Ulrichsberger Kaleidophon 2008

Von 1. bis 3. Mai findet heuer im Jazzatelier Ulrichsberg die mittlerweile 23. Ausgabe des Kaleidophon statt, einem Festival, das sich mit aktueller Musik aus Bereichen wie Jazz, Improvisation und Neue Musik auseinander setzt. Insgesamt stehen diesmal zwölf Konzerte, mit MusikerInnen aus Europa, Amerika und Japan, auf dem Programm.

Als Raw Materials reflektieren die beiden Künstler Rudresh Mahanthappa und Vijay Iyer in ihrer Musik auf unpuristische Weise ihre kulturelle Herkunft. Dabei geht es ihnen weniger um klangliche und idiomatische Anleihen an indischer Musik, denn um die Integration struktureller Elemente. Bei aller Komplexität ist das, was Mahanthappa und Iyer hier produzieren stets sinnlich und mitreißend. Piano-Patterns werden repetiert und weiter gesponnen, schaffen fließende, wellende Klangströme, an die sich ganz nahtlos Altsaxophon-Linien anfügen. Raw Materials stehen für äußerst konzentrierte Dialoge, Kompositionen und Improvisationen, die ständig auf immer neue Weise ineinander verschränkt werden, ohne, dass die Spontaneität zu kurz kommt.

 

Ebenfalls am ersten Tag des Festivals treffen beim Vienna Improvisers String Trio feat. Annette Giesriegl vier KünstlerInnen aufeinander, die ihre Kenntnisse um experimentelle Klanggestaltung mit dem Anspruch an kompositorisches Formbewusstsein einsetzen. Dezidiert an Klarheit und Transparenz orientiert, entstehen von der Präzision der eigenen Ideengestaltung getragene Texturen. Das Ensemble arbeitet von einer heterogenen Erscheinungsform hin zu einem homogenen Klangbild, von einem homogenen Klangbild hin zu den Rändern dieser Homogenität.

 

Die Setlist des letzten Tages wird schließlich durch die Vierer-Formation The Return Of The New Thing komplettiert. Vier in Paris lebende Jazz-Musiker um den englischen Pianisten und Violinisten Dan Warburten haben es sich zu Ziel gesetzt, sich von sämtlichen stilistischen Konventionen und idiomatischen Spielregeln zu befreien und dem Free Jazz das Leben einzuhauchen, wie es vor knapp 50 Jahren der legendäre Ornette Coleman bereits getan hat. Der Free Jazz dieses Quartetts klingt frisch, unbeschwert, frei und besticht vor allem durch die Stringenz, mit der die vier Musiker energetische Spannung erzeugen. Dabei kommen Reminiszenzen an Uptempo-Jazz und sogar Rock-Grooves ebenso zum Einsatz, wie meditative Klangflächen, die zu freien Balladen entwickelt werden und durch ungeschliffene Altsaxophon-Linien zielstrebig dem expressiven Höhepunkt entgegen getrieben werden.

 

Tags darauf begibt sich Otomo Yoshihide auf die Bühne und wer den umtriebigen Japaner kennt, der weiß, dass man eigentlich so gut wie überhaupt keine Voraussagen treffen kann, was er sich für diesen Abend an musikalischen Kuriositäten hat einfallen lassen. Yoshihide ist das Aushängeschild japanischer Experimentierfreudigkeit schlechthin – unabhängig davon, ob der Kontext gerade Free Jazz, Punk, Noise oder Elektronik heißt.

 

Anschließend wissen Martine Altenburger, Frederic Blondy und Bertrand Gauguet ein profundes Wissen über und viel Aufführungspraxis in Neuer Musik zu präsentieren. Klangvokabular, wie man es vor allem aus Cage-, Lachenmann- oder Xennakis-Kompositionen kennt, spielt hier eine Rolle. Es geht aber nicht um geschriebene Musik. Vielmehr entsteht die Musik in freier Improvisation, im freien Fluss und zeichnet sich durch eine gewisse Luftigkeit aus, in der durchaus auch die Stille ihren Platz findet.

 

Mit dem Italiener Giancarlo Locatelli hat sich danach Barre Phillips, einer der wirklich großen Bassisten der Jazzgeschichte, einen vergleichsweise jungen Kollegen zum Duettpartner auserkoren. Phillips’ langjährige musikalische Erfahrung umfasst verschiedenste Musikstile – von Coleman Hawkins bis Derek Bailey. In den Siebziger Jahren spielte er zusammen mit John Surman und Stu Martin in der legendären Gruppe The Trio, danach folgten Aufnahmen und Konzerte mit u.a. Archie Shepp, Chick Corea, Anthony Braxton, Cecil Taylor und Ornette Coleman, um nur einige großen Schwergewichte zu nennen. Locatelli seinerseits ist auch längst kein unbeschriebenes Blatt mehr. In die Liste seiner Spiel- und Aufnahmepartner reihen sich u.a. Steve Lacy, Wolfgang Fuchs, Elliot Sharp und Zeena Parkins. Zudem ist er Mitglied im Rara Ensemble und Leiter des Indie-Labels “Z-Rec”.

 

Den letzten Freitags-Programmpunkt bildet schließlich das Trio Obliquity. Drei erfahrene und weit über die Grenzen Englands hinaus anerkannte Musiker mit ihrem neuen Projekt. Gespielt wird “Fire-Music” – rhythmischer, kochender Free Jazz. Aber nicht ausschließlich – die eine oder andere bestehende Grenzlinie wird hier komplett neu vermessen. Ein Umstand, der wohl auch dazu beiträgt, dass das Trio in London vor allem bei einem jüngeren Publikum zu punkten imstande ist.

 

Den letzten Festival-Tag eröffnet die Perkussion-Künstlerin Elisabeth Flunger. Deren Instrumentarium besteht aus Fundstücken, Gegenständen vom Schrottplatz, Teile von Werkzeugen und Geräten, Musikinstrumenten, Souvenirs und Geschenken von Freunden. Die damit hervorgebrachte Musik entsteht durch körperliche und räumliche Aktionen, bei denen es darum geht, unter Einhaltung von Spielregeln ein (oder kein) Ziel zu erreichen. Oft sind es auch keine perkussiven Techniken, sondern Manipulationen mit den Objekten selbst, die die Musik hervor bringen.

 

Anschließend darf man einer Kollaboration von Philip Jeck an den Turntables mit dem Trio Here Comes The Sun beiwohnen. Letztere formierten sich Anfang 2006 und wurden schnell zu einer der erfreulichsten musikalischen Erfahrungen der drei divers tätigen Musiker. Der Pointillismus der beiden Saitenspieler bildet eine intime Einheit mit den lang gedehnten Mehrklang-Modulationen der Klarinette. Innerhalb ihrer Improvisationen entstehen harmonisch gefärbte Patterns, die sich mit größter Zartheit und Zurückhaltung in bisweilen überraschend schöne Territorien vorwagen. Der Kollaborationspartner dieses Trios, Philip Jeck, ist international bekannt für seinen markanten Sound. Auf alten Plattenspielern der Fünfziger und Sechziger Jahre und mit Hilfe von Schallplatten und elektronischen Devices kreiert er seine ganz eigene Art von Musik. Der Auftritt beim Kaleidophon bildet nun sowohl erstmalige Zusammenarbeit, als auch Auftakt zu einer kleinen Tour mit Here Comes The Sun.

 

In Taylor Ho Bynums 13th Assembly Quartett tummeln sich danach jedenfalls ausschließlich ausgesuchte Mitglieder, die dieser Formation ihren ganz eigenen, besonderen Stempel aufdrücken. Alle vier Mitglieder des Quartetts, Taylor Ho Bynum, Jessica Pavone, Mary Halvorsen und Tomas Fujiwara, steuern eigene Kompositionen bei, ein Umstand, der in der gemeinsamen Musik natürlich unweigerlich Spuren hinterlässt. Ein Wesensmerkmal ist jedenfalls die freie Improvisation innerhalb vorgegebener Strukturen, die sich bei aller sonstigen Verschiedenheit der vier KomponistInnen durchgehend in deren Arbeiten beobachten lässt.

 

Ein klassisches Jazzpiano-Trio bilden schließlich Steve Beresford, Joe Williamson und Roger Turner: The Wardrobe Trio. Mit Intensität und Einfühlungsvermögen entwerfen die drei eine Musik ohne Vorgaben und Absprachen. Beresford huscht in Windeseile über die Tasten, schleudert Klangfetzen und Cluster hervor und ergeht sich in perlenden Läufen. Filigrane Tongirlanden, in denen ein fernes Echo der Bebop-Ära widerhallt, winden sich um Williamsons sonore Basstöne, die von den flinken und ungewohnt jazzigen Perkussionseinwürfen Roger Turners durcheinander gewirbelt werden.

 

Den Abschluss dieses dreitägigen Festivals bilden, last but not least, Couscous, deren Mitglieder allesamt aus dem Umfeld österreichischer Experimental-Rock-Popgruppen wie Kreisky oder Mord stammen. Musiziert wird auf Abfällen und Resten, wie Dosen, Plastikflaschen, Stahlfedern und sonstigen Ausschussprodukten. Das improvisierte Spiel auf diesen Konstrukten bildet das rohe Rhythmusskelett, das immer wieder durch Melodieversuche auf allerlei traditionellem Instrumentarium wie Harmonium oder Tanpura ergänzt wird. Zusätzlich wird dann noch mittels billiger Gitarreneffekte, kaputten Mikrophonen und Analogsampling verfremdet, zerhackt und geloopt was das Zeug hält – die schmutzige industrielle Revolution in den weißen Zimmern der Laptopmusik sozusagen.(mm)