„Es war immer irgendwie anders, was sich im FLUC abspielte“, sagt MARTIN WAGNER. Vor 20 Jahren gründete er am Praterstern jenes Projekt mit, das man heute als babyblaues Containerschiff zwischen Kunstraum und Konzertlocation kennt – im „Unterschlupf eines abgehalfterten Bahnhofs aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts“, wie WAGNER in der Anthologie „fluc – Tanz die Utopie!“ schreibt. Über die Jahre wandelten sich die Räumlichkeiten, der Ort wanderte im Sinne der Grundidee „fluctuated rooms“ in eine Mensa, zog ins Exil und erfand sich in der Wanne am Eingang des Praters neu. Inzwischen blickt man im FLUC auf 20 Jahre Subkultur zurück. Wie alles begann, was sich verändert hat und wohin das Frachter ziehen wird, haben Geschäftsführer MARTIN WAGNER und Booker PETER NACHTNEBEL im Gespräch mit Christoph Benkeser erklärt.
Das fluc am Praterstern wird 20 Jahre alt. Denken wir uns an seine Anfänge zurück. Was war das für ein Ort, an dem alles begann?
Peter Nachtnebel: Als ich 1999 zurück in die Leopoldstadt übersiedelt bin, war für mich die Nähe zum Praterstern ausschlaggebend für den Umzug. Wenn man sich heute Fotos von damals ansieht, glaubt man kaum, dass es so einen Ort im inzwischen überpolierten Wien gab.
Martin Wagner: Er war ein Sammelsurium an kuriosen Geschäfts- und Absturzlokalen.
Peter Nachtnebel: Ja, die Branntweiner und Army-Shops, die grindigen Cafés und Imbissbuden, sie alle versprühten Ostblock-Charme. Es lag in der Luft, dass es sich um einen „vergessenen Ort“ handelte, der einer neuen Bestimmung entgegengeht. Es gab Leerstände und Nischenräume, die den Praterstern schon vor der Eröffnung des fluc im Mai 2002 für Künstlerinnen und Künstler interessant machten. Mini-Festivals, Kunstausstellungen und Performances waren nicht selten.
Martin Wagner: Im aufgelassenen Carola-Plattenladen, mit seiner riesigen Glasfront zum Riesenrad hin, gründeten Joachim Bock, Alexander De Goederen und ich das Projekt fluc am Praterstern – zuerst als einwöchige Kunstinstallation, ein halbes Jahr später als Hybrid aus täglich geöffnetem Offspace, Projektraum, Konzertlocation und Bar.
Welche erste Erinnerung verbindest du mit dem fluc?
Martin Wagner: Der Raum hatte 80 Quadratmeter und den Grundriss eines Tortenstücks. Er lag direkt unter den Bahngleisen, davor war Platz für einen großen Gastgarten. Damals einer der wenigen in Wien, der bis vier Uhr früh offenbleiben konnte, weil es tatsächlich niemanden störte.
Peter Nachtnebel: Es war die Zeit, als die Wiener Musikszene im rhiz ihr Wohnzimmer hatte und sofern man dazugehörte, fast jeden Abend dort verbrachte. Im zweiten Bezirk gab es bis auf das Bricks in der Taborstraße nicht viel. Das aufgelassene Carola hatten zu dem Zeitpunkt wohl mehrere Leute im Auge. Umso größer war die Freude als ich dort eines Abends eine Künstlertruppe entdeckte, die eine Ausstellung zum Thema des Pratersterns feierte. Als ich am nächsten und übernächsten Tag vorbeikam, waren sie noch immer dort. Daraufhin verbrachte ich fast eine Woche in diesem Raum und lernte eine Menge neuer Leute kennen. Es war jeden Abend lustig, arty, betrunken, hell, bunt – die Vorfeier zu dem, was Wochen später das fluc werden sollte.
Martin Wagner: Es war immer irgendwie anders und überraschend, was sich im fluc abspielte – selbst für mich, der am Planung des Programms beteiligt war. Um es auf den Punkt zu bringen: Es war ein Ort für permanente Überraschungen, auch was das Publikum betrifft. Einfach weil es keine Art von Exklusion gab, sondern das fluc ein sehr offener Ort war.
Man hat das Gefühl, das fluc war als Ort der Verwandlung gedacht. Etwas, das sich im Werden befinden sollte. Wie seht ihr das nach 20 Jahren im fluc?
Peter Nachtnebel: Dieser Ort der Verwandlung, wie du das fluc bezeichnest, ist sicher die Stärke des Projekts und steckt auch im Namen „fluctuated rooms“ drin.
Martin Wagner: Genau, wir denken gewissermaßen in Räumen. Das heißt, die Räume verändern sich durch künstlerische Eingriffe und Interventionen, die wir entweder selbst setzen oder von eingeladenen Künstler:innen gestalten lassen.
Peter Nachtnebel: Ich habe meinen Teil der Arbeit – die Musik – im fluc immer als historisch-deskriptiv verstanden. Wahrscheinlich ist das der Ansatz eines Musik-Nerds. Mir ging es aber stark darum, das Jetzt der Subkulturen in ihren jeweiligen Nischen abzubilden oder auch von Co-Veranstaltern abbilden zu lassen. Die letzten 20 Jahre waren insofern spannend, als auf das streckenweise bemühte Crossovern der 1990er Jahre eine „endlose Gegenwart“ folgte.
Wie meinst du das?
Peter Nachtnebel: Endlos in der stilistischen Verwandlung, gegenwärtig im wurschtigen Umgang mit der Geschichte der Popmusik und ihren Zäsuren. Jene Innovationswettkämpfe, während derer britische und amerikanische Musiker:innen zwischen 1966 und 1972 oder von 1976 und 1984 viele Klassiker hervorbrachten, spielen schon länger keine Rolle mehr. Es gibt aktuell keine Richtungen, die vorgegeben werden. Klassiker entstehen auch keine mehr. Es gibt nur noch gute oder schlechte Veröffentlichungen. Insofern muss eine zeitgemäße, abbildende Programmierung nahezu bewusst-orientierungslos durch die Gegenwart torkeln. Das kommt der Verwandlung als Prinzip ganz gut entgegen.
Martin Wagner: Deshalb versuchen wir, offen für alle Genres und künstlerische Formen zu sein und Dinge in Beziehung zu bringen. Damit sind viele Bedingungen erfüllt, die einen Ort spannend und lebendig halten.
Ihr habt das fluc nie als Club, sondern als subkulturellen Kulturraum bezeichnet. Wie viel Idealismus ist übriggeblieben?
Peter Nachtnebel: Es gibt eine Definition von Club, die in den letzten Jahren recht austauschbar geworden ist: Man nehme einen Namen, der möglichst trottelig nach Berlin klingt; stelle die teuerste Anlage, die grad am Markt ist, in eine möglichst minimalistisch gestaltete Halle; verkaufe Leuten, die eigentlich keinen Alkohol trinken wollen, überteuerte Cocktails mit Matcha-Tee und baue die Toiletten möglichst geräumig für den gemeinsamen Freizeitdrogenkonsum aus. Der Deal zwischen Clubbetreiber:in und Gast lautet: Du darfst innerhalb gewisser Awareness-Regeln Spaß haben und Gemeinschaft am Dancefloor verspüren. Dafür zahlt man, dann geht man wieder. Daran hat sich seit der Disco-Ära nicht viel verändert. Im Gegensatz dazu ist ein subkultureller Raum ein Ort, an dem Leute partizipativ mitwirken dürfen, sogar sollen und der Konsum nicht der einzige Inhalt des Abends ist. Die Teilnehmenden können – wie das öfter im oberen fluc der Fall war – eigene Regeln für den Abend aufstellen.
Martin Wagner: Deshalb war es wichtig, mit unserem Ausstellungs- und Musikprogramm einen wertvollen Beitrag zum Kulturleben zu leisten. Dass wir das können, haben wir in den letzten Jahren bewiesen.
Peter Nachtnebel: Man gestaltet Räume um und nivelliert Hierarchien zwischen Betreiber und Gast. Dadurch erlebt man das, was man im öffentlichen Raum darf und was nicht, auf eine neue Weise. In der Rückschau waren die Abende, in denen das fluc als Kulturraum funktionierte, nicht nur die besten, sie waren auch die produktivsten. Ich denke, dass die DIY-Erfahrung, die manche Leute im fluc hatten, zu einigen Neugründungen geführt hat.
Stünde heute die Entscheidung an, einen nicht-institutionalisierten Kunstraum zu eröffnen, wie fiele die Entscheidung aus?
Martin Wagner: Lange muss ich darüber nicht nachdenken. Die Entscheidung würde wieder für das fluc ausfallen!
Gäbe es etwas, das du mit dem Wissen von heute anders machen würdest?
Martin Wagner: Wirklich grobe Fehler haben wir nicht gemacht, auch weil wir flexibel und lösungsorientiert agierten. All die kleinen anderen Fehler, die man neben den erfolgreichen Momenten erlebt hat, mussten sein. Das fluc war gerade zu Beginn von Euphorie getrieben. Es gibt in dieser Hinsicht keine Abkürzungen, sonst wäre darausein anderes Projekt geworden. Schließlich waren wir keine Retorte, sondern haben uns aus einer kleinen Kunstinitiative entwickelt und viel Eigeninitiative und Energie investiert.
In 20 Jahren haben sich unzählige Geschichten angesammelt – welche Momente behält ihr gerne in Erinnerung?
Martin Wagner: Die ersten Monate und Jahre, diese Euphorie des Neuen und Ausprobierens, das war wunderschön! Außerdem war es – nachdem wir das ursprüngliche Projekt im alten Bahnhof abgeschlossen hatten – ein Wahnsinn, das neues fluc mitten in die Stadt zu setzen. Eine Idee zu haben und zu merken, dass sie funktioniert; dass man sie umsetzen kann und sich mit dem eigenen Willen ein Weg finden lässt, ist ein unglaubliches Gefühl. Schließlich die Eröffnung vom neuen fluc: Wir wurden von tausenden Besucher:innen überrannt. Die Polizei musste die Straßenbahn durch die Menschenmenge eskortieren. Solche Momente der Bestätigung möchte ich nicht missen.
Peter Nachtnebel: Es gibt Abende, die klappen einfach. Die Bands sind hinreißend, die DJs auch. Das Publikum sowieso. Es entsteht diese crazy Energie, die einen nicht nach Hause gehen lässt – selbst heute, wo wir alle nicht mehr die Jüngsten sind.
In all der Zeit kommt es auch zu Erfahrungen, die ihr lieber nicht gemacht hättet, oder?
Martin Wagner: Vieles davon hab ich wieder verdrängt. In Erinnerung bleibt der finanzielle Druck, sobald du ein Projekt dieser Art durchziehst. Das war teilweise beängstigend, weil wir das ganze fluc und den Neubau zu großen Teilen selbst finanzierten. Von uns kam niemand aus reichem Elternhaus, im Gegenteil: Wir waren gerade mit unserem Kunststudium fertig und hatten im Leben noch kaum Geld verdient. Diese finanzielle Abhängigkeit hat uns an Experimentierfreude und Unabhängigkeit gekostet – auch weil wir uns etwas kommerzieller aufstellen mussten. Ein Spagat, den wir zu lösen versuchten, indem wir das unter der Woche stattfindende Avantgardeprogramm mit den Partys am Wochenende querfinanzierten.
Peter Nachtnebel: Ich muss auch die Präsenz der Polizei am Praterstern erwähnen. Sie ist stärker geworden, das ist gut. Davor kam es häufig zu Gewalteskalationen, die auch auf das fluc übergriffen. Ich erinnere mich an eine unvorhersehbare Messerattacke eines Verwirrten und das Glück, dass zufälligerweise der am besten ausgebildete Security, den wir im fluc je hatten, hinter mir stand. Er paketierte den Typen und gab ihn bei der Polizei ab. Inzwischen gibt es solche Vorfälle auch wegen der Polizeipräsenz nicht mehr. Ich bin froh, dass die Leute wieder angstfrei zu uns kommen können.
„DER DRUCK, UNTER DEM CLUBBETREIBER:INNEN HEUTZUTAGE STEHEN, HAT ZUGENOMMEN.“
Peter, du hast einmal gesagt, dass die Fortgehkultur inzwischen eine ganz andere sei. Was hat sich verändert?
Peter Nachtnebel: Social Media hat die Fortgehkultur massiv beeinflusst und wird sie noch mehr beeinflussen. Die Vorstellung, dass ich an einem Samstagabend über eine App DJ-Sets verschiedener Clubs im Vergleich mitverfolgen kann, um dann spontan zu entscheiden, ob ich hingehe oder stattdessen meinen Avatar hinschicke, ist für ältere Jugendliche schon ein bisserl scary. Der Druck, unter dem Clubbetreiber:innen und Party-Hosts heutzutage stehen, hat außerdem zugenommen. Alle zehn Minuten flackert auf Instagram ein Reel mit feiernden Leuten auf. Entsprechend Beauftragte versuchen in real time noch mehr Gäste anzulocken. Die stehen dann vor der Tür, wollen keinen Eintritt zahlen und schauen sich die Party währenddessen auf Instagram an. Das ist doch irgendwie absurd.
Gleichzeitig lässt sich die Digitalisierung nicht mehr wegdenken.
Die Veränderungen zeigen sich auch an anderen Stellen. Manche – wie das Rauchen im Club – lassen sich gar nicht mehr vorstellen. Dabei rauchen die Leute nicht weniger. Sie tun das jetzt eben in den allerorts größer werdenden Schanigärten und nicht mehr im Club. Da kann es vorkommen, dass bis zum Auftritt des:der Star-DJs* gähnende Leere am Dancefloor herrscht, weil Socializing halt wichtiger ist. Außerdem hat der letzte Corona-Sommer in Wien vorgezeigt: Die Soundqualität der Boomboxen ist mittlerweile so gut, dass einer spontanen Outdoor-Party nichts im Wege steht – der alte Rave-Gedanke blüht wieder auf. Finde ich an sich gut. Aber wer braucht da noch Clubs?
Lass mich gegenfragen: Die Grindigkeit sei nicht mehr cool, hast du vor ein paar Jahren in Bezug auf Clubs gesagt. Die Leute würden eine polierte Schäbigkeit wollen. Wo verortet sich das fluc?
Peter Nachtnebel: Von polierter Schäbigkeit ist das fluc weit entfernt. Da das Ding intensiv seine Jugend verschwendet hat, lässt sich eine authentische Verbrauchtheit nicht abstreiten. Mit dem Umbau gab es jetzt eine Facelifting – mal schauen, wie lange das hält … Dass es in Wien aber kaum mehr dive bars mit Atmosphäre und weit ausgelegter Sperrstunde gibt, ist klar. Die Bunte Kuh ist schon länger Geschichte. Das Nachtasyl wurde von Corona und sich selbst erledigt. Bleiben noch das Einhorn, das Schmauswaberl und das Stadtbahn übrig. Dafür scheint seit mindestens einer Dekade das Vormittagsgeschäft zu blühen.
Auch das fluc wandelt sich weiter. Ihr plant ein sogenanntes Ankerzentrum. Was kann man sich darunter vorstellen?
Martin Wagner: Wir wollen das fluc in seiner Wahrnehmung und Funktion von einem Ort der Musik, zeitgenössischen Kunst und Clubkultur in ein offenes Kulturzentrum transformieren, das die Gesamtheit der Bevölkerung Wiens in seiner Vielfalt widerspiegelt. Das fluc soll die aktuellen Bewegungen, Problemfelder und Strömungen unserer Zeit in künstlerischer Produktion und Präsentation abbilden und zur Diskussion stellen. Wir wollen Initiativen, Musiker:innen, Künstler:innen, Vereinen und der engagierten Zivilgesellschaft ein Angebot machen, mit uns und in unseren Räumen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu arbeiten, zu produzieren und zu präsentieren.
Wie stellst du dir das vor?
Martin Wagner: Indem auch tagsüber mehr passiert. Das fluc war bislang bekannt dafür, einzelne Szenen und Disziplinen innerhalb der Musik- und Kunstrichtungen zu vermischen, ihnen Raum für Experimente zu bieten und neue Kooperationen zu initiieren, um ein heterogenes Publikum anzusprechen. Mit der Erweiterung hin zu einem Kulturzentrum wollen wir neben der breiten Rezeption durch die Besucher:innen auch die kulturelle Produktion für viele Menschen und Initiativen ermöglichen. Schließlich stellt sich die Frage: Für wen machen wir das alles? Und: Wer nimmt teil, wer nicht – und warum? Zu den konkreten Plänen wird es im Juni und im September Symposien geben, bei denen wir die Möglichkeiten ausleuchten und diskutieren wollen.
Lasst uns noch kurz in der Gegenwart bleiben. Ende April feiert das fluc mit einem Fest sein 20-jähriges Jubiläum. Was wird passieren?
Peter Nachtnebel: Ab dem 27.4. wird fünf Tage lang ausgiebig gefeiert. Das Programm ist maximal divers, wie man das im fluc seit 20 Jahren kennt. Die Abende versuchen ältere wie jüngere Subkultur-Semester anzusprechen. Von Hip-Hop über Queer-Pop bis zu Grunge ist alles dabei. Natürlich spielen auch DJs. Am 2. Mai legen wir uns für ein paar Tage schlafen. Und dann geht es wieder weiter.
Vielen Dank für eure Zeit und alles Gute!
Christoph Benkeser
Zwischen 27. April und 1. Mai 2022 feiert das fluc sein 20-jähriges Bestehen. Das vollständige Programm findet sich hier: 20 Jahre Fest @ fluc
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