Uraufführungen von Gerald Resch und Thomas Daniel Schlee mit dem Ensemble die reihe (Nachbericht)

Bereits am Mittwoch vergangener Woche gab es im RadioKulturhaus ein weiteres Konzert der “reihe”, mit dem das Ensemble heuer sein 50-jähriges Bestehen feiert. Es dirigierte Christian Muthspiel. Neben Aufführungen von James MacMillan und einer abermals fulminanten Wiedergabe der “Chamber Symphony” von John Adams kamen als Auftragswerke, welche die reihe gemeinsam mit dem ORF vergeben konnte, die neuen Stücke “Grounds” von Gerald Resch und “Enchantement vespéral” von Thomas Daniel Schlee zur Uraufführung.

Wir möchten nicht versäumen diese Aufführungen auch noch einmal im Nachhinein zu würdigen. Christian Muthspiel ist ja nicht nur ein bedeutender Musiker und Komponist, sondern er dirigiert seit geraumer Zeit auch selbst sorgfältig ausgeklügelte Werkzusammenstellungen. Er hat unter anderem eigene Zyklen speziell programmierter Konzerte inne, zum Beispiel mit der “Camerata Salzburg” und dem “Münchener Kammerorchester”. Auch er selbst erhielt übrigens Kompositionsaufträge vom Wiener Musikverein (Chorwerk zum 150. Jubiläum des “Wiener Singverein”, UA April 08 Musikverein Wien), weiters vom “Siemens Arts Program” (Liederzyklus für Angelika Kirchschlager nach Texten von Marcel Beyer, UA Musikfest Weimar 08), vom Festspielhaus St. Pölten (für das Ensemble “die reihe”, UA Februar 2009) und dem Niederösterreichischen Tonkünstler Orchester (Doppelkonzert für Violine, Percussion und Orchester für Benjamin Schmid und Martin Grubinger, UA Oktober 2009).

Muthspiel moderierte das “reihe”-Programm im Großen ORF-Sendesaal auch selbst und interviewte die beiden ausgewählten Komponisten vor den Wiedergaben. . Gerald Resch, der 33jährige gebürtige Linzer zählt bereits zu den etablierten Komponisten der jungen Generation, gab seiner Musik den Titel “Grounds”, sie basiert auf dem alt-englischen Cantus firmus In  Nomine, der unter anderem in den kühnen Gambenfantasien Henry Purcells Verwendung fand. Dieser Cantus firmus ist sofort zu erkennen, wird in dem variativen Stück zitiert, verwischt, von den verschiedenen Instrumenten mit verschiedenen Farben beleuchtet und erscheint (und das ist ganz besonders schön zu hören, wie toll Henry Purcell ihn als “Fantasia” polyphon komponierte) gegen Ende auch in originaler Gestalt, von Resch blendend instrumentiert. Resch sagte in dem Gespräch mit Muthspiel, es sei klar, dass man sich in gerade in Wien als Komponist immer wieder mit der musikalischen  “Vergangenheit” beschäftigen müsse – dazu gehöre aber auch die großartige englische Musik aus der Zeit von Henry Purcell. Weiters habe er sich auch an einem großen Komponisten der jüngeren Vergangenheit orientiert – es sei dies der Mitbegründer und Namensgeber der reihe György Ligeti und dessen Kammersymphonie.

In einem kurzen Artikel schrieb Gerald Resch über “Grounds”: “Im England des 16. Jahrhunderts entwickelte sich die Variationsform der Grounds, bei denen ein vorgegebener Cantus Firmus von Stimme zu Stimme wandern kann, während die anderen Stimmen frei darüber kontrapunktieren.

In meiner 5-sätzigen Komposition stellt ein altenglischer Cantus firmus, der sogenannte “In Nomine”-Cantus firmus mit seiner Folge von 35 Tönen, das melodische Grundmaterial dar. Aus dieser unzeitgemäßen Vorlage habe ich melodische, harmonische, rhythmische und formale Ableitungen entwickelt, die zu meiner eigenen Klangsprache passen. Der Cantus firmus ist also während des gesamten Stückes in modifizierter Form als Hintergrund präsent. Im 4. Satz wird eine “In Nomine”-Phantasie Henry Purcells zitiert, zu deren fremdartiger Schönheit ich versucht habe, behutsam hin- und auch wieder wegzuführen.”

 

 

Thomas Daniel Schlee, der sich viel in Frankreich aufhielt und von der dortigen Kultur fasziniert wurde, lieferte mit “Enchantement vespéral” eine phantastische, ruhige, ins “Innen” schauende, nie atemlos verlaufende oder gar überladen wirkende  Komposition mit dem selben Titel wie das Gemälde Chagalls (geb. 1887 in Ljosna bei Witebsk, Weißrussland – ? 1985 in Saint-Paul-de-Vence, Frankreich). Das Bild wurde zur Erläuterung auch auf eine Leinwand im Saal projiziert. Thomas Daniel Schlee, Musikwissenschaftler und Komponist war selbst Schüler von Olivier Messiaen. Er leitet seit 2004 als Intendant den Carinthischen Sommer in Ossiach.

In einem Interview für den Bärenreiter-Verlag erläuterte Chagall seine Komposition ähnlich wie gegenüber dem Publikum im Sendesaal: “Diese Komposition bleibt durchwegs im Inneren von Klang und Gefühl. Es bezieht sich auf ein Gemälde von Chagall, Enchantement vespéral (Abendzauber), das für mich die Gestaltwerdung von Glück darstellt: das Glück an einem linden Sommerabend, wenn alles sich in Harmonie befindet. Ich habe eine Disposition gefunden, ein eigenartiges Ensemble, das diese linde Stimmung ausdrücken soll. Das Stück wird vornehmlich durch die Klangfarbe geleitet. Altflöte, Englischhorn, Kontrafagott, Horn, Violine, zwei Bratschen und Violoncello, Harfe und Celesta – also mehrheitlich tief klingende, sanft-dunkle Instrumente. Für mich sind solche Anregungen, wie sie von Bildern, religiösen Sujets oder Worten ausgehen, oft Auslöser für Musik, ich komponiere immer nach einem Leitgedanken, und der ist nur selten rein musikalisch. In diesem Fall enthält das Bild mit einem Geiger und einem Vogel sogar musikalische Elemente. Das Stück ist eine Studie über die  Langsamkeit, und es geht darum, mit Klängen die Poesie des von Chagall so wunderbar dargestellten Augenblickes zu treffen. Den Hörer erwartet fließende Schönheit . ” Zu dem Stück gab es einen “Vorläufer” von nur zwei Minuten Dauer, den Schlee 2007 für Altflöte solo komponierte: En regardant “Enchantement vespéral” de Marc Chagall.

Thomas Daniel Schlee ist neben seiner Tätigkeit für den Carinthischen Sommer auch als Komponist derzeit sehr gefragt und vieltätig: Für das Staatsorchester Stuttgart komponiert er gerade das Werk  “Spes unica” für großes Orchester. Manfred Honeck dirigiert die Uraufführung (12.7.2009). In Konstanz wurde Schlees Konzert für Klavier und Orchester von der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz uraufgeführt. (1./3.4.2009, 4.4. in Singen) Die Kirchenoper “Ich, Hiob” wurde im März nun auch in der Minoritenkirche Linz gespielt (27.03.09). Dazu kamen Uraufführungen  von Kammermusik: “Vom Abend zum Morgen”, op.62 für Sopran und Altflöte in G, sowie der “Jubilus” op. 35a für Violine, Violoncello und Klavier durch das JESS-Trio in Neuberg an der Mürz (hr).

Foto Schlee © Ferdinand Neumüller
Foto Resch © R. Publig