„Tagebuch eines Terroristen“ heißt das neue Bühnenwerk von Dieter Kaufmann. Die Uraufführung, die aufgrund des Sujets einiges Aufsehen erregen könnte, findet am 17.06.2017 in Neuberg an der Mürz statt. Christian Heindl sprach mit Komponisten über seine Arbeit daran.
Dieter Kaufmann, Sie haben den Musikfreundinnen und Musikfreunden zu Ihrem 75. Geburtstag ein besonderes Geschenk gemacht und ein neues abendfüllendes szenisch-oratorisches Werk vollendet. Der Titel „Tagebuch eines Terroristen“ klingt spektakulär und düster aktuell. Wie sind Sie konkret zu diesem Thema gekommen?
Dieter Kaufmann: Ich spiele seit 60 Jahren Orgel in der evangelischen Kirche in Gnesau im Gurktal. Der dortige Pfarrer hat mir voriges Jahr einen Roman geschenkt, „Das fahle Pferd“ von Boris Sawinkow in der 2015 erschienenen Übersetzung von Alexander Nitzberg. Dass ich gerade durch den Pfarrer darauf stieß, erklärt sich insofern als das Buch voller Bibelzitate ist.
Der Autor der Vorlage war auch Terrorist
Selbst wenn man eine gewisse Kenntnis der Ereignisse in Russland im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts hat, ist es nicht selbstverständlich, dass man mit der Person von Sawinkow vertraut ist. Wie authentisch ist der Roman in Hinblick auf den Autor?
Dieter Kaufmann: Boris Sawinkow, der Autor des Buches, war zugleich Täter. Er war 1904 an der Ermordung des zaristischen Innenministers und in der Folge an weiteren Attentaten beteiligt. 1906 wurde er zum Tode verurteilt, er konnte aber fliehen und wurde 1917 nach seiner Rückkehr stellvertretender Kriegsminister in der Karenski-Regierung. Später agierte er in Verschwörungen gegen die Bolschewisten. Er wurde erneut verhaftet und starb 1925, indem er sich aus dem fünften Stockwerk des Moskauer Lubjanka-Gefängnisses stürzte. Ob es Selbstmord oder Ermordung durch den Geheimdienst war, ist nicht restlos geklärt. – Er nennt das Buch einen „autobiographischen Roman“, dadurch kam mir die Idee, daraus das „Tagebuch eines Terroristen“ zu machen, und ich habe auch alle 96 vorkommenden Tage komponiert.
Das Thema Terrorismus ist aktueller denn je. Es ist naheliegend, aber gleichzeitig auch ein Risiko, sich dem künstlerisch zu nähern, weil immer die Frage bleibt, wieweit ein Musikwerk die Realität spiegeln kann. Insofern erscheint es als eine Abmilderung des Gegenwärtigen, historische Ereignisse zur Vorlage zu nehmen. Gibt es spezielle Momente in dem Buch, die für Sie den Ausschlag zur Vertonung gaben?
Dieter Kaufmann: Es waren drei Gedanken, die mich angezogen haben. Zum einen, ganz markant: das Töten als Sucht. Die dahinter liegende politische „Notwendigkeit“ mag dabei für jeden eine andere sein. – Zweitens fasziniert die Religiosität der Terroristen, immer wieder Zitate, die vor allem aus der „Offenbarung des Johannes“ stammen. Und schließlich tritt auch der Gedanke hervor, dass Töten leichter ist als Liebe: Die Fähigkeit zu lieben erlischt mit dem Erfolg des Tötens.
Das ist wohl eins zu eins mit den heutigen Ausformungen des Terrorismus zu vergleichen.
Dieter Kaufmann: Natürlich. Es gibt ja heute genügend Beispiele für Täter, die sich auf die Religion beziehen.
Liebe und Hass sind komplementär
Man wird die Taten wohl kaum entschuldigen, aber es klingt doch zumindest nach einem gewissen Verständnis.
Dieter Kaufmann: Man entwickelt bei dieser Art der Auseinandersetzung ein gewisses Verständnis für Menschen, die so handeln. Man sieht, dass Hass und Liebe komplementär sind.
Welche Besetzung schien Ihnen für die Umsetzung adäquat?
Dieter Kaufmann: Ich habe ja schon zwei Opern in großer Besetzung da liegen. Ich hielt es für passend, hier eine minimale zu wählen: Sprecher, Vokalquintett, Akkordeon und Schlagwerk. Dazu kommen elektronische Zuspielungen.
Wie ist es denn um eine Aufführung bestellt?
Dieter Kaufmann: Ganz aktuell, ja. Ich hatte einige konstruktive Gespräche, vor allem auch mit Bernhard Günther, dem neuen „Wien Modern“-Chef, wobei sich ergeben hat: Ideal wären eine konzertante Aufführung 2017 und eine szenische Premiere 2018.
Konzertante Uraufführung
Die konzertante Uraufführung wird nun am 17. Juni dieses Jahres im Kunsthaus Mürz in Neuberg an der Mürz stattfinden, wobei das Ensemble VOCES, WIEN unter der Leitung von Sibyl Urbancic Kneihs singen wird.
Wir haben manchmal von Oper gesprochen, auf der Partitur heißt es konkret Oratorium. Womit haben wir es wirklich zu tun?
Dieter Kaufmann: Ich hatte den Gedanken, dass eine konzertante Aufführung als Oratorium zuerst erfolgen sollte. Davon kann man eine gute Aufnahme machen, und die kann dann wiederum eine Regisseurin, einen Regisseur anregen, es auf die Bühne zu bringen. Da wäre es dann auch sinnvoll nach der konzertanten Aufführung für die szenische Produktion eine dramaturgische Raffung vorzunehmen.
Ist Terror überhaupt künstlerisch umsetzbar?
Ich komme noch einmal auf eine grundsätzliche Frage zurück, die mich von Anfang an beschäftigt hat, als ich von Ihrem Projekt hörte: Ist Terror – in all seinen Facetten und Ausformungen – überhaupt künstlerisch umsetzbar?
Dieter Kaufmann: Das ist durchaus ein Thema. Ich denke es geht sehr um die Darstellung des Individuums: Er führt Gespräche mit seinen Mitarbeiten, und diese Gespräche dienen wiederum als Reflexion seiner eigenen Zweifel. Der Grundtenor dieser Reflexion ist: Jesus verzeiht mir. Ich habe den „Auftrag“ zu töten, Gott wird mir verzeihen.
„Über die Jahrhunderte wurden viele politische Gräueltaten durch verschiedene Religionen gerechtfertigt“
Gerade mit diesem Ansatz wird man doch eine heikle 1:1-Umsetzung zu aktuellen Terrorbedrohungen und -anschlägen assoziieren?
Dieter Kaufmann: Ich finde den Ansatz aktuell. Aber, das muss man betonen, es gibt keinen Angriff auf den Islam. Über die Jahrhunderte wurden viele politische Gräueltaten durch verschiedene Religionen gerechtfertigt.
Gibt es eine Art Urteil über die Hauptfigur durch die Art und Weise, wie sie von Ihnen dargestellt wird?
Dieter Kaufmann: Als Komponist beschreibe ich die Gefühlslage. Daraus soll sich jeder sein eigenes Bild machen.
Jetzt werde ich klassisch. Gibt es auch ganz traditionelle Opernelemente, Elemente, die dieser Gattung über Jahrhunderte zu eigen sind?
Dieter Kaufmann: Ja, durchaus, etwa eine Liebesszene. Darin zitiere ich sogar aus „Eugen Onegin“, um auch musikalisch dem historischen Umfeld nahezukommen. Außerdem gibt es auch Elemente aus früheren Stücken von mir selbst, die ich oft als Hintergrund-Bühnenmusik einsetze.
Sie haben den vielfachen Religionsbezug angesprochen. Wie wird im Stück mit der Religion umgegangen, wie wird die Religion bewertet?
Die Kritik kommt von der Figur. Mein Kommentar als Komponist dazu sind Choräle. Also das wird von mir durchaus nicht ausgeblendet.
Oper ist nicht tot – im Gegenteil
Das heißt die Musik ist nicht rein abstrakt, sondern durchaus illustrierend?
Dieter Kaufmann: In gewisser Weise schon, ja. Vielleicht sollte ich noch ganz grundsätzlich hinzufügen: Musiktheater ist schon etwas Elementares für mein Leben. Ich habe als Chorsänger an der Wiener Staatsoper alles mitgemacht – die Ära Karajan. Und das ging bis zu „Land des Lächelns“ auf der Seebühne Bregenz!
Nach diesem leidenschaftlichen Bekenntnis vermute ich die Antwort auf meine Schlussfrage zu kennen: Oper ist nicht tot?
Dieter Kaufmann: Im Gegenteil!
Vielen Dank für das Gespräch!
Christian Heindl
Konzertante Uraufführung:
Termin: Samstag, der 17.06.2017, um 19:30 Uhr
Ort: Neuberg an der Mürz, Josef Pillhofer Skulpturenhalle
Karten: www.kunsthausmuerz.at/
Veranstaltungsort: www.josefpillhofer.at/de/aktuell/
Mit:
Ensemble VOCES, Wien
Leitung: Sibyl Urbancic-Kneihs
Sopran: Eyrún Unnarsdóttir
Alt (Mezzo): Arnheiður Eiríksdóttir
Tenor: Bernd Hemedinger
Tenor: Thomas Künne
Bass (Bariton): Manfred Mitterbauer
Schlagwerk: Igor Gross
Akkordeon: Alfred Melichar