Diesmal traf ich Elisabeth Schimana in ihrer Wiener Wohnung, um unser Gespräch vom Vorjahr zu vertiefen und vor allem die musikalischen Aspekte ihrer Arbeit zu fokussieren. Bei diesem Rückblick über viele Jahrzehnte künstlerischen Schaffens stellt Elisabeth Schimana fest, dass man vieles erst in der Rückschau realisiert, dass Themen und Ideen sie lange begleiten, die sich immer wieder auf eine andere Art in ihrem Werk manifestieren. Diese Ebene macht das Interview besonders spannend, aber auch die detaillierten Einblicke in ihre künstlerische Praxis und damit auch auf die Zeit, in der sie stattfinden.
Elisabeth, schön, dass wir jetzt noch mal reden. Ich habe noch eine Nachfrage zum letzten Interview. Du hattest über deinen Aufenthalt in England gesprochen und hast gesagt, die alte Musik, mit der du dich da beschäftigt hast, hätte mehr mit der Musik von heute zu tun als die Klassik. Das fand ich interessant, aber ich habe es nicht ganz verstanden. Kannst du das noch mal erklären?
Elisabeth Schimana: Also, die alte Musik denkt horizontal in Schichten und noch nicht in der Vertikale wie dann die Klassik, wo es eigentlich in erster Linie um die Harmonik geht. Die alte Musik denkt viel mehr in Linien, die übereinander liegen, die man verschieden komponieren kann. Und nicht so, dass man von einem Akkord in den anderen geht. In der Klassik hat man ein total vertikales Denken, kein horizontales. Und das kommt dann wieder, gerade in der experimentellen Musik, also wenn wir jetzt zum Beispiel auf Drones gehen, oder wenn wir überhaupt in außereuropäische Musik gehen, dann ist es eigentlich viel mehr ein Denken in der horizontale und in übereinanderliegenden Schichten. Und deswegen hat das viel mehr mit dem zu tun, wie wir jetzt arbeiten, in der Elektronik, wo es ja primär überhaupt nicht darum geht, dass wir, wie in der Popmusik, drei Akkorde haben und mit denen machen wir einen Song. Also zum Beispiel funktioniert das indische System oder das afrikanische System der Musik in Patterns. Da gibt es sehr viel mehr Verbindungen zur Alten Musik. Bei mir, und ich glaube auch bei vielen anderen, geht es überhaupt nicht um harmonische Verläufe, wie in der Klassik. Und es geht auch nicht um Songstrukturen. Da finde ich mich dann eigentlich eher im Techno wieder, weil das genau dieses Denken hat, in langen, langen horizontalen Bewegungen, die übereinandergeschichtet werden und dadurch interessante Kombinationen ergeben. Das ist es.
Sehr gut! Kommen wir zu deinen Projekten. Ich glaube mit der Höllenmaschine habe ich dich zum ersten Mal bei CTM Festival gesehen. Eigentlich war das Projekt ja vorbei hattest du angekündigt, aber dann hast du es inzwischen doch nochmal gemacht. Magst du ein bisschen was zum Max-Brand-Synthesizer erzählen?
Elisabeth Schimana: Der Max-Brand-Synthesizer war ein sehr langes Projekt. Und das ist entstanden durch die Ausstellung, durch „Die Zauberhaften Klangmaschinen“, über die wir schon gesprochen hatten. Ich wusste schon lange, dass es da diesen Max-Brand-Synthesizer in Langenzersdorf gibt; und dann bin ich dorthin, und habe gesagt, können wir bitte den Max-Brand-Synthesizer für die Ausstellung haben. Und der Herr Schwarzjirg, er kümmert sich um den Nachlass von Max Brand in Langenzersdorf, hat dann gesagt, prinzipiell können Sie den schon haben, aber der geht nicht bei der Tür hinaus. Und ich habe mir gedacht, der ist reingegangen, also muss er auch wieder rausgehen.
Und natürlich ging das, weil die haben ja dort quasi das Studio aufgebaut von Max Brand, weil er ist dann wieder zurück nach Österreich und dort in Langenzersdorf letztendlich verstorben. Und dann war ich mit dem Wolfgang Musil, der lange am Institut für Elektroakustik unterrichtet hat und der die Maschine auch kannte, dorthin, und dann haben wir gesagt, okay, das kann man alles zerlegen, selbstverständlich. Und Herr Schwarzjirg hat uns dann die Erlaubnis gegeben, es hat sich vorher noch niemand darum gekümmert, dann haben wir den Synthesizer mit dem Originaltisch usw. nach Hainburg in die Kulturfabrik gebracht, in die Ausstellung, und dort habe ich dann gemeinsam mit dem Gregor Ladenhauf, ein Musiker, der in der Ausstellung als Vermittler gearbeitet hat, wirklich begonnen den Synthesizer zu erforschen, wie der überhaupt funktioniert, was das für eine Technologie ist usw. Und dabei die Höllenmaschine komponiert, die dann das erste Mal im Rahmen der Ausstellung aufgeführt wurde. Und dann ging es im September 2009 auf die Ars Electronica damit.
Wie war es damit beim CTM oder Elevate zu sein? Das war ja erst viel später.
Elisabeth Schimana: Elevate oder CTM, das war ja völlig absurd, weil dort die Laptop-Generation, sozusagen vertreten ist, und dann komme ich wieder mit so einer alten Maschine daher, das war schon irgendwie lustig. [lacht] Und habe es dann geschafft, dass die Teile, die man wirklich braucht, um zu spielen, jetzt in zwei Flightcases transportierbar sind. Dadurch war es dann möglich all diese Auftritte zu machen.
Und vorher war ich noch auf der ISEA (International Symposium on Electronic Art), das ist diese jährliche Konferenz für Medien, Kunst, elektronische Musik, also hauptsächlich Medien, auch international, ein großes Ding, es ist immer woanders. Und das war dann einmal in Dortmund, und da hat der Andreas Broeckmann das kuratiert, der vorher lange die Transmediale in Berlin gemacht hat, und hat mich eingeladen zur ISEA, da war alles noch wahnsinnig kompliziert mit dem Transport von der Maschine… Und dann war ich in Kiew, in Moskau, in Innsbruck, in Graz, Berlin und so weiter.
Aber wie ging das? Also eigentlich wolltet ihr ja den Max-Brand-Synthesizer nur für die Ausstellung haben, und dann hast du dich dazu entschlossen, ihn zu erforschen und ein Stück dafür zu machen, und dann ist das so eine Art Dauerleihgabe geworden?
Elisabeth Schimana: Naja, es ist kompliziert. Stehen tut er in Langenzersdorf. Gehören tut er der Wien-Bibliothek im Rathaus. Der Nachlass von Max Brand ging eben an die Wien-Bibliothek im Rathaus, mit dabei die Maschinen. Aber die Wien-Bibliothek im Rathaus ist überhaupt nicht dafür geeignet als Standort, die sammeln Manuskripte, Noten, solche Sachen, aber nicht Instrumente. Deswegen ging der Synthesizer als Dauerleihgabe nach Langenzersdorf, und wird von Herrn Schwarzjirg, der auch die Tantiemen von Brand verwaltet, betreut. Und dann gab es auch noch die Ausstellung “Unstillbare Sehnsucht”, die war erst in Hainburg, dann haben wir sie in der Wien-Bibliothek im Rathaus gemacht.
Es gab eine Zeit in Hainburg, wo wir in den Klosterhof gezogen sind und dort so eine kleine Soundgalerie gehabt haben, und dort stand der Synthesizer dann für ein Jahr oder länger. Gemeinsam mit Peter Donhauser, habe ich die Maschine einfach immer über einen Leihvertrag gekriegt. Und niemand hat irgendwie verstanden, was diese Maschine eigentlich wert ist. Und ich bin selber schuld, aber letztendlich habe ich dieses große Musiktheaterprojekt gehabt bei Wien Modern 2021, „Fugen“, basierend auf einem Buch von William Gibson, nämlich der Idoro-Trilogie [Original: Bridge Trilogie], und da war der Max-Brandt-Synthesizer wieder im Einsatz. Und ich wollte, dass alles Hand und Fuß hat und habe gesagt: der muss jetzt endlich einmal geschätzt werden. Und jetzt ist er viel mehr wert, jetzt ist er 70.000 oder 80.000 Euro plötzlich wert, und es ist sehr viel komplizierter eine Versicherung dafür abzuschließen. Andererseits hat er jetzt endlich seinen Stellenwert.
Wir haben dann auch das Buch herausgeben über Max Brand – „Maschinen für die Oper. Der Komponist Max Brand“, zur Ausstellung in der Wien-Bibliothek im Rathaus, war das möglich. Und dadurch haben wir die ganze Geschichte noch einmal wirklich aufgearbeitet. Und die Höllenmaschine ist so ein Stück, das einfach sehr viel und immer wieder aufgeführt wurde. Und jetzt erst wieder 2024 im Rhiz. Weil das hat der Bernhard Günther kuratiert, weil der Peter Rantasa hat für verschiedene Abende verschiedene Kurator:innen eingeladen, einen Abend hat Shilla Strelka gemacht, einen hat der Thomas Edlinger gemacht usw. Und der Bernhard Günther hat gesagt, die laden eh wieder alle nur Männer ein, er lädt jetzt einmal Frauen ein, was ich sehr super finde, und hat mich gefragt, ob ich mit dem Max-Brand-Synthesizer kommen kann, weil der Peter Rantasa hat auch eine lange Geschichte mit dem Max-Brand-Synthesizer.
Tatsächlich, das wusste ich gar nicht, in wie fern? Und ihr habt den Synthesizer dann tatsächlich im Rhiz aufgebaut?
Elisabeth Schimana: Ja, der hat ganz früh begonnen, als einer der ersten, Klänge des Synthesizers zu samplen, aber sie haben jetzt keine Stücke gemacht, wo die Maschine live gespielt wird. Und auf Bernhard Günthers Anfrage war ich sofort bereit, allerdings meinte ich gleich: aber es wird was kosten. Mit der Maschine zu arbeiten, das kostet einfach. Letztendlich war es wieder einmal der irre Stress, es überhaupt möglich zu machen, aber es hat dann geklappt „Die Höllenmaschine“ im Rhiz zu spielen. Es ist eh schön, dass man Dinge macht, die dann über so viele Jahre einfach Relevanz haben.
Und macht es nach so langer Zeit noch Spaß? Und was machst du genau bei der Live-Performance?
Elisabeth Schimana: Ja, es macht immer Spaß. Also ich spiele ja nicht, ich habe ja die Manon Liu Winter die spielt und der Gregor Ladenhauf macht das Steckfeld. Ich bin ja keine Pianistin, ich habe einfach die Komposition gemacht, die sogar tatsächlich aufgeschrieben ist… da braucht es eine ganz andere Art, so etwas aufzuschreiben. Und ich bin dann am Mischpult, mache das Mixing. So viel zum Max-Brand-Synthesizer, er hat mich viele Jahre begleitet, so wie so ziemlich alles, was ich mache, sehr lange Projekte sind.
Vielleicht nochmal als Bindeglied zu IMA, du hattest 2019 das Projekt “The Art of Reproduction” realisiert, magst du dazu etwas erzählen? Und bei diesem Projekt waren auch sehr viele Frauen involviert, die dann dazu kamen, was sollten diejenigen, die noch nichts darüber gehört haben dazu wissen?
Elisabeth Schimana: Genau, da ging es speziell um Reproduktionstechnologien, das war einfach eine Beschäftigung damit, um zu schauen, was ist damit verbunden? Welche Vorstellungen, Philosophien, und so weiter. Wir haben dafür auch mit dem Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch in Wien zusammengearbeitet, und das Projekt war 2018, also gleichzeitig zum 100jährigen Jubiläum des Frauenwahlrechts in Österreich.
Überhaupt ist es ein ganzer Themenkomplex, die Bestimmung über den eigenen Körper, Abtreibung, das geht hin bis zur Idee der Transhumanisten, das ewige Leben, und dass wir eigentlich keine Reproduktion mehr brauchen. Wir haben dieses ganze Spektrum bearbeitet, und haben einen eigenen Raum gemietet gehabt in St. Pölten, und waren einfach ein paar Monate dort, und es gab eine Reihe von Veranstaltungen. Es gab die Ausstellung, Lesungen, Performance, Konzerte, aber da habe ich selbst eigentlich wenig gemacht. Ich mache oft Projekte, wofür ich verantwortlich bin, dass alles funktioniert, aber selbst habe ich nur mit Norbert Math und Seppo Gründler eine kurze Performance gemacht, zur Kryonik, der Idee, sich einfrieren zu lassen.
„Jetzt werden Programme, wo keine einzige Komponistin vorkommt, abgelehnt.“
Das ist auch wieder ein feministisches Thema. Wir hatten ja schon über IMA-Fiction gesprochen, und dass sich Dinge geändert und verbessert haben, aber ja trotzdem lange nicht so, wie man meinen könnte.
Elisabeth Schimana: Es hat sich tatsächlich viel geändert, weil wie ich begonnen habe, nach meinem Studium der Elektroakustik und der Musikwissenschaft, wo ich einfach nie auch nur irgendetwas über eine einzige Komponistin gehört habe, habe ich mir gedacht – das gibt es ja nicht, da muss es was geben, und habe dann eben begonnen, mich damit zu beschäftigen. Ja, damals haben schon auch andere Frauen dort studiert, aber die Geschichte der elektronischen Musik war frauenlos. Komplett. Und aus dem heraus ist eigentlich so dieses Bedürfnis entstanden, da etwas mehr darüber zu wissen, und daraus ist eben dann die IMA-Fiction-Serie entstanden. Ich würde jetzt von mir selber nicht sagen, dass ich feministische Kunst mache, weil das mache ich absolut ganz und gar nicht.
Was meinst du mit feministischer Kunst? Ich würde jetzt schon denken, du bist Feministin?
Elisabeth Schimana: Ja, ja, das schon. Es gibt einen Unterschied. Wenn du feministische Kunst machst, dann sind die Themen in deiner Kunst die feministischen Themen. Aber das ist nicht die Musik, die ich mache. Natürlich bin ich Feministin in dem Sinn, dass es mir wichtig ist, die Geschichte zu ergänzen, oder prinzipiell einfach dafür zu kämpfen, dass in Programmen nicht mehr nur 5% Frauen und 95% Männer sind. Selbstverständlich. Da ist auch sehr viel gelungen.
Kann sich aber auch schnell wieder ändern. Also, wenn man jetzt schaut, dass Abtreibung in vielen Ländern oder Bundesstaaten verboten wird… Du bist zwar eine Ausnahme und es gibt noch andere Ausnahmen, aber für viele Frauen, wenn die anfangen Musik zu machen und dann kommen die Kinder, ist es meistens vorbei damit. Also ich würde sagen, Verhütung ist prinzipiell ein wichtiges Thema, oder Abtreibung, wenn es darum geht, dass Frauen Kunst oder Musik machen.
Elisabeth Schimana: Éliane Radigue hatte auch drei Kinder und sie kommt noch aus einer ganz anderen Zeit. Also sicher, es kommt immer individuell darauf an, aber ich denke mir, dass jede Frau für sich entscheiden muss, was sie will, ob sie Kinder haben will oder nicht, und ob sie dann mit Musik weitermacht oder nicht. Da gibt es verschiedene Lebensumstände und Konzepte. Und natürlich bin ich absolut dafür, für Strukturen zu kämpfen, wo beides möglich ist. Selbstverständlich.
Und hört die IMA-Fiction-Serie jetzt auf, weil wir alles erreicht haben?
Elisabeth Schimana: Nein, aber ich habe meinen Beitrag geleistet, und eigentlich war das schon nicht meine Aufgabe, weil das wäre eigentlich die Aufgabe der Musikwissenschaft, in Wirklichkeit. Aber wenn es niemand macht, dann mache ich es. Es ist eigentlich auch nicht meine Aufgabe, den Max-Brand-Synthesizer und Max Brand komplett aufzuarbeiten, aber es hat noch niemand gemacht, und ich habe es interessant gefunden, also mache ich es. Und jetzt gibt es diese ganzen Gender-Institute, das ist denen ihr Job in Wirklichkeit. Die kriegen dafür gezahlt. Die sollen bitte so etwas machen. Aber es war mir wichtig, es zu einem Zeitpunkt zu starten und zu machen, wo es einfach wirklich nichts gab.
Die Statistiken, die Female:Pressure ehrenamtlich macht, ist auch nicht deren Aufgabe. Und komischerweise finden solche Forschungen leider eher nicht an Gender-Instituten statt. Und in der Musikwissenschaft auch zu selten.
Elisabeth Schimana: Nein, sowieso. Wir müssen es eben machen, weil es sonst einfach niemand macht, und es ist wichtig. Es gab viele, viele Initiativen jetzt schon überall, es sind Filme entstanden, und es sind Aufarbeitungen entstanden. Es ist ein großes Thema geworden, und es wird darüber diskutiert. Ich war jetzt in der Jury für Kompositionsstipendien beim Bund beispielsweise und jetzt werden Programme, wo keine einzige Komponistin vorkommt, abgelehnt. Es muss in die Strukturen rein. Ganz klar. Wir haben keine Ahnung, ob es so bleibt, weil es dann doch immer wieder auf die Personen drauf ankommt. Aber jetzt ist es mal so. Und wenn man sich heuer Wien Modern anschaut, das ist fantastisch!
Ja, Menschen vor Ort, die so etwas anstoßen, sind ganz wichtig. Aber lass uns weiter über deine Musik reden. Von der Stimme ging es dann hin zur elektronischen Musik.
Elisabeth Schimana: Also, Stimme und Elektronik war mal ganz lange Zeit mein Thema. Ich habe mich immer mit Elektronik beschäftigt. Dann kam das Theremin als Controller. Das heißt, über das Theremin habe ich Parameter angesteuert. Und mit der Theremin-Technologie auch Installationen gemacht und so weiter. Also die Theremin-Technologie hat mich sehr lang begleitet. Ich habe mich mit dem Instrument beschäftigt und ein Theremin-Orchester gegründet, und zwar zu einer Zeit, wo bei uns zumindest das Theremin noch gar nicht so populär war. Jetzt in der Zwischenzeit ist es ja eh schon wieder bekannt.
In den 90er-Jahren, eben beeinflusst durch Moskau, habe ich das Theremin-Orchester gegründet. Also natürlich Russische und Österreichische Musiker:innen dabei, aber auch aus Italien, Spanien… verschiedene Leute, die sich irgendwie mit verschiedenen Arten von Theremin-Technologie beschäftigt haben. Mit dem Theremin-Orchester haben relativ viel gespielt. Und vom Theremin ging es zu den Klangmaschinen. In der Zeit, wo ich in Moskau war, war mir klar, ich werde jetzt aufhören mit der Stimme zu arbeiten und werde mich einfach ganz auf die Elektronik konzentrieren. Und das habe ich als totale Reduktion begonnen, alles selber zu programmieren, und ich mache nur mehr das, was ich selber programmieren kann. Sonst nichts mehr. Das hat sich jetzt auch wieder etwas geändert, aber viele Jahre war das total wichtig für mich. Und dadurch entstanden eigentlich auch sehr schöne Arbeiten, nämlich der „Sternenstaub“, der ist sehr viel gespielt worden und auch auf vielen verschiedenen Compilation-CDs erschienen, also es ist fast wie ein Standardwerk geworden.
„Und vom Theremin ging es zu den Klangmaschinen. In der Zeit, wo ich in Moskau war, war mir klar, ich werde jetzt aufhören mit der Stimme zu arbeiten und werde mich einfach ganz auf die Elektronik konzentrieren.“
Und warum wolltest du nicht mehr mit Stimme arbeiten?
Elisabeth Schimana: Man muss üben. Und man kann nicht alles machen, finde ich. Ich bin ja von der Stimme sozusagen gekommen, als quasi experimentelle Sängerin. Und da ging es natürlich jetzt einmal darum, was kann ich mit Stimme und Elektronik machen? Das war ja viele, viele Jahre mein Thema, Stimme und Elektronik, bis ca. 2005 eigentlich. Aber alle meine ersten Arbeiten waren mit Stimme und Elektronik, das war schon der Ausgangspunkt. Und dann ergeben sich natürlich ganz andere Dinge, wenn man in so einen experimentellen Studiengang wie ELAK geht. Weil man hört Sachen, von denen man noch nie vorher etwas gehört hat. Und was es da alles schon gegeben hat in Theorie und Praxis. Es hat so um die 2000er schon angefangen, dass es immer mehr ins rein elektronische Programmieren hinein gegangen ist. Und ich habe mir dann gedacht, wo ist mein Weg? Und mein Weg war eigentlich von der Performerin immer mehr Richtung Komponistin zu gehen. Jedenfalls in der Zeit ’87 bis ’89, wie ich die ELAK gemacht habe, da war einer unserer Professoren Wilhelm Zobel. Und damals war das für mich noch überhaupt ganz weit weg, Komponistin und so. Und er hat gesagt: du bist Komponistin, gewöhn dich dran, dass du Komponistin bist. Das war total fein, weil er mich so richtig gepusht hat, weil ich als Sängerin von der Performance und Bühnenpräsenz komme. Und das ist halt immer mehr in den Hintergrund getreten.
Dich hat ja schon immer Raum und Räumlichkeit akustisch interessiert, wie hat das dann weiter deine Musik beeinflusst?
Elisabeth Schimana: Ich habe dann begonnen, sehr viel mit dem Wiener Akusmonium von Thomas Gorbach zu arbeiten. Der Sternenstaub war das erste Stück das auch am Akusmonium aufgeführt wurde, und dann habe ich „Into the Sun“ gemacht. Das ist auch relativ oft gespielt worden. Das ist wirklich Solo, Live-Elektronik. Und wovon ich mich komplett verabschiedet habe, ist die Bühne. Ich wollte keine Bühne mehr. Das heißt, ich sitze dann im Publikum, was dann oft komisch ist bei so größeren Festivals, weil alle sitzen immer oben auf der Bühne, nur ich sitze dann mitten im Publikum. Und höre den Raum.
Aber du produzierst Teile vor, und mischst sie dann live?
Elisabeth Schimana: Ich generiere das sozusagen live. Ich sitze meistens irgendwo mittendrin im Publikum, und das sind so tolle Situationen, weil die Bühne leer ist. Beim Akusmonium, gibt es ja eigentlich gar keine Bühne, von der Situation her. Und natürlich sind viele Sachen programmiert, aber ich habe mich ganz aufs Generative konzentriert, also ich arbeite sehr mit elektronischen Basics wie eben Sinus, Sägezähne, Filter, Granularsynthese, physikalische Modelle, kaum Samples.
Wie kann man sich das vorstellen, welches Equipment hast du dann dabei?
Elisabeth Schimana: Einen Computer. Und manchmal die analoge Sherman-Filterbank, die habe ich immer noch, die ist ziemlich super. Das ist das eine, was ich in den letzten zehn Jahren gemacht habe, diese totale Reduktion. Und das Zweite, was ich begonnen habe, war mit Ensembles zu arbeiten, weil ich einen Auftrag vom RSO [ORF-Radiosymphonieorchester] bekommen habe. Damals hat eben der Christian Scheib das RSO geleitet, und er hat mir einen Kompositionsauftrag gegeben. Und ich habe mir gedacht, was mache ich jetzt? Denn Notenschreiben tue ich nicht, also muss ich eine Methode finden, weil eine Partitur ist ein Kommunikationsmedium. Da habe ich mir dann überlegt, wie ich mit Musiker:innen kommunizieren kann, und habe beschlossen, ich bleibe bei dem, was ich kann, beim Sound. Daraus ging die Methode hervor, aus der die Virus-Serie entstanden ist. Und ich generiere die Partitur live elektronisch, und die Musiker:innen sitzen jede vor einem Lautsprecher und müssen das spielen, was sie hören, in dem Moment.
Das mache ich jetzt seit 2011. Die Serie hat sich extremst entwickelt… begonnen habe ich mit dem New Music Ensemble Ricochet in Kiew, noch vor dem RSO, weil ich dachte, okay, ich muss erstmal eine Idee von Instrumentengruppen kriegen, mich einarbeiten. Einmal nur mit Streichern, dann muss ich einmal nur mit Holzbläsern, dann nur mit Schlagwerk arbeiten, um das zu verstehen, wie das alles funktioniert. Erst einmal habe ich mit bestimmten Instrumentengruppen gearbeitet, bis zum RSO 2013. Und inzwischen sind es ganz viele verschiedene Ensembles mit denen ich arbeite, von Neuseeland bis Mexiko, das Klangforum, RSO, Black Page Orchestra, Schallfeld, airborne extended oder Solos für bestimmte Leute.
„Die Elektronik ist der Host, und die Viren docken an den Host an, und beginnen in den Host einzudringen“
Warum heißt die Serie Virus?
Elisabeth Schimana: Die Elektronik ist der Host, und die Viren docken an den Host an, und beginnen in den Host einzudringen. Und das ist eigentlich das, was die Instrumente machen müssen. Sie müssen versuchen, so präzise wie möglich, das zu imitieren, was sie hören, das ist die Idee. Das ist aber nicht möglich. Sowohl vom Klang her, weil die Instrumente klingen wie sie sind, sie bringen ihre Klangfarbe ein. Wenn ich jetzt einen Sinus spiele oder einen gefilterten Sägezahn, dann bringen die Instrumente die Farbe. Und die Strukturen sind so, dass es immer Rhythmen sind, die sich ganz langsam verändern. Das heißt, es klingt zwar irgendwie so wie ein Loop, es ist aber nie ein Loop. Weil es sich immer wieder verändert. Und da kann man sehr interessante Phänomene beobachten, wie wir funktionieren.
Das eine ist, dass wenn etwas so wie ein Loop klingt, dann ist man schnell dabei, gleich mal einen Loop zu spielen. Und ich sage ihnen deshalb – wenn ihr beginnt, ein Loop zu spielen, dann wisst ihr, es ist falsch. So ticken wir, wir versuchen zu vereinfachen, ein vereinfachtes Pattern zusammenzubringen. Und die zweite Sache ist im Frequenzbereich, ich arbeite sehr viel mit Grenzfrequenzen von den Instrumenten, die tiefsten und die höchsten. Und dann gibt es so ein psychoakustisches Phänomen. Deswegen können wir ja überhaupt so etwas hören wie zum Beispiel eine Bassline und eine Melodie, weil wir die Frequenzen quasi aufteilen. Jetzt mache ich aber Patterns, wo es zum Beispiel einen ganz tiefen Ton gibt und dann einen ganz hohen. Und dann ist es so, dass viele entweder beim Tiefen oder beim Hohen bleiben. Und dann gibt es Musiker:innen, die so irre sind, dass sie beginnen, daraus wiederum ein Pattern zu machen. Also die über das, was wir als Auditory Stream Segregation bezeichnen, sogar hinausgehen. Die Instrumentalist:innen kriegen Aufgabenstellungen, die sie nicht wirklich erfüllen können. Aber sie versuchen, dort in die Nähe zu kommen, das heißt, in jeder Millisekunde sind sie gefordert, ganz im Jetzt zu sein. Und das ist sehr spannend, das ist quasi eine andere Art der Forschungsreise, die ich da begonnen habe. Wobei ich immer mehr versuche zu verstehen, wie wir eigentlich hören.
Du meinst, weil man nicht etwas schon Bekanntes auswendig spielt?
Elisabeth Schimana: Sie wissen die Struktur und die Tonhöhen, aber in der Feinstruktur ist es immer anders. Jede Frequenz hat einen anderen Puls. Und ich höre und entscheide dann im Moment, welchen Oszillator ich jetzt reingebe. Und das habe ich auch 2024 in Berlin gemacht, bei Heroins of Sound mit dem Black Page Orchestra. Die Musiker:innen sind dann im Raum verteilt, und ich muss erst einmal herausfinden, wie weit sie voneinander entfernt sein müssen, damit sie überhaupt ihre eigene Stimme wirklich gut wahrnehmen können. Und das macht richtig Freude. Das Publikum hört quasi die Partitur und die Interpretation gleichzeitig, denn die Instrumentalist:innen haben keine Kopfhörer, über die Lautsprecher kommt die Partitur, und auch die Instrumente sind nicht verstärkt. Und da entstehen dann noch einmal ganz andere interessante Phänomene.
Zum Beispiel ist der tiefste Ton von einem Kontrabass um die 30 Hz, das hörst du nie. Wenn ich aber jetzt die 30 Hz mit einem gefilterten Sägezahn spiele, dann kommen noch einmal diese Sub-Bässe, so richtig raus. Wenn du nur den Kontrabass hast, nimmst du die so nicht wahr. Und da geht es dann auch viel um andere Formen von Partituren. Weswegen ich dann eben in den letzten Jahren zweimal auf einer TENOR Konferenz (International Conference on Technologies for Music Notation and Representation) war, da geht es eben um Technologie und Partituren und neue Ansätze.
Also eine Art Klangpartitur. Sind das dann fließende Übergänge? Und weil du von Klangfarbe gesprochen hast, wie kommunizierst du das zum Beispiel mit klassischen Musiker:innen?
Elisabeth Schimana: Ja, du arbeitest mit Klang als Partitur. Du gibst den Musiker:innen Klänge, die sie interpretieren müssen. Viele machen dann Mischformen, sie haben auch etwas aufgeschrieben. Aber es ist gar nicht so im Bewusstsein, dass das ja eigentlich eine Audiopartitur ist. Und nein, keine Übergänge, das sind ganz einfach Oszillatoren, die eine bestimmte Frequenz und ein bestimmtes Metrum haben [rhythmische Einheit], in dem sie abgespielt werden, und die eine bestimmte Klangfarbe haben, und da bleibe ich.
Die Farbe machen natürlich die Instrumente. Sie versuchen, dem nahe zu kommen, aber natürlich, und das ist ja das Schöne, hat jedes Instrument eine andere Klangfarbe, einfach so, weil es ein bestimmtes Instrument ist. Und dann kommt die Farbe. Das heißt, die Musiker:innen bringen die Farbe, die Instrumente bringen die Farbe. Ein hoher Flötenton, der geht schon sehr Richtung Sinus, aber ansonsten kann ein Cello oder so kaum einen Sinus spielen. Und das ist interessant. Es gibt die Aufgabe, so präzise als möglich die elektronisch generierte Klangpartitur zu imitieren, mit dem Bewusstsein, dass es nicht möglich ist.
Ist es immer etwas anderes, was du spielst, machst du für jedes Ensemble, mit dem du zusammenarbeitest, etwas Neues?
Elisabeth Schimana: Nein, es gibt die Stücke, die von unterschiedlichen Ensembles gespielt werden können, aber es gibt auch immer wieder ein neues Stück. Und es gibt Viren, die immer wieder aufgeführt werden. Und der meist aufgeführte Virus ist der Schlagwerkvirus. Den habe ich schon mit vielen verschiedenen Musiker:innen gemacht, ich habe dafür beispielsweise in Australien mit einem Percussion-Ensemble gearbeitet.
Kennen sie deine Partitur vorher?
Elisabeth Schimana: Also es gibt jetzt keine großen Geheimnisse, also die wissen zum Beispiel die Tonhöhen, die kommen. Dann gibt es Solo-Stücke, da sind es viele verschiedene, zum Beispiel für das Klaviersolo oder für das Geigen-Solo. Je nachdem, wie die Struktur ist. Dann gibt es sozusagen bestimmte große Strukturabschnitte, das wissen sie auch. Ich arbeite ja mit jeder Musiker:in einzeln, um Klänge zu suchen, weil ich genau weiß, die können sie nicht spielen, aber sie können dorthin kommen, wo sie dann schauen müssen, wie können sie das realisieren auf ihrem Instrument, was total spannend ist. Und dann geht es aber darum, im Konzert wirklich im Millisekunden Bereich zu sein. Und das ist das, was diese unglaubliche Energie und Aufmerksamkeit erzeugt.
„Ich arbeite sehr stark mit der Unschärfe, mit dem Parameter Unschärfe. Und gleichzeitig verlange ich aber totale Präzision.“
Und gibt es vorher Proben?
Elisabeth Schimana: Nein, viel Proben kann man nicht, weil in der Mikrostruktur wissen sie nicht genau, was ich spiele, das wissen sie nur im Groben. Und das kam wiederum bei mir von so einer Überlegung, also es gibt zum Beispiel Orchesterkonzerte, wo man sieht, wie gelangweilt die Musiker:innen sind, weil sie das eh schon tausendmal gespielt haben. Es gibt natürlich auch Orchesterkonzerte, die ganz anders sind und wo man spürt, wie großartig und wie aufmerksam alle sind… Wie ein modernes Friedrich Cerha Stück aus den 60er oder 70er Jahren, das ich einmal mit RSO und Klangforum gehört habe. Mit einer Riesenbesetzung, und das war nicht eine Millisekunde langweilig, so eine Energie war da. Und dann gibt es natürlich diese Konzerte, die ich in meiner Kindheit auch besuchen musste, mit der Schule, wo die sich gelangweilt haben und ich mich auch gelangweilt habe. Und da habe ich gedacht, okay, das möchte ich nicht. Ich verlange von den Musiker:innen in jeder Millisekunde totale Aufmerksamkeit. Und so geht das ganz automatisch.
Und schreibst du gar nichts auf, weil du es ja Partitur nennst?
Elisabeth Schimana: Gar nicht. Ich schreibe, indem ich mache, was es ja viel in der elektronischen Musik gibt, also ich programmiere es sozusagen in Max-MSP, und mache mir natürlich ein Konzept, und dann fange ich das an zu programmieren, ich arbeite ja ganz viel mit unterschiedlichen Metren. Ich denke von der Programmiersprache her in Frequenz und Millisekunden. Die Musiker:innen denken normalerweise in Tonhöhen wie C, G oder Gis oder so. Ich benenne es dann eh so, aber ich kann mich ganz leicht an ein Instrument anpassen, und dann können wir das tunen.
Und gibst du auch eine Länge vor, die der Ton denn haben soll?
Elisabeth Schimana: Ja, natürlich, mit den Hüllkurven. Es können dann ganz lange Klänge sein, oder ganz kurze, so wie Pizzicato. Ich weiß, dass das nicht geht. Und die wissen auch, dass das so nicht geht. Und dadurch entsteht Reibung. Oder dadurch entstehen interessante Unschärfen. Ich arbeite sehr stark mit der Unschärfe, mit dem Parameter Unschärfe. Und gleichzeitig verlange ich aber totale Präzision. Und das widerspricht sich, aber das sind genau die zwei Parameter, die das Ganze dann so lebendig oder spannend machen.
Und wie suchst du dir die Instrumentalist:innen aus? Ich vermute du suchst dir die Ensembles aus?
Elisabeth Schimana: Nein, meist kommen sie und wollen von mir eine neue Komposition. Genau. Und das Klangforum, damals, der Sven Hartberger hat den Virus gehört, den großen Orchester-Virus im Dom im Berg, und hat gesagt, ich will mit dir arbeiten. Und so habe ich einen Virus für das Klangforum gemacht. Black Page kam zu mir und hat gesagt, Elisabeth, wir wollen von dir ein Stück.
Also die Reihe ist ongoing? Mit diesen Viren wirst du dich noch eine Weile weiter beschäftigen?
Elisabeth Schimana: Das ist ongoing, und der letzte große Virus war im Rahmen vom Tangente-Festival im Oktober 2024. Und das war für mich nochmal eine große Herausforderung, für den Dom in St. Pölten zu komponieren, mit dem Black Page Orchestra, das ist echt mein absolutes Lieblings-Ensemble. Und der Andrii Pavlov aus Kiew, der war bei meinem ersten Virus mit dabei, und dann hat er mich gebeten, einen Solo-Virus für ihn zu machen, und das habe ich für ihn gemacht. Das ist sehr interessant, weil der eigentlich gar nicht so viel zeitgenössische Musik spielt, er ist ein klassischer Musiker, aber das taugt ihm. Das mag er. Und Ludwig Lusser, der Domorganist von St. Pölten ist auch ganz toll. Das war eine große Herausforderung, mich mit der Orgel zu beschäftigen. Schlussendlich ist es eine bestimmte Methode mit der ich noch weiterarbeiten werde, denn ich habe dafür auch ein PEEK-Projekt bekommen, das wird bald beginnen…
Magst du noch mal sagen, was PEEK genau ist, eine Förderschiene?
Elisabeth Schimana: Das ist ein Fonds für Artistic Research in Österreich, bei dem man Anträge einreichen kann. Ich habe nun ein Projekt zu Sound as Score bzw. Klang als Partitur bewilligt bekommen. Es geht dabei um Klangpartituren, ein Thema, zu dem es bisher kaum Forschung gibt. Dazu wurde bisher wenig geschrieben. Es gibt zwar weltweit viele verschiedene Ansätze, und immer mehr Komponistinnen und Komponisten arbeiten damit. Es ist im Prinzip, der gute alte Click-Track, den die Musiker:innen im Ohr haben, ist ja EIGENTLICH auch eine Audiopartitur. Wir haben ganz unterschiedliche Audiopartituren und Herangehensweisen. Die meisten arbeiten mit Kopfhörern. Und ich arbeite gar nicht mit Kopfhörern, zum Beispiel. Also wir arbeiten dann gemeinsam mit dem Institut für Schallforschung, weil ich mir immer gedacht habe, ich würde gern wissen, was die Psychoakustik dazu in der Analyse sagt, weil es ja ganz viel darum geht, wie wir hören. Vor allen Dingen geht es ganz viel um Pattern Recognition [Mustererkennung].
Wenn man zum Beispiel einen Puls hat, einen zweiten Puls in einer anderen Tonhöhe, der ein bisschen ein anderes Metrum hat, dann entsteht schon ein Pattern, das sich immer etwas verschiebt. Wenn ich jetzt noch einen dritten dazu habe, wird das Pattern schon sehr komplex, weil es sich eigentlich ständig minimal verschiebt. Und wir neigen prinzipiell dazu, wenn etwas zu kompliziert wird, dann machen wir Vereinfachungen. Und was ich aber will ist, dass die Musiker:innen diesen Vereinfachungen nicht nachgehen. Es ist total interessant, wie wir wahrnehmen. Und das sind Dinge, die ich erforschen will.
Ist das eine praktische Forschung oder eher eine theoretische Forschung?
Elisabeth Schimana: Das ist eine empirische Forschung. Ein Teil davon ist auf Basis der Psychoakustik die Analyse zu machen, was passiert bei diesem Vorgang? Also zu schauen, wie reagieren die Musiker:innen und was machen sie daraus? Was spielen sie? Wie reagieren sie? Das ist die eine Sache. Die andere Sache ist, dass es eine Zusammenarbeit mit der Uni in Graz gibt, mit dem Institut für Musikwissenschaft. Da geht es um die ästhetische Frage. Und als Basis die Mimesis. Weil es geht ja um Nachahmung eigentlich. Wie tauglich ist das Konzept der Mimesis für Audiopartituren? Wie kann man es überhaupt analytisch, ästhetisch bewerten? Kommt dabei eine andere Ästhetik raus? Solche Fragen.
„Es geht immer darum, etwas zu interpretieren. Immer. Und egal in welcher Musik.“
Aber ist klassische Musik nicht immer Mimesis, denn da geht es ja ganz viel um Nachspielen. Nachspielen von Partituren, die meist tote Leute geschrieben haben, interpretiert von Orchestern, Dirigenten usw. In der Popmusik zum Beispiel im Hip-Hop, da ist das Biten, ist das Klauen. Das gilt es zu vermeiden, denn es soll etwas Neues erschaffen werden. Der eigene Stil zählt, die Innovation. Und in der experimentellen Musik, geht es doch sowieso von Haus aus nicht darum, etwas nachzuspielen, sondern zu experimentieren.
Elisabeth Schimana: Es geht immer darum, etwas zu interpretieren. Immer. Und egal in welcher Musik. Immer. Ich behaupte es jetzt einmal. Und das ist z.B. so ein Punkt, denn in der akademischen elektronischen Musik war die Interpretation lange Zeit nicht vorhanden, weil es gab die Tonbandstücke, und die Komponistinnen und Komponisten waren die einzigen, die diese Stücke auf Bändern hatten, und im Konzert an den Reglern waren und ihr eigenes Stück interpretierten sozusagen. Jetzt sind wir aber an einem Punkt, wo sie sterben oder schon gestorben sind. Und jetzt gibt es eine neue Generation, die beginnt, diese Tonbandstücke neu zu interpretieren. Das ist doch spannend. Das heißt, wir kommen um die Interpretation nie und nimmer herum. Und es gibt in der Popmusik, im Jazz, egal wo, Songs, die immer neu interpretiert werden. Und das ist etwas, was die Musik hat, was ich wahnsinnig schön finde, weil durch die Interpretation eigentlich immer etwas Neues entsteht. Weil was machen die ganzen Scheißer, wenn sie samplen? Sie nehmen immer Teile von jemand anderem und interpretieren es neu.
Ja das stimmt, ich liebe das Sampling als Kulturtechnik. Aber es ist ein Unterschied, ob ich wenige Sekunden nehme und etwas damit mache oder ein ganzes Stück. Im Sampling sprechen wir eigentlich von Referenzen, nicht von Interpretationen.
Elisabeth Schimana: Aber trotzdem wäre meine Argumentation, dass es immer eine Interpretation ist. Und das ist das, was das Ganze überhaupt lebendig hält. Wir haben nichts wie in der bildenden Kunst – du machst ein Kunstobjekt. Da war natürlich die Tonbandmusik ganz nah. In der Musik sind es halt Soundskulpturen. Und das war ja auch die Idee am Anfang in der Musique Concréte. Jetzt sind wir endlich die depperten Musiker:innen los, die nie das machen, was wir wollen. Jetzt tun wir es aufs Band und dann ist es fixiert und dann ist es genau so, wie wir es haben wollen. Das waren die 60er-Jahre, und jetzt sind wir zwei, drei Generationen weiter. Und jetzt kommen die Jungen und sagen, jetzt nehmen wir das, was ihr am Bandel habt, und interpretieren das neu.
Es sind ganz klassisch Zweikanal-Tonband-Stücke. Und jetzt verteilen wir es aber im Raum. Ich habe einmal einen Klassiker von Edgard Varèse gehört, interpretiert in einem akusmatischen Konzert, wo ich mir dachte, schrecklich, das ganze Stück hat es komplett zerfetzt. Da ist nichts mehr da, weil das alles komplett zerrissen wurde, aber das ist auch eine Art der Interpretation.
Du sprichst jetzt aber vor allem von der akademischen Herangehensweise. Im Pop ist das ein bissi anders. Ich finde das prinzipiell sehr gut, beim DJing gibt es ja auch die Remix-Kultur… aber ich bin immer enttäuscht, wenn der Remix sehr ähnlich klingt wie das Original. Dann denke ich mir, das brauche ich jetzt nicht, da habe ich ja schon das Original, zumal wenn ich es auf Platte mitschleppen muss. Aber das ist natürlich Geschmackssache.
Ja, es gibt natürlich in der Interpretationsforschung Original-Treue, was wir jetzt haben in der alten Musik und so weiter. Egal, das ist ein Riesenfeld. Beim Virus interpretieren die Musiker:innen elektronische Musik, etwas, das einfach super ist und mir gefehlt hat in der elektronischen Musik. Jetzt bei meiner Virus-Serie ist es eine ganz klare Geschichte. Da sind wir in diesem Konzept der Nachahmung, der Mimesis. Speziell im Fall von Audiopartituren ist das ein interessanter Ansatz. Das Virus-Projekt, die Virus-Serie wird im PEEK Projekt psychoakustisch analysiert. Und ein anderer Part des Forschungsprojektes ist, wer rund um den Globus mit Audiopartituren arbeitet. In England, gibt es beispielsweise Leute, die sich mit Audiopartituren ganz stark beschäftigen.
„Ich habe mich damals bei ‚Obduktion‘ sehr mit Sterben und mit Tod beschäftigt. Ich bin dafür in eine Pathologie gegangen und habe die Klänge während einer Obduktion aufgenommen.“
In deinem Studio, das gerade von Wien nach St. Aegyd am Neuwalde umgezogen ist, sieht man eigentlich keine Instrumente, man sieht einen Computer. Und zwei Studio-Lautsprecher. Ist alles was du brauchst, außer der Software Max-MSP?
Elisabeth Schimana: Genau. Also meine hauptsächliche Arbeit ist, dass ich sowieso mal nachdenke, was überhaupt, und dann fange ich halt an zu programmieren. Und ich arbeite ganz viel mit acht Kanälen oder mehr, aber das kann ich in der Imagination machen. Ich brauche dafür nicht acht Lautsprecher, das ist nicht notwendig. Das geht durch die jahrelange Erfahrung mit solchen Situationen.
Du hast vorher noch die „Obduktion“ angesprochen, das ist auch eine ganz frühe Arbeit von 1996. Die habe ich jetzt nochmal für das Fest für Werner Korn [Echoraum] gemacht. Wir haben ja alle etwas eingebracht für dieses Fest. Und ich habe mir gedacht, gut, dann mache ich diese Textprojektionen, die Teil davon waren. „Obduktion“ beinhaltet eben so Texte, wo ich mir dachte, dass die dem Werner gefallen hätten, eben so als Entrée, weil er verstorben ist. Ich habe mich damals bei der „Obduktion“ sehr mit Sterben und mit Tod beschäftigt. Ich bin dafür in eine Pathologie gegangen und habe die Klänge während einer Obduktion aufgenommen. Ich habe mir einfach gedacht, für Werner Korn lasse ich nur diese Textpassagen spielen, und wenn man Lust hat, kann man es anhören. Aber auch „Obduktion“ ist vielerorts gespielt worden.
Und was beschäftigt dich sonst gerade musikalisch, medienarchäologisch räumlich?
Elisabeth Schimana: In erster Linie beschäftigt mich die Virusgeschichte und vor allen Dingen die Art der Partitur, auch immer mehr dazu herauszufinden, wie Musiker:innen reagieren, wie hören Musiker:innen, wie funktioniert das? Das ist etwas, was mich wirklich sehr beschäftigt. Das ist immer ein Thema gewesen. Und auch bei Virus kommt das irgendwie auf eine interessante Art und Weise zum Vorschein.
In der experimentellen Musik gibt es schon eine besondere Art des Hörens. Inwiefern ist dieses Hören für dich relevant?
Elisabeth Schimana: Das ist natürlich immer wichtig. Sowieso. Im Virus sind viele Themen, mit denen ich mich lange beschäftigt habe. Zum Beispiel, wie funktioniert die Verbindung von akustischen Instrumenten mit der Elektronik? Weil das sehr oft sehr problematisch ist. Wie funktioniert es überhaupt, umzugehen mit einem Ensemble ohne Dirigenten? Auch mein Hintergrund, hat viel mit der Beschäftigung mit den Kommunikationsmedien zu tun. Wir haben in den 1990er-Jahren schon die ersten Online-Konzerte gemacht. Manchmal merkt man es ja selbst erst, wenn man dann so zurückschaut und denkt: ah, das ist ein Thema, das begleitet dich jetzt schon sehr, sehr lang. Es kommt immer wieder auf eine andere Art.
Und in der interdisziplinären Ausstellung “DigiDic” [Stadtmuseum St. Pölten 2022 und Volkskundemuseum Graz 2024] ging es auch in erster Linie um Kommunikationsmedien. Halt auf eine ganz andere Art und Weise. Wie benutzen wir sie? Was steckt dahinter? Was gibt es für Alternativen? Warum müssen wir unbedingt die ganze Scheiße von den Big-Players verwenden? Wie kommen wir da wieder raus?
Da hat sich aber noch kaum etwas geändert.
Elisabeth Schimana: Das dauert auch immer sehr lange. [Denkpause]
Wie kam das, warum die Entscheidung, dass du nicht mehr auf eine Bühne willst?
Elisabeth Schimana: Ich finde das ist so ein komisches Verhältnis. Ich meine, es kommt immer drauf an, was man macht natürlich. Aber diese Idee, auf einer Bühne zu sein, und dann sitze ich vor meinem Computer und dann spiele ich Samples ab – was bei vielen Elektronikern letztendlich so ist. Das hängt mir beim Hals heraus. Und dann haben sie nicht einmal im Griff, wie der Raum klingt. Damit ich den Raum überhaupt wahrnehmen kann und genau sein kann, muss ich im Raum sitzen, weil ich das auf der Bühne nicht höre, das ist unmöglich, das geht nicht. Und andererseits habe ich es dann immer super spannend gefunden, wenn ich ganz nah dran bin an den Menschen, das mag ich irgendwie. Die Menschen sind wirklich ganz nah, und trotzdem… Wir haben auch schon kurz darüber gesprochen, wenn ich spiele, bin ich im Tunnel. Trotzdem gibt es die Nähe und die Distanz gleichzeitig. Alle, bis auf ein paar wirkliche Volltrotteln, verstehen, dass wenn du performst, dass es eine Distanz gibt zwischen dir und den anderen. Die muss es geben, aber das ist vor allem eine mentale Distanz. Dafür ist es unglaublich leicht, nachher zu mir zu kommen und zu sagen: was machst denn du da eigentlich, wie geht das?
Jetzt habe ich hier noch das Thema Radiokunst. Hast du damit noch Berührungspunkte? Da gibt es ja keine Bühne…
Elisabeth Schimana: Ja, du schickst es in den Äther, und da hast du sowieso keine Ahnung, wer dein Publikum ist. Ich habe eine Sendung gemacht, im Oktober 2024 ist die gesendet worden, die heißt “54“ – und das ist meine lange, lange Geschichte mit dem Kunstradio. “54”, weil das die Dauer einer Kunstradiosendung ist. Die Sendung war ohne Ansage, ohne Absage, ohne einen einzigen Text, ich habe das eben so genannt, als eine Hommage an die fließende Zeit. Eben gegen diese komische Herumstrukturiererei, immer muss jemand irgendwas brabbeln… Es gibt auch Kunstradiosendungen, die kürzer waren, aber es war eben möglich, 54 Minuten ein Ding zu machen. Ich bin sozusagen im Kunstradio sozialisiert, nicht in der zeitgenössischen Musik, und habe meine erste Kunstradiosendung 1989 oder 1990 gemacht. Und diese vielen spannenden Diskussionen, wo sich die zeitgenössische Musik noch nicht einmal irgendwie damit beschäftigt hat, also beispielsweise: Was ist die Musik? Was ist das Internet? Was ist Telekommunikation? Und so weiter. Das hat eben das Kunstradio gemacht. Das Medium Radio ist einfach ein wahnsinnig tolles Medium. Vor allen Dingen habe ich viele Live-Sachen gemacht. Also ins Studio gehen, Material mitnehmen und spielen, 54 Minuten. Die Sendung heuer ähnlich wie ein Reisetagebuch gewesen.
Was meinst du mit Material in diesem Fall? Fieldrecordings?
Elisabeth Schimana: Ja, ich habe viele akustische Aufnahmen von Reisen. Es gibt Aufnahmen aus Moskau, es gibt Odessa, es gibt Mexiko, es gibt Recordings aus Neuseeland… Und so etwas kann man nur im Radio machen. Ich finde das in einem Konzert völlig uninteressant. Würde ich nie machen. Würde ich nicht spielen. Aber im Radio ist das super. So, auf diese Art und Weise, eine Geschichte zu erzählen, mit den Klängen von bestimmten Orten, oder einem bestimmten Land. Genau. Also das mache ich gerne mit Radio. Und sowieso Übertragungsgeschichten und Konzerte.
„Ich bin sozusagen im Kunstradio sozialisiert, nicht in der zeitgenössischen Musik, und habe meine erste Kunstradiosendung 1989 oder 1990 gemacht.“
Wie kamst du denn damals zum Kunstradio?
Elisabeth Schimana: Über die Elisabeth Arzberger, die damals im Kunstradio gearbeitet hat, aber auch viele andere Sendungen für Ö1 produziert hat, glaube ich. Andrea Sodomka hat vor mir die ELAK gemacht, Andrea war echt super unterstützend, auch der Martin Breindl, also Alien Production. Unterstützung heißt, ich interessiere mich für dich. Ich gehe ins Konzert, wenn du irgendwo was machst. Ich schenke dir meine Aufmerksamkeit. Das ist, finde ich, die größte Unterstützung, die man überhaupt bekommen kann. Und die waren damals schon irgendwie involviert mit dem Kunstradio, und dann war da noch die Elisabeth Arzberger, und so bin ich in das Kunstradio reingewachsen. Und habe dann einfach viele, viele Projekte gemacht mit dem Kunstradio.
Eines der größten Projekte war 1996 eben „Die Fuge“, im Gegensatz zu „Fugen“ 2021. All diese Ideen beruhen auf vielen Jahren Beschäftigung mit solchen Themen. Das hat miteinander zu tun, weil es um Online-Kommunikation geht, Netzwerke und so weiter. Und 1996 habe ich eine Partitur fürs Internet gemacht, und habe remote vier Dirigenten gehabt: einer war in Helsinki, einer war in Japan, einer war in Wien, und wir waren auf einem Schiff in der March. Damals noch nicht EU, sondern Slowakei, und haben dort gespielt, und das wurde dann ins Radio übertragen. Das war ein Wahnsinnsprojekt zu der Zeit, weil die Leitungen einfach so scheißlangsam waren, das war echt der Wahnsinn, das Ganze synchronisieren [lacht]. Das war wirklich eine Online-On-Site-On-Air Übertragung, das heißt, wir waren on-site auf einem Schiff, übertragen auf die Promenade in Devín, dort in Bratislava, ins Radio, von außen quasi die Befehle dann zu uns. Und solche Projekte konnte man damals nur mit dem Kunstradio machen. Heute ist das ja alles kein Thema mehr, aber damals war etwas komplett Neues. Radio ist ein tolles Medium. Absolut.
Du hast 2022 den Musikpreis der Stadt Wien bekommen. Wofür hast du den bekommen? Gab es eine Art Laudatio oder einen Brief, wo es eine lobende Begründung gab, wofür du diesen Preis bekommst?
Elisabeth Schimana: Die Milena Meller hat eine tolle Bio für mich geschrieben, die ich auf meiner Webseite habe, und eigentlich war die Begründung aus Zitaten daraus… ich glaube schon, dass es Zitate daraus sind [lacht]. Vielleicht, weil es mich schon so lange gibt, ich habe keine Ahnung. [lacht]
„All diese Ideen beruhen auf vielen Jahren Beschäftigung mit solchen Themen.“
Also auf Grund deiner Resilienz?
Elisabeth Schimana: Ja, genau. Aber ich habe auch schon 2018 den Staatspreis für Musik gekriegt. Und so verschiedene Preise. Und ich bin eigentlich eh sehr überrascht, weil, wenn du dir die Geschichte der Preise anschaust, waren das meist nur Männer. Und da hat sich wohl auch was verändert. Jetzt muss ich erstmal Texte schreiben, was ich überhaupt nicht mag. Aber freut mich eh.
Warum musst du Texte schreiben?
Elisabeth Schimana: Es gibt jetzt es eine neue Plattform, da wird nächstes Jahr einiges rauskommen, da werde ich immer wieder etwas schreiben.
Und was sind deine weiteren Pläne?
Elisabeth Schimana: Ich freue mich darauf 2025 wieder nach Indonesien zu gehen. Ich mache dort eine neue Arbeit für die Höhle von Tabuhan. Das ist für mich das Schönste, wenn ich für so ganz spezielle Räume arbeiten kann.
Oh, davon hast du noch gar nicht erzählt, dass du da auch Verbindungen hast.
Magst du kurz erzählen, wie es dazu kam? Denn Indonesien wurde bisher noch gar nicht erwähnt.
Elisabeth Schimana: Ich war 2019 eingeladen in Indonesien auf die Artjog von einer indonesischen Kuratorin, die ein Stipendium hatte in Wien. Und im Ministerium haben sie mich sozusagen vorgeschlagen. Und dann ist sie zu mir gekommen, damals noch in mein Studio in der Fröbelgasse. Und wir haben uns eigentlich ziemlich schnell gut verstanden und ich war dann dort auf der Artjog mit einer Installation. Und dann habe ich bei ihr sozusagen gewohnt. Und dann war ich in Pacitan bei einem Freund von ihr, der dort Bürgermeister ist. Und dort in der Nähe gibt es eine Höhle, und die heißt Tabuhan.
Und das ist ein wahnsinnig magischer Ort, weil da gibt es Tageslicht, es gibt so einen großen offenen Eingang, und drinnen ist ein irrsinniger Raum mit Stalaktiten, und die wiederum kann man spielen, eigentlich wie Gamelan. Ja, und für den Raum wollte ich immer was machen, und das Projekt schaut jetzt mal so aus, als ob das was wird. Und das dritte große Projekt, hoffe ich, dass es zustande kommt, mache ich zusammen mit der Starsky, mit der Julia Starsky das heißt „Borderline“, wo wir gemeinsam eine Stunde entwickeln für ein Akusmonium, und mit ihren analogen PANI Projektoren für den Prospekthof im Semperdepot, wo es strukturell viel um Linien gehen wird. Und dann gibt es viele kleine Projekte, aber das sind mal die großen, und mehr als drei große Projekte kann ich pro Jahr nicht machen, mehr geht sich nicht aus.
Und hast du eine Lebensphilosophie, die auch deine Arbeit mit Sound beeinflusst oder eine Klangphilosophie?
Elisabeth Schimana: Nein, ich habe eigentlich jetzt nichts, wo ich sage, das ist meine Philosophie, und nach der arbeite ich oder lebe ich… Und mich macht das auch immer ziemlich, wie soll ich sagen… ich finde das sehr unangenehm, wenn es so klare philosophische Aussagen gibt von Künstler:innen. Mit dem kann ich irgendwie sehr wenig anfangen, weil es sich in den meisten Fällen nicht umsetzen lässt, ich finde Philosophie ganz gut, und es ist toll zum Nachdenken, und man kann sich viel davon nehmen und drüber nachdenken und in einen Diskurs gehen und so weiter. Aber es wäre mir zu bestimmend, sozusagen, weil es ist dann eh auch nur ein Schema, halt ein Denkschema. Oder ich mache nur das, weil das passt in mein Schema. Und damit würde ich mir sozusagen vieles verbieten oder von vornherein nicht erlauben.
Aber eine Philosophie kann ja auch eine Philosophie der Vielfalt oder der Offenheit sein.
Elisabeth Schimana: Ja, natürlich kann es das sein. Aber ich frage mich immer, wozu brauche ich das? Das ist ein bisschen so wie die Frage von ‚Brauche ich Gott?‘ oder ‚Brauche ich Religion?‘, warum brauche ich das? Oder warum glauben die Menschen, das so zu brauchen? Das ist etwas, was ich sowieso nicht wirklich verstehe.
Bei der Frage ging es mir weniger um Regeln oder Dogmen. Es geht eher um die Herangehensweise, weil du ja auch auf viele Erfahrungen und viele Jahrzehnte zurückblickst, wo du verschiedenste Sachen gemacht hast. Und was ich immer interessant finde, ist, was Klang anders macht als jetzt Bild oder Geruch etc.
Elisabeth Schimana: Das ist ja klar. Klang geht einfach viel direkter in den Körper als jedes andere Medium. Ich glaube, das Hören ist eine ganz tiefe Geschichte in unserer Entwicklung. Und das hat einfach ganz viel damit zu tun, dass wir die Klänge zuerst wahrnehmen. Wir sind viel schneller mit den Ohren als mit den Augen. Die Augen sind so furchtbar langsam, wenn es um Gefahr geht zum Beispiel. Du hörst zuerst das Auto, bevor du es überhaupt siehst. Und wenn sich die Leute heutzutage immer komplett abschotten mit ihren depperten Kopfhörern, mit denen sie durch die Welt gehen, dann versäumen sie von der Welt einfach wahnsinnig viel. Weil das, was unsere akustische Umgebung in Millisekunden erzählt, ist so viel, viel mehr als die Augen schaffen können. Beides zusammen ist natürlich noch besser, keine Frage.
Es geht im Grunde auch darum, wenn ich Audiopartituren mache und die Partitur live generiere, und die Musiker:innen spielen das, was sie hören in dem Moment. Dann ist das einfach Wahnsinn, wie schnell wir sind mit den Ohren. Das ist fantastisch.
„Ich glaube, das Hören ist eine ganz tiefe Geschichte in unserer Entwicklung. Und das hat einfach ganz viel damit zu tun, dass wir die Klänge zuerst wahrnehmen.“
Sehr gut. Du hast auch mit Visuals gearbeitet. Und es gibt viele Medieninstallationen von dir. Welche Rolle spielen Visuals oder Projektionen für dich oder auch andere Formen und Formate wie Installationen?
Elisabeth Schimana: Ich habe einfach viel ausprobiert und es gab eine Zeit, wo das noch gar nicht so möglich war, dass man live Visuals macht. Das ist eigentlich noch gar nicht lange her, da sind wir rund um 2000. Und das ist etwas, was mich schon sehr, sehr interessiert hat, weil damals war sozusagen das erste Programm NATO, was das konnte. Und ich war da in Moskau 2001. Ende der 90er-Jahre, da gab es auch viel politische Diskussion zu Netzkultur. Und unter dem Namen ‚Netochka Nezvanova‘, tauchte sozusagen eine der ersten Kunstfiguren im Netz auf, niemand hat gewusst, wer das eigentlich als physische Person ist. Und das war ein unglaublicher Aufruhr im Netz. Und die Gruppe Netochka Nezvanova hat eben dieses Programm NATO entwickelt. Das war ein Programm, das auf der Max-Plattform gelaufen ist. Der Nachfolger ist Jitter. Jetzt arbeiten viele Leute mit MAX-MSP/Jitter. Diese Zeit war wirklich super spannend, da Visuals live zu machen. Und Alva Noto hat mich fasziniert, weil da halt wirklich Sound und Visual einfach eins waren. Solche Sachen interessieren mich immer, aber nur ganz bestimmte Sachen. Was mich nie besonders interessiert hat, waren so halt einfach zu jedem Konzert irgendwelche Visuals. Das fand ich immer wahnsinnig langweilig.
Also einerseits gibt es ja Leute, die sich auf Visuals eben spezialisiert haben, früher waren das ja auch die VJs. Und dann gab es eben auch Leute, die das in Personalunion gemacht haben, die gleichzeitig Sound und Visuals gemacht haben. Was du ja 1996 mit „Berührungen“ dann auch begonnen hast.
Elisabeth Schimana: Aber da war noch ganz was anderes, weil da war ja in dem Sinn kein Visual, jetzt im Sinne von Video, sondern 1996, das war Rainer Jessl, ein Lichtdesigner, vom OK (Offenes Kulturhaus Linz) mit dem ich gearbeitet habe. Damals stand für mich eher die Idee der Übertragung im Vordergrund. Live spielen, quasi als Übertragung. Und das Bild, das einzige jetzt wirkliche Bild, das es gab, jetzt abgesehen von einfach einem wirklich tollen Lichtdesign, waren die Körperprojektionen auf mich. Mich haben damals Masken, also Körperprojektionen oder Animationen interessiert. Diese animierte Projektion, das war für die damalige Zeit wirklich, muss ich ehrlich sagen, ziemlich phänomenal. Also, dieses Bebildern hat mich nie interessiert, sondern Übertragung, Animation, Projektion auf bewegtem Körper, aber das habe ich dann nicht mehr weiter gemacht.
Also das Projekt, das ich mit dem Seppo Gründler gemacht habe über viele Jahre, da waren die Visuals so etwas wie die Zeitstruktur, wie die Partitur. Das sieht man eh. Die sind sozusagen automatisch dann gekommen. Dann haben wir gewusst, aha, wenn das kommt, dann sind wir in diesem Teil und wenn das kommt, dann sind wir in jenem. Und das war irrsinnig schön, weil es total reduziert war und wenn die schwarzen Balken da waren, hat das System aufgenommen. Also die Visuals haben immer eine Funktion gehabt. Und dann habe ich „die Futuristin“ mit den Köpfen von der Andrea Sodomka und der Netochka Nezvánova. Tatjana Komarova aus Jekaterinburg gemacht. Und aus den Köpfen und meinem Kopf habe ich dann über das Theremin das Bild gesteuert zum Beispiel. Also das Theremin habe ich dann für alle möglichen Steuerungen eigentlich verwendet und habe sozusagen gleichzeitig Bild und Klang damit gesteuert. Das waren halt alles so Experimente, die mich interessiert haben.
Und wie war das mit den Installationsformaten?
Elisabeth Schimana: In den Installationen, die ich dann zum Beispiel mit der Hillevi Munthe, die aus der norwegischen Electronic-Textile-Community kommt, haben wir uns gemeinsam um das Konzept und um die Ästhetik gekümmert. Aber sie hat dann quasi ihre Stoffgeschichten gemacht und da die Elektronik und ich habe mich darum gekümmert, dass es ein Interface gibt, mit dem man die Installation akustisch bespielen kann, z.b. über einen auf ein Arduino aufgesteckten kleinen Synth. Da waren dann die Aufgaben auch ganz klar getrennt, sozusagen. Weil ich kann nicht aus Seide und Wolle einen Stoff herstellen. Und sie kann keinen Sound programmieren. Und das geht ganz gut, wenn die Disziplinen eher weit auseinander sind, weil man sich dann nicht in die Quere kommt. In Wirklichkeit macht sie ihre elektronisch bewegten Stoffe und ich mache meinen Sound. Und das funktioniert ganz gut. Ansonsten, glaube ich, ist es nicht so super, mit mir zusammenzuarbeiten. Weil ich habe früher noch viel improvisiert und das hat sich im Laufe der Jahrzehnte verändert, man hat dann so genaue Vorstellungen, was wie sein soll. Also so mit Improvisieren, das geht eigentlich fast nimmer für mich. Es hat zwar immer einen gewissen Freiheitsgrad, aber der ist jetzt woanders.
Jetzt abschließend, was gibt es für dich noch an Herausforderungen, hast du schon Ideen, was du gerne noch machen möchtest?
Elisabeth Schimana: 2021 habe ich eben dieses Musiktheater „Fugen“ gemacht, das war wirklich eine tolle, große Produktion. Solche großen Produktionen sind leider einfach mit einem wahnsinnigen Budget verbunden. So etwas würde ich schon gern nochmal machen, eine Oper als multimediales Format. Musiktheater ist ein offeneres Format, es kann auch Performance beinhalten. Wir haben ja auch schon über „Berührungen“ gesprochen, und eigentlich war das auch Musiktheater. Weil es ja verschiedene Medien hatte. Da habe ich halt noch selbst performt. Das mache ich jetzt nicht mehr.
Ich möchte jetzt erst einmal da noch in die Tiefe gehen, mit dem Konzept von Audiopartituren. Und ich freue mich darauf, dass ich das Forschungsprojekt habe und dass ich die Möglichkeit dazu habe. Weil das kann ich als Künstlerin mit den winzigen Honoraren, muss ich ehrlich sagen, die man so kriegt, könnte ich das niemals machen. Ich bin ja nicht an einer Universität, wo man sozusagen Forschungszeit hat.
Naja, das ist in Wirklichkeit auch eher Mangelware an der Universität. Außerdem hast du ja selbst ein Forschungsinstitut [lachen]. Wie lange geht das Projekt?
Elisabeth Schimana: Zweieinhalb Jahre. Und was dann ist, werden wir sehen. Weil dann aus dem heraus sich die Arbeit dann entlang bestimmter Sachen weiterentwickelt. Bis ich das Gefühl habe, okay, jetzt ist das einmal zumindest für einen Moment erledigt und dann kommt was anderes. Keine Ahnung, was noch kommt. Wer weiß.
Außerdem machst du ja immer wieder auf Nachfrage, ältere Projekte in einer aktualisierten Form. Also ich wünsche dir sehr viel Erfolg und Freude mit deinen neuen Projekten, mit forschen, musizieren, komponieren, generieren. Danke Elisabeth, ich bin gespannt auf all das, was noch kommt.
Bianca Ludewig
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Termine:
18. Mai 2025 „sub rosa“ im kunstGarten in Graz
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