„Über Musik reden ‚müssen‘ und dabei Freunde werden – das Schönste auf der Welt“ – KATHARINA SEIDLER und NINO MANDL, das diesjährige POPFEST-Kuratorenteam, im mica-Interview

Das POPFEST WIEN wird von 26. bis 29. Juli 2018 bereits das neunte Mal bei freiem Eintritt am Wiener Karlsplatz über die Bühne gehen. Für das Programm zeichnen heuer die Musikjournalistin KATHARINA SEIDLER und der Musiker NINO MANDL alias DER NINO AUS WIEN als Kuratorenteam verantwortlich. Mit Julia Philomena sprachen die beiden von dem hinzugekommenen Lyrik/Lyrics-Garten, dem diesjährigen Line-up, bei dem jede Band die Hauptband ist, und vom Karlsplatz als Ort der Begegnung, an dem viel, wenn nicht sogar alles möglich sein darf.  

Welcher Tradition folgt Ihrer Meinung nach das Wiener Popfest und inwiefern wollen Sie diese weiterführen? Kurz: Was ist neu? Was bleibt?

Nino Mandl: Die Tradition der musikalischen Sommerfeste in Wien gefällt mir schon. Es ist im Sommer immer viel los in Wien. Das Popfest ist ein Teil dieser Tradition geworden und hat sich über die Jahre etabliert. Neu sind viele der auftretenden Acts. Einige sind noch sehr unbekannt. Aber ich glaube, dass das Popfest genau das richtige Festival ist, um neue Bands kennenzulernen. Auch für die Musikerinnen und Musiker kann es eine gute Erfahrung sein, vor möglicherweise vielen Leuten zu spielen.

Katharina Seidler: Neu hinzugekommen ist in diesem Jahr eine kleine Bühne im Karlsgarten mit Lesungen und Musik an der Schnittstelle von Lyrik und Lyrics. Außerdem präsentieren wir zwei Extrakonzerte im Theater Akzent in der Oberen Argentinierstraße. Und es gibt erstmals einen Überraschungs-Act. Den wunderschönen Kuppelsaal unterm Dach der TU haben wir an zwei Abenden wieder dabei.

„Alle Acts, die auftreten, haben uns berührt, inspiriert oder begeistert.“

Gibt es heuer einen thematischen Schwerpunkt?

Nino Mandl: Musikalisch ist viel möglich. Jeder ist die Hauptband, Vorbands gibt es bei uns keine. Alle Acts, die auftreten, haben uns berührt, inspiriert oder begeistert. Sei es der Texte oder Melodien wegen, sei es wegen eines Gefühls, das uns erreicht hat. Die Lyrikbühne ist ein kleiner Schwerpunkt. Gedichte oder ohne Musik vorgetragene Texte haben ihren eigenen Rhythmus, ihre eigene Melodie.

Katharina Seidler: Es gibt eher viele kleine Schwerpunkte. Wir haben uns vor allem bemüht, die Bühnen in sich als nachvollziehbare kleine Einheiten zu gestalten und Musiken in sinnvolle Dialoge treten zu lassen.

Inwiefern spiegelt sich Ihre persönliche Arbeit in der musikalischen Programmauswahl wider?

Katharina Seidler: Durch meine Arbeit bei FM4 und beim Falter bin ich sowieso sehr nah dran an der heimischen Popwelt. Die Aufgabe beim Popfest umfasst viele Tätigkeiten, die ich im Alltag immer mache, einfach stark verdichtet: noch mehr Releases durchhören, noch mehr Konzerte besuchen und vor allem sich noch mehr Gedanken machen und noch mehr austauschen, mit Nino, mit Kolleginnen und Kollegen, im Freundeskreis, mit Fans, Musikerinnen und Musikern, Musikbusinessmenschen. Eine Bereicherung in jeder Hinsicht.

Wie sieht das Zielpublikum des Wiener Popfests aus? Und gibt es heuer auch wieder einen begleitenden theoretischen Diskurs? Stichwort „Popfest Sessions“.

Nino Mandl: Alle sind willkommen. Jung und Alt. Ich freue mich über alle, die kommen, und wenn es nur auf ein Bier ist. Da es so zentral gelegen und frei zugänglich ist, ist das Popfest kein reines Szene-Ding. Ich treffe dort meist alle möglichen interessierten Leute, von meinem Trafikanten bis zum alten Schulfreund, der sonst eher nur vor dem PC sitzt. Ich kenne auch genug Leute, die vorhaben, auf möglichst viele Konzerte zu gehen, einfach weil es sie so interessiert. Das finde ich schön. Ja, es wird Diskussionen geben. Eine davon zum Beispiel über Fankultur in Wien.

Katharina Seidler: Ein ideales Zielpublikum gibt es natürlich nicht, gerade weil ein Festival wie dieses Menschen aus den unterschiedlichsten Kontexten ansprechen will, Musik-Nerds ebenso wie Zufallspassantinnen und -passanten, die spontan hängen bleiben. Ich wünsche mir von den Besucherinnen und Besuchern Begeisterungsfähigkeit und Lust, sich auf eine Erfahrung einzulassen. Gemeinsam mit dem Verein Pro21 haben wir uns dieses Jahr bemüht, das Popfest noch ein wenig barrierefreier zu gestalten. Panels gibt es am Samstag und Sonntag wieder so einige, man muss sich seine Energien an diesem Wochenende also gut einteilen.

Bild Katharina Seidler und Nino Mandl
Katharina Seidler und Nino Mandl (c) Yavuz Odabas

Welche Bedeutung hat für Sie der Karlsplatz an sich?

Nino Mandl: Für mich als Donaustädter bzw. Hirschstettner war der Karlsplatz immer sehr weit weg. Als Kind kam ich vielleicht ein-, zweimal im Jahr am Karlsplatz vorbei. Damals war er noch berüchtigt für seine Heroinszene. Seit ich in Favoriten wohne, komme ich öfter vorbei. Ein wunderschöner Platz, vor allem im Sommer. Ich wäre aber dafür, die Palmen das ganze Jahr über am Platz gedeihen zu lassen.

Katharina Seidler: Ich fahre jeden Tag mit dem Rad über den Karlsplatz ins Funkhaus und sehe, wie viel sich dort abspielt, sobald das Wetter gut ist. Ich freue mich immer, wenn nach dem Winter die Palmen wieder aufgestellt werden. Seit 2010 gehe ich jedes Jahr aufs Popfest, es gibt aber auch andere schöne Aktionen auf dem Platz, zum Beispiel das Buskers Festival und das Kino unter Sternen.

Lassen Sie bewusst auch die Kirche bespielen? Oder funktioniert der Ort für Sie als neutrale Bühne, die nicht kommentiert werden muss?

Nino Mandl: Die Kirche ist ein interessanter Ort für Konzerte. Alle Acts, die in der Kirche spielen, freuen sich ungemein darauf. Ich persönlich gehe auch sehr oft in Kirchen, weil sie eine besondere Stimmung ausstrahlen können. Ich war erst vorgestern in der Karlskirche und hätte am liebsten selbst gleich zu singen begonnen. Außerdem war es angenehm kühl.

Katharina Seidler: Wir haben die Kirche vor allem als wunderschönen Hallraum verstanden, mit dessen Raumgefühl und Akustik man spielen kann. Dass durch Musik spirituelle, transformative Erfahrungen gemacht werden können, ist eines der wichtigsten Prinzipien, an die ich glaube. Wenn der Ort das Potenzial hat, diese Möglichkeiten noch zu verstärken, umso besser.

Mit welchem Bewusstsein kuratieren Sie das Wiener Popfest? Stichwort: viel Verantwortung vs. viel Spaß.

Nino Mandl: Wir haben viel überlegt und hatten viel Spaß. Wir sind ziemlich herumgekommen. Ich habe viel entdeckt durch Katharina. Die Verantwortung ist groß, aber ich glaube, wir haben ein ziemlich gutes Programm zusammengestellt.

Katharina Seidler: Wir sind uns der Verantwortung sehr wohl bewusst und haben keinesfalls ein Festival nach rein persönlichem Geschmack zusammengestellt. Vielmehr haben wir ausschließlich Acts gebucht, an die wir glauben und von denen wir überzeugt sind, dass andere Menschen das auch so empfinden werden. Spaß und Horizonterweiterung können Hand in Hand gehen, vielleicht ist das unser roter Faden im Programm.

„Wir wussten meist sehr schnell, was wir nicht wollen. Und ebenso schnell wussten wir, was wir unbedingt wollen.“

Wie funktioniert die Zusammenarbeit konkret? Werden die Acts beispielsweise gemeinsam ausgesucht?

Nino Mandl: Wir haben so viel zusammen gemacht, waren gemeinsam auf so vielen Konzerten. Die Zusammenarbeit war verblüffend einfach, was die Auswahl der Acts betraf. Wir wussten meist sehr schnell, was wir nicht wollen. Und ebenso schnell wussten wir, was wir unbedingt wollen. Trotzdem gibt es noch so viele andere Bands, die toll fürs Popfest gewesen wären, denen wir aber leider absagen mussten.

Katharina Seidler: Alles zu hundert Prozent gemeinsam. Das war vermutlich die umständlichste Arbeitsweise, aber wir waren uns einig, dass wir es nur so machen wollten. Wir haben in den letzten Monaten wahrscheinlich einen kleinen Chat-Rekord aufgestellt, uns dazwischen auch bis zu viermal die Woche getroffen. Über Musik reden „müssen“ und dabei Freunde werden – das Schönste auf der Welt.

Was erhoffen Sie sich vom Popfest 2018?

Nino Mandl: Das beste Wetter und dass alle Acts, die wir gebucht haben, spielen werden und keiner krankheitsbedingt absagen muss.

Katharina Seidler: Das kollektive oder individuelle Glücksgefühl, das ein perfekter Musikmoment evoziert, strahlt danach noch lange in den Alltag und ins Leben hinein, manches bleibt einem für immer. Ich wünsche solche Erfahrungen uns allen beim Popfest, vor oder auf den Bühnen.

Glauben Sie, dass musikalische Großveranstaltungen wie das Popfest nachhaltig etwas verändern können, beziehungsweise wäre es für Sie wünschenswert, Spuren zu hinterlassen?

Nino Mandl: Ich glaube schon, dass etwas bleiben kann. Von manchen jahrelang zurückliegenden Popfest-Konzerten sprechen manche Menschen noch heute. Das ist es auch, worum es gehen kann: um unvergessliche Erinnerungen. Schön wäre es, wenn sich Menschen am Popfest in Bands verlieben, die sie noch nicht kannten. Und dann weiterhin ihre Konzerte besuchen.

Katharina Seidler: Ich kenne viele Menschen, die von vergangenen Popfesten neue Lieblingsbands mit nach Hause genommen haben. Das ist etwas, was bleibt, was nicht nur im eigenen Leben weiterwirkt, sondern auch den Musikerinnen und Musikern in Form von neuen Fans und zukünftigem Konzertpublikum etwas bringt. Und wenn sich danach auch noch jemand selbst inspiriert fühlt, ein Instrument in die Hand zu nehmen und es selbst zu probieren mit der Musik, perfekt.

Abschließend: Wie würden Sie jemandem, der noch nie etwas von Österreich, von Wien und dem Popfest gehört hat, die diesjährige Veranstaltung beschreiben?

Nino Mandl: Wir feiern ein großes Fest der Musik in der Stadt der Musik und alle sind ist eingeladen mitzufeiern. In Wien, einer Stadt in Österreich, in Europa.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Julia Philomena

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