FM4 hat die Band vor Jahren hochgelobt, die Pop-Blase glühte unter ihrem Pulp Fiction-Verschnitt und sogar Swans-Gitarrist Kristof Hahn klampfte mit ihnen auf der Bühne. Trotzdem herrschte lange Stille um THIRSTY EYES. Jetzt rasselt die Gruppe durch die Wiener Betonwüste, entzündet ein Freudenfeuer und packt mit „A Certain Regard“ die amerikanischste Platte aus, die jemals zwischen Bodensee und Burgenland erschienen ist. Schließlich zupft „A Certain Regard“ zwischen drei Liter Bourbon, Spaghetti-Western und der Wüstensonne über Texas an der Steel-Gitarre, dass Lee Hazelwood feuchte Augen bekäme. Wer bei dem Sound an abgehalfterte Typen in Cowboy-Stiefeln denkt, irrt trotzdem. Als Hillbillys gehen SAMUEL EBNER und PHILIPP MOOSBRUGGER nicht aus, im Gegenteil: Die Köpfe der Band könnten sich locker bei einer Fashion Show einschleusen, ohne dass dort jemand die Botox-Miene verzöge. Dass dennoch Rock durch die Verstärker staubt, als wäre man gerade in einen Saloon gestapft, hat andere Gründe. Christopher Benkeser traf THIRSTY EYES zwischen Steman, Post und Kellerstudio zu einem Gespräch.
Ihr seht’s gar nicht aus wie Cowboys unter der Wüstensonne.
Samuel Ebner: Hat das wer geschrieben? Geh, wir müssen aufpassen, was wir sagen!
Philipp Moosbrugger: Schauen wir mal, wie es dieses Mal läuft und sagen gar nicht, was wir nicht sagen wollen!
Samuel Ebner: Dabei machen wir weder Americana- noch Country-Sound.
Philipp Moosbrugger: Trotzdem klingt unser Album eher nach Country als nach einer aktuellen Rock-Produktion.
Der Hillbilly-Einfluss aus der Garage, das Räudige im Sound …
Philipp Moosbrugger: J. J. Cale-räudig, ja! Schließlich ist viel Dreck drauf, aber die Garage …
Samuel Ebner: Haben wir nicht irgendwann gesagt, dass wir Hi-fi-Garage machen?
Philipp Moosbrugger: Was für ein Idiotenwort, bitte nimm das zurück! Wenn schon, dann Confetti-Rock! Das klingt so blöd, dass es niemand zitieren wird.
Samuel Ebner: Geh, das stimmt doch gar nicht! Porno-Rock haben’s doch auch zitiert.
Philipp Moosbrugger: Das hast du mal in einem Interview gesagt, da war ich nicht dabei!
Samuel Ebner: Ungeübt und ohne Philipp – da kommt viel Schmarrn raus und wir streiten dann drüber.
Weil der Philipp die moralische Instanz der Gruppe ist?
Philipp Moosbrugger: Eine erfolglose Instanz! Ich war schon an dem Punkt, an dem ich keine Interviews mehr geben wollte. Es interessiert keinen. Außerdem steht nicht einmal drinnen, was man sich wünscht, weil die Leute nicht verstehen, was wir meinen.
Sind die Leute zu deppert oder ihr zu intellektuell?
Philipp Moosbrugger: Bah, schau dich um, was sagt man da?
Ich weiß nur, dass ihr das Rad mit dem Album nicht neu erfunden habt.
Philipp Moosbrugger: Ein paar hören die richtigen Einflüsse raus. Lee Hazelwood, die Americana-Ästhetik, Ennio Morricone … das sind schöne Komplimente, aber wir spielen über die europäische Bande, weil wir Post-alles sind. Deshalb haben wir uns auch alles angehört, was wir anhören wollten.
Wie meinst du das?
Philipp Moosbrugger: Na, schau, ich hab Zugang zu einer Musikgeschichte, das ist nicht ohne! Egal ob ich mir alte Schallplatten kaufe oder auf YouTube stöber, das Repertoire ist unendlich! Wobei mir da immer Audiogalaxy aus den Anfängen des Internets einfällt, das war so ähnlich wie Napster.
Samuel Ebner: Dafür bin ich zu jung.
Philipp Moosbrugger: Das war fantastisch! Du hast „Girl von Ipanema“ eingegeben und 800 Ergebnisse bekommen – 400 waren leiwand. Mach dasselbe auf Spotify, da wirst du blöd!
Kurze Zwischenfrage: Wie viel Jahre trennen euch beide?
Samuel Ebner: Ich bin 1993 geboren und der Philipp 79.
Philipp Moosbrugger: Ich war jahrelang der Jüngste in meinen Gruppen, die Zeiten sind aber zum Glück vorbei. Wir haben sogar einen 23-jährigen Gitarristen.
„MIT MODERNEM RAP KANN ICH AUCH ETWAS ANFANGEN.“
Trotzdem spielt’s ihr einen Sound, bei dem man glaubt, Lee Hazelwood hätte sich in den Sixties unter drei Tonnen Wüstensand eingebuddelt. Wie kommt’s?
Samuel Ebner: Ich bin mit der Musik von The Doors, Leonard Cohen und Tom Waits aufgewachsen.
Philipp Moosbrugger: Als interessierter Mensch kommst du dadurch zwangsläufig zu Soul oder Jazz.
Samuel Ebner: Mit modernem Rap kann ich allerdings auch etwas anfangen. Das hört man bei uns nur nicht durch.
Philipp Moosbrugger: Als Zutaten sind Karikaturen des Vergangenen allerdings schon schlagend. Die Klangästhetik war ein aktiver Entschluss, weil …
Samuel Ebner: Wir nicht wollten, dass die Platte nach einem modernen Rock-Album klingt. Gleichzeitig sollte es kein Retro-Schinken werden. Das war uns wichtig.
Philipp Moosbrugger: Deshalb haben wir mit vielen Limits arbeiten müssen. Das fängt damit an, dass wir nicht in ein teures Studio gegangen sind, sondern in einem Keller aufgenommen haben. Da steht nur das Nötigste, man überlegt sich, wie man mit den vorhandenen Mitteln zu jenem Sound kommt, den man sich vorstellt. Durch diese natürlichen Grenzen haben wir so reduziert gearbeitet wie die Beatles in den frühen Sechzigern.
Samuel Ebner: Dafür haben wir lange gebraucht, viel herumprobiert – auch innerhalb der Band und in der Formation.
Philipp Moosbrugger: Wir kokettieren mit unserem Verschleiß an Leuten, aber so schlimm ist es gar nicht. Zumindest haut mir noch keiner Steine an den Kopf, wenn ich durch die Stadt geh.
Noch nicht.
Philipp Moosbrugger: Na, hör auf. Wir haben uns gut gefunden. Der Samuel ist ein super Frontmann.
Samuel Ebner: Dabei wollt ich immer auf der Seite stehen, man hat es mir nicht erlaubt, irgendwann hab ich es akzeptiert.
Philipp Moosbrugger: Jetzt reden wir schon wieder so gefährlich!
Ist doch schön, die Gefahr birgt das Risiko, auf Neues zu kommen!
Philipp Moosbrugger: Vor allem wenn man versucht, von Musik zu leben!
Samuel Ebner: Na ja, ich verdien mit ein paar Kritzeleien mehr als mit der Musik jemals.
Philipp Moosbrugger: Ich hab mir einen Auftritt von Percy Mayfield aufgeschrieben. Der hat „Hit The Road Jack“ geschrieben – in bitterer, grausiger Armut.
Ist das ein Narrativ, in dem ihr euch seht: Aus Elend entsteht Kunst?
Philipp Moosbrugger: Armut ist nicht geil! Am Ende des Monats zahl ich gern die Miete. Ich weiß aber schon, was du meinst. Wenn es im Bett so wunderbar schön ist, warum soll man schon aufstehen?
Dadurch würd nichts vorwärtsgehen. Niemand nähme Musik auf. Thirsty Eyes gäbe es nicht. Dabei habt ihr einen Sound entdeckt, auf den man in Österreich nicht so schnell stößt.
Samuel Ebner: Weil wir geiler sind als die anderen. Aber das brauchst nicht zitieren!
Wieso? Stehst du nicht hinter der Aussage?
Samuel Ebner: Oja, wir sind eine tolle Band, uns interessiert es halt nicht so sehr, was andere Musiker:innen in Wien machen.
Dahinter kann man doch stehen.
Samuel Ebner: Ja, ja. The Jesus and Mary Chain haben auch gesagt, sie seien die beste Band der Welt und wollen so groß werden wie die Beatles.
Philipp Moosbrugger: Na, schau. In Österreich gibt’s eh wunderbare Musiker und großartige Künstler. Der Fuzzman, Ja, Panik, Otto Lechner, Max Nagl … Ich brauch mich von niemandem zu distanzieren, trotzdem machen wir es nach der eigenen Nase. Und jede Nase ist ein bisserl anders.
Samuel Ebner: Es klingt halt nicht nach einem Album, das bei Siluh Records rauskommt.
Woher kommt der Drang zur Andersartigkeit?
Philipp Moosbrugger: Ich hab mit zwölf Tom Waits und später viel John Zorn, Radical Jewish Culture und PJ Harvey gehört. Irgendwann kam Jazz dazu – eine Musikrichtung, die in alle Richtungen ausstrahlt. Es gibt zwar großartige zeitgenössische Sachen, aber keinen Grund, sich nicht für die 1920er-Jahre zu interessieren. Dadurch entstand für mich ein musikalisches Wissen, das unser Schaffen begleitet. Wir machen schließlich keinen normalen, sondern speziellen Rock!
Deshalb hat es ewig gedauert, die Platte zu veröffentlichen.
Samuel Ebner: Wir haben drei Mal angekündigt, dass das Album kommt; uns zwei Mal aus Promo-technischen für Konzerte aufgelöst und immer wieder von vorne begonnen. Trotzdem haben wir durchgehalten, darauf bin ich schon ein bisserl stolz!
Philipp Moosbrugger: Sitzfleisch ist das! Auch weil wir keine Kompromisse machen wollten. Ich war davor zehn Jahre faul, grad möcht ich aber anziehen!
Das heißt, du musst was nachholen?
Philipp Moosbrugger: Wenn das gehen würde! Na, deshalb nehm ich keine Drogen. Ab und zu trink ich ein bisserl was, aber wenn ich am nächsten Tag im Studio sitzen muss, hält sich das auch in Grenzen. Außerdem will ich was lernen, da muss ich fit im Kopf sein.
Weil du das Lernen ansprichst: Du spielst Lap-Steel-Gitarre …
Samuel Ebner: Da hat er von null weg zu üben begonnen.
Philipp Moosbrugger: Ich hab das Instrument bei Kristof Hahn von den Swans gesehen. Der hat ja einmal mit uns gespielt. Daraufhin wollt ich, dass er uns was einspielt, aber er konnte nicht.
Weil er keine Zeit hatte?
Samuel Ebner: Naaa, technisch hat er das nicht geschafft. Er ist zwar der Lap-Steel-Gitarrist von dieser riesigen Band, spielt mit denen aber nur Power-Chord-Noise. Der Philipp wollt …
Phillipp Moosbrugger: Ein bisserl Melodie! Deshalb hab ich es mir selbst beigebracht. Inzwischen stehen acht Lap-Steels bei mir herum, die Älteste ist von 1936!
„MAN FRAGT SICH IMMER, WER SCHREIT DA SO?“
Das passt zum Vintage-Sound der Thirsty Eyes.
Samuel Ebner: Dabei klingt es nur auf zwei, drei Songs nach der Lap-Steel. Ansonsten fragt man sich immer, wer schreit da so?
Philipp Moosbrugger: Sobald man das Instrument von seinen Klischees befreit, also Open-Tuning oder Hawaii, lassen sich interessante Dinge umsetzen. Man sollte dafür aber halbwegs nüchtern sein, weil es ziemlich schwer zu spielen ist. Die Sache hat also wenig mit Rock’n’Roll zu tun.
Das lebt dann Samuel als Frontmann aus.
Samuel Ebner: Geh, der Philipp schreit mit seiner Gitarre mittlerweile mehr als ich am Mikrofon.
Du hast früher mehr geschrien?
Samuel Ebner: Ja, eh, aber ich hab keine Lust mehr auf das Punk-Ding. Inzwischen schauen dir drauf, dass die Musik passt, dann muss ich nicht bös dreinschauen und mit einer Attitüde kompensieren, die gar nicht zu uns passt.
Dafür hast du die schönste Reibeisenstimme. Wie viel Packerln Tschick gehen dafür drauf?
Samuel Ebner: Das ist höchstens die Vergangenheit. Ich bin inzwischen straight edge und glaub nicht, dass man Drogen nehmen muss, um sich auf der Bühne frei zu fühlen, im Gegenteil: Ich war nie besser, wenn ich drauf war. Das bildet man sich nur ein. Auf einmal merkt man, dass man gar nicht bei sich ist. Umso nüchterner, desto purer ist die Erfahrung. Außerdem find ich es schöner, wenn man sich mit einer gewissen Selbstironie präsentiert.
Philipp Moosbrugger: So hält es auch die ganze Band.
Samuel Ebner: Und das würd auf Drogen niemals anders gehen.
Fair! Danke für das Gespräch!
Christoph Benkeser
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