VIOLETTA PARISINI setzt ihren musikalischen Weg, den sie mit dem letzten Album „Alles Bleibt“ (2020) eingeschlagenen hat, auf ihrer neuen EP „Unter Menschen“ (Else Musik) fort. Eine deutschsprachige Veröffentlichung mit Liedern, die tief in die Gefühlswelt der Wiener Liedermacherin eintauchen lassen und dabei im positivsten Sinne aufwühlen. Ihre kunstvoll gewählten Worte berühren, sie lassen nachdenken, reflektieren und Hoffnung schöpfen. Im Interview mit Michael Ternai erzählt die Wiener Liedermacherin über das Gefühl von Freiheit, die Herausforderungen, die Unabhängigkeit mit sich bringt, und dass es am Schluss immer um Versöhnung geht.
Du hast deine ersten beiden Alben noch in Englisch eingesungen. Und auch musikalisch war damals alles noch deutlich stärker im Popumfeld angesiedelt. Mit deinem letzten Album „Alles bleibt“ hast du dich dann deutschen Texten zugewandt und dich vom klassischen Popformat verabschiedet. Inwieweit, glaubst du, hast du mit dieser, deiner neuen EP den musikalischen Ort gefunden, an dem du dich zu Hause fühlst?
Violetta Parisini: Ich würde sagen, dass ich meine Sprache gefunden habe. Musikalisch und auch textlich. Gleichzeitig merke ich aber auch, dass ich – obwohl ich jetzt das Gefühl habe, dass ich quasi mein Zuhause gefunden habe – eigentlich schon wieder Lust hätte, dieses da und dort auch mal wieder zu verlassen, um wieder mehr Experimente machen zu können. Aber was diese EP für mich auf jeden Fall darstellt, ist, dass sie eine Basis ist, auf die ich immer aufbauen kann.
Auch wenn ich mit anderen Menschen gemeinsam Songs schreibe, merke ich, dass meine Sprache – ganz unabhängig vom Text und dessen Qualität – eine sehr spezielle ist. Das bedeutet jetzt aber nicht, dass ich nicht auch in anderen Sprachen hin und wieder gerne etwas sage bzw. singe. Ich habe für mich nur noch nicht ganz entschieden, ob Violetta Parisini nur noch mit dieser einen speziellen Sprache stattfindet, oder ob ich das Ganze doch wieder einen wenig aufmache, zum Beispiel, wenn ich Kooperationen mit anderen mache.
Was die EP für mich auch vermittelt ist, dass du jetzt auch dort angekommen bist, wo du wirklich genau das tust, wonach dir gerade ist. Irgendwie schwingt in deinen neuen Liedern auch ein Gefühl von Freiheit mit.
Violetta Parisini: Ja! Die Dinge, über die ich schreibe, sind solche, die mich immer schon bewegt haben. Nur habe ich für die einfach lange keine Worte gefunden. Ich hatte zwischen dem zweiten und dritten Album eine Phase, in der ich viele Jahre sehr intensiv an meinen deutschen Texten gearbeitet habe. Ich habe mich gefragt, wie ich auf Deutsch singen kann, ohne dass es kitschig oder klischeehaft klingt. Deutsche Texte können ja schnell auch einmal cheesy sein. Ich tat mir da vielleicht auch ein wenig schwer, weil es im deutschen Sprachraum für das, was ich mache, nicht so viele Vorbilder gibt. Aber ich glaube, diese Jahre der Suche haben sich gelohnt, und ich empfinde das jetzt auch als Freiheit, weil ich eben rausgefunden habe, wie ich sagen kann, was ich sagen will.
„Ich war plötzlich nicht mehr die, die ich davor gewesen war.“
Du hast, wie vorher schon erwähnt, einen starken musikalischen Wandel vollzogen. Wie stark hast du dich als Person gewandelt? Wenn du dich mit der Person vergleichst, die du vor zehn, elf, zwölf Jahren warst, wer war Violetta Parisini damals? Wer ist sie heute?
Violetta Parisini: Zum einen bin ich Mutter geworden und habe durch dieses Mutterwerden einfach auch meine Selbstwahrnehmung sehr stark hinterfragen müssen, weil es mich damals komplett auseinandergenommen hat. Ich war plötzlich nicht mehr die, die ich davor gewesen war. Ich glaube schon, dass die damalige Violetta Parisini ich war, nur jünger und mit einigen Erfahrungen weniger. Diese neue Situation hat in mir eine Krise losgetreten, in der ich aber auch wahnsinnig viel gelernt habe, über mich, die Welt und auch darüber, wie fragil alles ist.
Als ich noch jünger war, habe ich viele Dinge sehr selbstverständlich angenommen, quasi wie Geschenke. Ob das nun die Lieder waren, die ich wie selbstverständlich geschrieben oder mit-geschrieben habe, oder die tollen Leute, mit denen ich damals zusammenarbeitete. Ich hatte damals einen großartigen A&R bei einem großen Label, und von meinem Produzenten habe ich wahnsinnig viel gelernt. Aber ich war in meiner ganzen Herangehensweise viel naiver. Und das ist mir erst bei meiner letzten Veröffentlichung „Alles bleibt“ und jetzt auch mit der EP „Unter Menschen“ so richtig bewusst geworden. Es ist schwieriger geworden, weil ich die Label-Arbeit alleine mache. Gleichzeitig war dieses alleine Machen für mich aber auch nötig, um mich nicht mehr irgendwo dranlehnen zu müssen. Jetzt lehne ich mich großteils nur noch an mich selber an.
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Um wirklich voll selbstständig und unabhängig sein zu können …
Violetta Parisini: Ja, aber diese Selbstständigkeit ist nicht nur schön. Sie ist auch richtig zach und sehr beängstigend, wenn man sie in aller Konsequenz fertig denkt. Sie hat viel mit Existenziellem zu tun und ist sehr fragil. Es ist mir klar geworden, wie viel hinter dem, was mir früher auf eine sehr spielerische und selbstverständliche Art zugeflogen kam, tatsächlich gesteckt hat. Auf allen Ebenen.
Auf der EP geht es um Reflexion, Selbstbestimmung und Kommunikation. Und du zeigst in den Liedern auch eine kämpferische Seite. Aber das nie mit einem mahnenden Fingerzeig, sondern am Ende immer versöhnlich.
Violetta Parisini: Ja. Versöhnung ist in fast jedem meiner Songs ein ganz, ganz großes Thema. Die Versöhnung mit mir, die Versöhnung mit meiner Depression, die Versöhnung mit der beschissenen und gleichzeitig aber auch wunderschönen Welt, in der wir leben. Ich habe viel Kampfgeist in mir und streite und diskutiere auch gerne mit Leuten, die anderer Meinung sind oder bei denen ich das Gefühl habe, dass sie manches nicht fertig überlegt haben. Aber ich versuche dann auch immer wieder an den Punkt zu kommen, an dem ich merke, dass wir alle Menschen mit Bedürfnissen sind. Und in dem Moment, in dem wir versuchen, auf diese Bedürfnisebene zu gelangen, können wir auch für Menschen Empathie empfinden, die eine komplett andere Weltsicht haben. Das per se ist versöhnlich.
Die Nummer „Tatjana“ ist ja das Versöhnungs-/Rachelied der EP schlechthin. Und sie ist auch ein Motor für meine eigene Weiterentwicklung. Sie erzählt eine Geschichte, die viele Leute kennen. Man verbringt mit einem Menschen, von dem man meint, dass dieser die Begriffe richtig und falsch gleich deutet, viel Zeit, um schließlich draufzukommen, dass das eigene Richtig und Falsch eigentlich etwas anders sind als das des Gegenübers. Da muss man sich dann emanzipieren und ablösen. Am Ende von allem ist aber immer die Versöhnung, sonst kommt man auch nicht weiter. Mir fällt kein Mensch ein, mit dem ich mich innerlich nicht versöhnen konnte bzw. könnte oder schon versöhnt habe.
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„Vor allem im Gedanken von Brené Brown, dass es letztlich die Verletzlichkeit ist, die uns alle verbindet, habe ich mich wiedergefunden.“
Du gibst in deinen Liedern viel von dir preis. Ist dir das immer schon leicht gefallen so offen zu sein oder musstest du diese Offenheit erst lernen?
Violetta Parisini: Ich glaube, ich war – was meine Gedanken und Gefühle betrifft – immer schon ein wenig exhibitionistisch veranlagt. Auch weil ich immer schon sehr gerne mit anderen Menschen in Kontakt gegangen bin. Der beste Weg für mich mit jemanden in Kontakt zu gehen, ist etwas von mir zu zeigen und dann zu schauen, was mein Gegenüber von sich zeigt. Aber dennoch war ich mir in der Phase zwischen dem zweiten und dritten Album bei ein paar Liedern nicht so sicher, ob ich es schaffen würde, sie zu veröffentlichen. Die habe ich dann lange liegen lassen. Es gibt schon einen Grund, warum zwischen diesen beiden Alben acht Jahre liegen. Und es war nicht nur der Entstehungsprozess. Eine große Rolle spielten auch meine Überlegungen, ob ich sie auf der Bühne auch repräsentieren kann.
Im Endeffekt war es (wenig) auch ein Experiment. Ich habe zu der Zeit auch Bücher von Brené Brown und Amanda Palmer gelesen, was für mich total wichtig war, sind sie für mich doch gedankliche Vorbilder geworden. Vor allem im Gedanken von Brené Brown, dass es letztlich die Verletzlichkeit ist, die uns alle verbindet, habe ich mich wiedergefunden. Nur liegt auf dieser Verletzlichkeit sehr viel Scham drauf. Wir müssen erst durch die Scham durchtauchen, um zur Verletzlichkeit zu gelangen, die uns ermöglicht, uns voll mit der Umgebung zu verbinden. Dieser Wille war immer schon in mir drinnen.
Das erste Lied, das ich auf Deutsch herausgebracht habe, ist „Die Dunkelheit hat keine Farben“. Und auf dieses habe ich unglaubliches Feedback bekommen. Ich habe ganz viele E-Mails von Leuten bekommen, die mir von ihren Depressionen erzählt haben. Da habe ich gewusst, dass es die richtige Entscheidung war, dieses Lied zu veröffentlichen. Es braucht einfach manchmal jemanden, der sich hinstellt und sagt: „So war es bei mir“. Das macht auch für andere den Raum auf, sich mitzuteilen. Ich wünsche mir immer, dass meine Musik Kommunikation ist und auch bleibt. Je tiefer ich in mich hineingreife, desto mehr ermutige ich mein Publikum auch in sich hineinzugreifen und sich auch damit anzufreunden, dass alle Gefühle – von Scham über Schmerz bis Freude – okay sind. Sie sind einfach Teil ihres Menschseins.
Das Schöne an deinen Liedern ist auch der musikalische Aspekt. Die Musik verleiht deinen Texten eine zusätzlich Tiefe. Wie sehr machst du dir über den passenden Sound Gedanken?
Violetta Parisini: Der Sound ist ganz stark von Sixtus Preiss geprägt. Ich schreibe den Text, die Melodie und die Chords und gehe dann zu Sixtus, der meistens noch einmal in die Chords und die Melodieführung eingreift. Auch die Arrangements stammen von ihm. Sixtus ist ein totaler Sound-Nerd, dem es wahnsinnig wichtig ist, wie etwas klingt. Das sind Dinge, die sich für mich erst über ihn eröffnet haben. Es war mir schon vor unserer Zusammenarbeit klar, dass etwas gut klingen muss, aber es hat mich nie wirklich gepackt, wie man es macht, dass es tatsächlich geil klingt. Ich sehe mich auch viel mehr als Liedermacherin, denn als Musikerin. Glücklicherweise habe ich aber eine Reihe großartiger Musiker:innen an meiner Seite, von denen der erste eben Sixtus ist. Auf der EP spielen zB Emily Stewart und Lukas Lauermann die Streicher, und live habe ich in den letzten Jahren viel mit Peter Rom und Hanibal Scheutz im Trio gespielt, und unglaublich viel von ihnen gelernt.
Du präsentierst die EP am 25. November in der Sargfabrik. Sind in diesem Jahr weitere Konzerte geplant?
Violetta Parisini: Am 18. November gibt es im Guest Room in Graz noch eine Solo-Show. Sonst findet in diesem Jahr nichts mehr statt. Mit Konzerten geht es erst wieder im Frühjahr los. Wir sind gerade am Buchen, was aktuell nicht so leicht ist. Wir werden sehen, wie viele Konzerte es letztlich werden.
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Zum Abschluss vielleicht noch ein anderes Thema. Vor Kurzem sind ja Pläne des ORF bekannt geworden, die Einsparungen bei FM4 und Ö1 beinhalten. Zudem steht auch eine Kürzung der Tantiemen im Raum. Viele Musikschaffende reagierten entsetzt auf die Pläne. Wie ist das bei dir?
Violetta Parisini: Ich habe tatsächlich seit einer Woche einen Text dazu auf meinem Desktop gespeichert, den ich immer wieder redigiere und neu schreibe, weil das Thema ein so komplexes ist. Da spielen einfach wahnsinnig viele Dinge hinein. Ich habe das Gefühl, dass da sehr viele Baustellen gleichzeitig zu wackeln beginnen. Und das ist schon sehr beängstigend. Sollte Ö1 Sendungen wie Zeit-Ton, die Jazznacht und andere einfach abdrehen, dann fallen mit einem Schlag Sendungen weg, die unheimlich wichtig sind, weil sie einem Teil der Szene Raum bieten, der sonst medial wenig vorkommt. Womit diese total ausgehungert wird. Die Szene lebt nicht von den paar erfolgreichen Acts, die täglich im Radio gespielt werden, sondern von all denen, die neue Ideen entwickeln, innovativ sind und weniger massentaugliche Sachen machen. Und die haben auch ihr Publikum. Nur ist nicht das Mainstream-Publikum. Wenn alle Teile eines Senders nur noch auf das Mainstream-Publikum schauen, was passiert dann mit den vielen anderen. Ich verstehe nicht, was das für einen Sinn machen soll. Und es ist auch total frustrierend, weil man das Gefühl bekommt, dass das Publikum ständig unterschätzt und dann wieder unterfordert und dann wieder unterschätzt und wieder unterfordert wird usw. Das ist ein ewiger Teufelskreis in Richtung Verdummung. Ich glaube, man kann das durchaus so plakativ sagen.
Das Gleiche gilt auch in der Information. Ich liebe die Informations- und Nachrichtensendungen auf Ö1, weil die Beiträge dort in die Tiefe gehen. Man braucht halt ein bißchen Zeit für die Tiefe. Auch FM4 macht großartige Inhalte und bereitet sie gut auf. Auch über die österreichische Musikszene. Es ist so wichtig, dass diese ganzen Inhalte einen Ort haben, an dem man in die Tiefe gehen kann und man nicht einfach drüberwischt, damit bloß niemand wegschaltet. Ich finde die Pläne katastrophal. Wenn die wirklich durchgezogen werden, wird es Zeit für einen neuen Radiosender. Ich will das dann nicht mehr hören und will auch kein Teil von etwas davon sein, wo alles verkürzt und vereinfacht dargeboten wird. Ich kann nur hoffen, dass es da bald eine Gegenbewegung gibt.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Michael Ternai
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Violetta Parisini live:
18.11. Guest Room, Graz – solo
25.11. Sargfabrik, Wien, EP Release Show
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