Von der Suche nach dem eigenen Space – NINA BRAITH aka INANA im mica-Interview

NINA BRAITH ist eine der Personen, bei denen sich Normalsterbliche oft wundern, wie es möglich ist, so viele Dinge so gut zu machen. Als INANA und als Teil des BEAT POETRY CLUB tritt sie als Musikerin auf, auf ihrem Instagram-Kanal OHVULVINA leistet sie Aufklärungsarbeit über Vulven und Sexualität und wird dies auch bald musikalisch unter dem Namen MISS CLIT machen. Nebenbei unterrichtet sie als Gesangspädagogin an der Popakademie und der MDW (ipop) in Wien, ist Musikvermittlerin und Teil des Gründungsteams des FLINTA*-Labels BEATZARILLA. Nicht nur das, denn seit einigen Jahren ist sie auch stolze Mutter eines Sohnes. Itta Francesca Ivellio-Vellin traf sich mit NINA BRAITH im Kaffeehaus, um über ihre vielen verschiedenen Hüte zu sprechen.

Deine letzte Single – „Single Life“ kam im September 2023 heraus, erzähl mal ein bisschen was darüber!

Nina Braith: Die Single wird auch auf dem Album sein, an dem ich gerade arbeite, und das habe ich gemeinsam mit einer guten Freundin von mir produziert, Iva Zabkar. Eigentlich macht sie eher Filmmusik, aber früher hat sie auch elektronische Musik gemacht. Nachdem ich ihr erzählt habe, dass ich gerade ein wenig lost bin, weil ich fand, dass meine Musik anders produziert werden sollte, als ich es selbst kann, meinte sie, ich solle ihr doch mal was schicken, und so hat unsere Zusammenarbeit begonnen. Den Song „Single Life“ gibt es schon sehr lange, und Iva war begeistert davon und wollte unbedingt etwas dazu machen.

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Wie ist der Song entstanden?

Nina Braith: Ich habe meinen Vater recht früh verloren, aber er war großer New York-Fan und auch Jazz-Fan, deshalb war es nach dem Studium mein Wunsch, für eine Zeit nach New York zu gehen. Iva war sofort on board und so haben wir 3 Monate zusammen in Brooklyn gewohnt. Ich habe mich extrem in Brooklyn verliebt, die Vibes dort sind einfach großartig. Wir haben dort Producing Kurse und Weiterbildungen gemacht und dort sind auch die zwei Songs „You are enough“ und „Single Life“ entstanden. Die verkörpern diesen Brooklyn-Vibe, den ich dort gespürt habe. Aber „Single Life“ habe ich nie veröffentlicht, weil der Zeitpunkt irgendwie nie da war. Ich wollte nicht, dass der Song untergeht – auch weil er durchaus Radio-Potenzial hat.

Aber jetzt warst du bereit.

Nina Braith: Ja! Mittlerweile sind auch fast alle Songs vom Album fertig, was sich großartig anfühlt. Vor allem nach so einer langen Zeit, in der ich es nicht geschafft habe, die Songs fertigzustellen. Ich habe viel mitgeschleppt in den letzten Jahren und stand quasi vor der Entscheidung, entweder diese Songs jetzt fertig zu machen oder etwas komplett Neues zu starten. Bei „Single Life“ ist tatsächlich auch das Musikvideo in Brooklyn entstanden, denn ich habe quasi jeden Tag neue Leute kennengelernt, die irgendwas mit Musik und Kunst zu tun haben und dann haben wir spontan beschlossen, dieses Musikvideo im DIY-Stil zu drehen.

Wann war das?

Nina Braith: 2017. Ich wollte „Single Life“ wie gesagt schon lange veröffentlichen, aber es ist immer wieder etwas dazwischengekommen – unter anderem bin ich ja auch Mama geworden, Fernbeziehung, Covid – ohne eigenes Promo-Team ist es da schwierig, etwas zu veröffentlichen.

Zwischendurch hast du ja auch in Berlin gelebt. Was hat dich zurück nach Wien geführt?

Nina Braith: In erster Linie die Arbeit. Ich unterrichte ja auch an der Musikuni, am Institut für Popularmusik. Und Kinderbetreuung ist hier auch einfacher für uns mit Familie in der Nähe.

Support von der Familie bei der Kinderbetreuung ist einfach unbezahlbar.

Nina Braith: Ja! Da bin ich wirklich extrem dankbar. Natürlich habe ich mich aber in Berlin sehr wohl gefühlt, die Vibes dort sind toll und musikalisch habe ich auch gut dort hingepasst. Ich vermisse es.

Bild INANA
INANA (c) Raphael Schall

Musikalisch gesehen finde ich passt du aber auch gut nach Wien. Du hast ja auch immer so etwas Jazziges mitschwingen – was ich interessant finde, gerade weil du meintest, dass dein Vater großer Jazz-Fan war.

Nina Braith: Ja, das stimmt. Und es tut sich auch sehr viel hierzulande in dem Bereich, auch an der Schnittstelle Jazz und Elektronische Musik. Als ich 2017 aus Brooklyn zurückgekommen bin, war ich etwas verunsichert und habe nicht gewusst, wo meine Szene hier ist und an welchen Orten ich spielen hätte können. Damals gab es schon die großen elektronischen Acts, aber so im Underground war es schon schwieriger. Dadurch, dass ich auch nicht so Mainstream-Musik mache, vor allem nicht auf meiner ersten EP, war es nicht so einfach, meinen Platz zu finden.

Wie würdest du denn die Essenz deiner Musik beschreiben?

Nina Braith: Viele Inhalte meiner Songs sind sehr reflexiv. Es ist nicht unbedingt ich, die zu den Leuten spricht, sondern meine Intuition bzw. meine innere Stimme oder vielleicht sogar eine Art Spirit aus einer anderen Welt, ein kollektives Unterbewusstes. Die runtergepitchten Vocals geben das ganz gut wieder – die Quelle dafür ist immer meine eigene Stimme, aber durch das Runterpitchen entfremde ich sie. Danach mische ich sie oft wieder mit meiner Stimme zusammen und benutze sie als Klangfarbe.

Von der Stimmung her ist gerade deine erste EP wesentlich düsterer als deine neueren Sachen.

Nina Braith: Ja, das stimmt – aber nur verglichen mit den Songs, die ich bisher vom Album veröffentlicht habe. Am Album werden dann auch etwas düstere Sachen dabei sein. Das liegt sicher daran, dass ich dieses Düstere einfach in mir habe – oder hatte. So Anfang 20 war ich ziemlich lost, habe alles in Frage gestellt und war auf der Suche nach mir Selbst. Dadurch, dass ich auch meinen Papa früh verloren habe, war es natürlich auch schwieriger für mich – vor allem da er mein größter Supporter war. Mit dieser Leere zurechtzukommen war hart. Zwischendurch dachte ich mir „wen interessiert es überhaupt, ob ich jetzt noch Musik mache, oder nicht?!“

Wie hast du dann zurück zur Musik gefunden?

Nina Braith: Musik war auch immer ein Ventil für mich. Dieser Verlust, Liebeskummer, etc. – ich fand es schon immer schön, aus diesen starken Emotionen Musik zu schaffen. Dadurch, dass ich auch Musik studiert habe, war es klar für mich, dass ich das alles nicht einfach hinschmeiße – auch weil es keine Selbstverständlichkeit ist, einen Studienplatz da zu bekommen. Aber ja, ich hatte immer wieder Phasen, in denen ich mir unsicher war.

Hast du diese Phasen immer noch?

Nina Braith: Ja. Also bis zum Mamawerden nicht, da hatte ich mich ziemlich gut gefunden im Musik machen und Unterrichten. Aber dann kamen natürlich wieder Fragen auf, ob ich das noch schaffe, ob Musik machen und Mama sein überhaupt kompatibel ist, auch finanziell gesehen. Seit der Kleine im Kindergarten ist, fällt das allerdings wieder leichter.

Du unterrichtest, du macht Musik, du bist Mutter, du leistet sexuelle Aufklärungsarbeit über deinen Instagram-Kanal, im Sommer leitest du Musikcamps in Griechenland – wie hast du gelernt, das alles unter einen Hut zu bekommen?

Nina Braith: Schwierig. Ich habe gelernt, in Fokusmomenten zu leben. Es gibt einfach Phasen, in denen ich mir den einen Hut aufsetze, zwei Stunden später dann wieder einen anderen, und so weiter. Ich glaube, es ist aber auch einfach meine Persönlichkeit. Früher habe ich das teils als Schwäche gesehen, dass ich nicht nur ein Ding durchziehen kann, aber jetzt habe ich gelernt, das anzunehmen und einzusehen, dass ich Sachen vielleicht langsamer voranbringe, aber dass das nicht schlecht ist. Ich brauche einfach die Abwechslung.

Mittlerweile siehst du also die Stärke in dieser Seite deiner Persönlichkeit.

Nina Braith: Genau. Ich hoffe natürlich, dass ich irgendwann an den Punkt komme, an dem ich mehr abgeben und delegieren kann. Da habe ich auch einen tollen Partner an meiner Seite, der mich unterstützt.

In welchen Projekten seid ihr zwei denn verpartnert? Euer Sohn liegt auf der Hand – aber welche Musikprojekte kommen da dazu?

Nina Braith: Anfangs haben wir unsere Musikprojekte immer klar voneinander getrennt. Dadurch gab es auch mehr Quality-Time in der Beziehung, in der wir nur für uns waren. Ich habe ihn aber kennengelernt, als ich gerade meine EP releast habe, und habe ihm bei einem Festival die EP geschenkt, die ihm super gefallen hat. Musik, die deep und melancholisch und elektronisch ist, ist halt auch sein Ding, also war recht schnell klar, dass wir auch zusammenarbeiten werden. Er ist auch Beatboxer, da kam das alles gut zusammen. Er ist auch live bei INANA dabei.

Bild INANA
INANA (c) Raphael Schall

Apropos live: Wie sieht INANA live aus?

Nina Braith: Es lebt eigentlich von der Filmmusik, die von Iva kommt, und deshalb braucht es schon etwas Visuelles bei den Live-Performances. Da habe ich verschiedene Sachen probiert, manche haben nicht funktioniert, zwischendurch war ich allein on stage, habe selber Drum-Samples getriggert und dazu gesungen, was aber total schwierig ist, weil man so überhaupt nicht mit dem Publikum connecten kann. Ich brauche einfach jemanden an meiner Seite. Deshalb habe ich Rapha gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die Beats zu spielen, da er ja auch Beatboxer ist und immer selbst elektronische Musik produziert hat. Mittlerweile sind wir eben ein Jahr zu zweit auf der Bühne und sind auch dabei, gemeinsam Songs zu produzieren.

Also gibt es bereits Pläne für 2024, nach dem Album-Release?

Nina Braith: Ja! Das ist etwas, was ich so auch gar nicht kenne. Es kommt eben bald das Album mit den 10 Tracks, aber darüber hinaus habe ich noch mehr Songs bereits fast fertig. 2024 werde ich außerdem meine ersten Songs als MISS CLIT veröffentlichen, in denen ich über Mythen und Tabus rund um die Vulva, und die Klitoris und die weibliche* Sexualität rappe und singe – no shame in the game, sondern ganz viel vulva love!

Klingt großartig! Interessant auch, dass dein Live-Konzept auch so eine Entwicklung durchlaufen hat.

Nina Braith: Ja, voll. Einfach nur über den gemasterten Track zu singen war mir einfach zu wenig, wie es oft im Hip-Hop passiert, aber gleichzeitig ist es budget-mäßig und zeitlich kaum möglich, alle Elemente live zu spielen – dafür bräuchte es mindestens 3-4 weitere Musiker:innen auf der Bühne. Zu zweit funktioniert das sehr gut, obwohl wir jetzt natürlich immer einen Babysitter brauchen, wenn wir beide auf der Bühne stehen. Es ist aber sehr angenehm, dass ich den technischen Aspekt an den Rapha abgeben konnte, weil es schon immer sehr stressig ist, zu schauen, das mit der Technik und Elektronik alles passt. Jetzt kann ich mich mehr um die ganze Organisation rundherum kümmern.

Beim Aufzählen deiner hundert Projekte habe ich tatsächlich etwas vergessen: Deine Arbeit als Gründerin des FLINTA*-Labels Beatzarilla! Wie läuft es damit?

Nina Braith: Ja! Das hat auch in New York begonnen, wo ich viele Kollektive kennenlernen durfte, in denen sich Künstler:innen aus marginalisierten Gruppen zusammentun und sich so gegenseitig bestärken. Da wurde ich oft total lieb aufgenommen und das hat mich sehr inspiriert. Da habe ich dann mit meiner Kollegin vom Beatpoetry Club, Miss BunPun, Beatzarilla gegründet. Da wurde ich auch zuerst von Wolfgang Schlögl gecoacht, und dann 2020 auch von Matches Music. Die haben uns dann auch gezeigt, wie Labelarbeit wirklich funktioniert, weil davor haben wir zwar unsere Sachen releast, aber jede hat irgendwie ihr eigenes Ding gemacht. Seitdem kann man aber wirklich sagen, dass wir ein Label sind.

Wo/Bei wem würdest du sagen liegt die Verantwortung, mehr Genderdiversität in der Musik zu ermöglichen? Was muss am dringendsten passieren?

Nina Braith: Meiner Meinung nach bei den Fördergeber*innen, mehr Diversität in den Jurys derer, die Förderungen vergeben und bei den Veranstalter*innen/Kurator*innen. Es reicht nicht eine Frau im Line-Up zu haben und schon gar nicht, wenn es überall eine der gleichen drei Frauen ist, die sowieso schon überall präsent sind und ein gutes Standing haben. Ich wünsche mir mehr Sichtbarkeit von Newcomer*innen oder weniger bekannten Künstler*innen/Acts, vor allem da würde ich wirklich versuchen, auch mehr Frauen/FLINTA*s zu fördern.
Oft habe ich da das Gefühl, dass sich die Leute abputzen mit: „Ich hab doch eh schon eine Frau im Line-Up oder unter den geförderten Acts“. Auch wenn ich beobachte, dass es besser wird bei gewissen Musik-Förderungen, es gibt immer noch Luft nach oben. Ein Vorschlag wäre, spezielle Festivals oder Förderungen zu kreieren, die z.B. NICHT für Cis-Männer sind. Oder wie wäre es mit einer Förderung für Mütter oder Eltern im Musikbusiness?

Weil du vorher Beat Poetry Club angesprochen hast: Das ist ja eine weitere Band, bei der du dabei bist. Ihr seid allerdings mehr als eine Band, soweit ich weiß, oder?

Nina Braith: Absolut, das ist schon ein größeres Projekt. Neben den Auftritten machen wir auch Workshops und viel Musikvermittlung. Letztes Jahr haben wir auch ein Musical im Theater Akzent gemacht, was eine riesige Produktion war.

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Du bist ja jetzt Mitte Dreißig und ich weiß, dass du dich jetzt wesentlich wohler fühlst als in deinen Zwanzigern. Kannst du das bisschen erklären?

Nina Braith: Mit Anfang Dreißig hatte ich einfach das Gefühl, dass ich viel mehr bei mir selbst angekommen bin und mehr zu mir stehen kann. Ich muss es nicht mehr allen recht machen oder allen Erwartungen entsprechen. Genau darum geht es auch in dem letzten Song, „You Are Enough“ – in der heutigen digitalen Welt, in der alle immer perfekt sind und aussehen, ist es okay, wenn ich nicht perfekt aussehe und es ist auch okay, wenn es mir nicht immer gut geht. Umso mehr ich zu mir stehen kann und meine Schwächen akzeptieren kann, desto authentischer bin ich auch. Das finde ich auch beim Unterrichten so wichtig. Ich kann auch mal zugeben, dass ich etwas nicht weiß, und das ist okay. Es ist auch passend, dass ich nach dieser Erkenntnis erst Rapha, der mein Traumpartner ist, angezogen habe und bereit für diese Beziehung war.

Also bist du angekommen – zumindest für’s Erste.

Nina Braith: Genau. Was natürlich nicht heißt, dass ich mich nicht weiter verändere!

Vielen Dank für das schöne Gespräch!

Itta Francesca Ivellio-Vellin

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