Dieses Porträt von Dorian Raphael Kalwach entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
Die 2000 geborene, oberösterreichische Komponistin Tina Geroldinger kann trotz ihres jungen Alters schon einen beachtlichen Lebenslauf vorzeigen. Bereits als 15-Jährige komponierte sie erste Stücke und schon drei Jahre später fand ihre erste Uraufführung ihres Opus’ 1 „8. Juli – Erzähl mir die Geschicht“ statt. Dieses Stück wurde vom PrimVerlag, der in ihrer Heimatgemeinde Kirchberg-Thening seinen Sitz hat, veröffentlicht. Autodidaktisch das Schreiben von Musik angeeignet, begann sie schon im Kindesalter mit dem Trompetenspiel. Sie war Mitglied in mehreren Orchestern, wie etwa dem Female Symphonic Orchestra Austria oder dem Landesjugendblasorchester OÖ und spielt in mehreren Ensembles, darunter in der Trachtenkapelle Kirchberg-Thening, in der sie auch die Position der Jugendreferentin innehat.
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Der Anfang der Passion
Schon während ihrer Schulzeit im Adalbert Stifter Gymnasium begann sie zu komponieren. Nach der Matura 2019 erhielt sie ihre erste Auszeichnung – den 3. Platz bei „Jugend komponiert“ des ÖKB für „Mei Küchenkastl“. Immer mehr entdeckte sie ihre Passion für Neue Musik. Sie machte bei Komponierwerkstätten mit, begann ein Bachelorstudium für Kunstwissenschaft-Philosophie an der Katholischenö Privatuniversität Linz und komponierte fleißig weiter. 2020 wurde sie Zweite in der Jugendkategorie des Balduin Sulzer Kompositionswettbewerbs. Im selben Jahr begann sie an der Anton Bruckner Privatuniversität Komposition bei Erland Maria Freudenthaler zu studieren. Nach und nach bekam sie mehr Kompositionsaufträge, wie etwa vom Brucknerhaus Linz für das internationale Brucknerfest mit „Rotture (Brüche)“, währenddessen gewann sie 2021 zwei erste Plätze – beim Kompositionswettbewerb für das Streichquartett des OÖKB und für das Sax.off.on-Quartett im Rahmen des Hörsturm/Fühlsturm-Festivals. 2022 konnte man Stücke Geroldingers bei diversen Events, darunter bei der Austrian Composers Week in Marchtrenk oder bei den TAGEN DER NEUEN MUSIK in Wien, hören. Neben acht Uraufführungen wurde 2022 eines ihrer Werke im Zuge eines Erasmus Auslandssemesters an der Royal Academy of Music Aarhus bei Niels Rønsholdt in Dänemark uraufgeführt – „Speaking Sculptures – I. The Girl“, das mit „freeze“-Sounds beeindruckt.
Die Leidenschaft zur Musik
Die passionierte Seglerin folgt ihrer Freizeitbeschäftigung am liebsten am Attersee – die Liebe zum Wasser spiegelt sich durchaus in ihren Werken wider: „Die Natur hat ganz viel Poesie.“, sagt sie. Die Oberösterreicherin findet überall Inspiration, ob durch Kunstwerke, wie etwa in „Flordali“, für das sie sich von Salvador Dalí inspirieren hat lassen, oder in Alltagssituationen und Begegnungen mit Menschen. Ausgangspunkte für Geroldingers Stücke kommen stets aus dem Moment heraus, es schwirren Ideen in ihrem Kopf herum, „der Charakter einer musikalischen Idee oder eine thematische Idee“, sie schnappt sich einen Einfall und beginnt zu komponieren. Unendlich viele Zettel halten ihren Kompositionsprozess zusammen. Sie gibt für jedes Werk 110 Prozent und lebt jedes Mal aufs Neue ihre Leidenschaft aus. Statt zuvor Melodien auf der Trompete oder am Klavier auszuprobieren, kann sich die Komponistin nun ihre Musik im Kopf vorstellen, ohne sich die Noten vorspielen zu müssen. „Wenn man sich das alles vorstellt, ist es umso spannender, wenn man es dann live hört“, sagt sie; falls etwas nicht so klingt, wie gedacht, kann man daran arbeiten. Ob es einen Geroldinger-Stil gibt, kann die bald 23-Jährige noch nicht sagen, aber ihre Neugierde kann sie in ihren Werken nicht verstecken. Die skandinavische Chormusik, die sie in Dänemark erlebt hat, führt möglicherweise bald zu selbstkomponierten Chorwerken – bei „Stimmung im Schaufenster“ summten die Instrumentierenden zwar nur, aber nun ist sie „sehr interessiert, auch etwas für menschliche Stimmen zu komponieren.“
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Die Partitur als Kunstwerk
Tina Geroldinger ist durch und durch Künstlerin. Vom Zeichnen der Titelblätter über das Konzipieren von Performance-Bewegungen bis hin zum detailgetreuen Beschreiben eines Klanges versucht sie alle ihre Interessen zu vereinen – das Schreiben, Zeichnen und Komponieren. Die Komponistin arbeitet immer sehr genau mit den Aufführenden ihrer Werke zusammen. Seien es nun Instrumentierende, Performende oder Tonkunstschaffende an den Electronics. Viele Manuskripte sind ein Mix aus handschriftlichen Details und gedruckter Notation. Bei der prächtigen Notation, normalerweise nur für die Augen der Aufführenden bestimmt, strebt Geroldinger danach, ihre Partituren neben einem hör- und notationsgewaltigen Gesamtspektakel zu fusionieren. „Ich will den Charakter der Musik auch in der Partitur abbilden, sodass sie nicht mehr nur Mittel zum Zweck ist, sondern selbst zum Kunstwerk wird.“ Handschriftliches hat immer etwas Persönlicheres, der Kontext ist jedoch entscheidend. Aber generell macht es ihr sehr viel Spaß, mit „akustischen Instrumenten zu arbeiten, mit Ensembles, Orchestern. Um diesen Rahmen herum schaue ich, was man mit diesen Konstellationen noch machen kann bzw. was es braucht, um meine Musik zum Ausdruck zu bringen.“
Das Bewegen zwischen zwei Welten
Die Oberösterreicherin musiziert einerseits in der Szene der Neuen Musik, bleibt aber andererseits ihren Wurzeln, der traditionellen Blasmusik, treu. Ihre Eltern haben sie sehr früh zur Musik gebracht und auf Konzerte mitgenommen. Immer mehr werden auf die Komponistin aufmerksam. So verlieh ihr das Land Oberösterreich im Dezember 2022 den Talentförderungspreis für Musik. Weiters wird sie dieses Jahr bei Ink Still Wet in Grafenegg teilnehmen – das noch unveröffentlichte Werk wird im August 2023 durch das Tonkünstler-Orchester Niederösterreich uraufgeführt. In Grafenegg wird die Oberösterreicherin Seite an Seite mit international anerkannten Musikgrößen zusammenarbeiten. Die Aufmerksamkeit, die sie bei dem in ganz Europa bekannten Composer-Conductor-Workshop bekommt, ist ein Hineinschnuppern in das internationale Künstlerparkett. 2023 finden darüber hinaus viele weitere Uraufführungen im Zuge der Anton Bruckner Privatuniversität statt und eine Miniatur für Sinfonieorchester in Antwerpen. Zudem werden ihre Stücke auch auf zwei Festivals der Royal Academy of Music in Aarhus in Dänemark gespielt. Den Namen Tina Geroldinger sollte man sich merken, denn der internationalen Bekanntheit steht nun nichts mehr im Wege.
Dorian Raphael Kalwach
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Montag, 20. März 2023
Anton Bruckner Privatuniversität Linz
Festival für aktuelle Musik “Leicht über Linz”
mit Stefan Obmann (Posaune) und Mathilde Hoursiangou (Klavier)
Freitag, 14. April 2023
Alte Schmiede Wien
Konzert “Über die Distanz”
mit Paquito Ernesto Chiti (Horn) und Peter Trabitzsch (Elektronik)
Samstag, 6. Mai 2023
Brucknerhaus Linz
Lange Nacht der Uraufführungen mit dem Lizard Ensemble
Samstag, 26. August 2023
Grafenegg: INK STILL WET
Abschlusskonzert mit dem Tonkünstler-Orchester
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Links:
Tina Geroldinger (YouTube)
Tina Geroldinger (music austria Datenbank)