„UNS IST WICHTIG KUNST, GEISTIGEN INPUT, NATUR UND GESELLSCHAFT MITEINANDER ZU VERBINDEN“ – JULIA LACHERSTORFER UND SIMON ZÖCHBAUER (FESTIVAL WELLENKLAENGE) IM MICA-INTERVIEW

Begründet wurde das Festival wellenklaenge im Jahr 1997 von Suzie Heger, seit 2018 wird es von den Musiker:innen Julia Lacherstorfer und Simon Zöchbauer kuratiert. Jürgen Plank hat mit den beiden über das Festival-Motto „Vertrauen & Verletzlichkeit“ genauso gesprochen wie über Programm-Highlights: etwa den Auftritt des kongolesisch-österreichischen Musikers Kimyan Law oder das Eröffnungskonzert von Anna Mabo, das sie gemeinsam mit inn.wien und Drehwerk bestreitet. Außerdem wird thematisiert inwieweit das heurige Festival das Motto des Jahres 2023 fortschreibt: „Wut & Wandel“.

Die Überschrift zum heurigen Wellenklänge-Festivals lautet „Vertrauen & Verletzlichkeit“. Wie seid ihr zu dieser Themensetzung gekommen?

Julia Lacherstorfer: Wir wählen immer Themen aus, die uns einerseits selbst beschäftigen und andererseits im kollektiven Feld schweben. Der Vertrauensverlust in der Gesellschaft ist ja ein Phänomen, das man schon länger beobachten kann und das auch nachvollziehbar ist. Durch die Corona-Pandemie, all die Kriege und die Klimakrise hat sich eine generelle Skepsis entwickelt. Man hat das Gefühl, dass Menschen fast reflexartig mit Skepsis auf fast alles reagieren, sogar auf wissenschaftliche Fakten. Und dass es in Familien und in Freundeskreisen zu immer tieferen Gräben kommt, wenn es Unstimmigkeiten bei Themen gibt. Das ist mit einem immer größeren Anspruch an Perfektionismus gepaart und mit einer immer stärker werdenden Versagensangst. Das hängt wiederum mit social media zusammen, in denen scheinbar perfekte Welten gezeigt werden, die so gar nicht existieren und das ist gerade für junge Menschen oft schwer zu unterscheiden. Zu viel in diesen Scheinwelten zu sein, kann eine toxische Wirkung haben.

Bild Julia Lacherstorfer & Simon Zöchbauer
Julia Lacherstorfer & Simon Zöchbauer (c) Theresa Pewal

Wie könnte hier eine Brücke zum Musikmachen bzw. zur Tätigkeit im Bereich Kunst und Kultur geschlagen werden?

Julia Lacherstorfer: Wenn man unter Versagensangst leidet, ist es umso schwieriger, sich wirklich zu öffnen und das Risiko einzugehen, verletzt zu werden bzw. sich verletzlich zu zeigen. Dieses Risiko ist wiederum total essentiell, wenn man Kunst schafft, Musik macht. Sowohl auf der Bühne als Ausführende, aber auch im Publikum ist es essentiell, dass man einen Zugang zu seinen Gefühlen hat, damit man das Gezeigte erleben kann. Das sind die Überthemen für das heurige Jahr. Uns ist wichtig bei den Wellenklängen einen Ort zu schaffen, an dem man auf allen Seiten das Gefühl hat: ich kann dem Publikum vertrauen, dass es wohlwollend aufnimmt, was ich auf der Bühne mache. Und auch das Publikum kann darauf vertrauen, dass es in diese künstlerischen Welten gut mitgenommen wird.

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Ich würde eine Fortschreibung des Themas „Wut & Wandel“ vom letzten Jahr sehen. Phasen des Wandels sind ja auch Phasen, in denen man sich verletzlich macht, weil man eben eine Veränderung probiert.

Julia Lacherstorfer: Ja, absolut. Künstlerisch ist es absolut so, dass man bei jedem neuen Werk, das man schafft, jedem neuen Programm, bei jeder Premiere, jedem neuen Video damit rechnen muss, dass man von irgendjemandem für irgendetwas gehatet wird. Dass jemand etwas total schlecht findet und das auch ganz ungefiltert im Internet schreibt. Insofern erfordert es auch Mut und ein Programm zu schaffen ist auch immer eine persönliche Wandlung. Die Fortführung des Themas vom letzten Jahr – Stichwort Wandel – bedeutet gleichzeitig: wir merken den Wandel auch im Kulturbetrieb und deswegen ist es unerlässlich wieder zu Vertrauen und Verletzlichkeit zurück zu finden. Auch als Kulturveranstalter muss man den Mut haben wieder zu veranstalten und das Vertrauen haben, dass das Publikum wieder zurückkommen wird.

Verletzlich sind insbesondere Menschen, die auf der Flucht sind. Zum Thema habt ihr für 20. Juli 2024 einen Programmpunkt mit der Migrationsforscherin Judith Kohlenberger eingeplant.

Julia Lacherstorfer: Wir laden uns ja schon seit mehreren Jahren Autor:innen und Wissenschafter:innen zu einem Podiumsgespräch ein. Ganz oft sind das Leute, die gerade ein Buch veröffentlicht haben. Kohlenbergerschreibt über die spezielle Situation, in der Menschen sind, wenn sie vertrieben werden. Weil sie in die Situation geraten, dass sie weg müssen. Oft müssen sie illegale Wege verwenden und werden quasi in die Kriminalität hineingedrängt und kommen dann irgendwo an, wo sie wieder Ablehnung erfahren.

Bild Basma Jabr
Basma Jabr (c) Waref Abu Quba

„WIR HABEN BASMA JABR EINGELADEN, WEIL SIE EINE TOLLE SÄNGERIN IST UND IHR MUSIKALISCHES ERBE EXTREM SPANNEND IST“

Die Musik an diesem Tag kommt von der syrischen Sängerin Basma Jabr. Hat sie einen Flucht-Hintergrund?

Julia Lacherstorfer: Das wissen wir gar nicht und es spielt bei ihr keine Rolle. Wir haben Basma Jabr eingeladen, weil sie eine tolle Sängerin ist und ihr musikalisches Erbe extrem spannend ist. Sie beschäftigt sich mit Liedern aus ihrer Heimat aus den 1920er und den 1960er-Jahren. Das sind Lieder aus der Region Euphrat, die sie neu interpretiert. Lieder, die von arabischen Sängerinnen gesungen wurden und die Basma Jabr dazu inspiriert haben, die starken Frauenstimmen der arabischen Welt in modernem Klang aufleben zu lassen. Sie macht das ähnlich wie wir: sie nimmt sich einer Tradition an und kleidet diese in ein neues Klanggewand. Sie hat auch Jazz studiert und spielt mit Leuten, die sich zwischen Jazz und zeitgenössischer Musik bewegen.

Simon Zöchbauer: Letztes Jahr war Sakina Teyna bei uns zu Gast. Sie hat uns viel über ihre beeindruckende Geschichte als Aktivistin erzählt und der Gefahr, der sie als türkische Kurdin stets ausgesetzt war. Sie hat sich in Österreich eine tolle Karriere als Sängerin aufgebaut. und ihre Biographie ist auch für ihre Lieder wichtig.

Am Eröffnungstag des Festivals ist unter anderem Anna Mabo zu sehen. Ihre neue Platte heißt „Danke, gut“. Wie passt sie zum Thema Verletzlichkeit?

Bild Anna Mabo Trio
Anna Mabo Trio (c) Ingo Petramer

Simon Zöchbauer: Wir versuchen die Eröffnung immer so zu kuratieren und zu gestalten, dass neue Personen aufeinandertreffen. Es soll nichts passieren, was es schon gab. Anna Mabo hat zum Beispiel ihr Album „Danke, gut“ veröffentlicht und sie wird natürlich Lieder daraus singen. Aber in erster Linie geht es darum, dass neue Kompositionen für inn.wien, Drehwerk und Anna Mabo entstehen werden. Und so wird ein neu kuratierter Abend auf die Bühne gebracht.

Wir versuchen bei der Eröffnung Künstler:innen zu präsentieren, die gerade relevant und präsent sind und da ist Mabo natürlich eine wichtige Stimme. Und das Ensemble inn.wien ist vielleicht noch nicht allen bekannt, aber die versuchen sich – aus der klassischen Musikwelt kommend – ihren eigenen Platz zu erspielen. Sie definieren klassische Musik anders. Sie setzen andere Maßstäbe, allein was die Kleidung und Hierarchien betrifft, was die Genre-Offenheit betrifft. Sie sind ein tolles Beispiel für einen neuen Klangkörper, der aus der Klassik kommt und Normen über Bord wirft.

Drehwerk ist ein Jazz-Trio, das ursprünglich aus Innsbruck kommt. Da gibt es auch Verbindungen zu inn.wien, die haben auch schon miteinander ein Programm gemacht. Anna Mabo wird in diese Ensembles eingebettet, die Klangkörper werden aber auch für sich stehend präsentiert.

Bild inn.wien
inn.wien (c) Viktoria Hofmarcher

Julia Lacherstorfer: Ich finde Mabos Albumtitel so extrem passend: „Danke, gut“ ist so eine Floskel, die man halt antwortet, wenn man sich auf die Frage, wie es einem geht, nicht öffnen will. Die man auch verwendet, wenn man auch das Gefühl hat, dass man sich nicht öffnen kann oder sollte. Anna Mabo schafft es einfach so gut, Gefühlswelten von fiktiven Personen zum Ausdruck zu bringen, in denen sich jeder Mensch wieder finden kann. Die Texte sind aber trotzdem auch sehr witzig.

Fiktive Personen ist ein Stichwort für die Märchenwanderung, die es – wie einen Seerundgang – im Rahmen der Wellenklänge 2024 geben wird. Wie wichtig ist euch diese Einbindung in die Natur?

Simon Zöchbauer: Natur bietet sich in Lunz nicht nur an, sondern die drückt sich gleichsam aufs Auge. Man muss dort in der Natur etwas machen. Die Seebühne schwimmt ja am Lunzer See, dort ist ein „Natura 2000“-Schutzgebiet. Das bedeutet eine extrem hohe Schutzklasse. Uns ist wichtig Kunst, geistigen Input, Natur und Gesellschaft miteinander zu verbinden. Das passiert beim Seerundgang und bei der Märchenwanderung.

Julia Lacherstorfer: Helmut Wittmann ist wirklich der einzige, der jedes Jahr eingeladen wird. Ich verbinde tolle Kindheitserinnerungen mit ihm und ich kenne niemanden, der diese Märchen so verkörpert. Er sieht aus als wäre er aus dem Erd- und Wurzelreich entsprungen, er ist einfach ein so naturverbundener Mensch, der diese Märchen verkörpern kann. Das ist auch keine reine Veranstaltung für Kinder, denn wenn man sich die Erwachsenen anschaut und sieht, wie sie von seinem ansteckenden Lachen mitgerissen werden, ist das immer wieder sehr schön. Diese Erzählkunst ist ganz archaisch.

Kimyan Law (c) Kimyan Law

„WIR VERGEBEN JEDES JAHR EINEN KOMPOSITIONSAUFTRAG, DIESES JAHR AN KIMYAN LAW“

Auf welchen Programmpunkt freut ihr euch noch?

Julia Lacherstorfer: Für uns ist immer der dritte Freitag speziell spannend, weil der multimedial ist: das ist heuer der 26. Juli, an diesem Tag wird zuerst Lou Asril auf der Seebühne auftreten. Wir verfolgen ihn schon seit einigen Jahren. Wir haben mit ihm im Jahr 2019 mit Alma beim selben Festival in Mödling gespielt und waren so geflasht von seinem Talent und damals war er noch sehr jung und hat so gut gesungen und so gute Songs geschrieben. Und er hat eine spannende künstlerische Entwickelung vollzogen. Zum ersten Mal machen wir an ein und demselben Tag einen Locationwechsel, wir gehen dann um halb zehn in den Lunzer Saal, denn nur dort gibt es diese Lichtinstallation, die den Saal seit 2018 kleidet. Es gibt ganz viele LED-Leisten an der Decke oben.

Wir vergeben jedes Jahr einen Kompositionsauftrag, dieses Jahr an Kimyan Law. Die Studierenden der Kunstuni Linz machen zu seiner Musik eine visuelle Gestaltung. Kimyan Law ist ein kongolesisch-österreichischer Musikproduzent, der aus Alltagsgegenständen Geräusche filtert, kreiert und sampled und so spannende, tanzbare Musik macht.

Bild Martin Eberle und Martin Ptak
Martin Eberle und Martin Ptak (c) Helmut Wimmer

Simon Zöchbauer: Auch der letzte Donnerstag ist immer ein Highlight, dieses Mal mit Martin Ptak und Martin Eberle. Davor ist an diesem Tag der Abschluss unseres Performer-Composer-Music-Labs: da werden dieses Mal 13 Teilnehmer:innen komplett neue Werke spielen, die sie innerhalb relativ kurzer Zeit komponieren und im Ensemble erarbeiten. Das ist immer ein extremer kreativer Supergau, wenn eben neue Werke gespielt werden. Und danach werden Martin Ptak und Martin Eberle auftreten, die vor kurzem ihr Album „Momentum“ herausgebracht haben. Die beiden machen sehr viel miteinander und spielen miteinander in diversen Formationen, etwa bei der Jazzwerkstatt oder bei den Strottern & Blech. Die beiden widmen sich aus meiner Sicht einem neuen Genre, dem sie noch gar nicht gebührend Platz gegeben haben: das ist sehr minimalistische, sehr hörbare Ambient-Musik, angelehnt an Nils Frahm und Ólafur Arnalds. Mit Synthesizern, mit Fender-Rhodes, Solo-Trompete und Posaune. Das ist eine neue Klangfarbe, die in der österreichischen Musiklandschaft gar nicht so ausgeprägt ist. Ein spannender und sinnvoller Schritt der beiden.

Herzlichen Dank für Interview.

Jürgen Plank

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wellenklaenge 2024, Seebühne, Lunz am See, 12. bis 27.7.2024

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