„In den Neuen Sälen des Musikvereins gibt es viel zeitgenössische Musik“ – DR. THOMAS ANGYAN (GESELLSCHAFT DER MUSIKFREUNDE IN WIEN) im mica-Interview

Seit vielen Jahren leitet THOMAS ANGYAN die GESELLSCHAFT DER MUSIKFREUNDE IN WIEN, dem gemeinsam mit dem KONZERTHAUS wichtigsten Konzertveranstalter der Stadt. In einem ausführlichen Gespräch, das hier leicht gekürzt wiedergegeben wird, befragte ihn Heinz Rögl  über seine Sicht der Notwendigkeit von Kultur und Musik für die Gesellschaft und die politische Aufgaben, die daraus erwachsen, im Besonderen auch über zeitgenössische Musik und  Aufführungen und Auftragserteilungen an österreichische bzw. in Österreich lebende  Komponistinnen und Komponisten.

Thomas Angyan (geboren 1953 in Wien) ist promovierter Jurist und war Geschäftsführer der Jeunesse Österreich. 1988 wurde er zum Generalsekretär der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien berufen. Außerdem ist er Vorsitzender des Kuratoriums der Ernst-von-Siemens-Musikstiftung. Der Musikverein, wie landläufig die „Musikfreunde“ auch immer bezeichnet werden, gilt nicht unbedingt als erste Adresse für die zeitgenössische Moderne und für Neue Musik. Dem steht allerdings eine Aussage in der Programmbroschüre der Gesellschaft gegenüber: „Damals wie heute bedeutet das Bekenntnis zum ‚Klassischen‘ keine Absage an die Gegenwart.“

Und weiter: „Im Gegenteil: Der Musikverein ist seit je auch ein Forum des Neuen, ein Ort der Uraufführungen. Symphonien von Brahms und Bruckner, Tschaikowskis Violinkonzert und Mahlers ‚Kindertotenlieder‘, Walzer von Johann Strauß und Lieder von Hugo Wolf, Ravels Klavierkonzert für die linke Hand und Schönbergs ‚Verklärte Nacht‘, Chor- und Orchesterwerke von Richard Strauss, Weberns ‚Passacaglia‘ und Kompositionen Alban Bergs erlebten im Musikvereinsgebäude ihre Premiere. Die Reihe setzt sich fort bis in die Gegenwart.  Denn die Gesellschaft fördert Neues auch gezielt, vor allem mit der Vergabe von Kompositionsaufträgen. Klassik und Moderne, Alte und Neue Musik verbinden sich zu einem Programmangebot, das den Musikverein als einen der international führenden Konzertveranstalter ausweist.“

Herr Doktor Angyan, Sie sind Mitglied im Kuratorium des mica – music austria: Laut Satzungen geht es dabei um die Verbesserung der Verbreitung des Musikschaffens in Österreich, besonders auf dem Gebiet der Gegenwartsmusik. Meine erste Frage an Sie ist aber eine allgemeine. Was ist für Sie persönlich die Aufgabe von Musik in der heutigen Gesellschaft?  

Thomas Angyan: Zunächst zum Musikinformationszentrum: Ich bin mit dem mica aufgrund einer Anfrage von Lothar Knessl in Verbindung gekommen, der nicht nur mich, sondern auch Vertreter anderer Institutionen gebeten hat ins Kuratorium zu kommen.

Zu Ihrer Frage, was meine Aufgabe innerhalb des Musikvereins und der Gesellschaft der Musikfreunde ist: Die Präsentation von Musik in allen ihren Zweigen, das stammt aus den Statuten von 1812: „Hervorbringung der Musik in allen ihren Zweigen.“ Marcel Prawy hat noch erzählt, dass man sich in seiner Jugend nicht so sehr für Mozart interessierte, sondern zu Korngold gehen wollte. Heute ist das – wir wissen es – anders. Wir wollen uns aber mit der Musik von heute auseinandersetzen und sie dem musikinteressierten Publikum nicht ausschließlich im Rahmen von Wien Modern präsentieren. Daher plane ich auch immer wieder sogenannte „Sandwich“-Konzerte, weil Neues in dieser Form eher angenommen wird.

Man erreicht dadurch eine andere Breitenwirkung. Es ist wichtig, außerhalb der Wien-Modern-Saison nicht nur Ensembles wie Kontrapunkte  im Musikverein oder  Klangforum im Konzerthaus die neue Musik zu überlassen, sondern auch, wie das etwa beim letzten Gastspiel des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons geschehen ist, ein neueres Werk von Vladimír Sommer zusammen mit Mahlers „Kindertotenliedern“  und den Symphonischen Tänzen von Rachmaninoff zu koppeln. Wichtig ist, man muss einerseits versuchen, neue Werke zu initiieren, andererseits aber auch bereits gespielte Werke der Neuen Musik wiederaufführen. Es ist beispielsweise schade, dass ein Werk wie Otto M. Zykans „Messe“ für zwei Chöre und Orchester, welches die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien in Auftrag gegeben und uraufgeführt hat, nie wieder aufgeführt wurde.

Ein so genanntes „Sandwich“-Konzert ist für Sie nichts Negatives?

Thomas Angyan: Nein überhaupt nicht, wobei ich nicht bestreite, dass manch einer im Publikum damit vielleicht nicht immer glücklich ist, andere wiederum bestätigen, dass sie sich sonst nicht mit neuen Werken auseinandergesetzt hätten.

Was die Programme des Musikvereins betrifft, so hat das Ensemble Kontrapunkte von Peter Keuschnig ja seit vielen Jahren einen fixen Zyklus mit immer sehr interessanten Programmen mit Neuer Musik. Gibt es darüber hinaus auch andere „Schienen“ dafür?

Thomas Angyan: Ja. Abgesehen von den traditionellen Zyklen wie dem des RSO Wien, dass ohnehin immer Neues präsentiert, bringen auch Gastorchester, wie aktuell zuletzt das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, oft Erstaufführungen und Aufführungen von seltenerem Neuem. In den Neuen Sälen des Musikvereins gibt es viel zeitgenössische Musik. Wir organisieren nicht nur Geburtstagskonzerte von Eröd oder Schwertsik, sondern versuchen, auch auf andere Neue Musik zuzugreifen. Das Publikum, das dort hin geht, ist sehr aufgeschlossen und interessiert. Am erfolgreichsten ist die „Wort und Musik“-Reihe, wo etwa  Karl Markovics, Adele Neuhauser oder Michael Köhlmeier auftreten und ihre Programme mit zeitgenössischer Musik sowie Raritäten kombinieren.

„Viel junges Publikum, viel junge Künstler, viel zeitgenössische Musik“

Wie funktioniert die organisatorische Absprache mit Andrea Wolowiec, der Koordinatorin und Kuratorin der Programme in den Neuen Sälen?

Thomas Angyan: Sie trägt viele gute Ideen zusammen und wir schauen uns gemeinsam ihre Vorschläge und meine Konzepte an. Das Bestreben von uns vorab: Viel junges Publikum, viel junge Künstler, viel zeitgenössische Musik.

Kommen wir zur Frage, wie sich das alles ausgehen kann? Sie haben vor nicht allzu langer Zeit seitens des Kultur-Ministeriums des Bundes erhebliche Kürzungen der Subvention hinnehmen müssen. Wo liegen die finanziellen Probleme?

Thomas Angyan: Die Kürzung seitens des Bundesministeriums um 60% ist wirklich eklatant. Als die Stadt Wien das erfahren hat, hat auch sie gekürzt. Wir haben heute einen Subventionsgrad von knapp zwei Prozent!

Das heißt 98 Prozent Eigendeckung?

Thomas Angyan: 98 % sind privates Geld, Einnahmen, Saalvermietungen, Sponsoren. Mäzene … Wir sind da bei zwei Prozent eigentlich im „amerikanischen“ System.

Welche Auswirkungen hat die Situation jetzt?

Thomas Angyan: Auswirkungen hat es schon. Wir haben uns bei Kompositionsaufträgen zurücknehmen müssen. Kleinere Aufträge an junge Künstler – auch über Peter Keuschnig – machen wir noch. Aber so wie 2012 anlässlich des 200-Jahr-Jubiläums der Gesellschaft der Musikfreunde, als wir an Herbert Willi, Wolfgang Rihm und Krzysztof Penderecki und auch an Friedrich Cerha Aufträge erteilten, ist es derzeit leider nicht mehr möglich. Für 2020, wenn der Musikverein 150 Jahre alt wird, wollen wir wieder Kompositionsaufträge vergeben. Man hat uns insgesamt doch € 600.000 pro Saison seitens Bund und Stadt gekürzt. Dazu kommt jetzt auch, dass uns die Wiener Festwochen erklärt haben, dass unsere Konzerte während der Festwochen für sie nicht mehr interessant sind.

Wie das?

Thomas Angyan: Musikverein und Konzerthaus haben beide denselben Brief erhalten, dass die Wiener Festwochen an einer Zusammenarbeit mit diesen beiden Institutionen nicht mehr interessiert sind.

Es ist also derzeit schwierig, einen österreichischen Komponisten, etwa Johannes Maria Staud, der ja durchaus auch zur Ausrichtung des Musikvereins passen würde, mit einem großen Auftrag zu betrauen, der auch im Großen Saal aufgeführt werden soll? Kriegen Sie denn irgendwelche Förderungen von staatlicher Seite, wenn Sie dergleichen beabsichtigen? 

Thomas Angyan: Sicher nicht. Wo ich versuchen könnte eine Unterstützung zu bekommen, wäre bei der Ernst von Siemens-Musikstiftung. Nur, da tue ich mir sehr schwer, weil ich der Kuratoriumsvorsitzende bin und ich es streng halte, nicht Eigenanträge zu stellen. Aber die Siemens-Musikstiftung, die heuer etwa dreieinhalb Millionen Euro für fast ausschließlich zeitgenössische Musik ausschüttet, finanziert pro Jahr etwa an die sechzig Kompositionsaufträge.

Wieder weg vom Ökonomischen: Wie sehen Sie heute die Situation des österreichischen Musikschaffens, welchen Stellenwert haben österreichische Komponisten und Komponistinnen in Europa und der Welt?

Angyan: Ich finde, dass heutige Musik so vielfältig ist. Denken sie nur an Lachenmann, Reimann, Henze, Cerha … die Namen ließen sich lange fortsetzten, der Zugang zu Neuer Musik, kann unterschiedlicher nicht sein.

Wie sehen Sie das Problem der Zusammensetzung des Publikums. Das Durchschnittsalter der Konzertbesucher wird immer älter, wir werden alle alt und grau … Bei den 20-jährigen war es immer so, dass diese sich in dem Alter wenig in die Konzerthäuser begeben, bei den Kindern und Jugendlichen ist es wieder anders Die Konzerte wie „Agathes Wunderkoffer“, „Topolina“ und KlingKlang bis hinauf zu den „capriccio!“-Jugendkonzerten sind teils ausverkauft oder sehr gut besucht und nachgefragt.

Thomas Angyan: Wir haben 218 Konzerte mit Kindern und Jugendlichen, die alle restlos ausverkauft sind. Im Musikverein organisieren wir für jährlich etwa 50.000 junge Menschen aller Altersstufen Konzerte mit edukativem Programmcharakter.

Könnte es da noch mehr Angebot geben?

Thomas Angyan: Es gibt bei den Kinderkonzerten unter der Woche geschlossene Veranstaltungen für Kindergärten und Schulen, nur am Wochenende finden diese Veranstaltungen im freien Verkauf statt. Es sind Abonnements, die man im März, wenn der Prospekt für die nächste Saison erscheint, sofort bestellen muss. Zurück zum Publikum: Diese Frage hat man mir vor dreißig Jahren, als ich hier begonnen habe, auch gestellt. Aber wir haben heute – im Gegensatz zu damals – etwa 800 Konzerte im Jahr und bemerken ein stetig zunehmendes Interesse an klassischer Musik.

Würde ein neues Musikfest, das nicht mehr zu den Festwochen gehört, sich noch irgendwie auf das jeweilige „Motto“ der Wiener Festwochen beziehen?

Thomas Angyan: Kaum. Denn meine Planung ist wesentlich langfristiger als die der Wiener Festwochen.

Das Verhältnis zur Musikalischen Jugend, also der Jeunesse, ist ein gutes?

Thomas Angyan: Die Jeunesse liegt mir sehr am Herzen. Ich komme ja selbst aus der Jeunesse.

„Beide können nicht die gleichen Programme bieten“

Häufige Wahrnehmung von außen ist, dass der Musikverein und die Gesellschaft der Musikfreunde gegenüber dem Konzerthaus stärker Traditionsstätte ist und auch so agiert,  während das Konzerthaus stärker die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts und aktuelle heutige Musik programmiert. Stimmt das und halten Sie diese Art der Schwerpunktverteilung für richtig?

Thomas Angyan: Beide können nicht die gleichen Programme bieten. Wir konzentrieren uns auf internationale Orchester-Residenzen. Das Konzerthaus hat sich stark auf Jazz und Weltmusik konzentriert, beides Genres, die natürlich zeitgenössisch sind. Im Musikverein finden diese Konzerte vor allem in den Neuen Sälen statt. Der Musikverein ist im Rahmen der europäischen Konzertveranstalter der ECHO Gruppe der einzige Konzertveranstalter, der sich im Großen Saal ausschließlich auf Orchester, Solisten und ausgewählte Kammermusik beschränkt.

Inwieweit haben Sie die Möglichkeit, diesen Orchestern zu sagen, sie sollen bitte nicht immer das spielen, was die anderen auch dauernd spielen? Also nicht immer wieder Mozarts 40. oder die Sechste von Tschaikowski?

Thomas Angyan: Es wäre schön, wenn wir mehr Mozart bei Orchester-Gastspielen hören könnten. Wichtig ist aber, dass ich frühzeitig in die Planung miteinbezogen bis und dadurch mit den Interpreten, die ich teilweise seit Jahrzehnten kenne, gemeinsame Programme entwickeln kann.

Thomas Zierhofer und die Wiener Festwochen äußerten sich irgendwie dafür, die traditionelle klassische Konzertsituation zu durchbrechen und sprengen zu wollen. Hat der Musikverein zum Beispiel schon einmal versucht, etwa die Bestuhlung wegräumen?

Thomas Angyan: Als ich im Musikverein begonnen habe, wollte ich die PROMS in Wien einführen. Schlussendlich war das aber nicht durchführbar, da wir die notwendigen Genehmigungen nicht erhalten konnten.

Letzte Frage: In welcher Weise ist für Sie, abgesehen von ihrer Funktion im Kuratorium, das mica – music austria wichtig?

Thomas Angyan: Vor meiner Funktion als Kurator wusste ich zwar, dass es das mica gibt, habe mich nicht aber nicht intensiv damit auseinandergesetzt. Das tat ich, nachdem Lothar Knessl uns gebeten hatte, ins Kuratorium zu kommen. Ich lernte die mica-Musikdatenbank kennen, die eine hochinteressante Informationsquelle ist.

Herr Angyan, vielen Dank für das Gespräch!

Heinz Rögl

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Danke

Dieser Beitrag wurde von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA 7) gefördert.