien Modern. Ein Schwerpunkt im Filmmuseum, neue musikalische Arbeiten, eigens für das Festival geschrieben, Lecture und Solo-Auftritt umfassen diesen. Nicht zu vergessen ist auch – bereits zum fünften Mal – der Dschungel Wien Modern für junges Publikum im Museumsquartier.

 

Weitere Projekte von und mit österreichischen MusikerInnen

 

Weil wir gerade beim Filmschwerpunkt waren. Im Großen Saal des Konzerthauses wird am 30.10. der Stummfilm “Die freudlose Gasse” von G.W. Pabst (1925) gezeigt. Musik dazu – in Uraufführung zu hören – schrieb Burkhard Stangl, es spielen das Koehne-Quartett, Manon Liu Winter & Katharina Klement (Klavier) und Bernd Thurner (Perkussion).

 

Ein dreiteiliger KomponistInnen-Marathon im Werkstätten- und Kulturhaus WUK präsentiert mit über 30 (!)  Uraufführungen überwiegend Junger ein breites Panorama musikalischer Ansätze der nächsten Komponistengeneration. Im Jahr 2007 als Eigeninitiative von Wiener Kompositionsstudenten als Gruppe bzw. Verein PLATYPUS gegründet (das mica hat darüber ausführlich berichtet) bildete sich rund um den inzwischen dritten Marathon ein internationales Netzwerk junger MusikerInnen, Ensembles und KlangkünstlerInnen. Dem selbstorganisierten Projekt geht es dabei nicht um eine bestimmte künstlerische Position, nicht um ästhetische Klassifikationen und Wertungen, sondern um eine offene Zusammenschau jungen Musikschaffens von heute (11.- 13.11., WUK).

 

Noch ein Konzert einer Kompositionsklasse, und zwar jener von Chaya Czernowin, gibt es am Sa, 15.11. um 17.00 Uhr in der Alten Schmiede.

 

“More Mouvements für Lachenmann” ist ein weiteres szenisches Projekt im Tanzquartier mit der Choreographie von Xavier Le Roy für für acht MusikerInnen, bestehend aus dem Streichquartett vom Klangforum Wien und an der Gitarre Gunter Schneider, Barbara Romen, Tom Pauwels und Günther Lebbing. In dieser Koproduktion u. a. mit dem Pariser Festival d’Automne und dem Tanzfestival in Montpellier scheint auch der künstlerische Leiter von Wien Modern Berno Odo Polzer als Mitdramaturg auf (5. & 7.11.)

 

“Müll” mit dem Klangforum Wien: Das Ensemble spielt im Rahmen von Wien Modern das nächste Konzert seines Konzerthaus-Abos (am 27.10.) in der Remise in der Engerthstraße. Das Stück ist von Dror Feiler, der Uraufführungsankündigung (kürzlich in Donaueschingen) entnimmt man, es handle sich um eine Komposition für “Orchester, Müllwagen, Vokalperformance und elektronischen Lärm”. Man kann – wenn es mit der Genehmigung geklappt hat – schon um 18.30 Uhr zum Karlsplatz kommen und bei einem Umzug mit Straßenmusikern, weiters einer Marching Band der Telekom Austria und einem Müllwagen der MA 48 zum Stephansplatz marschieren, sich beim Praterstern wieder treffen und nochmals zuhören bzw. zusehen, wie diese Straßenmusiker einzeln für das Konzert eingesammelt werden. Bei der Aufführung dort spielt das Klangforum unter Mitwirkung von Dror Feiler (Laptop und Live-Elektronik), weiters Meira Asher (Performance), Martin Winkler (Stimme) und unter Leitung des Dirigenten Rolf Gupta dann das eigentliche “Werk”. Und am 8.11. wird Gösta Neuwirth im Konzerthaus mit dem Erste Bank-Kompositionspreis für sein Lebenswerk geehrt, vom Klangforum  wird “L’oubli boulli – Vanish” von ihm aufgeführt und ausgezeichnet. (Heinz Rögl / unter teilweiser Verwendung von Texten auf der Wien Modern – Website)

 

Themen und Veranstaltungstermine:

Projekte | Karlheinz Stockhausen
Mo 27. Oktober 2008 | 11:00 stockhausen permanent
Fr 7. November 2008 | 18:00 Stockhausen | Filmprogramm I
Fr 7. November 2008 | 19:30 RSO Wien II | Gruppen
Sa 8. November 2008 | 17:00 ensemble on_line
Sa 8. November 2008 | 18:00 Stockhausen | Filmprogramm II
Sa 8. November 2008 | 19:30 Klangforum II
So 9. November 2008 | 15:00 Stockhausen | Filmprogramm III
So 9. November 2008 | 17:00 Stump | Linshalm
So 9. November 2008 | 20:30 ensemble recherche
Mo 10. November 2008 | 18:00 Stockhausen | Filmprogramm IV
Mo 10. November 2008 | 19:30 Ensemble Kontrapunkte

 

Projekte | Enno Poppe
So 26. Oktober 2008 | 19:30 Eröffnung | SWR | Boulez
Di 28. Oktober 2008 | 19:30 Arditti Quartet I
Do 13. November 2008 | 19:30 Klangforum III
Fr 14. November 2008 | 20:30 ensemble mosaik
So 16. November 2008 | 20:00 Arbeit Nahrung Wohnung

Projekte | Peter Ablinger
Mi 29. Oktober 2008 | 18:00 Ausstellungseröffnung «Hören hören»
Sa 1. November 2008 | 17:00 Ablinger | weiss/weisslich
Mo 3. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn IV
Do 6. November 2008 | 19:00 Ablinger | Quadraturen

Projekte | Musik & Gehirn
Sa 1. November 2008 | 15:00 Musik & Gehirn | Ausstellungseröffnung
Sa 1. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn I
So 2. November 2008 | 17:00 Musik & Gehirn II
So 2. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn III
Mo 3. November 2008 | 10:00 Symposion Wien Modern
Mo 3. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn IV
Di 4. November 2008 | 10:00 Symposion Wien Modern
Di 4. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn V
Mi 5. November 2008 | 19:00 Musik & Gehirn VI
Karlheinz Stockhausen (Oktober 1972 bei einer Probe von «Trans»)  © Bernard Perrine
Peter Ablinger © Siegrid Ablinger
Enno Poppe © Kai Bienert
Marathon © Platypus