„Unsere Idee ist die Verquickung von neuer Komposition, Klangkunst und Improvisation (…)“ – WERNER RADITSCHNIG im mica-Interview

Eine neue, vom Salzburger Komponisten WERNER RADITSCHNIG initiierte Konzertreihe widmet sich zeitgenössischer experimenteller Musik zwischen Klangkunst und Improvisation. Allein der Ort ist ein (auch akustisches) Kunstwerk an sich. Gehört zu den Spezifika der Salzburger KOLLEGIENKIRCHE doch nicht nur die einzigartige Mauracher-Orgel, sondern auch eine Hallzeit von über acht Sekunden. Dadurch entsteht ein einzigartiger Klang- und Hörraum, der ganz im Sinne der Romantik den Affekten der Transzendenz gewidmet ist. Gleichzeitig stellen diese Gegebenheiten auch Herausforderungen an die KünstlerInnen, die sich damit auseinandersetzen wollen. So geht es bei der im Sommer dieses Jahres gestarteten Reihe nicht um virtuoses Spiel, sondern um Transformationen von Raum und Zeit sowie um die damit verbundenen Empfindungen. 

Unter dem Motto „ZeitachsenOrganum“ sollen dabei KünstlerInnen präsentiert werden, die mit ihrer Ästhetik und Formensprache einen „Dialog mit der romantischen Mauracher-Orgel aufnehmen“ und „auf die Kubatur der Kirche konzertant-installativ reagieren“, indem herkömmliche Konzertaufführungspraxen überwunden bzw. erweitert werden. Didi Neidhart sprach mit Initiator WERNER RADITSCHNIG.

Die Konzerte finden in der Kollegienkirche statt, die hierbei als „Klangraum“ ja nicht nur als Veranstaltungsort fungiert. War das schon immer so geplant oder gab es auch Ideen bezüglich anderer Locations?

Werner Raditschnig: Die Idee, Konzerte in der Kollegienkirche zu veranstalten, kam bei einem Projekt von Andreas Ohrenschall im Rahmen von Salzburg 20:16 auf. Ich komponierte eine Musik, die sich mit dem Orgelklang auseinandersetzte, Hans Josef Knaust war mein Organist. Danach entstand die Idee von speziellen, unverwechselbaren akustischen Aktionen in der Kirche

Mit den oenm-Reihen „ganz privat“ und „Warum erst jetzt?“, den trans-Art-Konzerten und dem heuer wieder im Oktober stattfindenden Crossroads – International Contemporary Music Festival des Mozarteums gibt es ja durchaus Initiativen, die sich der Förderung und Vermittlung von Neuer und zeitgenössischer Musik in Salzburg annehmen. Wodurch unterscheidet sich nun aber Ihre neue Konzertreihe von den anderen?

Werner Raditschnig: Der Unterschied liegt in Gegebenheiten, nämlich dass die Mauracher-Orgel für Virtuosen als unspielbar gilt. Unsere Idee ist die Verquickung von neuer Komposition, Klangkunst und Improvisation, wenn möglich in einer Person mit dem Raum und der Orgel.

Hat die Neue Musik in Salzburg immer noch einen schweren Stand? Immerhin gibt es mit dem „MultiMediaArt-Lehrgang“ an der FH Salzburg sowie dem Institut für Neue Musik und dem Studio für Elektronische Musik am Mozarteum durchaus Orte, an denen sich – wenn auch mit unterschiedlichen Gewichtungen – der zeitgenössische Nachwuchs manifestieren könnte.

Werner Raditschnig: Für die Größe der Stadt gibt es eigentlich erstaunlich viele Initiativen, die sich mit zeitgemäßen Musikstilen präsentieren, aber in unserem Fall erfordert die Situation andere Konzepte. Wir sprechen von etwas, was nur in diesem Raum möglich ist und nicht übertragen werden kann.

Wie kam es eigentlich zum Titel „ZeitachsenOrganum“?

Werner Raditschnig: Die kreierte Wörterkombination geht von drei Positionen aus: zum einen von einer ausgesuchten Komposition aus den 1960er- und 1970er-Jahren für Solo-Orgel als musikdramaturgische Maßnahme und Einleitung in den Hauptteil des Abends. Dann gibt im Raum der Kirche mit einer Hallzeit von bis zu acht Sekunden Zeitachsen, die auch für die Musik unterschiedlich genutzt werden sollten. Und schließlich weist „Organum“ darauf hin, dass eine Verbindung zur Orgel hergestellt wird, und zwar unabhängig von der Ästhetik und dem Zeitanspruch.

In diesen Räumen geht es nicht um Machtdemonstration, sondern um Offenheit.

(c) Andreas Schatzl

Im Rahmen der Konzerte sollen Künstlerinnen und Künstler präsentiert werden, die, wie Sie schreiben, „mit ihrer Ästhetik und Formensprache den Fokus auf Raum, Zeit und Transformation“ legen. Wieso gerade auf diese Aspekte?

Werner Raditschnig: Weil sich der Kirchenraum dafür gut eignet und die Kollegienkirche in ihrem Erscheinungsbild die Betrachterin und den Betrachter nicht zumacht und zudrückt, sondern öffnet. In diesen Räumen geht es nicht um Machtdemonstration, sondern um Offenheit.

Dazu kommt ja noch die naheliegende Absicht, „den Dialog mit der romantischen Mauracher-Orgel“ aufzunehmen. Worum geht es bei diesem Dialog bzw. bei diesen Dialogen? Um alte Instrumente und neue Spielweisen? Um neue Erkenntnisse oder die Wiederentdeckung von alten?

Werner Raditschnig: Die Mauracher-Orgel zählt mit den Orgeln der Piaristenkirche und der Votivkirche in Wien zu den bedeutendsten romantischen Orgeln Österreichs. Das ist eine bis dato nicht genutzte Situation, die sich hervorragend für experimentelle Musikformen anbietet. Die Registerzüge sind rein mechanisch, dadurch lassen sich durch minimale Verschiebungen Tonhöhenabweichungen und Glissandoschleifen erzielen, die auf keiner modernen Orgel darstellbar sind. Außerdem verfügt die Orgel über eine weiche Klanggebung, die für eine öffentliche Präsentation durchaus interessant ist.

Ein weiterer Ansatzpunkt der Reihe sind zudem „kompositorische Klangprozesse und Klangaktionen“. Heißt das, dass es um mehr als „nur“ Konzerte gehen soll?

Werner Raditschnig: Der Fokus liegt bei uns auf künstlerischen Personen, die den Bereich als selbstspielende Produzentinnen und Produzenten für ein Set abdecken können. Die Anzahl der beteiligten Künstlerinnen und Künstler ist auch in diesem Fall auf maximal zwei bis drei Personen beschränkt.

Der Begriff „Konzert“ ist hier für uns nicht so wichtig. Man besucht einen Ort und an diesem Ort wird etwas stattfinden, was nicht kompatibel zu anderen Orten ist.

Welche Vorteile, Herausforderungen und Neuigkeiten bringt die Arbeit mit „Klangerzeugern, Elektronik, Stimmen und Einzelinstrumenten“ im Gegensatz zum rein traditionellen, klassischen Instrumentarium?

Werner Raditschnig: Die Ausweitung des Instrumentariums zur Erzeugung akustischer Ereignisse ist seit circa 60 Jahren gang und gäbe. Die Verlagerung ist zumeist erst erkennbar, wenn man nicht nur Konzerte mit Neuer Musik, sondern auch Konzerte von Ensembles mit projektorientierter Musik, von Impro-Ensembles, Klangaktionen etc. verfolgt. Es gibt schon viele Ensembles, die sich nur nach rein ästhetisch-stilistischen Zielen formieren. Auch der Einsatz von Elektronik ist Usus geworden.

Es ist Heilung für die Ohren.

Das erste Konzert mit Aleksandre Zamojska, Hans Josef Knaust, Marek Kopelent und Ihnen fand ja schon Ende Juni statt. Wie war das? Welche Erfahrungen nehmen Sie davon für die weiteren Konzerte mit?

Werner Raditschnig: Unsere Bestrebung ist, dass jeder Abend eine spezielle Ausrichtung bekommt. Im ersten Konzert ging es speziell um Zeitverschiebungen, Echos, Raum im Raum und auch die Spiegelung des Orgelklanges mittels Computer, was zu unterschiedlichen Dichteverhältnissen von ganz wenig zu brachial führte. Mit 80 Personen als Zuhörerinnen und Zuhörer waren wir auch sehr zufrieden. Wir hoffen, weiterhin Interesse zu wecken.

Was können wir uns vom zweiten Konzert mit Klaus Fessmann unter den Titel „Klangsteine“ erwarten?

Werner Raditschnig: Klaus Fessmanns „Klangsteine“, welche mittels Handreibung faszinierende Klänge – von tiefen Tönen bis hin zu sich verzweigenden hohen Klängen – in unwahrscheinlicher Vielschichtigkeit aufbauen, wirken direkt als schwingende Materie auf den Raum. Es gibt Vibrationen, die am Boden spürbar werden, und Frequenzen, die in alle Nischen der Kirche vordringen. Es ist Heilung für die Ohren.

Wie finanziert sich solch eine Reihe eigentlich und wie viele Personen sind involviert?

Werner Raditschnig: Derzeit wird die Reihe nur mit wenigen Mitteln aus dem Kulturbudget der Stadt und etwas Geld vom Land Salzburg finanziert. Die ARGE besteht aus drei Personen: Christian Wallisch-Breitsching von der Kollegienkirche, dem Organisten und Berater Hans Josef Knaust und mir.

Gibt es schon Pläne für 2018?

Werner Raditschnig: Wir wollen vorerst daran festhalten, einen Abend im Juni und einen im Oktober zu gestalten. In Planung sind Katharina Klement und Burckhard Stangl.

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Didi Neidhart

 

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