„UNS VERGISST MAN SCHON NICHT” – ESC-TEILNEHMER ABOR & TYNNA IM MICA-INTERVIEW

ABOR & TYNNA sind Chefsache. Vierter Stock, Sony Wien. Es riecht nach großem Geschäft. Das hat zwei Gründe: Die Floridsdorfer Geschwister vertreten Deutschland beim 69. Eurovision Song Contest (ESC). Und sie haben mit „Bittersüß” (14. Februar 2025, Jive/Sony) gerade ihr erstes Album draußen. Wie beides zusammengeht? „Mit Vorbereitung und Glück”, sagt TYNNA, die eigentlich Tünde heißt. Und Attila, ihr Bruder, meint: „Ich empfehle wirklich jedem Künstler, ins Marketing zu investieren und guten Content zu produzieren.” 

Ihr habt vom ARD-Morgenmagazin bis zum Zeit-Interview die meisten Medien durch. Jetzt müsst ihr sogar zu mir. Bereut ihr eure Entscheidung mit dem ESC schon?

Tynna: Überhaupt nicht! Wir wollten genau das. 

Abor: Darauf arbeitet man als Künstler ja hin. 

Auf das ARD-Morgenmagazin?

Tynna: Auf die Aufmerksamkeit natürlich. 

Abor: Dass man gehört wird, ja. 

Tynna: Wir hatten vor der Show bei Stefan Raab circa 3.000 Follower auf Instagram. Seit dem Gewinn haben wir über 50.000. Klar, es geht nicht nur um die Follower. Aber für uns als Musiker heißt das schon: Viel mehr Leute hören unser Album – und das ist unser Ziel.

Abor: Damit können wir auch Träume realisieren. Zum Beispiel, indem wir ein Konzert geben, bei dem wir eine coole Inszenierung auf der Bühne gestalten. Das wäre davor nicht möglich gewesen, weil nicht genug Leute unsere Musik hören. 

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Ich hatte damals einen Mitschüler, der nach den Sommerferien nicht mehr in die Klasse kam – es hieß, er hat zwei Klassen übersprungen. Seid ihr dieser Mitschüler?

Abor: Ich glaube nicht. Wir hatten einfach …

Tynna: Glück. Oder wie sagst du immer?

Abor: Erfolg ist, wenn Glück auf Vorbereitung trifft.

Tynna: Ja, genau. Allein unser Album – wie viel Energie wir da reingesteckt haben. Auch wenn uns damals noch nicht so viele Leute gefolgt sind. Wir haben es immer mit der Absicht gemacht, das Allerbeste abzuliefern.

Abor: Gleichzeitig war ich auch deshalb motiviert, weil ich gewusst habe: Ich könnte jeden Tag ein Video posten, das viral geht. Das ist der Drive, der einen antreibt.

Das hört sich nach einem moderneren Drive an als, sagen wir: Mittelalter-Metal.

Abor: Du meinst Feuerschwanz? (Teilnehmer bei der ESC-Vorentscheidungssendung, Anm.) Das waren eigentlich die allernettesten Leute dort. Die haben sogar ihre Fans dazu aufgerufen, nicht gegen uns zu haten. Ich denke aber, die Jury hat sie aus strategischen Gründen rausgevotet. Man wollte nicht nochmal versuchen, was in ähnlicher Form schon versucht worden war. Dabei habe ich gerade erst diesen finnischen ESC-Gewinner von 2006 gesehen. Wie hießen die …

Tynna: Lordi

Abor: Ja, das hat ja auch funktioniert, irgendwie. Jedenfalls fand ich die Show cool. Die haben so ein Universum, in das man sich reinfühlen kann. Ich habe früher viele Fantasybücher gelesen, alles von Eragon über Herr der Ringe bis Game of Thrones

Tynna: Deshalb kann ich nachvollziehen, warum sie so eine riesige Fanbubble haben. 

Die habt ihr ja jetzt auch.

Abor: Na ja.

Tynna: Ich kann das überhaupt nicht einschätzen. 

Abor: Wir werden das erst checken, wenn wir das erste Mal ein Konzert haben, das nichts mit dem ESC zu tun hat. 

Bild des Pop-Duos Abor & Tynna
Abor & Tynna © Dominik Friess

Weil die Leute nur die paar Sekunden von TikTok wollen? Oder doch den ganzen Song?

Tynna: Mein Glaube ist, dass sich Leute Tickets für unsere Konzerte holen, die auch das Album gehört haben. Ich mein, wer würde sich ein ganzes Konzert anhören, nur um irgendwann „Baller” zu hören? Das kann man ja beim ESC tun. 

Abor: Bis zum ESC haben wir außerdem noch ein Konzert in Braunschweig, wo wir mit einem Orchester auf der Bühne stehen. Das war ja eigentlich dein Traum, oder?

Tynna: Ja, weil unser Papa bei den Wiener Philharmonikern ist. 

Abor: So, we are gonna impress our dad! 

Mit der „modernen Musik”, wie Raab den ESC-Song genannt hat, habt ihr ihn nicht beeindruckt?

Abor: Also, „Baller” ist ein Teil unserer Identität und wir stehen voll dahinter. Unser Herz brennt aber vor allem für die Mischung aus Pop und Klassik. So wie bei den beiden Covers, die wir in den Sendungen des Vorentscheids gesungen haben. 

„EIN RIESIGES ORCHESTER UND WIR IN EINEM FUSSBALLSTADION.”

Das ist also der eigentliche Traum.

Tynna: Man traut sich ja gar nicht mehr zu träumen, oder? Trotzdem habe ich vor einiger Zeit darüber nachgedacht, was das Alleralllerallergrößte ist, das ich mir als Erfolg vorstellen kann. Weil: Wenn ich es mir nicht mal vorstellen kann, wie soll ich dann überhaupt da hinkommen?

Wie sagt man da heute dazu, manifestieren?

Tynna: Genau! Also habe ich mir das vorgestellt – ein riesiges Orchester und wir …

Abor: In einem Fußballstadion. 

Tynna: Ja, ja … Jedenfalls habe ich versucht, diese Vision zu manifestieren. Und jetzt ist es einfach passiert.

Spricht fürs Manifestieren?

Tynna: Ganz ehrlich? Wir hatten zwischen den Shows viel Zeit und saßen im Hotelzimmer rum und auf TikTok bin ich ein bisschen in eine Manifesting-Schlaufe reingekommen. Irgendwann habe ich mir gedacht: Wir sind in dieser Show, wir sind also schon da, jetzt werden wir das einfach gewinnen.

Du könntest ja einen Schritt weitermanifestieren und …

Abor: Ich habe zum Spaß eh gesagt, wir gewinnen das. Das war aber nur optimistisches Manifestations-Gerede. 

So wie damals, als Conchita gewonnen hat. ORF-Moderator Andi Knoll hat bei der Übertragung gesagt, je…

Abor: Jetzt hamma den Schas gewonnen!

Was wäre das deutsche Pendant dazu?

Tynna: Das gibt’s gar nicht. 

Abor: Was schade ist.

Könnt ihr gut über euch lachen?

Abor: Ich finde schon, ja.

Tynna: Man muss ja ein bisschen lustig sein, oder?

Also, beim letzten Mal, als Deutschland mit einer schlechten Stimme angetreten ist, hat man gewonnen. Gute Voraussetzungen?

Tynna: (hält sich die Hände vor den Mund). Okay, es war nicht meine allerbeste Performance. Das gebe ich gerne zu, ich bin ja auch nur ein Mensch. Trotzdem kann ich singen. Denn auch mit Autotune muss man die Töne treffen. Ich habe aber nicht diese typische Sopran-Pop-Stimme. Sie ist tiefer und kratzender. Daran kann ich nichts ändern. Die Leute, die das nicht hören wollen …

Abor: Hätten für jemand anderen voten sollen. 

Tynna: Aber das sind halt die deutschen Hater. 

Wer hatet besser, Deutschland oder Österreich?

Abor: Die Deutschen!

Tynna: Sie könnten sich aber mehr Mühe geben, als unter jedem Video irgendeinen Blödsinn zu posten. 

Abor: Ja, seid kreativer als „ihr ballert uns auf den letzten Platz”.

Tynna: Gleichzeitig finde ich es schon lustig. Wir können später sagen, dass wir von ganz Deutschland gehatet wurden und trotzdem überlebt haben. 

Wer kann das noch sagen: Jan Böhmermann, Angela Merkel und …

Abor: Stefan Raab auch. Aber er gibt keinen Shit darauf.

Könnt ihr euch an die letzten drei deutschen Song-Contest-Teilnehmer erinnern?

Abor: Ähm … (klopt auf den Tisch). Isaak und, wer war davor?

Lord of the Lost

Abor: Und davor war …

Ich weiß es auch nicht, was aber der Punkt ist: Wieso soll das in einem Jahr bei euch anders sein?

Abor: Uns vergisst man schon nicht. 

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Weil alle ballern wollen?

Tynna: Ich glaube nicht. 

Abor: Wir bekommen so viele Baller-Wortwitze. Einige verstehen das sogar falsch und glauben, es ist … (reibt sich die Nase wie Wiki). 

Weil heute damit viele das Konsumieren von Drogen meinen?

Abor: Wie kann man das denken, es heißt ja: „Ich baller Löcher in die Nacht.”

Tynna: In dem Song geht es jedenfalls nicht darum. Wir haben aber ein paar Nachrichten bekommen von Eltern, die schreiben: Dass ihre Babys den Song immer „Baller” hören wollen. 

Balla Balla, ja!

Abor: Besser als Baby Shark, düdü düdüdü, oder?

Tynna: Ja, fix! 

Danke für eure Zeit!

Christoph Benkeser

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Links:
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Abor & Tynna (YouTube)
Abor & Tynna (Instagram)