Ö3-Senderchef Georg Spatt brachte die laut Radiotest sinkende Reichweite in Verbindung mit der seit 1. Juli 2015 verbindlichen Austropop-Quote von 15% und sorgte damit für einen Shitstorm. Nicht der erste von Ö3 verantwortete und wohl auch nicht der letzte. Aber was hat es mit der Kritik, die Quote schade der Reichweite, tatsächlich auf sich? Hält sie einer objektiven Überprüfung stand?
Noch ist Ö3 der reichweitenstärkste Sender, doch die Quoten fallen – das jedenfalls besagt der aktuelle „Radiotest“. Senderchef Georg Spatt deutete daraufhin in einem Interview mit dem Kurier an, die „aktuellen Marktbewegungen“ könnten mit der sogenannten Austropop-Quote zusammenhängen, d.h. die Verpflichtung zu einem 15-prozentigen Anteil österreichischer Musik ab 1. Juli 2015 sei verantwortlich für die fallenden Quoten. In einem anschließenden Gespräch mit der Tageszeitung Die Presse konkretisierte Spatt dann seine anfänglich noch als Vermutung geäußerten Bedenken gegenüber der Quote. „Diese schlagartige Musikquote ist sicherlich ein Hauptgrund“, sagte er.
Die Entrüstung, die daraufhin in den Medien aufbrandete, war enorm. „Patschert und zugleich aufschlussreich“ nannte es Helmut Brandstätter in seinem im Kurier erschienenen Kommentar und verwies auf den öffentlichen Programmauftrag. Dazu später. Doch er war bei weitem nicht der einzige, der Spatts Äußerungen kritisierte. Die gesamte Musikbranche fühlte sich auf unangenehme Weise an frühere verbale Ausrutscher erinnert und holte ihrerseits zum Gegenschlag aus.
Seit dem Dienstantritt von Georg Spatt als Ö3-Chef verliere der Sender beständig Reichweite, so etwa Hannes Tschürtz von INK MUSIC in einem Facebook-Eintrag. „Würde ich rechnen wie ein Milchmädchen und argumentieren wie er, könnte ich also seiner Theorie (der seit Kurzem verstärkte Einsatz von österreichischer Musik sei schuld am Rückgang) leicht etwas entgegensetzen und ihn in schlechtes Licht stellen.“ Das aber sei nicht seine Absicht, so Tschürtz . „Die Radiowelt ist dann doch ein bisschen komplexer.“ Nichts aber ist so kompliziert, dass es sich nicht mit ausreichender Geduld aufschlüsseln ließe. Wir wollen es versuchen.
Die Historie
Eine Debatte, wie viel Prozent heimischer Musik man dem Publikum „zumuten“ kann, wogt schon seit den frühen 1990er Jahren hin und her. Und genau an dieser Formulierung („Zumutung“) lässt sich schon ableiten, unter welchen Vorzeichen sie stets stattfand. Österreichische Musik wurde von Seiten des Kommerzradios immer als Übel empfunden. Ob notwendig oder nicht, war die Frage, die es auszufechten galt.
Und so war es, als die Ö3 Moderatorin Elke Liechtenegger im April 2014 in einem Interview für den Regionalsender OKTO ihre negative Meinung über österreichische Musik kundtat und dafür einen Shitstorm erntete, weniger ein einmaliger Ausrutscher als vielmehr Symptom, das Rückschlüsse auf das System des Formatradios bzw. das spezifisch in Österreich installierte System zuließ – darin waren sich die Kommentatoren einig. Die Meinung im Formatradio jedenfalls, wie viel österreichische Produktion ein Sender „vertrage“, war immer: Möglichst wenig.
Aber warum eigentlich? „Auf eine valide, nachvollziehbare Antwort warte ich seit zwei Jahrzehnten“, so der Musikmanager Walter Gröbchen (monkey.music). Die Quoten für nationale Musik seien in anderen Ländern viel höher, sagt er. Österreich befände sich da im untersten Zehntel.
Der Vergleich gibt ihm eindeutig Recht: So lag der Anteil heimischer Musik im österreichischen Radio zwischen 2004 und 2012 beharrlich zehn Prozentpunkte und mehr hinter jenem in Deutschland. Konkret: 2012 etwa waren es in Österreich knapp über 19%, in Deutschland 29%. (Quelle: AKM, GEMA)
Der Vergleich mit Frankreich fällt noch deutlicher aus: Der öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter Radio France verpflichtet sich seit Juli 1995 auf ein Minimum von 60% französischsprachiger Musik. Die Regelung, die am 1. Januar 1996 in Kraft trat, schreibt den französischen Sendern vor, dass 40% der Musik frankophon zu sein und die Hälfte davon aus neuen Produktionen bzw. neuen Talenten zu bestehen hat, wobei sich die Quoten auf die Ausstrahlung zwischen 6 Uhr 30 und 22 Uhr 30 (!) beziehen. Das heißt, den heimischen 19% stehen 40% bzw. 60% gegenüber und eine – im Gegensatz zu Ö3, wie noch zu zeigen sein wird – klare Verpflichtung zur Sendung zu bestimmten Zeiten. Und Ö3 beschwert sich tatsächlich über 15%, fragt man sich?
Im Forderungskatalog, der nach der Parlamentsdiskussion „Österreich.Musik.Zukunft“ im Mai 2014 von Musikschaffenden und Vertretern der Musikwirtschaft verlesen wurde, war noch von 40% die Rede. Und auch wenn man diese Forderung vielleicht als überzogen abtun mag, die jetzige Verpflichtung ist, in welche Richtung man auch blicken mag, verhältnismäßig gering, liegt sie doch wie gezeigt deutlich unter den in Deutschland und Frankreich praktizierten Anteilen heimischer Musik. Wieso also die Aufregung? Wieso die Beschwerde? Von welchen Verlusten reden wir eigentlich? Dazu muss man sich den Radiotest als solchen und seine aktuellen Zahlen einmal genau ansehen.
Der Radiotest
Der „Radiotest“ veröffentlicht halbjährlich die wichtigsten Leistungskriterien: Tagesreichweiten sowie Marktanteile aller im Radio erhobenen Sender, und zwar für zwei Zielgruppen. Einmal für Personen ab 10 Jahren und einmal für die Kern-Zielgruppe der 14-49jährigen.
Die Erkenntnisse des aktuellen „Radiotests“: Trotz des Paradigmenwechsels, den das Internet in der Musikindustrie ausgelöst hat, ist das gute alte Radio mit rund 80% Tagesreichweite und 186 gehörten Minuten immer noch das mit Abstand meist genutzte Medium. Rund 80% der Österreicher ab zehn Jahren hören täglich Radio – und das etwas mehr als drei Stunden lang (186 Minuten).
Aber finden Spatts Aussagen überhaupt Deckung in den Ergebnissen? Lässt sich eine gefallene Reichweite tatsächlich mit der Selbstverpflichtung, 15% österreichische Musik zu spielen, in Zusammenhang bringen?
Ablesbar ist zunächst einmal: Radio ist immer noch das Massenmedium Nummer 1. Trotz Spotify und anderer durchaus erfolgreicher Geschäftsmodelle. In der Kernzielgruppe der 14-49jährigen konnte die Hördauer sogar gesteigert werden. Erst einmal eine positive Entwicklung. Zusätzlich dazu lässt sich eine mäßig positive Entwicklung der Gesamtkonjunktur und des Medienmarktes ausmachen. Auch das sollte senderübergreifend positiv stimmen.
Wenn man sich nun den Marktanteil ansieht und das 2. Halbjahr 2014 mit dem 2. Halbjahr 2015 vergleicht, gibt es neben gesunkenen Anteilen in NÖ (-1), OÖ (-2), Vbg (-1) auch positive Ergebnisse: So ist der Marktanteil österreichweit und in Wien gleich geblieben, in Stmk (+1), Kärtnen (+1), Sbg (+1), Tirol (+1) sogar leicht gestiegen.
Vorrangig geht es also um die Reichweite. Und die ist laut „Radiotest“ bei Ö3 tatsächlich gesunken. Von 36,4 Prozent auf 34,9 Prozent.
Um eine Interpretation genau dieser Zahlen baten wir Doris Ragetté. Sie ist bei RMS Austria, dem Unternehmen, das den Radiotest durchführt und dessen Zahlen auswertet, für Marktforschung & Media Service zuständig.
Wir wollten vor allem wissen, ob man schon sechs Monate nach deren Einführung die Quote mit einem geänderten Nutzungsverhalten in kausalen Zusammenhang bringen könne. „Kann man schon, aber der Beweis dafür fehlt“, so Ragetté. „Ob wirklich ein Zusammenhang besteht zwischen dem dieses Mal doch signifikanten Reichweitenrückgang und der 15 Prozent-Quote, wissen wir de facto nicht.“ Auch Georg Spatt könne es daher nur vermuten, nicht aber wissen und beweisen. Die Zahlen allein jedenfalls geben es nicht her. Grundsätzlich, so Ragetté, sei der „Radiotest“ ein eher trägeres Instrument, eines also, „das auffallend langsam auf Veränderungen reagiert und nicht so abrupt“ – was nun eindeutig gegen einen kausalen Zusammenhang zwischen Quote und Reichweiten- bzw. Marktanteilsverlust sprechen würde. Es sei aber noch zu früh, um aus den aktuellen Zahlen etwas ableiten zu können. „Wir müssen noch mindestens ein weiteres Halbjahr abwarten, um die weitere Entwicklung zu beobachten.“
Nach ihrer persönlichen Meinung befragt, glaubt Ragetté, dass eher eine Marktentwicklung für die sinkende Reichweite verantwortlich ist, wie sie auch etwa im Fernsehen zu verzeichnen sei. „Wenn das Angebot größer wird, wenn die Konkurrenz stärker wird, dann muss der ‚Platzhirsch‘ an Reichweite nachgeben.“ Die Entwicklung der letzten fünf bis zehn Jahre, wo für Ö3 Halbjahr für Halbjahr ein wenn auch nicht dramatischer, so doch kontinuierlicher Reichweitenrückgang stattfand, mache das wahrscheinlich.
Unterstützt wird diese Auffassung durch die von der FAMA (Fachgruppe Film and Music Austria der WKÖ) erhobenen Zahlen: Demzufolge sanken bei Ö3 von 2008 bis 2015 sowohl der Marktanteil in der werbewirksamen Zielgruppe der 14 bis 49jährigen von 44% (2008) auf 40,5 (2015) als auch die Tagesreichweite in eben dieser Zielgruppe von 49,4% (2008) auf 43,75% (2015) – und zwar beides kontinuierlich. Interessant in dem Zusammenhang ist auch, dass der Tagesreichweitenverlust in der Zielgruppe 10+ bei weitem nicht so stark ist bzw. die Tagesreichweite kurzfristig (von 2011 auf 2012) sogar stieg.
„Aber wie gesagt“, lenkt Ragetté ein: „Um den signifikanten Rückgang wirklich beurteilen zu können, muss man die kommenden ein bis zwei ‚Radiotests‘ abwarten.” Ragettés Ausführungen legen nahe, dass weniger die Austro-Quote als der fortgesetzte Aufwärtstrend der Privatradios für den Einbruch der Reichweite verantwortlich ist, u.U auch der – in der Presseaussendung der RMS Austria explizit hervorgehobene – heiße Sommer, der vor allem in Wien und damit der bevölkerungsreichsten Stadt Österreichs deutliche Spuren bei der Nutzungsdauer hinterließ: Um 26 Minuten wurde in dieser Zeit weniger Radio gehört.
Das Formatradiokonzept
Walter Gröbchen meint, dass nicht die österreichische Musik, sondern das Formatradiokonzept als solches die Hörer vertreibe. Heimische Musiker würden, sagt er, erst gespielt, wenn sie schon beliebt sind, und dann so oft, dass es bald den „Leuten bei den Ohren raus hängt.“
„Ultraenge Titelrotation“ nennt es Gröbchen. Unterstützung erhält er mit dieser Ansicht in den einschlägigen Diskussionsforen auf wirklich breiter Ebene, wobei die Wortwahl größtenteils weit weniger fein ausfällt als bei Gröbchen.
Liest man die Kommentare zu den bisher erschienenen Artikeln fällt auf, dass der gegen Ö3 erhobene Hauptvorwurf immer der gleiche ist: Dass „Ö3 non-stop die gleichen Titel spielt und zu wenig Abwechslung da ist“. „Ö3 reagiert seit Jahren nicht auf immer jünger werdendes Publikum und verändertes Verhalten“, konstatiert etwa Helmut K. in seinem Posting. „Fm4 fängt viele ein, und der Rest hört, was sie selbst hören wollen – aus dem Netz.“ Das klassische Ö3 Publikum hingegen sei längst fort, „denn diese Fließband-Musik mit nervigem Gelaber dazwischen nervt nur mehr. Die Verluste sind logisch und wären vermutlich ohne Österreicher-Anteil noch stärker.“
Martin M. setzt noch einen drauf: „Der Pop Einheitsbrei“, sagt er, „bei dem x mal am Tag das selbe Stück rauf und runter gespielt wird, hängt einem zum Hals heraus.“ „Gefühlte 10 Mal Christl Stürmer oder Seiler und Speer am Tag seien ein Garant für „Magenkrämpfe, Durchfall und Komplettverblödung“.
Freilich, das sind Meinungen. Durchkämmt man die einschlägigen Foren sorgfältig, wird aber deutlich, dass es eine gewaltige Anzahl von Gleichgesinnten gibt, die nach eigenen Angaben früher einmal Ö3-Hörer waren, und das Konzept der „ultraengen Titelrotation“ – wie es Gröbchen nannte – heute ablehnen. Und zwar strikt.
Spatt hingegen sprach von einer „sensiblen Programmierung“. Was genau er darunter versteht, erklärte er so: „Wir werden stark über die Gewohnheit konsumiert. Wenn von einem Tag zum anderen in einem sensiblen Bereich etwas spürbar verändert wird, sorgt das für Irritation.“ Gegen Ende des Interviews lenkte er dann aber ein, indem er erklärte, am höheren Anteil österreichischer Musik festhalten zu wollen. Langfristig solle die Maßnahme sogar den Erfolg des Senders absichern, so Spatt.
Fassen wir zusammen: Zuerst wird eine freiwillige Selbstverpflichtung für eine negative Reichweitenentwicklung verantwortlich gemacht, dann wird sie relativierend als für die Zukunft erfolgversprechend gepriesen. Klingt ein wenig schizophren.
Um dieses Hin und Her besser zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, wie Formatradio funktioniert: Die gängige und auch von Ö3 so gehandhabte Praxis im Formatradio ist es, die eigentliche Programmierung an Drittunternehmen auszulagern. Konkret handelt es sich um die in Schwaig (Deutschland) ansässige Agentur BCI Group.
Insbesondere wenn solche Unternehmen im Ausland situiert sind, sei es doch geradezu logisch, dass österreichische Musik zu kurz komme, konstatierte Alexander Hirschenhauser vom Independent-Verband im Zuge der Forderung nach einer Quote (Parlamentsdiskussion „Österreich.Musik.Zukunft“).
Wolfgang Domitner von Ö3 erklärte hingegen anlässlich einer vom mica – music austria veranstalteten Podiumsdiskussion zum Thema „Quote und Ö3“ beim Popfest Wien im Sommer 2014, wie kommerzielles Radio heute funktioniert: Quer durch die finanziell interessanten Zielgruppen fragt man, was potenziellen Hörern unter den etablierten Nummern gefällt. Per Telefon, aber auch direkt. Die Menge der Befragten liege deutlich über den (als für Marketing-Umfragen repräsentativ eingewandten) fünfhundert.
Diese Umfragen würden weltweit, daher auch in Österreich durchgeführt werden. Die in Rotation befindlichen Titel werden vorgespielt. „Im Ergebnis ändern sich die Hörgewohnheiten beinahe wöchentlich.“ Sehr spannend sei das, viel diffiziler und weniger böse als allgemein angenommen.
Gröbchen meinte in der Diskussion damals lakonisch, dass es ein grundlegender Fehler sei verstehen zu wollen, was hinter dieser Programmierung steht. In Wahrheit ließen sich die Verantwortlichen seit zwanzig Jahren von der Berater-Branche den Einser-Schmäh aufbinden, wonach in Woche Zehn Frauen ab 34 mehr auf Synthiepop stünden als noch in Woche Neun. Ein überkommenes Geschäftsmodell sei das und „jeder schön blöd, der Geld dafür ausgibt.“
Gröbchen wetterte damals, auch Ö3 werde Bilderbuch und Wanda noch für sich entdecken. Nun ja, er sollte Recht behalten. Tatsächlich sprangen alle kommerziellen Sender – von Radio Wien bis Ö3 – auf den Wanda– und Bilderbuch-Zug auf, allerdings erst Monate nachdem beide Bands schon in den deutschen Regionalradios und auf Fm4 auf- und abgespielt worden waren.
Wie man nun zur umfrageorientierten Programmierung von Ö3 auch stehen mag, ob man sie für reichweitenrelevant oder überkommen hält, Fakt ist, dass es erfahrungsgemäß länger dauert, bis man auch bei Ö3 im Zuge von Umfragen erkannt hat, dass ein österreichischer Titel „durch die Decke geht“, und sich dann erst an einen bereits im Fahren befindlichen Zug anhängt.
„Was man jedoch bräuchte, sei ein Radio, das nicht Hits spielt, sondern Hits macht“, formulierten es die Proponenten von „Österreich.Musik.Zukunft“ im Frühling 2014 spitz. Eine Forderung, der ein Sender wie Fm4 vielleicht nachkommt, kommerzielle Sender wie Ö3 und Radio Wien aufgrund ihrer spezifischen Programmierung sicherlich nicht.
Was wird wann gespielt?
Aber die eigentliche Frage ist: Wann spielt Ö3 wie viel österreichische Musik und welche?
mica – music austria hat die Daten von jeweils drei Monaten des 2. Halbjahres 2015 (August, Oktober und Dezember) analysiert. Im August 2015 lag der Anteil österreichischer Musik bei 14,76% (1.513 Plays), im Oktober 2015 bei 16,17% (1.631 Plays) und im Dezember bei 15,23% (1.470 Plays). (Quelle: Sparte Film- und Musikwirtschaft der Wirtschaftskammer).
Grundsätzlich sind die von Ö3 gespielten Nummern musikalisch im Mainstream zu verorten. Und von Makemakes bis Zoë, von Klangkarussell bis Conchita Wurst wird der weitaus überwiegende Anteil der gespielten Musik auch auf Major-Labels veröffentlicht. Aber auch Austropop-Klassiker der 1980er Jahre werden gespielt wie etwa Falco („Rock me Amadeus“) oder Reinhard Fendrich („I am from Austria“). Deutschsprachiges kommt von Christine Stürmer oder Andreas Gabalier.
Signifikant ist, dass einige wenige Titel mit „Power-Rotation“, einen hohen Anteil der Quote erfüllen. So wurden im August 2015 insgesamt 200 österreichische Songs gespielt. 11 davon erfüllten mit der Anzahl ihrer Plays bereits 53,66% der Quote (sie wurden mindestens 40 mal gespielt.)
Von den 198 österreichischen Songs im Oktober 2015 machten die 11 meist gespielten Titel 52,23% der österreichischen Plays aus. Im Dezember 2015 erfüllten die 11 am häufigsten gespielten Songs (von insgesamt 258 Titel) 41,9% der Quote. In diesem Monat wurden nur 4 Titel über 40 Mal gespielt.*
Besonders interessant ist aber auch die Verteilung der österreichischen Titel zwischen den reichweitenstarken Tagesplays (6-18h) und den Nacht- bzw. Abendplays (00-6h und 18-24h), wo die Reichweite deutlich sinkt.
Zum besseren Verständnis, wie sehr die Reichweite während der Abend- und Nachtstunden abnimmt, hier die ORF-Statistik über Radionutzung im Tagesverlauf:
In allen drei analysierten Monaten (August, Oktober und Dezember 2015) verteilten sich die österreichischen Plays nur zu 1/3 auf die relevante Tageshälfte (6-18h). Die restlichen 2/3 entfallen auf jenen 12-stündigen Zeitraum, wo die Reichweite der ORF Radios bei unter 10% liegt.
August 2015: 35,94% (6-18h) und 64,06% (18-6h)
Oktober 2015: 33,76% (6-18h) und 66,24% (18-6h)
Dezember 2015: 34,66% (6-18h) und 65,33% (18-6h)**
*/** erhoben wurde anhand der öffentlichen Playlisten des Senders. Dennoch sei auf eine Schwankungsbreite von ca. +/- 1,5% hinzuweisen, die dadurch zustande kommt, dass etwa „Handeinsätze“ oder Spezialsendungen nicht gelistet sind.
Im Gegensatz zu Frankreich gibt es in Österreich keine Regelung, zu welcher Tageszeit die (wie gezeigt im europäischen Vergleich sehr niedrige) Quote erfüllt werden muss. Sieht man sich die derzeitige Praxis an, wäre eine diesbezügliche Regelung überlegenswert.
Resumé
Fassen wir zusammen: Im Juni 2015 hat sich der ORF mit der heimischen Musikwirtschaft auf einen nationalen Musik-Anteil in den ORF-Radios geeinigt. Für Ö3 wurde dabei ab 1. Juli 2015 ein Richtwert von 15 Prozent vereinbart. Das gebetsmühlenartige Dogma, eine Österreich-Quote schade der Reichweite, findet, wie gezeigt wurde, keine Entsprechung im aktuellen „Radiotest“. Wahrscheinlicher ist eine Marktentwicklung, wonach die Reichweite des so genannten „Platzhirschen“ aufgrund größerer Konkurrenz (vor allem der Privatsender) kontinuierlich sinkt.
Fakt ist auch, dass schon in Zeiten, als Ö3 noch ein klarer Zuwachs an Hörern attestiert wurde, das Dogma geprägt wurde, österreichische Musik schade dem Sender, was wiederum die Vermutung zulässt, dass dieses Dogma unabhängig von Zahlen und Statistiken gepflegt wird.
Sollte sich das Konzept des Formatradios, so wie es einmal ersonnen wurde und in den 1990er Jahren für Ö3 adaptiert wurde, tatsächlich totgelaufen haben? Die Vermutung liegt nahe, dass es, selbst wenn es so wäre, niemand der Verantwortlichen es leichten Herzens zugeben würde. Wer viel Geld für ein Konzept ausgibt, wird es möglichst lange vor Angriffen schützen. Alles andere wäre gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, das Geld jahrzehntelang beim Fenster raus geworfen zu haben.
Aber: Das Publikum dauerhaft zu unterschätzen kann sich auch rächen. Man denke nur an diverse Sendungen auf RTL und anderen privaten Fernsehsendern, denen eine große Zukunft prognostiziert worden war, die dann aber mangels Quote nach nur wenigen Monaten abgesetzt wurden.
Dazu fällt einem unweigerlich der Satz ein, den Helmut Brandstätter in seinem Kurier-Kommentar gesagt hat: „Der öffentlich-rechtliche ORF hat laut Gesetz einen Bildungsauftrag, und der soll nicht nur nach Mitternacht oder in Spartensendern stattfinden.“ [Anm.: ORF-Gesetz, Programmauftrag § 4 (1) „Der Österreichische Rundfunk hat durch die Gesamtheit seiner gemäß § 3 verbreiteten Programme zu sorgen für:
5. die Vermittlung und Förderung von Kunst, Kultur und Wissenschaft;
6. die angemessene Berücksichtigung und Förderung der österreichischen künstlerischen und kreativen Produktion;“].
Des Weiteren erläutert Brandstätter: „Die von Ö3 befeuerte Diskussion zeigt uns, dass man im ORF nicht mehr versteht, wofür wir alle zwangsweise Gebühren zahlen. Große Teile des ORF wollen in Inhalt und Programmierung als werbefinanzierte Sender auftreten. Einverstanden, aber dann wollen wir keine Gebühren mehr zahlen. Immerhin 600 Millionen Euro im Jahr.“
So scharf hat es bislang kaum jemand formuliert. Vielleicht aber bedarf es genau dieser Schärfe, um endlich klar zu sehen. Denn während der Skisport (und mittlerweile auch der Fußball) oder das klassische Musikerbe und dessen Pflege in der breiten Öffentlichkeit als positiv und förderungswertig empfunden werden, verhält es sich bei zeitgenössischer Popmusik gegenteilig: Sie sei weniger professionell und deshalb auch weniger erfolgreich als Musik aus englischsprachigen Ländern, so die landläufige Meinung. Auch bahnbrechende Erfolge österreichischer Acts im Ausland, wie sie in den letzten Jahren in nie dagewesener Häufung zu verzeichnen sind, vermögen an dieser Sichtweise offenbar wenig zu ändern, wie Spatts protokollierte Sicht der Dinge zeigt.
Was genau passieren muss, bis sich das in den Köpfen mancher Menschen ändert, bis österreichische Popularmusik ein zumindest konkurrenzfähiger Status eingeräumt wird, ist die große Frage, die man sich angesichts derart beharrlicher Realitätsverweigerung stellen muss.
Es ist naheliegend, dass es sich beim Dogma, österreichische Musik schade einer Quote, um den Versuch handelt, sich einen Handlungsspielraum zu verschaffen, der dem eines Privatsenders entspricht und nicht dem eines öffentlich – rechtlichen, wobei die Konstruktion auch hier natürlich eine komplexere ist. Denn die ausschließlich kommerzielle Ausrichtung von Ö3 wird ja meistens damit gerechtfertigt, dass dadurch ja auch andere Sender wie Fm4 oder Ö1, die dem Auftrag (mehr) nachkämen, finanziert werden. Das mag vielleicht ein logisch einleuchtendes Argument sein, Deckung im ORF-Gesetz findet es allerdings keine. Das sei hier an dieser Stelle aus juristischer Sicht ein für allemal klargestellt. Die Erfüllung des Bildungsauftrages auf Spartensender wie ORF III oder Fm4 zu verlagern, ist nicht ausreichend. Das lässt sich schon dem Wortlaut des Gesetzes entnehmen, da bedarf es keiner großen Auslegungen.
Und allen, die das nicht glauben, sei § 10 Abs 8 ORF-Gesetz in Erinnerung gerufen. Dort heißt es wörtlich: „Als Kultursender soll der Österreichische Rundfunk sowohl Berichterstatter wie eigenständiger Produzent sein und vor allem Auftraggeber, Arbeitgeber und Forum österreichischer Kreativität und Gegenwartskunst.“
Ohne Wenn und Aber.
Markus Deisenberger
Weiterführende Links
- Gastkommentar von Theomas Rabitsch in Die Presse vom 29.05.2017: Pop made in Austria: „Eh alles nur Mist…“
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Dieser Beitrag wurde von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) gefördert.