Tonalität und Spiritualität als Grundpfeiler: FRANZ THÜRAUER im mica-Porträt

Er ist durchaus kein Außenseiter in der österreichischen Musikszene. Und doch ist das Œuvre von FRANZ THÜRAUER nur wenigen näher bekannt. Hochkarätige Aufführungen von Opern und Orchesterwerken stehen Phasen scheinbarer schöpferischer Zurückgezogenheit gegenüber. Ein Porträt des Komponisten.  

TONALITÄT ALS WEGWEISER

Es waren wohl drei Werke mit denen Franz Thürauer in den frühen 1990er-Jahren auf sich aufmerksam machte und sich in die Reihe der von einem größeren Publikum und der Kritik mit Interesse wahrgenommenen österreichischen Komponisten seiner Generation einreihte: das Violinkonzert und die Lukas-Passion von 1991 sowie die Kirchenoper „Der Landsknecht von Kärnten“ (Text: Richard Bletschacher, 1993). Die relativ rasche Aufeinanderfolge dieser Stücke hinterließ markante Eindrücke und die Erwartung, dass hier ein knapp 40-Jähriger eine vergleichsweise spät begonnene Karriere als einer der markanten Vertreter einer neuen Tonalität entwickelte. Dass er sich dieser bediente, erschien damals durchaus noch nicht selbstverständlich, galt doch bis weit in 1980er-Jahre alles nicht Experimentelle, nicht Progressive bzw. nicht avantgardistische Techniken Anwendende als veraltet, verkrustet, konservativ. Wenige hatten wie Kurt Schwertsik, Iván Eröd, Otto M. Zykan und Heinz Karl Gruber schon zuvor diesen Weg gewählt und sich teils durchaus gegen Widerstände seitens einer sich selbst als „fortschrittlich“ ansehenden Generation von Journalisten und Veranstaltern durchgesetzt und etabliert. Selbstverständlich wurde das Zulassen und Begrüßen einer Individualität, die wieder die gesamte Vielfalt aller erdenkbaren Mittel zur schöpferischen Produktion einsetzte, erst mit dem letzten Jahrzehnt vor der Jahrtausendwende.

EIN NIEDERÖSTERREICHER IN NIEDERÖSTERREICH

Schon seit seiner Kindheit ist der 1953 in Wolfenreith im Dunkelsteinerwald geborene Thürauer mit der Volksmusikpflege vertraut. Seine eigenen Instrumente wurden die Klarinette und das Klavier, während seines Studiums am Tiroler Landeskonservatorium in Innsbruck (1969–1972) kamen Orgel und Violine dazu. In der Folge begeisterte sich der instrumental so Vielseitige auch für die Kirchenmusik und Komposition. Er erhielt darin 1973–1981 eine profunde Ausbildung an der damaligen Hochschule (heute Universität) für Musik und darstellende Kunst in Wien bei Anton Heiller und Hans Gillesberger einerseits sowie Francis Burt und Kurt Schwertsik andererseits. Schon vor seinem Abschluss arbeitete er selbst in seinem Heimatbundesland Niederösterreich als Klavierlehrer an der Musikschule St. Pölten (seit 1978) sowie 1979–2012 als Musikerzieher am Melker Stiftsgymnasium und 1984–1990 auch als Stiftskapellmeister. 1991/92 hatte er zudem einen Lehrauftrag für Gehörbildung und Solfeggio an der Wiener Hochschule inne.

PREISE UND ÖFFENTLICHE ANERKENNUNG

Begleitend zu seinen Studien wurden Franz Thürauer bald Förderungen und Preise von öffentlichen und privaten Institutionen zuteil. So erhielt er den Förderungspreis des Theodor Körner-Fonds, den Preis des Landes Niederösterreich, ein Staatsstipendium und den Förderungspreis der Republik Österreich sowie den Hanns Koren-Preis.

Bald stellten sich verschiedenste Auftraggeber bei Thürauer ein, sodass er heute auf eine stattliche Liste zurückblicken kann: Ur- und Nachaufführungen seiner Werke gab es u. a. im Wiener Musikverein, bei der Wiener Konzerthausgesellschaft und im RadioKulturhaus, bei den Melker Pfingstkonzerten, dem Niederösterreichischen Donaufestival, beim Carinthischen Sommer und den Bregenzer Festspielen, aber auch in anderen europäischen Ländern sowie in den USA und in Japan.

HÖHEPUNKTE IM GROSSFORMAT

Es waren die eingangs erwähnten, groß angelegten Werke, mit denen Thürauer bei Publikum und Presse eine Aufmerksamkeit erzielte, die man durchaus als aufsehenerregend bezeichnen kann. Walter Dobner in Heft 12/1993 der Monatsschrift „Musikfreunde“ der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien: „[…] Eben darum geht es auch Franz Thürauer: um die Komposition von Stücken, die sich zwar klar strukturell nachvollziehen lassen, vorweg aber durch ihre emotionale Aussage ansprechen. Folgerichtig ist Thürauer auch ein Anhänger der Tonalität. Er beschreibt sie nicht nur als ‚faszinierenden Begriff’, sondern sieht ‚in einer neuen Spielform dieser Tonalität, wie immer sie sich letztlich auch präsentieren wird, eine Möglichkeit, die musikalische Entwicklung voranzutreiben’”.

Gewisse Kontinuitäten in Bezug auf die Aufführungen große Werke – nach der Lukas-Passion 1994 brachte beispielsweise das Wiener Jeunesse-Orchester unter der Leitung von Herbert Böck im März 1995 auch den „Prolog“ für Orchester zur Premiere – setzten sich nicht langfristig fort. Naturgemäß fand auch Thürauer wie so viele seiner Kolleginnen und Kollegen in den letzten Jahren verstärkt in kleineren Besetzungen die Möglichkeit, seinen künstlerischen Vorstellungen Ausdruck zu verleihen.

WENIG ZU HÖREN, VIEL ZU LESEN

Leicht macht es Thürauer den aktuell an seiner Musik Interessierten nicht gerade. Nur wenige seiner Stücke – vor allem aus dem Sakral- und Orgelbereich – sind auf kommerziellen Tonträgern erschienen, und somit ist fast nichts davon käuflich zu erwerben. Auch lässt sich leider nichts in den diversen Internet-Medien anhören. Umso wichtiger ist es, dass die Werke in ihrer notierten Form (auch über den mica-Notenshop) erhältlich sind: Sie müssen also gelesen und innerlich gehört – oder besser: auf die Pulte gelegt und gespielt werden!

VERWIRKLICHUNG IN DER SPIRITUALITÄT

2015 mit dem Niederösterreichischen Landeskulturpreis für Musik ausgezeichnet, formulierte der in einem katholischen Umfeld aufgewachsene Komponist, für den die geistliche Musik von Anfang an eine zentrale Rolle spielte, im selben Jahr in einer Befragung zum Thema „Spiritualität als Gnade und Zumutung“ in Heft 06/2015 der Österreichischen Musikzeitschrift: „Da geistliche Musik einen entscheidenden Einfluss auf meinen musikalischen Werdegang hatte, macht dieser Bereich auch einen wichtigen Teil meiner kompositorischen Arbeit aus. Stilistisch gibt es aber zwischen meiner weltlichen und geistlichen Musik sicherlich keinen Unterschied, es ergeben sich jedoch durch die verschiedenen Aufgabenstellungen und Zweckbestimmungen Differenzierungen in Ausdruck und Aussage. Und da liegt es auf der Hand, dass Musik für den sakralen Raum bzw. die Liturgie in hohem Maße durch das gesungene Bibelwort spirituelle Wirkung erzielt. Wirkungen ähnlicher Qualität sind aber oft auch in weltlicher Musik zu erfahren.“

Christian Heindl

Links:
Franz Thürauer (INÖK)
Franz Thürauer (mica-Datenbankeintrag)