Von der Faszination des Aufspürens offener Enden. WOLFRAM SCHURIG komponiert Neue Musik und wiederbelebt Alte Musik

Einige große Werke liegen derzeit auf dem Schreibtisch des Feldkircher Komponisten Wolfram Schurig, denn bedeutende (Ur-)Aufführungen stehen in der nächsten Zeit im Terminkalender. Wie bereits in den vergangenen beiden Jahren so findet auch in dieser Saison bei Wien Modern eine Werkpräsentation von Wolfram Schurig statt. Die Sängerin Agata Zubel und das Klangforum Wien werden die „fünf ostinati“ für Singstimme und großes Ensemble erstmals spielen.

Schurigs „Capriccio per Goldner“ interpretierte kürzlich das Duo mit dem klingenden Namen Two Whiskas in Bludenz. Überdies arbeitet Wolfram Schurig an einem neuen Streichquartett, das anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Bludenzer Tage zeitgemäßer Musik vom renommierten Diotima Quartet uraufgeführt wird. Sodann geht er an die Komposition eines Ensemblestückes für das Freiburger Ensemble SurPlus.

Nicht nur in der zeitgenössischen Musikszene ist Wolfram Schurig präsent. Sein zweites Standbein hat der Blockflötist in der Alten Musik. Erst kürzlich spielte er gemeinsam mit der Blockflötistin Caroline Mayrhofer und dem Cembalisten Johannes Hämmerle in der Kartause Mauerbach ein neues Album mit anonymen Kompositionen aus der Sammlung der „Bibliotheca Palatina“ in Parma ein.

Anknüpfungspunkte in der Tradition

Anleihen an die Musiktradition haben im kompositorischen Schaffen von Wolfram Schurig eine bedeutende Stellung. Dies illustrieren Werktitel wie „Capriccio“, „Ostinati“ oder „Ricercata“, die auf Formen der tradierten Musik verweisen. Darauf angesprochen betont Wolfram Schurig, dass er immer schon mit historischen Bezügen gearbeitet habe. „In der letzten Zeit nenne ich die Bezüge in den Werktiteln beim Namen, denn für mich sind das immer bedeutender werdende Anknüpfungspunkte.“

Den Gedanken führt er mit einer interessanten Anmerkung weiter. Diese Art einer neuen Schlichtheit sei auch eine Gegenbewegung zur aktuellen Musikszene, denn in der sogenannten Kunstmusik grassiere eine unglaubliche Beliebigkeit, so Wolfram Schurig. Was in den 1950-er Jahren als Befreiungsversuche heraus aus einer starren Musikästhetik verstanden worden sei, wie das „instrumentale Theater“ von Mauricio Kagel oder informelle Musik mit allerlei Geräuschmachern, komme nun in voller Breitseite wieder. „Das ist in meinen Augen der neue Akademismus, wo Belanglosigkeiten ohne Ende produziert werden “, stellt Wolfram Schurig fest.

Noch vor wenigen Jahren war der Fokus des Komponisten und Blockflötisten in die beiden Pole der Alten und der Neue Musik gerichtet. Doch mittlerweile hat er darüber hinaus die Musik des 19. Jahrhunderts für sich entdeckt. Insbesondere Franz Schubert regt die Fantasie des Komponisten an und so ist in den neuen Liederzyklus „fünf ostinati“ der Beginn der Winterreise als thematisches Material eingeflossen.

V – wie Vaterland

Nachdem Wolfram Schurig im Jahr 2013 die „Gesänge von der Peripherie“ fertig gestellt hatte, war ihm klar, dass er möglichst bald wieder einen Liederzyklus komponieren wird. Ein Auftrag des Klangforums Wien ermöglichte nun eine weitere Beschäftigung mit der Gattung Lied. Erneut legte Wolfram Schurig seiner Musik Gedichte der deutschen Lyrikerin Daniela Danz zugrunde. Die Texte entnahm er ihrem Gedichtband „V“ – wie Vaterland. Darin spiegeln sich vielgestaltige Themen, erklärt Wolfram Schurig.

„Die ganze Geschichte, in die man hinein geboren wird, kann man sich ja nicht aussuchen. Ich wache jeden Morgen am gleichen Fleck auf. Oft fühle ich mich unwohl in meiner Haut, wenn ich sehe, was rund um mich herum passiert. Darum haben mich diese Texte sehr angesprochen. Ich bin dann auf die Idee gekommen, Ostinati zu komponieren, auch als historischen Bezug für mich, im Sinne einer musikalischen Heimat. Darauf möchte ich hin deuten. Genauso wie die Texte auf eine geistige Heimat Bezug nehmen und zugleich einen Ort meinen, wo man aufgewachsen ist mit seiner ganzen Geschichte.“ Das leierartige absinkende Thema des ersten Liedes aus Schuberts „Winterreise“, „Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh’ ich wieder aus“, erfasst diese Stimmung und diente Wolfram Schurig als musikalisches Ausgangsmaterial für das Ostinato im ersten Lied.

Fasziniert von fein ziselierten Strichen

Für die Geigerin Ivana Pristašová hat Wolfram Schurig schon mehrere Werke komponiert. Im Duo Two Whiskas musiziert Ivana Pristašová mit der Flötistin Caroline Mayrhofer. Ein sehr spezielles Werk hat Wolfram Schurig den beiden Musikerinnen mit seinem „Capriccio per Goldner“ auf den Leib geschrieben. Darin stellt er eine Verbindung zum bildenden Künstler Egon Goldner her, dem vor zwei Jahren im vorarlberg museum eine Aufsehen erregende Ausstellung gewidmet war.

Von den filigranen Zeichnungen war Wolfram Schurig fasziniert, denn er bemerkte eine künstlerische Seelenverwandtschaft des Zeichners mit seiner eigenen, fein ziselierenden kompositorischen Arbeitsweise. Besonders Goldners Werkkonzeption, mit der er die Zeitlichkeit einfängt, besitzt die Qualität einer Partitur. „Man kann in seinen Zeichnungen immer Auflösungstendenzen, Ausfransungen der Grundordnung oder das Ausscheren beobachten, je nachdem wie man das sieht“, so Wolfram Schurig.

Während des Kompositionsprozesses ging er unter anderem der Frage nach, wie man eine Linie als musikalische Idee verarbeiten kann. „Die Blockflöte ist präsent, sie muss sich mit aller Wucht und Körperkraft hineinlegen, damit sie gegen das Pianissimo der Violine mithalten kann. Das gibt für den Zuhörer eine ganz spezifische Körperlichkeit von Klang“, gibt der Komponist einen kurzen Einblick in das Werk, das in der Bludenzer Remise zu hören war.

Reizvolle Kompositionsaufträge

Im Auftrag des Diotima Quartet wendet sich Wolfram Schurig der Gattung des Streichquartetts zu. „Ricertata“ nennt er den ersten Satz und verweist damit auf die musikalischen Wesensmerkmale. „Ricercata hat zweierlei Assoziationsmöglichkeiten. Die eine ist eine freie Improvisation für Soloinstrument, die andere ist ein lockerer Kontrapunkt“, erläutert Wolfram Schurig. Genau innerhalb dieses Spannungsfeldes treffen die beiden Pole aufeinander und ergeben ein energisches und dichtes Klanggewebe.

Schätze heben

Neben der kompositorischen Arbeit und dem Unterrichten steht Wolfram Schurig auch als Blockflötist auf der Bühne und spielt im Studio Werke ein. Wenn er vom Suchen und Finden alter Manuskripte und Notensammlungen aus dem 17. und 18. Jahrhundert sowie von der Beschäftigung mit Originalwerken und Abschriften erzählt, schwingen stets seine detektivische Leidenschaft und Neugier mit. So erlebte er auch die Recherche für das aktuelle Kammermusikprogramm „Tesori di Parma“, das beim Festival Italia mia erklang und im Studio eingespielt wurde.

Silvia Thurner

Links:
Wolfram Schurig (Soundcloud)
Wolfram Schurig (music austria Datenbank)

 

CD-Tipps

Ouverturen und Concerti von G.P. Telemann
Concerto Stella Matutina, Leitung und Blockflöte: Wolfram Schurig
Label fra bernardo 2014.

Babá musicale. Musikalische Schätze aus der Sammlung des Diplomaten und Vizekönigs von Neapel – Graf Harrach.
Concerto Stella Matutina, Leitung und Blockflöte: Wolfram Schurig
Label fra bernardo 2016.

Nostalgia. Werke von Giovanni Battista Somis.
Wolfram Schurig, Blockflöte; Johannes Hämmerle, Cembalo
Label fra bernardo 2017.