Vom Camp(f) wider die Klischees, rosaschimmernd – pink noise im Porträt

Der niederösterreichische Verein pink noise legt seit 2011 geschlechtsstereotype  Strukturen im heimischen Popkulturbetrieb offen. Legt vor allem durchdas Medium Musik den Finger auf Wunden, die unzeitgemäße Rollenzuschreibungen in die kreative Verve von jungen Frauen reißen. Darüber und über das von pink noise initiierte Girls Rock Camp sprach Martin Macho mit Vorstandsdrittel Julia Boschmann.

Pink noise versteht sich als Vernetzungsplattform für queer-feministische und popkulturelle Aktivitäten innerhalb einer Szene, in der Geschlechterparitäten über den Rang beschwichtigender Lippenbekenntnisse noch immer nicht hinausreichen. Aufklärung durch Information in Form von Workshops und Diskussionsrunden bilden die Grundlage des 2011 gegründeten Vereins, um Rollenklischees zumindest in Österreich bei einer aufgeschlossenen Generation ins geistige Antiquariat zu verfrachten.

Männerdomäne Pop

Zur relativierenden Ausgangslage: Pop ist nach wie vor Männerdomäne. Nach wie vor zählen die Line-ups von Konzerten und Festivals kaum Musikerinnen. Der maskulin aufgeladene Rockismus weist Mädchen und jungen Frauen nach wie vor den kreischenden Platz im Publikum zu.
Ein verquerer Platzanweiser ist  das, der seit den 50ern das Bild einer passiven Zuhörerin und schmachtenden Fan“in“ zeichnet – durch das Musen- und Groupietum der selbstzerstörerischen 60er-Jahre gipfelt es im verhängnisvollen Ikonenkult. Glam und Punk leuchteten mit kalkulierter Grellheit die Rollenbilder bis zur Kenntlichkeit aus, scheiterten aber letzten Endes an der Vehemenz der Altvordern. Der stilisierte Pop hat bis heute als einträgliche Geschäftsidee die maßgeschneiderte Solokünstlerin zum zur-Schau-stellenden Alibi einer unverändert männerzentrierten Musikindustrie erkoren.

Die museumsreife Schieflage wird zur Betätigungsfläche für den Verein pink noise. „Wir richten unser Hauptaugenmerk auf die noch immer geschlechtsspezifischen Mechanismen in der Vermittlung von Musik. Der Verein will ein Bewusstsein dafür erzeugen, dass die meisten Musikkulturen weiterhin männlich dominiert sind“, erläutert Julia Boschmann vom Organisationsteam das ambitionierte Vereinscredo. Gemeinsam mit den Kolleginnen Ulli Mayer und Sara Paloni möchte sie pink noise als einen hochfrequenten Transporteur für aktuelle Genderfragen positionieren: „Wichtig ist uns, die widersprüchlichen und vieldeutigen Rollenanforderungen
an Mädchen heutzutage aufzuzeigen.“ Musik wird dabei zum gesellschaftspolitischen tool, ist sie für pink noise doch das Ausdrucksmittel, um auf bestimmte Problembereiche aufmerksam zu machen.

Einblicke ins Handwerk

Der wachrüttelnde Grundgedanke trägt auch das von pink noise initiierte Girls Rock Camp, eine Musik- und Bandprojektwoche für Mädchen und junge Frauen zwischen 14 und 21 Jahren, dass heuer bereits zum dritten Mal in den Sommerferien stattfinden wird. Veranstaltungsort ist dieses Jahr zum Unterschied zu den ersten beiden Auflagen der Alte Schlachthof in Hollabrunn.  Von 18.-24.08. können die Teilnehmerinnen im Rahmen von Workshops, Instrumentenkursen und Bandcoachingeinheiten umfassende Einblicke ins Musikerinnenleben über die gesamte Wegstrecke eines künstlerischen Gestaltungsprozesses hinweg erhalten. Von A wie Akquirierung der Bandmitglieder bis Z wie zusammen die Bühne rocken werden Musikproduktion, -aufführung und -distribution praxisnah nachvollzogen. Zum  Binnen-I muss hier gar nicht weiter angesetzt werden, beim pink noise Girls Rock Camp haben alle repräsentativen Funktionen Frauen inne.

Ersichtlich wird die Orientierung an den realen Herausforderungen schon durch die Programmabfolge: „Am zweiten Tag finden sich Mädchen unter Anleitung selbst in Bands zusammen, die die ganze Woche über in den Anfangskonstellationen bestehen bleiben sollten. Ziel für die Mädchen soll es sein, im Verlauf der Woche einen Song zu schreiben, der dann am letzten Tag bei einer Schlussveranstaltung präsentiert wird“, so Julia Boschmann über den inhaltlichen roten Faden des Girls Rock Camp. Musikalisches Vorwissen stellt keine Teilnahmevoraussetzung dar, nicht zuletzt deshalb werden den Mädchen bei den Bandprobeeinheiten jeweils zwei heimische Künstlerinnen zur Seite gestellt.

An dieser Stelle streicht die Organisatorin den Unterschied zwischen Leitung und Beg-leitung heraus. Denn schöpferisches Tun ohne Gängelband ist ein grundsätzliches Anliegen von pink noise: „Wenn Unterstützung gewünscht wird, helfen die erfahrenen Musikerinnen gerne, sie zwingen sich aber nicht auf. Das hat neben der Möglichkeit zur freien Entfaltung des eigenen Potentials auch den Vorteil, den Leistungsdruck von den jungen Frauen zu nehmen, die oft eine Art Castingshow-Erwartung mitbringen.“ Julia Boschmann möchte hingegen mit ihren Kolleginnen ein zwangloses Arbeitsklima schaffen, in dem Kreativität nicht mit Wertungen verbunden wird. Ob die Mädchen die Tipps aufgreifen, ob tatsächlich eine Vertiefung in die Materie daraus folgt, steht ihnen offen.
Die Zielgruppe scheint Gefallen am Programm bzw. an dessen freier Gestaltung zu finden: „Die Altersgruppe von 15-18 Jahren ist erfahrungsgemäß eigentlich schwer zu erreichen, scheinbar kommen wir mit unserem Angebot aber genau dort hin.“ Insgesamt werden heuer 16 Teilnehmerinnen aus den Bundesländern Wien, Ober- bzw. Niederösterreich sowie der Steiermark erwartet, der Altersschnitt liegt bei 17,5 Jahren.

Schwerpunktsetzungen

Jedes Girls Rock Camp steht unter einem besonderen musikthematischen Motto. Julia Boschmann: „2012 haben wir zum Beispiel unter dem Titel
>Girls Rock Camp geht ins Studio< die Schwerpunkte Tonstudio und CD-Produktion gesetzt. Heuer werden wir uns dem Thema Radio widmen. Daher auch der Übertitel >Grrrls on Air<.“ Wie funktioniert Radio eigentlich? Wie geht es in einem Sendestudio zu? Wie werden Beiträge gestaltet? Was kommt  auf Künstlerinnen bei Interviews zu? Diese und ähnliche Fragen zur Materie werden von Frauen, die bereits länger in den jeweiligen Bereichen aktiv sind, aufgeworfen und profund beantwortet. Auch hier wird wieder Erfahrung durch selbstverantwortliches Ausprobieren über schulmäßiges Trockentraining gestellt.
Der gesamte Projektansatz wird in diesem Jahr verstärkt in Richtung peer-education gehen. „Das heißt, dass ehemalige Teilnehmerinnen des Girls Rock Camp in die organisatorischen und inhaltlichen Abläufe der Projektwoche miteingebunden werden und auch selbst Workshops bzw. Kurse leiten“, erklärt Julia Boschmann die Idee, „wobei da natürlich schon die entsprechende Unterstützung gewährleistet wird, ohne die Mädchen ins kalte Wasser zu werfen.“

Das Angebot zur Teilnahme am pink noise Girls Rock Camp gilt landesweit, was bei der Bandzusammenstellung berücksichtigt werden sollte. Besteht die Absicht zur Weiterführung der musikalischen Aktivitäten, wird für die Mädchen nämlich auch die lokale Komponente – sprich die zu überwindenden räumlichen Distanzen – zur nicht vernachlässigbaren Größe werden.

Generell ist in diesem Zusammenhang der Nachhall erwähnenswert, den die Projektwoche erzeugt. So haben im Vorjahr zwei von vier Bands auch nach dem Girls Rock Camp weiterbestanden und sind immer noch  aktiv. „Der Aspekt der Nachhaltigkeit ist uns besonders wichtig. Darum auch der Versuch, frühere Teilnehmerinnen bei Folgeprojekten des Vereins einzusetzen“, beschreibt Julia Boschmann eines der wesentlichen Ziele von pink noise. Und weiters: „Wir möchten in Zukunft mit Sicherheit noch offener, im Sinne eines Plattformcharakters, werden – über Anfragen bezüglich Kooperationen freuen wir uns!

Das pink noise Girls Rock Camp
…oder warum es Spaß macht in einer Band zu spielen…
18.-24.08.2013
Alter Schlachthof Hollabrunn

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Pink Noise