Von österreichischer Melancholie in instrumentaler Form – die österreichische Post-Rock-Szene im Porträt

Obwohl der Begriff dehnbar ist, die meisten der Akteurinnen und Akteure sich dagegen wehren, etikettiert zu werden, und die musikalischen Grenzen des Genres auch nicht gerade engmaschig sind, gibt es in Österreich doch einige Bands und MusikerInnen, die unweigerlich genau damit assoziiert werden: Post-Rock.

Ein Genre, das es sich damals zur Aufgabe gemacht hat, ein neues Paradigma in der Rockmusik einzuläuten. Trotz der für Rockmusik typischen Instrumentierung mit E-Gitarre, Schlagzeug und Bass wird so einiges anders interpretiert. An die Stelle von Strophe/Refrain/Schemata, guter Laune und Testosteronüberschuss traten ausufernde Kompositionen, ein Fokus auf die Erzeugung stimmungsvoller Arrangements durch den Einsatz vielfältiger Effekte und das Leitmotiv Melancholie. Die typische Post-Rock-Band arbeitet – zumeist instrumental – viel mit einem langsamen, aber vielschichtigen Songaufbau, einer Laut-leise-Dynamik und spielerischer Verträumtheit und regt die ZuhörerInnen an, sich im Reflektieren zu verlieren. Die Ansätze, um dieses Kopfkino zum Laufen zu bringen, sind freilich unterschiedlich. Auch in Österreich.

Über die Grenzen hinaus bekannt

Eine international bekannte österreichische Post-Rock-Band mit einem sehr typischen Sound und lupenreinen Genrekompositionen ist Our Ceasing Voice aus Innsbruck. Nach dem Album „That Day Last November“ aus dem Jahr 2013 wurden mehrere Konzerte in Europa gespielt, die vom Publikum wohlwollend aufgenommen wurden. Im Winter des Jahres 2015 wurden die letzten Konzerte mit dem bis dahin lange stabilen Line-up der Band gespielt. Daher legt Our Ceasing Voice bis auf Weiteres eine Pause vom Live-Geschehen ein und arbeitet an einem neuen Album. Dieses dürfte dafür nicht nur vom österreichischen Publikum, sondern auch von der europäischen Post-Rock-Fangemeinde mit Spannung erwartet werden.

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Eine Heimat für zwei weitere der wohl bekannteren Post-Rock-Bands Österreichs bietet das Wiener Independent-Label Noise Appeal Records.
Die Formation Lehnen aus Wien besteht aus zwei Amerikanern und zwei Österreichern und gibt seit mittlerweile zehn Jahren ihre Version von Post-Rock zum Besten. „Reaching Over Ice And Waves“ – das aktuelle von vier Alben – wurde 2015 veröffentlicht. Die Songs sind hier im Genrevergleich oft eher kurz, prägnant und stellenweise auch mit Gesang, was aber nichts an einem Fokus auf getragene und Stimmung beschwörende Musik ändert. Bei manchen Kompositionen bewegt man sich mittlerweile näher an unkonventioneller Rockmusik als an klassischem Post-Rock-Sound. Mit ausgedehnten Tourneen durch die USA und Europa konnte sich Lehnen als eine Band etablieren, die auch außerhalb der Alpenrepublik ihren Platz in der globalen Post-Rock-Szene hat.

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Doomina aus Kärnten schaffen es trotz des bedrohlich klingenden Namens auch, verschiedenste andere Emotionen außer Aggression heraufzubeschwören und miteinander zu verknüpfen. Gegründet im Jahr 2007 von Daniel Gedermann und Christian Oberlercher, hat man nach verschiedenen Bandkonstellationen wieder ein stabiles Quartett geformt und im Dezember 2015 das dritte Album der Bandgeschichte veröffentlicht. Darauf wird wie seit jeher rein instrumental agiert, lupenreine Einsprengsel aus dem Bereich des Doom Metal, wie der Bandname suggerieren könnte, fehlen jedoch, auch wenn Doomina durchaus am härteren Ende des Post-Rock-Spektrums anzusiedeln sind.

Die vielen Gesichter des Genres und mehr

Bild Ceveo
Ceveo (c) Presse

Mit Ceveo gibt es seit 2009 ein aus Salzburgern und Linzern bestehendes Quartett, welches auf bisher zwei Alben seine Vorstellung von Post-Rock darbietet. Diese fällt im Vergleich zu manch anderer Band des Genres vielleicht weniger experimentierfreudig aus, da etwa auf Synthesizer oder elektronische Elemente verzichtet wird, ist aber nicht weniger stimmungsvoll. Auf dem Album „Eunoia“ aus dem Jahr 2014 kann man sich den rifflastigen Stil von Ceveo zu Gemüte führen, der mitunter eher an prägnanten Rocksongs als an zu ausufernden Kompositionen mancher Genrekollegen orientiert ist. Diese Orientierung ergibt sich durch die ausschließlich klassische Rock-Instrumentierung mit Gitarren, Bass und Schlagzeug und insbesondere durch den Einsatz von markigem Gesang.

Eine Sonderstellung im österreichischen Post-Rock nimmt das Wiener Kollektiv Thalija ein. Mit bis zu 18 Musikern wird hier die für Post-Rock-Kompositionen typische Atmosphäre und Sounddichte auf die Spitze getrieben. Mit einer wahren Armada an Gitarristen, einigen Zuständigen für elektronische Sounds und sogar dem Einsatz einer Ukulele sind dem Ausloten verschiedener Klangwelten kaum Grenzen gesetzt. Bei den aktuell leider dünn gesäten Live-Auftritten von Thalija kommt auch der Improvisation der Musiker eine nicht unwesentliche Rolle zu, was das Live-Erlebnis umso spannender macht. Das letzte Album – „III“ – datiert aus dem Jahr 2012 und ist auf „Pumpkin Records“ erschienen. Ebenfalls via „Pumpkin Records“ veröffentlicht wurde „Gimel“, das letzte Album der Grazer Fragments Of An Empire, die bereits seit 2006 sehr klassische Post-Rock-Kompositionen mit einem sympathischen, erdigen Sound umsetzen. Songlängen unter zehn Minuten haben hier Seltenheitswert, was einem gediegenen Spannungsaufbau freilich nicht widerspricht. Wenn da von Zeit zu Zeit auch noch eine Querflöte und ein Glockenspiel mitmischen, steht sehr ansprechenden und interessanten Songs nichts mehr im Wege.

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Die vielleicht am längsten agierende Band, die sich immer wieder das Post-Rock-Etikett umhängen lassen durfte, ist Microtonner. In unterschiedlichen Besetzungen und mit verschiedenen Instrumentierungen wird hier bereits seit 1997 im Dunstkreis des Post-Rock musiziert: mal mehr in Richtung Industrial und Elektronik schielend, dann wieder organisch-rockiger. Mittlerweile sind von Microtonner vier Alben erschienen, zuletzt „Navigation“ (2013), auf dem die Band ihre letzte Stilwandlung in Richtung eines kohärenten eigenen Sounds vollzogen hat.

Da es sich oftmals anbietet, auch anderen experimentellen Rockbands das Präfix „Post-“ vorne anzustellen, um den Avantgarde-Faktor einer Band zu unterstreichen, wurde beispielsweise auch das Wiener Trio Radian immer wieder mit dem Post-Rock-Genre in Verbindung gebracht. Tatsächlich hat man es hier aber mehr mit einer Art-Rock- beziehungsweise Noise-Rock-Band zu tun. Über weite Strecken werden ganz andere musikalische Ideen und Songwriting-Techniken an den Tag gelegt, als es typische Post-Rock-Kompositionen tun, wenn sie die ZuhörerInnen stetig in eine melancholische Welt entführen. Abhängig von der Definition und davon, wie breitflächig beziehungsweise engmaschig man diese anlegt, könnte man auch eine Band wie Radian in diesem Genre verorten.  Ähnliche Überlegungen lassen sich beispielsweise zur legendären Linzer Post-Hardcore-Band Valina anstellen, die sich vor Kurzem aufgelöst hat und deren Mitglieder die Progression der Rockmusik künftig in anderen Projekten und Konstellationen ausleben wollen.

Hinterlassene Spuren

cinematique 300
Cinematique (c) Zuzana Sieder

So manche Bands, die ebenfalls ihre Spuren in der österreichischen Post-Rock-Landschaft hinterlassen haben, weigern sich leider, diese Praxis weiterhin aktiv zu verfolgen. Your Ten Mofo beispielsweise haben 2006 das sehr ansprechende „Things Change While Helium Listen To Everyone“ veröffentlicht. Die Rock-Instrumentierung ist hier mit Streicherarrangements angereichert, was der Musik zu einer gewissen Erhabenheit verhilft, der andere Bands stellenweise nur hinterherhinken können. Ansonsten ist man eher in der Indie-Ecke des Post-Rock-Spektrums angesiedelt, stark verzerrte Gitarren und düstere Sounds sucht man vergeblich, wodurch man sich auch gut in die restlichen Bands von „Wohnzimmer Records“ einordnet.

Laut Internetpräsenz dürfte sich bei Your Ten Mofo in unmittelbarer Zukunft wieder etwas tun. Was genau allerdings passieren wird, lässt die Band einstweilen geheimniskrämerisch im Dunklen. Die Wiener Gruppe Cinematique ist derzeit auch den inaktiven Bands des Genres zuzuordnen, so man sich auf die öffentlichen Lebenszeichen beruft, dürfte aber seit geraumer Zeit an neuem Material arbeiten. Der Name der Band ist jedenfalls symptomatisch für einen Verweis, welcher den Post-Rock seit jeher begleitet: Musik, die sich ob ihrer Spannungsbögen und ihrer Interpretationsvielfalt auch gut eignen würde, um Soundtracks von Filmen abzugeben. Bei Cinematique ist der Name also Programm: Die flächigen Sounds der Band sind auf manchen Veröffentlichungen eher dem Ambient-Genre als einer Ausprägung von Rockmusik zuzuordnen und könnten hypothetisch so manches cineastische Projekt zu einem audiovisuellen Gustostückerl aufwerten.

Die Post-Gegenwart der Szene

Bild Le_mol
Bild (c) le_mol

Es finden sich natürlich auch einige Musikerkonstellationen, die mehr oder weniger dem Post-Rock zuzuordnen sind, welche noch nicht mit einer Vielzahl an Veröffentlichungen aufwarten können. Dafür dürfte der Blick in die Zukunft aber umso zuversichtlicher ausfallen.

Das Wiener Duo le_mol etwa kreiert mittels Loop-Techniken einen Sound nahe am Post-Rock inklusive elektronischer Einsprengseln und treibt das Stilmittel des langsamen Aufbaus mittels schichtender Repetition auf die Spitze. Auf zwei in Eigenregie veröffentlichte Alben folgten auch Touren durch den deutschsprachigen europäischen Raum.

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Touren stehen den Villachern von Mountain erst noch bevor, wurde doch hier der Schritt vom Soloprojekt von Philipp Otte zu einer fünfköpfigen Band erst vor Kurzem vollzogen. Dafür wird noch 2016 das erste Album namens „Evolve“ via „Shunu Records“ veröffentlicht und dürfte – einem Teaser-Track nach zu urteilen – der geneigten Zuhörerschaft eine Mischung aus atmosphärisch-verhallten, ruhigeren Parts und brachialen Gitarrenwänden bieten.

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Ob es je zum Touren kommen wird, bleibt bei dem Salzburger Studio-Duo Sea Of Disorder wiederum abzuwarten. Auf Tonträger hingegen bewegt man sich seit 2011 sehr engagiert zwischen den beiden Sound-Polen Post-Rock und Doom-Metal, also zwischen verträumtem Mid-Tempo und schleppender Brutalität inklusive geschriener Vocals. Durch Gastbeiträge von Genregrößen wie EF oder The Ocean schaffen es Sea Of Disorder, ihren Sound maßgeblich zu veredeln.

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Auf eine andere Art und Weise veredelt die vom Duo zum Trio gewachsene Band Euphective aus Oberösterreich ihr Schaffen: Zusätzlich zu ihrem von Synthesizern und ausgefeilten Gitarrenmelodien geprägten Sound werden live eigens produzierte Visuals und Videos verwendet, um die schwelgende Stimmung zu untermalen.

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Das Wiener Quartett BOG ist mitunter dem Subgenre Post-Metal zuzuordnen. Hier werden Verzerrungseffekte und eine Rifflastigkeit bemüht, die sich in einer ähnlichen Ausprägung sonst zumeist nur bei diversen Metal-Bands findet. Der ruhige Part in der Dichotomie von laut und leise des Post-Rock-Universums fällt hier dementsprechend etwas zurückhaltender aus. Dies allerdings nicht im Sinne von „leiser“, sondern im Sinne von „seltener vorhanden“. Dadurch bleibt jedoch mehr Platz für ausgefeilte rhythmische Variationen von Bass und Schlagzeug, die die Soundwand lebendig halten.

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Einen noch ausgeprägteren Fokus auf knifflige Rhythmik als Stilmittel legen die Oberösterreicher Methexis. Mit einem anderen Blickwinkel auch dem filigraneren Progressive Rock zuzuordnen, hüllen die genretypischen Gitarrensounds und nicht zuletzt auch der atmosphärische, mit Effekten veredelte Gesang die Demosongs dieser Band trotzdem in ein Post-Rock-Gewand. Überdies hat man mit Michael Zimmel einen Gitarristen, der auch als Solokünstler im Genre mitmischt, wobei es dabei etwas monotoner und schwerer zur Sache geht.

In ähnlichen Post-Metal-Gefilden bewegen sich die Grazer von Alderaan, die leider noch keine Aufnahmen, dafür aber eine wuchtige Live-Präsenz vorweisen können.

Die Grazer Kollegen von Grey Skies Ahead hingegen fanden bereits Zeit, um ihre erste EP aufzunehmen, auf der sich Post-Rock der härteren Gangart mit dynamischem Schlagzeugspiel und auffälligen Lead-Gitarren findet.

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Eine softere und verträumtere Variante findet sich bei den sechsköpfigen yesterdaydreamer, die von Linz aus mittels Streicherarrangements und mehrstimmigen Gesangs die Grautöne der menschlichen Gefühlswelt heraufbeschwören. Die Leichtfüßigkeit, mit der dies passiert, spiegelt sich auch im Titel des Debütalbums „With Both Feet Firmly On The Clouds“ wider.

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Die Niederösterreicher von Maira legen es, ihrem einzigen Demosong nach zu urteilen, auch eher gemächlich an, erzeugen aber insbesondere durch sphärischen Gesang eine interessante Atmosphäre.

Verschwimmende Grenzen

Dass Post-Rock sich nicht nur genre-, sondern auch grenzübergreifend gibt, zeigen Bands, in denen österreichische Musiker mit Musikern anderer Länder gemeinsame Sache machen. Neben den bereits erwähnten Lehnen sind hier Wassermanns Fiebertraum, bestehend aus Wienern und Münchnern, und Lelkem, bestehend aus Wienern und Ungarn, zu nennen.

Wassermanns Fiebertraum durchbrechen ein bisschen die Hegemonie der Melancholie im österreichischen Post-Rock, vermittelt die Band im Vergleich mit anderen doch häufiger eine positive (Aufbruchs-)Stimmung, unter anderem aufgrund eines nicht vordergründig wehklagenden Sängers. Das lyrische Konzept, auf dem letzten Album „Tauche die Welt in Farben“ von einer Erzählerstimme zwischen den Liedern vorgetragen, trägt sein Übriges dazu bei, sich von anderen Bands abzuheben.

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Auch Lelkem kann nicht als lupenreine Post-Rock-Band bezeichnet werden, da hier die Einsprengsel aus Alternative und Indie Rock mitunter überhandnehmen und man anhand der transportierten Stimmung eher von Post-Rock-Einsprengseln bei einer vielseitigen Rockband sprechen könnte.

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Während man heutzutage plötzlich wieder verleitet ist, zu glauben, dass sich österreichische Musik auf Austropop beschränkt, gibt es also abseits des Mainstreams eine lebendige Szene an (instrumentalen) Rockbands, die es sich in der Subkultur zur Aufgabe macht, komplexe Stimmungsmuster zu erzeugen und die Zuhörerschaft zu Reflexion anzuregen. Durch die einer Nischenmusik inhärenten kargen Exposition dürften viele potenzielle ZuhörerInnen gar nicht wissen, was ihnen hier an schöner österreichischer Musik entgeht.

Sebastian J. Götzendorfer