Thomas Bernhard als Österreich-Bezug – AURÉLIO EDLER-COPES im mica-Interview

Im Rahmen seines Artists-in-Residence-Programms stellt das BUNDESKANZLERAMT in Kooperation mit KULTURKONTAKT AUSTRIA seit 2009 ausländischen Kulturschaffenden Stipendien zur Verfügung. Von Oktober bis Dezember 2015 ist der brasilianische Komponist AURÉLIO EDLER-COPES zu Gast in Österreich. Christian Heindl sprach mit dem Künstler.

Herr Edler-Copes, wie sind Sie auf das Projekt „Cultural Events Artist/Composer in Residence“ des österreichischen Bundeskanzleramts und von KulturKontakt Austria gestoßen?

Aurélio Edler-Copes:
Ich habe von KulturKontakt und diesem speziellen Projekt durch ein Komponistenforum im Internet erfahren.

Waren Sie zuvor schon einmal in Österreich und hatten Sie bereits ein Vorwissen über die zeitgenössische österreichische Musikszene?

Aurélio Edler-Copes: Ja, ich habe drei Wochen in Graz verbracht. Das war bei der impuls Akademie 2007. Ich kenne auch einige österreichische Komponisten. Ganz besonders schätze ich die Musik von Furrer, Lang und Haas.

Was waren für Sie die interessantesten Aspekte, um als Composer in Residence nach Wien zu kommen?

Aurélio Edler-Copes: Für mich ist das eine gute Gelegenheit, unter sehr guten Bedingungen an einem speziellen Projekt zu arbeiten und dabei gleichzeitig ein anderes Land und eine andere Musikkultur kennenzulernen.

Wenn Sie nach Ihren ersten Wochen in Österreich bzw. Wien einen Vergleich zu Ihrem Heimatland Brasilien herstellen: Ist die Situation der zeitgenössischen Musik weitgehend ähnlich oder gibt es da gravierende Unterschiede in der Szene?

Aurélio Edler-Copes:
Das kann ich leider nicht beantworten. Ich lebe nun schon seit 2002 in Europa und habe kaum Kontakt mit dem brasilianischen Kulturleben.

Am 27. Oktober hat im Arnold Schönberg Center in Wien ein Konzert mit Werken der bisherigen und der drei aktuellen Teilnehmer dieses Composer-in-Residence-Programms stattgefunden. Wie war diese Erfahrung für Sie? Waren Sie zufrieden mit der Umsetzung?

Aurélio Edler-Copes: Es war ein durchaus ansprechendes Konzert und ich bin wirklich glücklich über die Interpretation von „Encore Seule“ durch Agata Zubel und das ensemble reconsil. Die haben großartige Arbeit geleistet!

Konnten Sie während Ihres Aufenthalts schon österreichische Kollegen treffen und weitere Konzerte oder andere Veranstaltungen besuchen?


Aurélio Edler-Copes:
Ich habe mich  vor allem mit Musikerinnen und Musikern sowie Komponisten getroffen, die ich schon kannte, aber ich hoffe, noch wesentlich mehr Leute kennenzulernen – vor allem während Wien Modern und auch bei einer Lecture und einem Porträtkonzert am Institut für Elektronische Musik und Akustik der Kunstuniversität Graz im Dezember.

Gibt es eigentlich irgendeinen engeren Kontakt zwischen Ihnen und den beiden gleichzeitig in Wien anwesenden Composers in Residence Valentin Pelisch und Agata Zubel oder hat sich der Kontakt nur auf das Zusammentreffen beim Konzert des ensemble reconsil beschränkt?

Aurélio Edler-Copes: Ich habe sie über KulturKontakt kennengelernt und ich finde ihre Arbeit, die ich vorher nicht kannte, sehr ansprechend.

Was sind Ihre kompositorischen Pläne für den Aufenthalt hier? Woran arbeiten Sie gerade und gibt es dabei allenfalls einen konkreten Österreich-Bezug?

Aurélio Edler-Copes:
Mein Projekt sieht vor, dass ich mit der Komposition eines längeren Stücks für Stimme, kleines Ensemble und Elektronik beginne, das Bezug auf „Die Billigesser“ von Thomas Bernhard nimmt. Außerdem soll auch ein Stück für zwei Klaviere und zwei Schlagzeuge entstehen, das ebenfalls auf Bernhards Text basiert. Die Aufführung soll durch das Ensemble intercontemporain in der Londoner Wigmore Hall erfolgen. Im ersten Stück, das durch Werke von Bernhard inspiriert wurde, geht es um die Begrifflichkeit von Dasein und Abwesenheit. Das andere Stück verwendet einige Fragmente aus „Die Billigesser“ mit einer synthetischen deutschsprachigen Stimme, die sich mittels Liveelektronik mit den Instrumenten überlagert. Beide Stücke haben – über die Filterungen aus dem Bernhard-Text – also durchaus eine Beziehung zur österreichischen Kultur.

Können Sie etwas über Ihr bisheriges musikalisches „Credo“ sagen?

Aurélio Edler-Copes: Mein hauptsächliches Credo gilt der Körperlichkeit und der Naturgesetzlichkeit der Musik. Das erlaubt mir, mit Begriffen wie Bewegung, Tempo und der Energie des Klangs zu arbeiten, aber ebenso auch dem Organischen und dem Mechanischen von Stimme, Instrumenten und Elektronik, wobei sich ein Minimum an Material in progressiv zunehmender Weise aufbricht, anstatt sich auf konventionelle Weise zu entwickeln.

Was fällt Ihnen bisher positiv an Österreich auf?

Aurélio Edler-Copes: Was mich in Wien am meisten beeindruckt, ist die enorme Aktivität – kulturell, touristisch, kommerziell und so weiter – und wie ruhig und „cool“ die Leute auf den Straßen sind. Das ist ganz anders als in Paris, wo ich seit einigen Jahren lebe.

Vielen Dank für das Gespräch!

Christian Heindl

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Zur Person:

Aurélio Edler-Copes, 1976 in Brasilien geboren, studierte Komposition am Musikzentrum des Baskenlandes Musikene, an der Hochschule der Künste in Bern bei Georges Aperghis sowie am IRCAM in Paris. Er ergänzte seine Ausbildung bei den Festivals Acanthes, Impuls, Injuve und Matrix. Seine Werke wurden vielfach von renommierten Interpreten aufgeführt, darunter dem Klangforum Wien, der MusikFabrik, Quatuor Diotima, Nieuw Ensemble, L’Itinéraire, Vortex, Mosaik, Sond´Ar-te, S.:i.c., dem Orchestre National de Lorraine, dem Symphonieorchester Bilbao, dem Symphonieorchester des Baskenlandes und dem Orquestra Sinfônica de Minas Gerais. Aufträge erhielt er u. a. von der französischen Regierung und der Regierung des Baskenlandes, der spanischen Fundación Autor, KREA und Phonos. Seine Werke wurden bei mehr als zwanzig internationalen Kompositionswettbewerben ausgezeichnet und werden von Babel Scores verlegt.

http://www.edler-copes.com/