UMFRAGE: KLIMAKRISE UND NACHHALTIGKEIT IM MUSIKBETRIEB – WIE DENKT YURY REVICH DARÜBER?

Der in Wien lebende Violinist und Komponist YURY REVICH, unter andrem mit dem ECHO KLASSIK als Nachwuchskünstler des Jahres 2016 ausgezeichnet, beschreibt im Rahmen dieser Reihe, wie er bei seinen Konzertreihen (DIE SCHMELZENDE WELT), Kompositionen (BEETHOVEN RECYCELED) und Projekten (DREAMLAND WITH YURY REVICH) ein Bewusstsein für Themen wie Nachhaltigkeit, Klima- und Umweltschutz schaffen möchte. Er zeigt auf, welche Schritte aus seiner Sicht notwendig sind, um den Musikbetrieb nachhaltiger und klimaschonender zu gestalten. Darüber hinaus schildert er die dringende Notwendigkeit eines klimabewussten Handelns über die Musikszene und -industrie hinaus, und wie es möglich ist, im Großen als auch im Kleinen etwas zu bewirken.

Welche Maßnahmen ergreifst du persönlich, um in deiner Tätigkeit als Musikschaffender umweltfreundlicher und nachhaltiger zu sein? Wo fällt es dir besonders schwer, dein Verhalten in Bezug auf deine Arbeit in der Musikbranche zu ändern?

Yury Revich: Um den ersten Teil der Frage zu beantworten, würde ich sagen: Es ist bei Musikerinnen und Musikern genauso wie bei allen anderen Menschen. Jede und jeder kann etwas tun, zum Beispiel durch Recycling oder die Anpassung der eigenen Transport- und Reisegewohnheiten. Diese Maßnahmen sollten von allen umgesetzt werden. Als Musiker liegen mir besonders zwei Dinge am Herzen: Verbesserte Reisemöglichkeiten und eine effizientere Planung von Tourneen.
Was die Reisemöglichkeiten betrifft, wäre es sehr wichtig, dass es wesentlich mehr Zugverbindungen gibt. Ich bin mir nicht sicher, ob dies immer noch der Fall ist, aber vor einigen Jahren gab es beispielsweise nur drei wöchentliche Zugverbindungen zwischen Wien und Paris. Da die Züge so selten fuhren, waren sie oft ausgebucht, und wenn man einen Platz bekam, war dieser ziemlich teuer. Wenn man dann mit einem Veranstalter in Paris spricht, der ein begrenztes Budget hat und zwischen einer Zugreise für 200 € oder einem Billigflug für 35 € oder 40 € wählen muss, ist es verständlich, dass er sich für das Flugzeug entscheidet. Daher ist es wichtig, kostengünstigere Zugverbindungen zu schaffen, damit vor allem Studierende diese nutzen können. Es ist notwendig, mehr Arbeit und finanzielle Mittel in die Verbesserung des Bahnverkehrs zu investieren.

Festival Nights with Yury Revich – Dreamland Konzert 2022 (c) Festival Nights Team

Bei der Tourplanung kann man auf jeden Fall intelligenter vorgehen. Dies ist jedoch manchmal nicht so einfach, da man oft stark von den Veranstalterinnen und Veranstaltern abhängig ist. Leider sieht es bei vielen Touren so aus, dass man beispielsweise ein Konzert in Paris hat, am nächsten Tag für das zweite Konzert nach Madrid oder Barcelona weiterreisen muss, nur um danach wieder in die Nähe von Paris zurückzukehren. Solche Routen sollten vermieden werden. Man sollte schon versuchen, besser durchdachte Pläne zu erstellen. Dafür müssen Musikerinnen und Musiker und deren Management aber vorher mit den Konzertlocations in Verhandlungen gehen, und schauen, wann diese verfügbar sind. Gleichzeitig sollte man nicht immer nur darauf achten, möglichst viele Konzerte innerhalb einer bestimmten Zeit zu planen. Denn das schadet am Ende oft dem Planeten.

Welche Rolle kann deiner Meinung nach die Musikindustrie als Ganze – neben beispielsweise Großkonzern oder politischen Maßnahmen – überhaupt im Kampf gegen die Klimakrise einnehmen? Und welche Schritte sollten deiner Meinung nach dahingehend in der Musikindustrie unternommen werden?

Yury Revich: Da würde ich sagen, dass jede Person, die eine Social-Media-Präsenz hat oder in der Öffentlichkeit steht, die Möglichkeit hat, Menschen positiv zu beeinflussen und eine Awareness aufzubauen. Awareness ist absolut wichtig für verschiedenste Dinge, und Nachhaltigkeit ist dabei natürlich eines der wichtigsten Themen, heute und auch in Zukunft. Ob jemand 500 Follower hat oder 1000 oder 5 Millionen, das ist egal. Jede und jeder – vom Micro-Influencer bis zum großen Influencer – hat die Möglichkeit, etwas in einem positiven Sinn zu verändern.

„Weil es eben wichtig ist, dass Künstler:innen auch auf die Leute zugehen müssen, die sich noch nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben. Denn wir müssen uns um unseren Planeten wirklich kümmern.“

Welche Initiativen zum Thema Nachhaltigkeit und Klimakrise sind dir in der Musikszene schon begegnet? Und in welcher Art und Weise haben dich diese beeinflusst?

Es gibt natürlich viele Initiativen. Das Wichtigste ist, dass die Menschen keine Angst davor haben sollten, sich wirklich für das Thema Nachhaltigkeit einzusetzen. Ich habe dazu beispielsweise ein Projekt ins Leben gerufen, es nennt sich „Die schmelzende Welt“. Dies ist ein multidisziplinäres Konzert und Konzept, das bereits dreimal in Wien stattgefunden hat und erstmals 2024 in Basel, Schweiz, stattfinden wird. Dabei habe ich auch Referentinnen und Referenten eingeladen, wie zum Beispiel Monika Langthaler vom Austrian World Summit oder Vertreterinnen und Vertreter des United Nations Environment Programme [Umweltprogramm der Vereinten Nationen; Anm. d. Red.] und des Magistrats 48 der Stadt Wien.
Das Konzept von „Die schmelzende Welt” besteht darin, Rednerinnen und Redner zu haben, die das Publikum über bestimmte Themen informieren, und dazwischen arbeiten wir mit den Emotionen durch Musik, Tanz und Schauspiel. So versuchen wir, die Menschen zu berühren. Fast alle Künstlerinnen und Künstler, die teilgenommen haben, waren bis dahin noch nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Es ist auch eine gute Gelegenheit für die Künstlerinnen und Künstler sowie die Referentinnen und Referenten, zu netzwerken. Nach dem Konzert haben viele zu mir gesagt: „Vielen Dank, Yury, dass du das organisiert hast. Jetzt verstehen wir, wie wichtig das ist“. Zum Beispiel postet eine Schauspielerin seit drei Jahren regelmäßig auf sozialen Netzwerken zum Thema Nachhaltigkeit, nachdem sie an einem dieser Konzerte teilgenommen hat. Das freut mich natürlich sehr, weil es wichtig ist, dass Künstlerinnen und Künstler auch auf die Menschen zugehen müssen, die sich noch nicht mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben. Wir müssen uns wirklich um unseren Planeten kümmern, auch indem wir nicht nur Veranstaltungen für 2000 Leute organisieren, die sich bereits mit diesen Themen beschäftigen. Es geht darum, Personen einzuladen, die sich noch nicht oder kaum mit diesen Themen auseinandergesetzt haben, wie zum Beispiel ältere Menschen oder auch Personen, die sehr privilegiert sind und nur mit dem Flugzeug in der Business-Class oder mit dem Privatjet reisen. Leider sind das häufig Menschen, die nicht viel Zugang oder Kontakt zu denjenigen haben, die sich um den Klimaschutz bemühen oder von den Auswirkungen der Klimakrise betroffen sind. Mit meinen Konzerten und Projekten versuche ich daher auch, diejenigen zu erreichen, die noch nicht wirklich erkannt haben, wie wichtig, ernst und dringend dieses Thema ist.

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„Recyceln, das ist eigentlich ganz einfach, das kann man jeden Tag zu Hause machen, jede:r und überall.“

Welche Herausforderungen siehst du bei der Umsetzung nachhaltiger Praktiken in der Musikszene? Welche Ressourcen, Informationen oder auch Unterstützung würdest du dir wünschen, um nachhaltigere Entscheidungen – auch im Kontext deines musikalischen Schaffens und der Festivals, die du veranstaltest – treffen und auch umsetzen können?

Yury Revich: Natürlich brauchen wir als Musiker:innen, Künstler:innen und auch Veranstalter:innen viel mehr Ressourcen, viel mehr Unterstützung – medial und auch finanziell – von staatlicher Seite, von der Industrie, den Unternehmen, damit es kein Greenwashing gibt. Da müssen wir als gesamte Gesellschaft wirklich mehr und besser zusammenarbeiten, und auch zusammenhalten. Aber das betrifft die Zusammenarbeit mit unseren Firmen und Partnern in der Musikindustrie genauso. Es geht darum, dass letztendlich alle gemeinsam etwas verbessern wollen. Und das ist, glaube ich, ganz wichtig. Medienkampagnen, Konzerte, Bewusstseinsbildung, Social-Media-Post, all das ist sehr wichtig, um das Thema weiterzubringen. Und dass es so viele Menschen wie möglich thematisieren, und zwar nicht nur einmal, sondern ständig – mit Follow-Ups, mit Follow-Up-Events und und und… Ich bin persönlich dahingehend auch musikalisch sehr ambitioniert und nehme mir dafür viel Zeit. Zum Beispiel habe ich ein Stück komponiert, das heißt „Beethoven ReCycled“, bei dem ich Skizzen und Entwürfe von Beethoven verwendet habe, die er vorher nie in seinen Kompositionen verwendet hatte. Mit dieser Komposition habe ich versucht, ein Statement zu diesem Thema, das an sich wirklich abstrakt ist, musikalisch umzusetzen und emotional zu integrieren. Um damit zu zeigen: „Auch in der Musik können wir recyceln“. Und um den Menschen zu zeigen: Recyceln, das ist eigentlich ganz einfach, das kann man jeden Tag zu Hause machen, jede und jeder und überall. Genau für solche Projekte, und für Menschen mit kreativen Ideen in dieser Richtung, bedarf es wirklich viel mehr Unterstützung. Einerseits von staatspolitischer Seite im Sinne von Fördermaßnahmen. Aber gleichzeitig müssen wir erreichen, dass auch die Festivals, die Konzerthäuser, die Veranstalterinnen und Vernastalter keine Angst haben, wichtige Umwelt- und Nachhaltigkeitsthemen anzusprechen. Aktuell ist es eben noch oft so, dass der finanzielle Aspekt häufig im Mittelpunkt steht, dass alle Tickets verkauft werden müssen und der Konzertsaal möglichst voll ist, aber… vielleicht muss man anfangen, nicht nur ans Geld zu denken. Oder aber auch, wenn man ein Konzept schafft, das neben dem musikalisch-künstlerischen Anspruch auch eine Botschaft an die Menschen im Publikum beinhaltet – diese Chance, finde ich, sollte man immer nützen.

Vielen Dank für das Gespräch, und dass du dir die Zeit genommen hast.

Simon Reitschuster

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Links:

Yury Revich
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“Beethoven ReCycled” – Sonata by Yury Revich
Friday Nights with Yury Revich (YouTube)