Von Knirschen und Knarzen und Technohedonismus – CHRIS KOUBEK und STEFAN MEISTER im mica-Interview

CHRIS KOUBEK und STEFAN MEISTER, die beiden sympathischen Organisatoren des Innsbrucker HEART OF NOISE FESTIVALS (18.–20.6.), über die sanfte Kunst des Neugierde-Weckens und den hedonistischen Kampf gegen das Cocooning im Gespräch mit Curt Cuisine.

Warum haben Sie vor vier Jahren das Heart of Noise Festival gegründet? Aus Liebe zu alternativen Soundwelten oder weil es in Innsbruck bislang zu wenig Angebote gab?

Stefan Meister: Einerseits gab es in Innsbruck vor zehn Jahren – im Vergleich zu Graz, Wien oder Krems – eine Lücke, andererseits hat sich rund um die p.m.k, die Plattform mobiler Kulturinitiativen, eine aktive Szene ausgebildet.

Chris Koubek: Die p.m.k ist ein aktiver Zusammenschluss von 30 Kulturvereinen, es ist zugleich Kulturzentrum und Dienstleistungsverein. Sie übernimmt für Kulturvereine organisatorische beziehungsweise generell nicht inhaltliche Aspekte (zum Beispiel Booking) und sie ist ein Ort, an dem am Freitag eine Techno-Veranstaltung, am Samstag ein Black-Metal-Konzert und am Sonntag ein Hip-Hop-Gig sein kann.

Stefan Meister: Als seit langer Zeit aktive Mitglieder der p.m.k bringen wir auch eine Leidenschaft zu alternativen Musikformen mit. Heart of Noise versucht, einen Ausschnitt aus gegenwärtigen Musikkulturen erlebbar zu machen, der so weder im Mainstream noch im sogenannten alternativen Mainstream sichtbar wird. Wir versuchen seit der ersten Ausgabe des Festivals, das leidige Cocooning zu brechen, das sich mittlerweile nicht nur durch die Gesellschaft im Allgemeinen, sondern auch durch die Kultur- und Kunstkonsumgewohnheiten im Speziellen zieht. Alle hätten am liebsten alles so serviert, wie sie es gewohnt sind und wie es sich zu gehören scheint. Detroit-Techno-Hörerinnen und -Hörer gehen nirgendwo hin, wo Chicago House läuft, Free-Jazzeusen rümpfen die Nase zum Fusion Jazz, Black-Metal-Hörerinnen und -Hörer bringt man nur mit Gewalt auf ein Death-Metal-Konzert. Wir versuchen dagegen, ein Zielpublikum zu generieren, das nicht ausschließlich in der Nische zu Hause ist, die sie gerade speziell interessiert.

Weniger gegenwärtige Genres genießen

Gibt es dieses Cocooning nicht eher in Richtung Impro und moderne Klassik? Das Publikum von Noise oder artverwandten Spielformen aus der Elektroakustik ist doch meist eher aufgeschlossen?

Chris Koubek: Ich muss ein häufiges Missverständnis aufklären. Es geht uns weniger um Noise als Genrebegriff, sondern um Noise im Sinne des allgegenwärtigen Hintergrundrauschens der Kulturen beziehungsweise der Gesellschaft. Im ersten Jahr waren wir mit Heart of Noise zwar noch nahe an Noise beziehungsweise Drone Music, aber schon im zweiten Jahr haben wir das mit Acts wie Kreng, Bernhard Gander, Moritz von Oswald oder Wolves in the Throne Room aufgebrochen. Natürlich geht es vor allem um neue und klanglich orientierte Musik, aber wir wollen uns nicht auf ein Genre oder gar ein Subsubsubgenre fixieren. Wir spannen auch heuer einen Bogen von der experimentellen, zum Beispiel der akusmatischen Musik, bis zum Club, denn nicht zuletzt sollen auch Hedonismus und Clubkultur nicht zu kurz kommen – sofern die Qualität passt. Ob das jetzt japanischer Noise, eine amerikanische Black-Metal-Band oder ein Elektronikfreak aus Manchester ist, das ist für uns nicht vorrangig.

Stefan Meister: Wichtig ist uns, zu vermitteln, dass man verschiedene Arten von Musikkulturen nicht nur respektiert, sondern dass man auch die weniger gegenwärtigen Genres selbst erleben und genießen kann.

Meist gibt es aber doch einen ziemlichen Publikumsschwund, sobald der Groove weg ist?

Chris Koubek: Wir haben festgestellt, dass Festivals generell ein breiteres Publikum anziehen, nicht nur Heart of Noise, auch das Donaufestival oder elevate. Wenn die Präsentation passt, wenn die Leute Sound und Bild entsprechend erleben können, dann fesselt das und spricht sich auch herum. Klar sind am Anfang gewisse Schwellen da, aber es gibt genug Kulturbegeisterte, die unterschiedlichste Zugänge an einem Abend erleben wollen.

Stefan Meister: Es hat auch einen umgekehrten positiven Effekt: Bei so einem Programm wird die Qualität von Leuten, die Techno machen, sichtbar. Wenn man nicht bloß zur Party geht, sondern wegen der Musik kommt, erlebt man auch, was das für großartige Musikerinnen und Musiker sind. Einen Jeff Mills, einen Moritz von Oswald oder einen Andy Stott muss man nicht nur danach beurteilen, ob sie eine Party rocken können, das sind einfach großartige Künstler.

Noise und artverwandte Spielarten elektronischer Musik sind auf CD allerdings oft eher eintönig anzuhören und erfreuen daher oft nur ein Nischenpublikum …

Chris Koubek: Ein Ryoji Ikeda, ein Russell Haswell oder Emptyset ist auf CD oder LP sicher um einiges weniger eindrucksvoll und intensiv als live mit einer State-of-the-art-PA und einer zehn mal acht Meter großen Leinwand, wo es einen richtig reinsaugt. Da hat das Festival Vorteile auch gegenüber einem Club, wo oft nur durchschnittliches Equipment zur Verfügung steht.

Stadtraumskulptur und Sonnenuntergangskonzerte

Dann steht eher das Spektakel und weniger die Wertschätzung gegenüber der Musik im Vordergrund?

Chris Koubek: Es geht uns sehr um die Musik und die bestmögliche Präsentation. Wir sind kein Festival, wo es Schnickschnackverkaufsstände und Handygewinnspiele gibt. Der konzentrierte Rahmen, den es braucht, um audiovisuelle Kunstformen zu präsentieren, ist uns sehr wichtig, vor allem auf der Hauptbühne im Stadtsaal Innsbruck. Es gibt auch einen Open-Air-Bereich, den Para Noise Garden, für das Nachmittagsprogramm, wo die Atmosphäre entspannter, fast wie bei einem Picknick ist. Dort bauen uns die Architekturanarchisten von columbosnext jedes Jahr eine Bühne in Form einer Stadtraumskulptur. Das gesamte Setting ist sehr toll, gerade für eine Stadt wie Innsbruck, wo man diese Art von Musik sonst eher nur in einem Hinterhofclub hört.

Stefan Meister: Dort kommt auch Zufallspublikum hin, weil die Lage so zentral ist, direkt in der Innsbrucker Innenstadt zwischen Hofgarten, Hofburg und Altstadt. Aber auch das Publikum dort ist unserer Erfahrung nach sehr aufmerksam und schätzt und respektiert die Musik.

Chris Koubek: Daneben gibt es die Sonnenuntergangskonzerte auf der Aufsichtsplattform des PEMA-Towers (Adlers Top Roof), dem höchsten Gebäude in der Innsbrucker Innenstadt. Vor zwei Jahren spielten dort Voices from the Lake, letztes Jahr gab’s ein Denovali-Special mit Ensemble Economique und Sugarcane Soundsystem, heuer wird Dalhous vom Label Blackest Ever Black dort spielen.

Nach welchen Kriterien definieren Sie Qualität?

Stefan Meister: Das ist natürlich eine Fangfrage. Wir wissen ja, wie das ist mit den objektiven Qualitätskriterien in der ästhetischen Theorie … Aber im Ernst, Qualität ist schon nachvollziehbar. Man kann, wenn man genug Erfahrung hat, unterscheiden, ob etwas nur als kurzfristiges Spektakel beeindruckt oder ob etwas Qualität hat, die über das bloß „qualitativ Gemachte“ hinausgeht. Darum setzen wir auch historische Schwerpunkte, vorletztes Jahr etwa war „Detroit, Berlin & Beyond“ erlebbar. Da geht’s nicht um Bewertungsskalen, wie das im Journalismus gerne gemacht wird, sondern da muss man einen gewissen Fluss wahrnehmen können, um als Kurator zu einer Wahrnehmung von Relevanz zu gelangen, die sich in verschiedensten möglichen Formen von etwas, was man als „Qualität“ bezeichnen könnte, niederschlägt.

Weil es die Leute so wollen – eine Ausrede

Wenn Sie auf die ersten vier Jahre zurückblicken, was hat gut funktioniert, was weniger?

Stefan Meister: Unsere Entscheidung, ein nicht auf ein bestimmtes Zielpublikum zugeschnittenes Festival zu machen, hat sich aus kuratorischer Sicht als recht herausfordernd herausgestellt. Ich bin aber jedes Jahr überrascht, wie positiv und aufnahmebereit unser Publikum ist. Wir bieten Musik, die von Knirschen und Knarzen bis zum Vierviertel-Techno reicht, und ich habe das Gefühl, dass ein Großteil des Publikums versucht, das in seiner Gesamtheit wahrzunehmen. Das zeigt, dass immer mehr möglich ist, als man glaubt, und dass die Ausrede, man muss etwas auf eine bestimmte Art machen, weil das die „Leute“ so wollen, tatsächlich nicht mehr als eine Ausrede ist.

Chris Koubek: Wer einmal zum Heart of Noise gekommen ist, kommt in den meisten Fällen auch im nächsten Jahr wieder, nimmt oft sogar ein, zwei Freundinnen und Freunde mit. Es ist eine richtige Euphorie zu spüren, wenn das neue Programm herauskommt. Oft kennen sie nur zwei Acts, sind aber trotzdem an allem interessiert. Und was das Line-up der letzten Jahre betrifft, muss ich etwas unbescheiden sagen: Es waren eigentlich fast nur Highlights dabei …

Stefan Meister: Der absolute Wahnsinn war für mich Russell Haswell, das versteht man einfach nicht wirklich, wenn man nur eine CD hört oder ein Video auf YouTube sieht. Wenn Mr. Haswell in der Gegend ist, bitte sofort hingehen.

Chris Koubek: Zurück zu den Highlights: Ein Jeff Mills, der sein audiovisuelles Werk „The Trip“ aufführt, und danach, weil es ihm anscheinend großen Spaß macht, noch zwei Stunden Zugaben spielt, war einfach großartig. Auch Ryoji Ikeda war extrem stark. Für ihn haben wir speziell einen Beamer mit 12.000 ANSI-Lumen aus Deutschland organisiert, damit das in der notwendigen Brillanz rüberkommt.

Fulltime-Job gegen Aufwandsentschädigung

Das klingt sehr aufwendig. Wie sieht das rein arbeitstechnisch aus? Ist das Vollzeitjob?

Stefan Meister: Darüber mag ich gar nicht reden, weil es peinlich ist, wie wenig wir mit so viel Arbeit verdienen. Und es wird nicht besser, mittlerweile muss man für jede nicht österreichische Künstlerin und jeden nicht österreichischen Künstler zusätzlich noch 20 Prozent Ausländersteuer auf die Gage bezahlen.

Chris Koubek: Die ersten vier Jahre waren eigentlich Liebhaberei, wir haben das gratis beziehungsweise mit minimaler Aufwandsentschädigung betrieben, mittlerweile ist es bei mir ein dritter Nebenjob, finanziell gesehen. Vom zeitlichen Aufwand, vor allem in der heißen Phase zwei bis drei Monate vor dem Festival, ist es ein Fulltime-Job. Wenn das Festival gut läuft, gibt das natürlich viel Motivation, aber auf Dauer ist das nicht zufriedenstellend.

Es war vorher schon die Rede vom Budget, wie sieht die Finanzierung eigentlich generell aus?

Chris Koubek: Die Stadt Innsbruck steht sehr hinter Heart of Noise, sie finanziert das Festival größtenteils. Ohne sie wäre das Festival nicht möglich.

Stefan Meister: Darf ich dazu sagen, dass wir viereinhalb Prozent des Donaufestival-Budgets zur Verfügung haben?

Chris Koubek: Nein, das stimmt nicht mehr, wir sind schon bei sechs bis sieben Prozent.

Stefan Meister: Ah ja, wir haben ja eine Erhöhung bekommen.

Ein Festival in den Köpfen verankern

Schwingt da ein gewisser Unterton in Richtung Donaufestival mit?

Stefan Meister: Nein, auf keinen Fall. Wir haben gute Kontakte zum und sehr viel Respekt gegenüber dem Donaufestival, weil die dort eine wirklich gute Arbeit machen. Aber in Interviews kommt oft die Budgetfrage, und um nicht absolute Zahlen nennen zu müssen, die oft ein wenig missverständlich sind, weil viele Leute keine Ahnung haben, was die Sachen kosten, nehmen wir gerne diesen Vergleich.

Chris Koubek: Tatsache ist, dass alle Festivals unter stagnierenden oder – wegen der steigenden Steuersätzen und der Inflation – de facto unter sinkenden Budgets leiden. Wir befinden uns in einer Wirtschaftskrise …

Stefan Meister: … eigentlich schon seit 15 Jahren.

Chris Koubek: Das merken wir am deutlichsten am Wegfall des Privatsponsorings, das ist mittlerweile kaum mehr möglich. Es gibt in Innsbruck auch kaum Firmen, die dafür infrage kämen. In Tirol ist es so, dass hier die Kultur eigentlich die Wirtschaft unterstützt, nicht umgekehrt.

Aber es geht trotzdem aufwärts mit Heart of Noise?

Chris Koubek: Die Besucherzahlen sind kontinuierlich gestiegen, aber das Festival ist ja auch generell angewachsen. Im ersten Jahr haben wir in einem Kino mit 100 Sitzplätzen und in der p.m.k gespielt. Seit zwei Jahren sind wir im Stadtsaal, der 900 Plätze fasst, und an den schon erwähnten zusätzlichen Spielorten. Bis ein Festival in den Köpfen und Kalendern der Leute verankert ist, dauert es generell einige Jahre.

Stefan Meister: Es muss einfach immer mehr so werden, dass die Leute nicht wegen eines bestimmten Programmpunkts zum Heart of Noise gehen, sondern die Leute sagen: „Super, im Juni ist Heart of Noise, da geh ich wieder hin.

Curt Cuisine

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Heart of Noise