Irgendwann in der Mitte des Interviews fällt der Begriff „erwachsene Musik“. Robert Lepenik denkt kurz nach und sagt dann: „Streich den Begriff am besten gleich wieder!“ Dabei ist es gar nicht um die Frage gegangen, die der Begriff unvermutet in den Raum wirft, ob es so etwas wie eine „gereifte“ Musik gibt, eine Musik, für die man erst in ein bestimmtes Alter kommen müsse, es war eher die Frage gemeint, für wen man eigentlich Musik mache. Ab einem gewissen Alter zumindest, wenn die idealistischen Träume der Jugend passé sind und man das öde Business längst in- und auswendig kennt. Aber damit sind wir schon bei den eher dunklen Konnotationen des Themas „erwachsene Musik“. Aber lassen wir das zunächst – es wird uns in diesem Text ohnehin verfolgen wie ein zugelaufener Hund, der nach einem Stöckchen geifert.
Kommen wir zur Frage, was das überhaupt für ein komischer Einstieg in ein Bandporträt ist. Daran ist der Autor schuld, ich geb’s zu, denn nach dem ersten Reinhören in die neue grandiose Striggles-Doppel-LP „Bilb“ war der Eindruck ein eher irritierender, den man eigentlich gar nicht verraten sollte, es ist fast wie die Pointe spoilern, ich verrate sie trotzdem: Die Platte macht eine Metamorphose durch, und zwar von ebenso knallhartem wie verspieltem Hardcore hin zu Improvisation und Irritation. Dazwischen gibt Martin Plass auf dem Track „Nation“ ein Gesangsdestillat zwischen Alkbottle und Falco, wogegen der sympathische Grazer im Interview übrigens vehement Einspruch erhebt, zu Recht natürlich, aber gemeint war damit nicht, dass er wie die einen oder der andere klingt, sondern wie ein molekularer Störfall aus beiden Extremen – was ja den Witz der Sache ausmacht.
Eine Hardcore-Naturgewalt
Eine Stunde später jedenfalls, als die Striggles ihre neue Platte live im Wiener Szenelokal Rhiz präsentierten, war klar, dass der Eindruck eines Hürdenlaufs quer über alle Genregrenzen täuschte, teilweise zumindest, live sind die Striggles eine Hardcore-Naturgewalt, die zackigen, pointierten Postrock ebenso wie elegischen Stonerrock spielen, die vor ironischen Soulreferenzen ebenso wenig zurückschrecken wie vor improvisierten Klangfarbeneinsprengseln. Es ist Rockmusik, eindeutig, aber vollgesogen mit musikalischer Kompetenz, ständig über die Grenzen des Genres hinausfunkelnd. In dieser verdichteten, virtuosen Qualität sind die Striggles vermutlich zeitlos, aber ist es trotzdem eine Musik, die eine junge Band so niemals machen würde, auch dann nicht, wenn sie exakt diese Art von Musik würde machen wollen … Aber da ist er schon wieder, dieser dahergelaufene Hund mit seinem Stöckchen.
Reden wir lieber mit den Striggles selbst. Wer ist denn das überhaupt? Da haben wir an der Gitarre Gottfried Krienzer, bekannt von der „noise-rock-electro band“ Code Inconnu, die mit ihrer zweiten Scheibe „Spoil, Microbe“ 2006 immerhin hymnische Kritiken im renommierten britischen Branchenblatt Wire einheimste. Dann haben wir an den Drums Slobodan Kajkut, der zugleich Komponist ist und das Label Godrecords betreibt, auf dem Leute wie Peter Ablinger, Bernhard Lang und Bernhard Gander großartige Sachen veröffentlichen. Wir haben des Weiteren den Sänger, Saxofonisten und Bassisten Martin Plass, der in Musicals ebenso souverän performte wie bei experimentelleren Bands wie Pol-Ton, Die Sekte oder Nectarius Soft. Und dann ist da noch Robert Lepenik, ein bisschen der Übervater der Striggles, was er aber auf gar keinen Fall sein will. Trotzdem ist er durch seine Bands Melville und vor allem Fetish69 „the most famous dog in the band“ – und mehr als bloß nebenbei auch als Komponist und Soundtüftler erfolgreich und anerkannt.
Die dämlichste aller Fragen
Diesen vier Herren stellen wir zunächst die dämlichste aller Fragen, mit der man MusikerInnen bis ins Grab hinein nerven kann: Warum ausgerechnet diese Musik, diesen Störfall aus Rock und Experiment? „Es ist nicht so, dass wir ein bestimmtes Konzept im Kopf hätten, sondern das ist die Musik, die wir eben machen, wo wir gerade stehen“, sagt Robert Lepenik. „Es gibt keinen Vorsatz, Schubladen zu zertrümmern, weil das niemand von uns interessiert. Die Freude am Experiment ist das einzig verbindende Element. Die Rockmusik ist dafür ein klasse Vehikel, weil man da an Grenzen kratzen kann.“ Gottfried Krienzer ergänzt: „Wir spielen seit zehn Jahren zusammen, da kriegt das eine Eigendynamik. Wir sind relativ weit vorne mit unseren Gedanken bei dem, was wir gerade erarbeiten, man muss die Sachen kaum noch aussprechen.“ Robert Lepenik: „Meine Mama hat immer gesagt: ‚Keine Uniform anhaben ist auch eine Uniform.‘ Aber klar, wenn Leute in einer bestimmten Schublade stecken, werden sie mit den Striggles nicht wirklich warm werden.“
Wie fand man sich so zusammen? Robert Lepenik: „Wir, also Gottfried und ich, hatten eigentlich vor, eine Funkband mit tief gestimmten Gitarren zu machen, aber mit dem Martin ist es dann ein bisschen bluesig geworden.“ Darauf Martin Plass: „Oje, tut mir leid.“ Slobodan Kajkut ergänzt: „Stimmt, das war schon eine arge Reihenfolge, erst Funk, dann Blues, dann experimentell.“ Martin Plass: „Na ja, ich muss jetzt sagen, ich habe euch zwei damals jammen gehört, und das war jetzt nicht besonders funky … Aber es hat mir gefallen, ich hab die Ohren aufgestellt und gesagt: ‚Geil!‘“ Dass das Resultat des gemeinsamen Zusammenspiels am Ende „geil“ sein sollte (und es auch ist), das kann man auf den früheren Striggles-Platten gut nachhören, im komprimiertester Form vielleicht auf der 2008 erschienen CD/LP „Expressionism“ (bezeichnenderweise mit dem US-Comic-Antihelden Zippy am Cover) oder in seiner vielleicht fetzigsten Form auf der 2011 erschienenen CD/DO-LP „Striggcatmummy“. Aber es wären nicht die Striggles, wenn es nicht auf jedem Album stets auch mindestens eine Nummer gäbe, die der Erwartungshaltung „Rockmusik“ kräftig auf die Finger klopfen würde. Also noch mal blöd nachgefragt: Wohin wollen die Striggles eigentlich? „Nach Amerika, Asien, Europa …“, witzelt Robert Lepenik. Oder es zumindest zur „Vorband von Alkbottle“ schaffen, fügt Plass hinzu. Mit experimentellem Rock? So schlecht komme der nicht an, meint der Bassist: „Es passiert ganz selten, dass es den Leuten gar nicht gefällt, viele schauen erst erstaunt und sagen: ‚Wos is denn des?‘ Aber dann gehen sie mit.“
Die totale Verfügbarkeit
Aber ist es heute nicht schwieriger geworden, eine widerborstige Musik unter die Leute zu bringen? Wenn es nicht Mainstream ist, bleibt oft nur die Nische. „Sicher hat sich die Infrastruktur geändert, aber Striggles und Fetish69, das sind vollkommen verschiedene Bands“, meint Robert Lepenik. „Es ist alles kapitalistischer geworden, die Musikindustrie bröselt, ist in viele, oft künstliche Nischen aufgeteilt, und vielleicht gibt es heute wirklich weniger Leute, die an grundsätzlichen Zugängen interessiert sind … Aber das geht jetzt ein bisschen ins Philosophische.“ Vielleicht liegt es auch an der totalen Verfügbarkeit, die das Internet gebracht hat. Wer schafft es heute noch, das Publikum wegzublasen? „Früher hat einen das mehr angejunkt, wenn man eine tolle Musik gehört hat, dann war man überall auf der Suche danach. Heute muss man bloß klicken oder es wird überhaupt vorserviert. Das sei gut, sagen die Medien, zum Beispiel Bilderbuch, dann klicken wir es an und sagen: ‚Ah, so klingt das!‘“
Das Umfeld hat sich gewandelt, nicht aber der Zugang zu Musik. Martin Plass: „Ich habe in den 90ern zufällig mit dem Robert zusammengespielt, mit einem anderen Bassisten und Schlagzeuger allerdings, aber die Experimentierfreudigkeit war schon damals da. Der Zugang, was ich überhaupt von einer Musik will, der hat sich nicht geändert, höchstens verschärft.“ Lepenik ergänzt: „Das ist vielleicht auch eine Art von Sozialisation, wie man da tickt. Ich will machen, was mich interessiert, was ich geil finde. Wenn ich Geld verdienen will, muss ich etwas anderes machen.“ Klingt das nicht etwas abgeklärt, resigniert? Da läuft schon wieder das Hündchen herbei und will sein Stöckchen. Lepenik winkt ab: „Nein, das ist nicht abgeklärt, tatsächlich möchte ich nach wie vor die Welt begeistern, mir ist nicht vollkommen wurscht, was die Leute denken.“
Vielleicht sollte man nach dieser Aussage in aller Feierlichkeit den 18-minütigen Track „Ragtime“ auf „Bilb“ anhören … Aber um es an dieser Stelle kurz zu machen: Ist nicht gerade vorhin die Rede davon gewesen, dass keine Kompromisse gemacht werden? Das klingt nicht so, als wollten die Striggles auf ihr Publikum zugehen. „Das nicht, aber vielleicht will jemand genau diese Kompromisslosigkeit hören“, sagt Lepenik. „Ich will unbedingt haben, dass die Leute das hören und anerkennen, denn ich halte das ja für das Richtige.“ Dazu nicken alle Mitglieder der Band. Da darf man sich dann auch auf den Schummelzettel notieren, dass es das ist, wofür die Striggles letztendlich stehen: Kompromisslosigkeit!
Frühstücksfernsehen
Wem diese Kompromisslosigkeit auf „Bilb“ noch nicht restlos überzeugt, besorgt sich vielleicht die 5-mal-7-Zoll-Box „Schiizo“. Das ist nicht nur ein geiles Sammlerstück, das musikalische Kooperationen mit Bulbul, Kreisky, Peter Ablinger, Bernhard Lang und Opcion verewigt, sondern man hat sich auch noch von Monty Python den Schmäh mit den parallelen Rillen ausgeborgt. Je nachdem, an welchem Punkt man die Plattenspielernadel ansetzt, hört man ab einem bestimmten Zeitpunkt ein anderes Stück. Ernsthaft? Ernsthaft! „Schiizo“ ist in gewisser Hinsicht ein Manifest für den Zugang der Striggles, für ihre Unnachgiebigkeit, gepaart mit einer ganz eigenen Verspieltheit, die das ironische Schielen in Richtung Mainstream durchaus inkludiert. So ist etwa der Titel „Bilb“ eine Abkürzung und steht für „Billboard Charts“, das ewige Synonym für „Erfolg“ im Popbusiness. Entstanden ist der Titel nach einem häufigen Ausspruch von Marin Plass am Ende des Entstehens einer neuen Striggles-Nummer: „Na, das wird uns auch nicht in die Bilb bringen.“ Durchaus. Die Bandbreite zwischen dem punktgenauen Hardcore auf „Expressionism“ und der mäandernden Verspieltheit auf „Schiizo“ beantwortet schließlich auch die eingangs gestellte Frage bzw. wirft dem Hund endlich sein Stöckchen zu. Ist das „erwachsene Musik“? Indirekt eben schon, weil man eine Menge musikalischer Erfahrungen benötigt, um sich so souverän und lässig über Genregrenzen hinwegzusetzen. Zugleich ist unüberhörbar, dass die Striggles den Spaß an der Sache nie aus den Augen verloren haben – in diesem Sinne: ein doppelter Glücksfall!
Curt Cuisine
Link:
The Striggles