Theatermusik, Perspektivenwechsel und ein “Abfall-Produkt” namens “Cloud Rap” – HUBERT WEINHEIMER im mica-Interview

HUBERT WEINHEIMER ist Frontmann der Band DAS TROJANISCHE PFERD, Autor, Maler und Pressereferent am SCHAUSPIELHAUS WIEN, wo er momentan auch als Live-Musiker für die Produktion „DIGITALIS TROJANA – DER SEE, DIE STADT UND DAS ENDE“ unter der Regie von Intendant TOMAS SCHWEIGEN mitwirkt. Das Stück läuft noch bis 7. Juni.

Das Szenario des Stücks: „Wien, in einer Zeit, einer Welt, nicht weit entfernt von unserer.“ Virtuelle Sphären sind mit der Realität verschmolzen, das Umfeld ist weiß und digital, sauber und sicher. Marko Herz steht als System-Gründer an der Spitze dieses Kosmos, wahrt Ordnung, Disziplin und vor allem den Schein von Demokratie und Freiheit. Im Gespräch mit Julia Philomena spricht Hubert Weinheimer über Horizonterweiterungen am Theater, die zweite E-Gitarre seines Lebens und zerlegt nebenbei das Phänomen “Cloud Rap”.

Wie stehen Sie zu Social Media oder generell zu einer virtuellen Welt, wie sie uns in einer visionären Variante in „Digitalis Trojana“ vorgeführt wird?

Hubert Weinheimer: Darauf gibt es zwei Antworten: Ich habe über Social Media Menschen kennengelernt, die sehr wichtig für mich geworden sind – persönlich oder beruflich. In diesem Sinne haben mir diese Plattformen sehr gutgetan. Trotzdem nimmt die ganze Sache ein bisschen überhand. Auf der einen Seite ist es praktisch und sinnvoll, auf der anderen Seite wird es immer schwieriger, von einer Realität auszugehen. Was ist überhaupt Realität? Wenn ein Food-Blogger auf Instagram eine Million Follower hat – ist das real? Nein, aber es hat auf jeden Fall eine reale Komponente – offensichtlich. Diese zunehmende Vermischung macht aus dem Menschen ein sonderbares Hybrid-Wesen.

In „Digitalis Trojana“ sind die Grenzen mit Sicherheit gänzlich verschwommen – was real ist und was nicht, weiß keiner mehr so genau. Trotzdem sind einige Menschen unruhig, skeptisch, wollen mehr, wollen Revolution. Denken Sie, dass eine Zeit oder ein System kommen wird, in dem Widerstand tatsächlich unmöglich sein wird?

Hubert Weinheimer: Ich denke, dass es bereits jetzt schwieriger geworden ist, unbemerkt und ohne Hindernis Widerstand zu planen. Auch weil man sich im vorauseilenden Gehorsam oft selbst zensiert, jedenfalls habe ich diesen Verdacht. Momentan plane ich auch noch keine Revolution – ob es irgendwann zu spät dafür sein wird, wer weiß das schon? Eine von mehreren Thesen in dem Stück ist ja, dass der Punkt, an dem friedlicher Widerstand noch möglich wäre, irgendwann überschritten ist. Alle Dynamiken sind schon zu aufgeheizt – die Gewalt lässt sich traurigerweise nicht mehr verhindern. Und das kann man ja auch tagtäglich feststellen – in der Realität. Jeder weiß, dass ein Krieg Verlust für alle Beteiligten bedeutet und dass es im Grunde keine Sieger, sondern “bestenfalls” lachende Dritte gibt. Aber irgendwann will keiner mehr vernünftig sein, zurückstehen – und dann kracht’s!

Bild Antonia Jung und Hubert Weinheimer
Antonia Jung und Hubert Weinheimer / DIGITALIS TROJANA (c) Matthias Heschl

Zu welchem Zeitpunkt stand fest, dass Sie mit Ihrer Musik Teil des Stücks sein werden?

Hubert Weinheimer: Anfang des Jahres hat Tomas Schweigen bei mir vorgefühlt, ob ich prinzipiell Zeit und Interesse hätte, als Live-Musiker dabei zu sein. Die Annäherung ist von Monat zu Monat konkreter geworden – wobei lange nicht klar war, ob wir als komplettes Trojanisches Pferd spielen, oder ich – wie jetzt – solo auf der Bühne stehe. Mir hätte es mit zusätzlichem Live-Schlagzeug schon auch gut gefallen, aber da ich quasi als kommentierender Geist mobil zwischen den Szenen umher wandle und zusätzlich eine kleine Spielszene habe, war die Entscheidung, alleine aufzutreten was den konkreten Ablauf des Abends betrifft besser.

„Erfreulicherweise hat sich überhaupt alles sehr organisch zusammengefügt […]“

Welche Vorbereitungen fanden dann statt?

Hubert Weinheimer: Es gab mehrere Treffen mit dem Autor Bernhard Studlar, dem Regisseur Tomas Schweigen und dem Musiker Jakob Suske, der neben meiner Live-Musik für die restlichen Musik-Beiträge verantwortlich ist. Wir haben gemeinsam meine Band-Songs angehört, überlegt was zu den Szenen passen könnte und sehr früh eine grobe Vorauswahl getroffen. Beispielsweise gibt es eine Streit-Szene eines Ehepaars auf die ein Lied von mir folgt und das beginnt mit dem Satz „Aus deinem Mund klingt alles wie die Lüge“ – da wird der Konflikt musikalisch direkt aufgenommen und es war naheliegend, den Song dramaturgisch dort einzubauen. Erfreulicherweise hat sich überhaupt alles sehr organisch zusammengefügt – sowohl vom Arbeitsprozess, als auch vom Ergebnis her war das sehr befriedigend.

Haben Sie auch konkret für das Stück komponiert?

Hubert Weinheimer: Ja, die zweite Nummer in dem Stück habe ich für „Digitalis Trojana“ geschrieben und die wird auch irgendwann auf das vierte Pferde-Album kommen. Als Vorlage für den Song diente der Film „Mephisto“ mit Klaus Maria Brandauer. Tomas ist zu mir gekommen, hat mit die DVD in die Hand gedrückt und gemeint, ich soll sie mir anschauen, um den inneren Konflikt einer unserer Darsteller besser zu verstehen. Und das hat dann tatsächlich gut funktioniert. Es gibt aber dank „Digitalis Trojana“ nicht nur diesen neuen Song, sondern auch Einflüsse auf den Sound für das vierte Album. Als nämlich klar war, dass ich auf der Bühne alleine die Lieder spielen soll, wollte ich meinen Gitarren-Sound ein bisschen differenzieren. Ich habe mich mit René (Anm.: René Mühlberger ist Bandmitglied und auch als “Pressyes” aktiv) wegen Effekt-Geräten beraten. Dann habe ich mir mehr oder weniger wegen dem Stück auch eine neue Gitarre gekauft. Eigentlich schräg, weil ich doch schon lange Zeit Musik mache und die neu gekaufte erst meine zweite E-Gitarre ist. Und dann bin ich – mit einem erweiterten Klangspektrum – automatisch auch auf neue Ideen gekommen.

Sie haben mit dem Trojanischen Pferd auch schon am Wiener Rabenhof-Theater mitgewirkt und arbeiten derzeit am Schauspielhaus als Pressereferent. Inwiefern sind solche Erfahrungen als Musiker und als Theatermitarbeiter von Vorteil für einen angenehmen Arbeitsprozess?

Hubert Weinheimer: Dadurch, dass Tomas meine Musik schon kannte und die Lieder zum Teil vorweg ausgewählt wurden, hatte ich danach relativ viel Aktionsradius, weil beide Seiten wussten, was man sich erwarten kann. In der Hinsicht war die Rollenfindung als Musiker klar. Als Zuständiger für die Öffentlichkeitsarbeit fand ich es interessant und schön, zur Abwechslung mal nicht von der Seite aus dabei zu sein, sondern mittendrin. Das war ein spannender Perspektivenwechsel.

„Wenn ich mich aber am Theater verspiele, ist das ein Fehler – und zwar für alle.“

Kann man den Auftritt in einem Theaterstück mit einer üblichen Konzert-Performance vergleichen?

Hubert Weinheimer: Obwohl ich im Stück nur fünf Lieder spiele, ist das musizieren im Theater konzentrationstechnisch anstrengender, weil exakter. Wenn ich ein Konzert mit Band spiele, dann kann ich auch mal in den Gatsch greifen: take it or leave it – meine Lieder, meine Regeln! Aber in einem Theaterstück ist meine Musik in das Gesamte eingewoben: Ich warte auf ein Stichwort und gebe dann selbst eines. Wenn ich mich beim Konzert verspiele, ist das Teil der Show. Wenn ich mich aber am Theater verspiele, ist das ein Fehler – und zwar für alle. Ich habe für dieses Stück so intensiv Gitarre geübt, wie ich noch nie davor. Weil es mir wichtig war, dass alles stimmt, dass alles pickt. Der Ausflug ins klar definierte Theater-Korsett kann sehr schön sein – eben, weil es ein Ausflug ist und weil die Lieder unter einem ganz neuen Blickwinkel geprüft werden.

Apropos Korsett: Das Publikum im Schauspielhaus ist sehr durchmischt und relativ jung. Was glauben Sie, welchen Effekt hat Ihre Musik auf junge Menschen, die primär Cloud Rap hören?

Bild Hubert Weinheimer
Hubert Weinheimer / DIGITALIS TROJANA (c) Matthias Heschl

Hubert Weinheimer: In meiner Jugend habe ich mich relativ intensiv mit Hip Hop beschäftigt. Cloud Rap hat für mich aber nicht viel damit zu tun. Unsere Zeit ist durch den digitalen Overkill reizüberflutet und Informations-überladen. Dementsprechend infantil müssen die Inhalte anscheinend daherkommen, wenn man breite Aufmerksamkeit will. Auch Trump ist so zum Kaiser geworden und viele Musiker greifen heute den Zeitgeist ungefiltert auf und arbeiten im Grunde mit denselben Mitteln. Wenn man die Verkürzung und Komprimierung der Texte und der Kompositionen wohlwollend beschreibt, wollen manche eine kluge oder jedenfalls witzige Vereinfachung erkennen – ich bevorzuge aber ganz klar den Ausdruck „Vertrottelung“. Für mich ist das einfach nur ein weiteres Abfall-Produkt der Lifestylegesellschaft. Ich weiß schon: Die Verflachung ist nur eine Reaktion auf das Problem der Reizüberflutung, aber es kann ja auch nicht die Lösung sein, alles immer noch weiter zu trivialisieren. Jeder Verfechter ist da ein Mittäter und macht die Welt schon wieder um einen Fliegenschiss mieser. Und in 10 Jahren wird dann allen plötzlich bewusst, dass man sich aus Feigheit und Orientierungslosigkeit mit Wegwerfmusik zugemüllt hat und es ist allen peinlich. Bilderbuch haben dafür textlich den Niveau-Limbo begonnen – ernst danach ist Cloud Rap hierzulande salonfähig geworden. Sind ja alles nette Leute, die auch von irgendwas leben müssen, aber sich komplett selbst zu verleugnen und nur noch mit musikalischen Emoticons zu arbeiten ist nicht nur zynisch, sondern faktisch destruktiv: „Sneakers for free (…) Pepsi, Cola, Fanta, Sprite, alrite (…) Ich kauf dir ein Schloss aus Gold und Perlen (…) Relax and don’t pay tax“ – das ist letztendlich nichts weiter als der Soundtrack fürs Geilomobil. Ich persönlich kann das Interesse an Saisonware nicht verstehen. Weder als Musiker noch als Hörer. Ich versuche etwas Eigenständiges und wenigstens dem Versuch nach Beständiges von mir zu geben. Eben etwas zu und hinter dem ich stehen kann, weil es mit mir zu tun hat. Weil ich mich darin mit der Welt auseinandersetze anstatt mich einer Glitzerwelt zu ergeben, die es gar nicht gibt. Wenn Musik die Kapitulation propagiert, dann ist es Selbstmord im Glitzerkostüm. Ohne mich. Im Moment sind Haltung und Kampfgeist nicht besonders sichtbar, sie sind aber da und werden es immer sein. Um auf deine Frage zurück zu kommen: Eben darum, also weil komplexe Inhalte gerade nicht en vogue sind, fürchte ich auch, dass den meisten Kids heute meine Texte zu steil sind. (lacht) Weil ich auch sehr gut ohne Zwinker-Smileys und zynischer “Edgyness” auskomme. Dafür ist mir die Sache zu wichtig.

Welche Haltung sollte man Ihrer Meinung nach der Produktion „Digitalis Trojana“ entgegenbringen? Spielt Humor eine Rolle? Sowohl inhaltlich als auch musikalisch?

Hubert Weinheimer: Die Lieder, die ich in diesem speziellen Rahmen singe, werden sehr direkt vorgetragen, da gibt es keine Meta-Ebene. Das, was meine Rolle sagt, meint sie auch, weil ich es bin. Mit der Band habe ich schon auch Sachen gemacht, die mehr Distanz zu mir haben. Das Trojanische Pferd war lange eher düster. Ich finde es gut, dass wir im Lauf der Zeit ein bisschen weggekommen sind vom bissig Ernsten. Für das Theaterstück ist meine klare Haltung aber gut, weil das Stück bereits viele Interpretations- und auch Schmunzel-Möglichkeiten bietet. Das Stück orientiert sich sprachlich gesehen am Alltag – der ganze zugrundeliegende Seestadt-Saga-Kosmos war ja von Anfang an als Serie konzipiert – während meine Texte in dem Kontext eine zusätzliche Ebene darstellen. Ich glaub dieser Kontrast funktioniert für alle ganz gut.

Was ist das reizvolle daran, Theatermusik zu machen?

Hubert Weinheimer: Eine Band, die mir sehr am Herzen liegt und auch schon viel am Theater gemacht hat, ist Kante. Ich glaube, dass es kein Zufall ist, dass die sprachorientierten Bands immer wieder mal am Theater landen. Siehe auch Gustav und Hans Unstern. Gerade weil der Rahmen für eine Band spannend ist. Theater ist – egal wie frei – immer als Performance erkennbar. Bei einem Konzert dagegen behaupten wir als Musiker, wir selbst zu sein – jedenfalls mehr als das beim Theater der Fall ist, weil ja nur in Ausnahmefällen die Darsteller auch die Autoren der Texte sind, während das bei der Musik eher die Regel ist. Auf der Theaterbühne bekommt man durch den neuen Rahmen einen neuen Wirklichkeits-Horizont. Und wer wünscht sich den nicht von Zeit zu Zeit?

Vielen Dank für das Gespräch!

„DIGITALIS TROJANA – DER SEE, DIE STADT UND DAS ENDE“
Termine: 01.06., 02.06., 05.06., 07.06.
Schauspielhaus, jeweils 20 Uhr

Links:
Hubert Weinheimer
Schauspielhaus Wien