„Uns geht es darum, Gegensätze in unserer Musik zu manifestieren.“ – RAPHAEL PREUSCHL (FABULOUS AUSTRIAN TRIO) im mica-Interview

Man mag es kaum glauben, aber 2024 jährt sich das Bestehen des FABULOUS AUSTRIAN TRIO zum zwanzigsten Mal. Es gibt nicht viele heimische Jazzformationen, die auf so eine lange Zeit des Schaffens zurückblicken können und immer noch aktiv sind. Doch für ALEX MACHACEK (E-Gitarre), RAPHAEL PREUSCHL (Bass) und HERBERT PIRKER (Schlagzeug), den drei Köpfen hinter FAT, ist die Band im Laufe der Jahre zu einem echten Herzensprojekt geworden, für welches sich die drei Musiker jedes Jahr eine fixe Zeit einräumen, in der sie gemeinsam an Stücken schreiben oder Konzerte spielen. Musikalisch betreiben seit Anbeginn das Spiel mit Gegensätzen. Auf der einen Seite pflegen sie in ihren Stücken komplexe Rhythmen und anspruchsvolle Harmonien, auf der anderen schmücken sie diese aber mit viel Groove und Melodien, die in den Ohren hängen bleiben, aus. Mitte März erscheint mit „FAT V“ das neue Album des Dreiergespanns. Im Interview mit Michael Ternai erzählt RAPHAEL PREUSCHL über die vielen verschiedenen musikalischen Einflüsse der Band, über das mittlerweile blinde Verständnis, das die drei Musiker entwickelt haben, und die immer überraschenden Momente, die das Zusammenspiel der drei mit sich bringt.

Ich kenne dich als jemanden, der an vielen Projekten beteiligt und auch wahnsinnig viel unterwegs ist. Das FABULOUS AUSTRIAN TRIO, das in diesem Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiert, scheint eines deiner langlebigsten zu sein.

Raphael Preuschl: Ja, das stimmt. Das erste Album, auf dem wir als Trio in Erscheinung traten, heißt „[SIC]“ und wurde 2004 veröffentlicht. Alex und ich hatten uns schon früher kennengelernt, nämlich im Rahmen der Aufnahmen von „The Next Generation of Sound“ von Paul Urbanek. Herbert andererseits kenne ich aus meiner Studienzeit am Konservatorium der Stadt Wien (heute MUK).
Alex entwickelte eine Kompositionstechnik, in der er Schlagzeugsoli transkribiert, harmonisiert und Melodien auf die Akzente der Soli setzt. Auf „[SIC]“ wandte er diese Technik auf Terry Bozzios Soli an, und auch wir trugen erstmals als Trio einige Tracks bei. Zu dieser Zeit spielte ich vorwiegend Kontrabass, was dem ursprünglichen Konzept der Band entsprach, alles etwas akustischer zu halten. Das änderte sich jedoch bald. (lacht)

Auf jeden Fall scheint es für mich so zu sein, dass FABULOUS AUSTRIAN TRIO irgendwie eine Konstante in deinem Schaffen ist. Immerhin erscheint jetzt das fünfte Album eures Projekts.

Raphael Preuschl: FAT ist für uns alle eine Band! und kein „Projekt“. Uns verbindet eine tiefe Freundschaft, wir sind miteinander durch dick und dünn gegangen und somit ist FAT für uns eine Herzensangelegenheit. Alex lebt mittlerweile seit 2004 in Los Angeles. Und trotz, oder gerade wegen der Umstände der weiten Flugreisen, einer begrenzten Zeit für persönliche Treffen und gemeinsame Arbeit an der Musik – sind wir drangeblieben. Wir nahmen uns vor, zumindest einmal, wenn möglich sogar zweimal im Jahr, einen Tourzeitraum zu fixieren, möglichst viele Konzerte zu checken und somit die Band am Leben zu erhalten. So hatten wir Auftritte in Portugal, auf der Cruise to the edge, LA, Deutschland, Porgy usw. Wir sehen den Umstand eher als Chance.

War das 20-jährige Bandjubiläum eigentlich der Anlass für euer neues Album? Ober war ohnehin eines geplant?

Raphael Preuschl: Es gab eine gewisse Vorlaufzeit. Wir trafen wir uns 2020 für die Aufnahmen der Basic-Tracks. Alex hatte uns eingeladen, ihn in Los Angeles zu besuchen, an neuem Material zu arbeiten und anschließend 2 Tage ins legendäre Sunset Sound Recorder Studio zu gehen, in dem in den 1970ern und 1980ern unter anderem Prince, Michael Jackson, The Doors und Led Zeppelin Alben aufgenommen hatten. Der Grundstein für das Album wurde also dort gelegt. Dann jedoch kam die Zeit der Pandemie, und in der lohnte es sich nicht wirklich, etwas zu veröffentlichen. So verzögerte sich das Ganze eben bis jetzt.  Das 20-jährige Jubiläum ist aber ein wunderbarer Anlass, das Album zu veröffentlichen.

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Das Album wirkt sehr durchdacht ausgearbeitet und arrangiert. Wie bekommt man das über so eine Distanz hin?

Raphael Preuschl: Teils entwickeln wir neue Stücke gemeinsam im Proberaum, wie bei einer Rockband. Wir schließen uns dann einige Tage im Proberaum ein, jammen, probieren neue Ideen aus und halten diese als Memo auf unseren Mobiltelefonen fest. Aus dem Zusammenspiel können neue Kompositionen entstehen.
Oder, Alex und ich bringen unsere Kompositionen ganz klassisch als Charts in die Proben und wir probieren die neuen Stücke.
Das Gros passiert dann während des Produktionsprozesses. Alex harmonisiert Melodien, rearrangiert Parts und bittet mich, über einige neu entstandenen Song-Teile von zu Hause aus neue Basslines einzuspielen.

Die Band hat zu Beginn auch den Begriff „Disco Fusion“ geprägt. Zumindest wurde euch dieser oft zugeschrieben. Mittlerweile ist jedoch euer musikalisches Feld, das ihr bespielt, ja zu fast allen Seiten offen. Ich finde generell, dass ihr einen ganz eigenen Sound entwickelt habt. Auf der einen Seite Komplexität, aber dann doch viel Groove, dann anspruchsvolle Rhythmen und verspielte Formen. Kann man sagen, dass diese Offenheit das Markenzeichen eures Sounds ist? Ist eure Grundintention, diese zwei doch weit auseinanderliegenden Ansätze zu vereinen?

Raphael Preuschl: „Disco Prog“ ist ein Begriff, den wir etwas humorvoll selbst kreiert haben. Das gibt eventuell eine Orientierung, wo das Ganze in etwa hingeht.
Ich denke, hier fließen die musikalischen Persönlichkeiten bzw. die musikalischen Geschmäcker stark in unsere Musik mit ein. Nachdem wir zu dritt sind, prägt die Ecke, aus der jeder einzelne von uns kommt, die Musik. Ich kann von meiner Seite aus sagen, dass Disco Funk ziemlich essentiell für mein Spiel ist. Ausschlaggebend, warum ich überhaupt mit dem Bassspielen begann, war Louis Johnson. Mit 14, als ich erstmals The Brothers Johnson hörte, traf es mich auf einen Schlag.
Später fand ich noch heraus, dass Louis Johnson auf diversen Michael Jackson spielte („Off the wall“, „Thriller“, „Bad“) und der Haus und Hof Bassist von Quincy Jones war.
Alex’ unglaubliches Verständnis für Polyphonie schlägt sich, denke ich, wiederum in seiner Art zu komponieren und zu spielen nieder und prägt seinen einzigartigen Stil. Alleine seine Begleitungen für meine Soli sind Meisterwerke. Beim Anhören von Live-Mitschnitten konzentriere ich mich mehr auf Alex’ Comping als auf meine Soli (lacht)Alex’ unglaubliches Verständnis für Polyphonie schlägt sich, denke ich, wiederum in seiner Art zu komponieren und zu spielen nieder und prägt seinen einzigartigen Stil. Alleine seine Begleitungen für meine Soli sind Meisterwerke. Beim Anhören von Live-Mitschnitten konzentriere ich mich mehr auf Alex’ Comping als auf meine Soli (lacht)

Bild Fabulous Austrian Trio
FAT (c) Michelle Shiers


Sein harmonischer Background mag von Allan Holdsworth und der rhythmische von Franz Zappa beeinflußt sein. Harry Pepl schrieb einst den Song “Man könnte Klavierspielen müssen”. Ich glaube, es ist Alex’ Intention die Limitation eines Saiteninstruments aufzuheben und sich die Freiheit der Polyphonie eines Tasteninstruments anzueignen. Auf „[SIC]“ spielen wir im Trio eine Komposition von Alex, die er ‘Piano’ nannte.
Wie gesagt, mit Herbert spiele ich auch schon über 20 Jahre zusammen. Als Rhythm-Section waren wir gemeinsam in zahllosen Projekten und Bands tätig. Wenn man sich rhythmisch blind versteht und das Phrasing der einzelnen Musiker zu einer Einheit wird, bekommt die Groove dieses kraftvolle Momentum. Und das ganz unabhängig vom Stil.
Herbert ist ein fantastischer Virtuose der Polyrhythmik, und sein energetisches Spiel verleiht der Band den ultimativen Drive.
In Summe ist unsere Musik, so wie du sagst, stilistisch sehr breit aufgestellt. Von Jazz über Rock und Funk bis hin zu Polka. Musik wird oft sehr gerne in Genres eingeteilt, um sie irgendwo einordnen zu können und ihr einen Begriff zu geben.
„Disco Prog“ ist ein Augenzwinkern und belächelt die Schubladisierungs-Versuche ein klein wenig.

Das kann ich nur unterschreiben. Auf der einen Seite spielt Herbert auf dem Album rhythmisch so kraftvoll und komplex, wie man es von ihm aus anderen Projekten her, wie etwa Mario Rom`s Interzone, kennt, auf der anderen Seite habe ich ihn aber noch nie so gerade Takte spielen hören, wie es bei euch auch der Fall ist. Er scheint wirklich seine gesamte spielerische Breite in diese Band einzubringen, genauso wie ihr anderen auch.

Raphael Preuschl: Uns geht es darum, Gegensätze in unserer Musik zu manifestieren. Wenn eine Passage in einem Stück sehr komplex ist, bedarf es in manchen Fällen etwas Simples, das dem gegenübersteht. Das kann eben ein straighter Rock- oder Disco-Groove sein. Alex und ich legen beim Komponieren Wert darauf, musikalisch nachvollziehbare Melodien zu schreiben. Diese können singbar sein und im Idealfall ein Ohrwurm werden. Wir verpacken sie gerne in komplexe Harmonien oder vertrackte Rhythmen, aber die Stücke bleiben so auch ohne musiktheoretische Analyse zugänglich. Es geht uns tatsächlich um Gegensätze: schnell-langsam, hoch-tief, laut-leise, komplex-simpel. Die erzeugen Spannung in der Musik.

Bild Fabulous Austrian Trio
FAT (c) Michelle Shiers

Wenn du die Arbeit mit dem FABULOUS AUSTRIAN TRIO mit der für andere Projekte vergleichst, worin liegt für dich der größte Unterschied? Lassen sich in diesem Trio andere Dinge realisieren, genießt hier jeder mehr Freiheiten als sonstwo?

Raphael Preuschl: Sobald ich mich hinsetze und für FAT schreibe, habe ich den Bandsound im Ohr. Dabei überlege ich mir nicht, welche Freiheiten ich mir nehmen darf, die ich sonst nicht hätte. Es fällt mir leichter, für eine bestimmte Band, ein Projekt oder etwa dieses Album zu schreiben. Selbstverständlich kommt es vor, dass ich zwischen Kompositionsprojekten Ideen festhalte, die ich dann vielleicht viel später weiter bearbeite.
Ich denke, die Freiheit, die wir vor allem in dieser Band genießen, besteht darin, dass wir uns zu hundert Prozent aufeinander verlassen können. Bei den Improvisationen wissen wir, dass wir, egal wie viel Risiko wir nehmen, am Ende immer wieder zusammenfinden.
Herbert und ich können den Groove komplett aufbrechen, dabei haben wir ein instinktives Grundvertrauen, wir wissen genau, dass wir am Ende einer halsbrecherischen Phrase gemeinsam auf einer fetten Eins landen. Das kann dann auch die Eins im 2 oder 3 Takt der neuen Periode sein.
Zwischen Alex und mir ergeben sich, wenn wir die harmonische Struktur etwas freier fortspinnen, oft spontan neue Harmonien.
Unsere große improvisatorische Freiheit ist es, dass wir unsere Instrumente beherrschen und das musikalische Verständnis und die Kontrolle haben, jederzeit Formen aufzubrechen und wieder zusammenzufügen. Wieder ein Gegensatz.

Ich will noch einmal auf die 20 Jahre, die ihr besteht, zurückkommen. Gibt es nach so einer langen Zeit eigentlich noch musikalische Überraschungsmomente bzw. Ideen, mit denen die andere nicht gerechnet haben?

Raphael Preuschl: Doch solche Momente gibt es laufend. Zum Beispiel 2022 in der Kulturmue in Hollabrunn. Dort spielten wir unter anderem das Stück „Yellow Pages“ von Alex, das auf dem Album „[SIC] veröffentlicht wurde. Es handelt sich um ein eher ruhiges, jazziges Stück mit einer fünftaktigen Periode. Es beginnt damit, dass wir Akkorde in ganzen Noten hinlegen und auf der Eins des fünften Taktes der Songperiode einen leichten Akzent setzen. Bei diesem Konzert passierte es spontan, dass keiner von uns einen Ton/ Schlag spielte, vielleicht ein oder zwei Farbtupfer setzte, und aus dem Nichts landeten wir dennoch fett auf der Eins – und zwar fünf, sechsmal hintereinander. Der Puls war so präsent, ohne dass ihn einer von uns dreien definierte. Solche Momente entstehen aus dem jahrelangen Zusammenspiel.

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Das Album soll jetzt Mitte März erscheinen. Und zu diesem Anlass wird es natürlich auch einige Konzerte geben.

Raphael Preuschl: Genau. Los geht es am 21. März: Jazzforum Mödling auf der Bühne Mayer, danach spielen wir am 23. in der Kulturmü Hollabrunn, am 24. Porgy in Wien und 30. in der Unterfahrt München Station. Im Rahmen dieser Tour veröffentlichen wir das Album, wobei dieses vorläufig nicht auf CD erscheinen wird. Stattdessen gibt es einem Download-Code für bandcamp zu erwerben.Immer weniger Leute besitzen CD-Player (oder wissen, was das ist) und so wird das Album zunächst digital (hi-res) veröffentlicht.

Vielen Dank für das Interview.

Michael Ternai

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FAT – Fabulous Austrian Trio live
21.03.Bühne Mayer, Mödling
23.03. Kulturmue, Hollabrunn
24.03. Porgy & Bess, Wien
30.03. Jazzclub Unterfahrt, München

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Alex Machacek
Raphael Preuschl
Herbert Pirker