THE DEAD NITTELS – “Leckt’s uns am Arsch. Auch in Zeiten wie diesen.”

Benannt nach einem ermordeten SPÖ-Stadtrat und in Anlehnung an die amerikanische Hardcore-Punk-Formation The Dead Kennedys sorgten die Dead Nittels von Beginn an für gehörigen Wirbel in der Donaumetropole. Schon die Namensgebung geriet 1981 zum Politikum und setzte die Band umgehend auf alle ominösen schwarzen Listen der Unterhaltungsindustrie. Den Dead Nittels kamen mediale Boykotte aber gar nicht so ungelegen. Sie forcierten ohnehin eine strenge Anti-Kommerz-Haltung, führten keine Gespräche mit arrivierten Medien und machten auch sonst keinerlei Zugeständnisse an gegenwärtige Entwicklungen der 1980er-Jahre.

Während etliche Protagonisten der frühen Wien-Punk-Phase über den New Wave-Umweg emsig daran arbeiteten, den Sprung ins Ö3-Airplay zu schaffen, entwickelten die Dead Nittels zeitgleich einen ultra-harten und kompromisslosen Hardcore-Punk-Sound, wie man ihn im Alpenland erst selten vernommen hatte. Zudem waren ihre derben Wienerischen Songtexte voller Untergriffe gegen die Wertvorstellungen der österreichischen Gesellschaft und formulierten gleichzeitig stark politische Inhalte. Eine rare, höchst explosive Kombination. 1982 hinterliess die Band schliesslich ein vielgerühmtes Meisterwerk der frühen heimischen Punk-Geschichte: Ihr selbstbetiteltes Demo-Tape “The Dead Nittel’s A.N.W.L.” wurde als ”grüne Kassette” in der damaligen Szene schon bald zum Klassiker. Nach einem Line-Up-Wechsel erschien ein Jahr später ebenso ein 7”-Tonträger mit dem launigen Namen “Anti New Wave Liga – Des is Wien und not London, o.k.?”. Lange vergriffen, lassen sich diese beiden, für die Entwicklung des österreichischen Punk absolut essenziellen Tonträger nun erstmals auf einem kompakten Vinyl-Tonträger nachhören: Beim italienischen Re-Release-Spezialisten Rave Up Records erschien kürzlich eine Dead Nittels-Werkschau mit allen veröffentlichten Songs der Frühphase. Der programmatisch schlichte Titel der LP-Anthologie: “Early Songs 1981-1983”. Nach längeren Bemühungen ist es nun tatsächlich gelungen, zwei ehemalige Dead Nittels-Mitglieder vor’s Mikrofon zu locken: Christian “Hulk” Koczera und Manfred “Mandi” Schaeffer im Gespräch mit Al Bird Sputnik über die mythenreiche Bandgeschichte, die Geburt von Punk in Österreich, die ersten autonomen Jugendzentren in Wien sowie das öffentliche Verbrennen von vierstelligen Geldsummen.

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Als im Jahr 1980 die Moderatoren der ORF-Jugendsendung “Ohne Maulkorb” das weltweite Phänomen “Punk” bereits grossspurig für tot erklärten, steckte das Movement in Österreich gerade erst in den Kinderschuhen. (Anm.: Anlass dieser epochalen Fehleinschätzung gab seinerzeit die Premiere der Sex Pistols-Mockumentary “The Great Rock ‘n’ Roll Swindle”, die in heimischen Kinos anlief.) Wie und wann habt ihr zum ersten Mal von der Existenz von Punk erfahren?
Christian “Hulk” Koczera: Das war schon um 1977/78. Joschi (Anm.: Josef “Joschi” Schaeffer) war ein Schulfreund von mir und ist plötzlich mit einem Sex Pistols-T-Shirt und einer Sicherheitsnadel in der Nase vor mir gestanden. Ich hab mir nur gedacht: “Was hat der jetzt wieder im Schädel?” (Lacht.)
Manfred “Mandi” Schaeffer (Anm.: Joschis älterer Bruder): Wir haben damals noch gemeinsam bei unseren Eltern gewohnt und Joschis Einstieg in diese neue Szene ist mir nicht entgangen. Ansonsten habe ich im Fernsehen ein- oder zwei Mal kurze Konzertauschnitte der Sex Pistols gesehen und war mir anfangs auch nicht so sicher, was ich nun davon halten soll. Chuzpe war für uns dann die erste Wiener Punk-Band. Sie haben 1979 im Kongresshaus als Vorband von the Clash gespielt, zu einem Zeitpunkt, als hier in Österreich wahrscheinlich noch kein Mensch von the Clash gehört hat. Dann kam ihre Joy Division-Coverversion “Love will tear us apart” heraus. (Anm.: Erschienen bei GiG Records, 1980.) Wenn ich mich recht erinnere, dann war das eine der ersten Veröffentlichungen aus dem Punk/Wave-Eck, die jemals Airplay-Einsätze im österreichischen Rundfunk bekommen hat. Chuzpe haben das großartig gelöst. Aber als nachhaltig beeinflussend habe ich dann vor allem die Gruppe Pöbel empfunden. Mit denen war Punk in Österreich – so um 1980 herum – auf einmal sehr präsent. Aber leider, kurz nachdem ihre EP erschienen ist (Anm.: “Es lebe hoch die Perversion”, Panzaplatte 1980.), hat sich die Band schon wieder aufgelöst. Im Metropol gab es noch ein legendäres Fest, bei dem sie einen lebendigen Karpfen auf der Bühne gekillt haben. Dann war aus.

Hatte der Blutrausch-Sampler (Schnazz-o-phone, 1979) in den frühen 1980ern schon annähernd den Stellenwert, den er heute hat? (Anm.: Diese LP gilt als Initialzündung der Punkszene in Österreich. Im Juni 2013 erschien übrigens erstmalig ein LP-Reissue beim Wiener Label Monkey Music.)
Manfred: Naja, der Blutrausch-Sampler war schon damals irgendwie legendär. Allein die Bands, die da drauf waren.
Hulk: Wenn man es im Geschichtskontext betrachtet – also zu einer Zeit, als noch nicht jedes Monat interessante heimische Platten erschienen sind – ist der Blutrausch-Sampler schon sehr speziell.
Manfred: Genau. Für diese Zeit hat diese LP durchaus einen hohen Stellenwert. Die vertretenen Bands kamen im weitesten Sinne aus dem Punk-Eck und waren mit ihren jeweils besten Nummern vertreten.

Manfred, du hast als Ältester in der Band auch noch eine Wiener Szene vor Punk Rock mitbekommen. Kannst du deine Eindrücke schildern?
Manfred: Ich bin ca. 6 Jahre älter als mein Bruder Joschi. Dadurch hatte ich meine musikalische Sozialisation auch in einer anderen Generation: David Bowie, Glam Rock, Camera-Club, Novak’s Kapelle. Die Novak’s waren wichtig. Die habe ich mir damals live im Museum des 20.Jahrhunderts (Anm.: Das sog. “21er Haus”, das sich im Schweizer Garten im 3. Wiener Gemeindebezirk befindet.) angesehen. Die waren ziemlich räudig d’rauf und mir hat gefallen, dass sie keinen Wert auf musikalische Perfektion gelegt haben. “Das kommt ziemlich gut”, habe ich mir gedacht. Ich hab ja selber schon 1972 bei einer Band Schlagzeug gespielt: Alcatraz. Das war progressiver Rock. Bezeichnend für diese Zeit war, dass alles immer hyper-perfekt gespielt sein musste. In die Richtung von Emerson, Lake & Palmer, Genesis oder Yes. Als Teenage-Musiker hat man sich aber im Vergleich schnell gefühlt wie ein totaler Vollidiot. Daran ist auch meine Band damals gescheitert. Deshalb war für mich dann bei Punk auch diese völlig neue Herangehensweise sehr ansprechend: Jeder nimmt ein Gerät in die Hand und legt los. Scheiß drauf, wie’s klingt!

Wie kam es zur Bandgründung und der Namensgebung der Dead Nittels?

Manfred: Begonnen haben wir Ende 1980. Die Band bestand anfangs aus meinem Bruder Joschi und mir. Dann kam Lörkas dazu, der gerade bei Pöbel ausgestiegen war. Unser erster Sänger war ein Berufschulkollege von Joschi, ein gewisser Hannes. Wir hatten aber noch keinen Namen. 1981 waren dann die Dead Kennedys in Wien. Für uns war das die Punkband schlechthin und das Abgefahrenste, was wir zu dem Zeitpunkt jemals gesehen hatten. Ich erinnere mich daran, dass Hulk und Joschi am Bühnenrand gestanden sind und bei “Too drunk to fuck” in Jello Biafra’s Mikrophon “Zu fett zum pudern” hineingeschrien haben. (Lacht.) Davon gibt es sogar einen Videomitschnitt. Im Mai war dann das Attentat auf Nittel. Kein Mensch hat den vorher gekannt.  (Anm.: Heinz Nittel war Wiener Stadtrat und ein ehemaliger SPÖ-Nationalratsabgeordneter, der in seiner Funktion als Präsident der Österreichisch-Israelischen Gesellschaft einem Attentat der palästinensischen Terrororganisation Abu Nidal zum Opfer fiel.)
Hulk: Der einzige politische Mord von dem wir in unserer Republik jemals mitbekommen haben.
Manfred: Das waren die Auslöser: “Dead Nittels” als Hommage an die “Dead Kennedys” und als provokante Anspielung auf das Attentat.
Hulk: Und die Provokation ist echt gelungen, muss man sagen.

Euer erster Gig fand 1981 statt – gemeinsam mit der Wiener Girl-Punk-Band A-Gen 53.
Manfred: Ja, genau. Das Ganze fand im Rahmen einer jährlichen Veranstaltung, des Bumm-Bumm-Festes statt. Abgehalten wurde das im Amerlinghaus von den späteren Betreibern des Chelsea. A-Gen 53 war bereits als Live-Act engagiert und haben uns als Vorband eingeladen.

Ab der dritten Dead Nittels-Show stand dann Hulk als Sänger auf der Bühne. Hulk, du wurdest damals von einer kurzlebigen Band namens The Bitch Boys abgeworben. Was hat dich mit den Dead Nittels verbunden?
Hulk: Nun, wir haben rebelliert gegen den Staat. Das hat uns alle miteinander verbunden. Und wir hatten Spaß am Blödsinn-Machen, Spaß am Musik-Machen. Da haben wir uns gut getroffen. Darüber hinaus haben wir immer versucht, uns von niemandem vereinnahmen zu lassen und uns deutlich abzugrenzen vom New-Wave-Sound, von dem zu der Zeit alle so verzaubert waren. Für richtige Subkultur gab es in den frühen 1980ern in Wien keinen Nährboden, wie es ihn heute gibt. Wie wir uns damals umgeschaut haben, haben wir uns nur gefragt: “Okay, was jetzt?” (Lacht.) Es gab in Wien so gut wie nichts, wo man hätte anknüpfen können.

Wo hattet ihr damals euren Proberaum?

Manfred: In der Otto Bauer-Gasse war seinerzeit der Second Hand-Plattenladen “Why Not?”. Und unter dem Geschäft, im Why Not-Keller war ein Proberaum, der an Tom Pettings Hertzattacken vermietet war.
Hulk: Das war ein ziemlich wilder Proberaum. (Lacht.)
Manfred: Das war eigentlich ein ganz normaler Keller, wie man sich das in einem Biedermeierhaus vorstellt. Gestampfter Lehmboden und feuchte Ziegeln.

Wo kamen die musikalischen Einflüsse der Dead Nittels her?
Manfred: Amerikanischer Punk war gerade im Kommen. Zuerst waren die Dead Kennedys da, dann Black Flag. Es war aber schnell klar, dass diese US-Bands aus einer ganz eigenen Rock-Tradition kommen und einen Sound spielen, den man nicht so ohne weiteres kopieren kann. Wir haben uns daher mehr an der zweiten Punk-Generation in England orientiert mit Bands wie GBH und UK Subs. Da haben wir uns positioniert. Aber auch deutscher Punk hat uns maßgeblich beeinflusst: Bands wie Slime, Terroralarm, Daily Terror oder Toxoplasma. Also alles, was politisch war und gleichzeitig nicht zu verspielt.
Hulk: Genau. Da waren wir zu Hause: Straighter Punk mit gitarrenlastigem Sound ohne ultimative Super-Soli drinnen. Relativ direkte Musik. Dazu direkte Texte.

1982 ist euer selbstbetiteltes Debut im Eigenvertrieb erschienen (im Originalwortlaut: “The Dead Nittel’s A.N.W.L.”). Als “grüne Kassette” bekannt geworden, zählt es zu den mitreissendsten Veröffentlichungen der frühen heimischen Punk-Geschichte. Wie lange hat es gedauert, dieses kleine Meisterwerk in die Konserve zu locken? Und warum ist das Album eigentlich “nur” auf Kassette erschienen?
Manfred: Wir haben uns für die Tape-Variante entschieden, weil sich ein Platte finanziell nicht ausgegangen wäre. MC war ja damals ein gängiges Tonträger-Produkt.
Hulk: Ja, nachdem wir wenig Kohle hatten, waren die Wahl des Trägermediums letztendlich eine Frage des Machbaren. Innerhalb von vier Tagen haben wir in einem kleinen 4-Spur-Studio in Ottakring alle Nummern aufgenommen.
Manfred: Über eine Chuzpe-Connection ist der Kontakt zu diesem Studio entstanden. In einem, aus Sperrholzwänden zusammengezimmerten Keller saß ein langhaariger Hippie-Typ mit Gymnasiasten-Brille. Er war von Anfang an sehr freundlich, ist auf alle unsere Wünsche eingegangen und hat versucht, alles reinzustecken, was möglich war. Am zweiten Tag sind wir während einer Rauchpause dann dahintergekommen, dass dieser Mischer die Keyboards bei “Love will tear us apart” von Chuzpe eingespielt hat. Sein Name war Walter Heinisch. (Anm.: Heinisch gilt als Mitbegründer der Bands CulturalNoise und Bizarre Ko.Ko.Ko. als ein wichtiger Wegbereiter der heimischen Elektronik-Avantarde.) Er war verantwortlich für diesen klaren und frischen Sound. Wir waren ja keine perfekten Musiker und das Aufnahme-Equipment war nur ein 4-Spur-Tonbandgerät. Die Musik wurde live eingespielt, dann wurde der Gesang dazu gedubbt.

Die Dead Nittels haben da einen Hardcore-Punk-Sound entwickelt, wie es ihn vorher in Österreich noch nicht gab.
Manfred: Das war uns damals nicht bewusst. Wir wollten irgendwie die Power unseres Live-Sounds konservieren und wollten am Ende nicht so klingen, wie jemand der drei Wochen im Studio verbracht und stundenlang an einer Bridge herumschmiergelt hat. Da hätte uns die Lust wohl verlassen.
Hulk: Das hohe Tempo, mit dem wir arbeiten konnten, war echt super an diesem Studio.
Manfred: Hochachtung vor diesen Leuten.

Auf der Kassette steht “Aufnahme im Gespenstersound-Studio”.
Manfred: So haben wir das Studio selber getauft, denn es hatte damals keinen offiziellen Namen. (Lacht.)
Hulk: Wir haben während den Aufnahme-Sessions sehr viel gesoffen und haben uns, weil das Studio im Keller kein WC hatte immer auf der Strasse erleichtert.
Manfred: Vis-a-vis vom Studio war eine Backsteinmauer. Und da hatten wir miteinander ein Spiel: Wer kann das schönste Gespenst an die Wand brunzen? (Lacht.) So entstand der Name “Gespenstersound-Studio”.

Was könnt ihr mir über Cover-Artwork und Vertrieb der Kassette erzählen?

Manfred: Wir sind an einem Abend im September über die Mauer des Sankt Marxer Friedhofs geklettert und haben uns dort von Ferry Nielsen fotografieren lassen. Ferry hat später als Modefotograf Karriere gemacht. Die erste Auflage waren 350 Stück auf grünen Tapes. Wir wollten ursprünglich nur drei Tage im Studio sein und als wir noch einen vierten Tag zum Mischen der Nummern dranhängen mussten, ist uns das Geld für Leerkassetten ausgegangen. Einer der Studiobetreiber hat gemeint, dass er einen Freund hat, der noch jede Menge leere Tapes hat. Die hätten aber eine merkwürdige Farbe: Die seien giftgrün und deswegen günstiger. Rückblickend ein genialer Schachzug, weil die Kassette dadurch einen hohen Wiedererkennungswert hatte.
Hulk: Der Vertrieb lief über uns. Wir hatten nie einen professionellen Vertrieb, aber wir wollten eigentlich auch nie etwas aus der Hand geben.

Wie waren damals die Reaktionen aufs Tape?
Manfred: Medial gab es überhaupt keine Reaktionen.
Hulk: Mit dem österreichischen Markt stimmen ja ganz grundlegende Dinge nicht. Hätten wir unsere Kassette damals nicht von Wien aus, sondern beispielsweise in Düsseldorf oder Berlin herausgebracht, wären wir mit einer Auflage von 350 Stück wohl nicht weit gekommen. Da hätten wir schon mehrere Tausend Exemplare auflegen müssen. Die ganze damalige Punk-Szene wurde ja von österreichischen Medien völlig übersehen. Nach unserer Namensgebung gab es zwar einen kurzen Aufschrei in den Medien. Aber es war schon eine Seltenheit, wenn sich eine Band auch ausserhalb Wiens herumgesprochen hat. In der Szene war es dagegen ganz anders. Ich hatte immer grösste Verwunderung, wie schnell sich unser Tape bei Wiener Punks herumgesprochen hat. Von Leuten, die man noch nie vorher gesehen hat, konnte man solche Sachen hören, wie: “Ah, du bist das! Von der grünen Kassette!”

Als mir jemand als Teenager das grüne Dead Nittels-Tape vorgespielt hat – sprich: zackigen HC-Punk mit ultra-derben, wienerischen Proleten-Lyrics – ging meine erste Assoziation in eine konzeptuelle, CBGBs-nahe Richtung. Gab es bei euch soetwas, wie ein Konzept? Einen Punk-Masterplan?
Hulk: (Lacht.) Nein, nicht wirklich. Wir haben uns irgendwie automatisch so entwickelt, uns immer wieder zusammengesetzt und besprochen, was wir machen wollen bzw. im Ausschlussverfahren festgesetzt, was wir nicht wollen. Wie schon gesagt: Wichtig war es den Dead Nittels immer, sich nie kaufen oder vereinnahmen zu lassen.
Manfred: Einige Dinge waren uns von Anfang schon sehr klar. Wir wollten keine Covers spielen, sondern nur eigene Songs. Wir wollten außerdem unsere Inhalte auf Wienerisch rüberbringen. Wie man auch auf unserer späteren EP-Veröffentlichung lesen kann: “Des is Wien und not London, okay?”. Unsere Texte waren in der gleichen Sprache verfasst, wie wir Wiener Punks auch miteinander geredet haben, wenn wir am Samstag bei der Kettenbrückengasse herumgestanden sind: “Heast, Oaschloch!” Also Englisch oder ein gespreiztes Schönbrunner Hochdeutsch kamen für uns nicht in Frage

Auf euren Veröffentlichungen findet sich oft der Banner einer mysteriösen Geheimgesellschaft, der sog. “Anti-New Wave Liga” (auch abgekürzt als “A.N.W.L.”). Was waren denn damals eure Beweggründe eine derartige Gegenbewegung zu initiieren?
Hulk: Das ist aus dem Gefühl entstanden, dass wir nicht in diese Blümchen Blau-Richtung gehen wollten. (Anm.: Blümchen Blau-Mitglied Tschuri war noch kurz zuvor Drummer in der legendären HC-Punk-Band Pöbel, die bei den Wiener Punks höchstes Ansehen genoss.) Hype hin, Hype her. Es war uns wichtig, unseren Punk-Ursprung zu bewahren. Und einige andere Bands haben sich uns da angeschlossen.

Habt ihr euren alten Freund Tschuri deswegen verarscht, weil er plötzlich mit diesem hippen NDW-Sound auf Ö3 zu hören war?

Manfred: Nein, überhaupt nicht. Viele von uns haben haben damals so eine Entwicklung gemacht. New Wave war in Wien plötzlich ein ziemlicher Hype, so eine klassische Gymnasiasten- und Studenten-Szene, die auf intellektuell getan hat. Durch Magazine wie “Wiener”, hat sich das alles rasch in die Breite verlagert. Wir haben Blümchen Blau ihren Erfolg schon vergönnt, wollten aber selber nie in dieses Fahrwasser. Das war einfach nicht unser Ding. Wir waren Punks.

Wie kam es eigentlich zu eurem vielzitierten Slogan “Leckt’s uns am Arsch: In Zeiten wie diesen.”? Selbst viele Leute, die euch vorher nicht kannten, können sich noch gut daran erinnern, dass damals in Wien Promo-Karten mit diesem Spruch im Umlauf waren.
Hulk: Das ist uns irgendwie passiert. Wir sind von einem Fotografen vor der U-Bahnstation Kettenbrückengasse angesprochen worden, der gemeint hat: “Stellt’s euch einmal nebeneinander auf”. Er hat ein Foto von uns gemacht, wie wir in unseren Lederjacken mit dem Rücken zur Kamera stehen und hat das dann auf kleine Karten gedruckt. Drauf ist gestanden: “Leckt’s uns am Arsch: In Zeiten wie diesen”. Das ist dann zu unserem Bandslogan geworden. Ein ziemlicher Renner war das.
Manfred: Das war ein älterer Herr, so um die 75 Jahre, der jeden Samstag am Naschmarkt mit seinem Fotoapparat auf Motivsuche gegangen ist. Der Slogan “Leckt’s uns am Arsch” war seine Idee. Damals war gerade Wahlkampf und Kreisky stand zur Wiederwahl. (Anm.: Nationalratswahl 1983.) Der Slogan der SPÖ war “In Zeiten wie diesen”. Der ältere Herr war scheinbar kein großer Kreisky-Fan. (Lacht.)

1983 ist Hulk kurzzeitig aus der Band ausgestiegen und die Dead Nittels hatten mit dem neuen Sänger Bernie Schwabl einen Gastauftritt in einem Spielfilm. Der Streifen hiess “Atemnot” und kam noch im gleichen Jahr in die Kinos.
Hulk: Ja, nach einem Streit habe ich die Dead Nittels verlassen. Kurze Zeit später, hab ich mir gedacht, “Na, super. Jetzt kommt einer und sagt, ‘Spielt’s doch mit in einem Film.’” (Lacht.)
Manfred: Bei den Dreharbeiten ist dann was lustiges passiert: Es wurden damals nicht nur wir, sondern auch einige Wiener Punks als Komparsen für die Dreharbeiten angeheuert. Als wir am Set ankamen, ist die Aufnahmeleitung ganz aufgeregt auf uns zugelaufen mit den Worten: “Eure Punk-Freunde versuchen uns zu erpressen.” Die Punks haben gemeint, dass sie statt 50 Schilling Tagesgage nun 70 Schilling verlangen würden. Sonst würden sie nicht kooperieren und die Dead Nittels würden auch nicht im Film performen. (Lacht.) Aber dadurch, dass wir schon einen Vertrag mit der Produktionsfirma hatten und wir uns auch keinem Erpressungsversuch beugen wollten – nicht einmal von unseren eigenen Fans – , war die ganze Sache schnell ausgestanden.

Wohl als Reaktion auf diesen Vorfall habt ihr kurze Zeit später im Café Europa vor den Augen eurer Fans angeblich mehrere Tausend Schilling verbrannt. Stimmt diese Anekdote?
Manfred: Ja, wir haben Geld verbrannt.
Hulk: Aus Provokation.
Manfred: Weil uns vorgeworfen wurde, wir seien seit dem Spielfilm total abgehoben, seien keine richtigen Punks mehr und hätten die Verbindung zu unseren Fans verloren. Wir haben uns gesagt, “Na, wenn das so ist, dass wir keine richtigen Punks mehr sind, dann muss ein Teil unserer Gage…”
Hulk: “…. eben in Flammen aufgehen!” (Lacht.)

1983 habt ihr eure 7”-EP “Anti New Wave Liga – Des is Wien und not London, o.k.?” aufgenommen und kurze Zeit später im Eigenvertrieb veröffentlicht.
Manfred: Die ganze Sache ist irgendwie aus einer Trotzreaktion heraus entstanden. Wir hatten zu diesem Zeitpunkt ziemlichen Gegenwind aus der eigenen Community. Da gab es einige Deppen, die gemeint haben, dass wir auf einmal zu perfekt klingen und hoch hinaus wollen. Es wurde uns also offensichtlich nicht vergönnt, ein bisschen Erfolg zu haben. Finanziert hat sich die EP über die restliche Gage, die wir für den Film “Atemnot” bekommen haben. (Anm.: Und die damals nicht im Café Europa verbrannt wurde.) Das waren noch immer einige Tausend Schilling. Den Betrag haben wir komplett in die Produktion der Platte gesteckt. Der Dead Nittels-Leadsänger bei diesen Aufnahmen war auch Bernie Schwabl.
Hulk: Der Bernie war immer ein guter Freund von uns.
Manfred: Ja. Er hat nie zuvor in einer Band gespielt und auch nie vorher gesungen, aber er wollte uns einfach nicht hängen lassen, als wir plötzlich ohne Leadsänger da gestanden sind. Bernie hat zwar nicht wirklich singen können, aber er war einfach die beste Alternative nach Hulks Ausstieg. Die Nittels waren dann leider nicht mehr die gleiche Band.

Wie ging es mit den Dead Nittels nach der EP weiter?
Manfred: Hulk war bald wieder zurück als Sänger in der Band. Ich glaube das war Ende 1984. Es gab einen Gig mit den UK Subs in der Arena. Ihr Sänger Charlie Harper hat uns dann an GBH weiterempfohlen. Die sind dann auch nach Wien gekommen und haben darauf bestanden, mit uns gemeinsam zu spielen. Daraus ergab sich eine langjährige Freundschaft. Bis 1991 haben wir noch zwei Mal in Wien für GBH eröffnet. 1991 hatten wir schliesslich unseren 10-Jahres-Gig im WUK. Es wurde ein Musikvideo gemacht. Und es gab auch einen musikalischen Wandel. Unser Sound ging mehr Richtung Metal.

Kommen wir auf alternative Jugendzentren und autonome Wohnprojekte der 1980er zu sprechen: Die Dead Nittels haben wiederholt in der legendären GaGa (Anm.: Kurzform für ein autonomes Jugendzentrum in der Wiener Gassergasse/Ecke Laurenzgasse) gespielt und waren ab 1982 auch ein fixer Bestandteil des neu entstandenen WUK (Werkstätten- und Kulturhaus).
Hulk: Die GaGa war ein schlauer Schachzug der Stadt Wien, die sich wohl gefragt hat, ob sie die ganzen wahnsinnigen Punks wirklich verstreut über die ganze Stadt haben will und nach einer Übergangslösung gesucht hat. Die Politiker werden sich gesagt haben, “Geben wir denen doch lieber ein Zentrum, wo sie sich selber betätigen und ihre Energien in die Sanierung eines halb-desolates Areals reinstecken müssen. So stellen wie die Rabauken ruhig und haben sie konzentriert an einer Stelle.”
Manfred: Man bedenke, dass genau zu dieser Zeit auch “Züri brennt” passiert ist. (Anm.: Gemeint sind die Schweizer Jugendunruhen im Zeitraum 1980-1982, die damals im In- und Ausland Beachtung fanden.) In Deutschland kamen dann ja bald die Chaostage auf. (Anm.: Die ersten Chaostage fanden 1983 in Hannover statt und werden bis heute jährlich in verschiedenen deutschen Städten abgehalten.) In Wien hat man sich wohl gefürchtet vor Zuständen wie in Zürich. Nach der Eröffnung hat sich die Gassergasse dann schnell etabliert. Sie war Zufluchtsort für die 76er-Arena-Besetzer-Generation, für Leute aus dem Amerlinghaus wie auch für viele jungen Punks. Es gab dort Café, Konzerte, Plena, Kindergruppen, … Eben ein alternatives Jugendzentrum, bei dem aber irgendwie von Anfang an klar war, dass es eines Tages den Bach runtergehen würde. (Anm.: Die GaGa wurde 1983 geräumt, nachdem Exekutivbeamte angaben, vor Ort Marihuana in raue Mengen sichergestellt zu haben. Bis heute halten sich Gerüchte hartnäckig, wonach der Drogenfund fingiert war.)
Hulk: Im Rückblick und im Vergleich, war die GaGa wohl der Erstversuch, der noch ziemlich anarchistisch organisiert und deswegen wesentlich unvorhersehbarer war, als später das WUK.
Manfred: 1982 haben wir einen Proberaum im WUK bezogen, als eine der ersten Bands dort. Allerdings waren das damals noch morsche Kellerräume ohne Zwischenmauern und ohne Türen. Wir haben uns dort alles selber hergerichtet.

Normalerweise lösen sich Punkbands ja genauso schnell wieder auf, wie sie sich formiert haben. Die Dead Nittels bestanden mit Unterbrechungen und mit einigen Besetzungsänderungen noch bis in die frühen 2000er hinein. Wie konntet ihr euch so lange halten?

Manfred: Wir haben einen Wahlspruch: “Einmal Nittel, immer Nittel”. (Lacht.)

Habt ihr noch abschliessende Worte an die “Jugend von heute”?
Hulk: Ja, mein Appell geht an alle Jungs und Mädels, die spüren, dass irgendetwas in diesem Staat nicht stimmt, dass sie nicht den Fehler machen, dieses Gefühl verwässern zu lassen und irgendwann dabei einschlafen. Ich persönlich bin noch immer auf einem Weg, der mit dem System nicht konform ist und selbst wenn ich mich heute wiederfinde in einer anderen Position und Einkommensklasse als damals, denke ich mir gelegentlich immer noch: “Leckt’s uns am Arsch. Auch in Zeiten wie diesen. Leckt’s uns am Arsch.”
Manfred: Ich glaub’, das lassen wir so als Schlusswort stehen.

 

Bild 1: Christian “Hulk” Koczera und Manfred “Mandi” Schaeffer mit der kürzlich in Italien erschienenen Dead Nittels-Werkschau “Early Songs 1981-1983” (Rave Up Records). (Bild: Wolfgang Bohusch)
Bild 2: The Dead Nittels- “Early Songs” (LP/Rave Up Records/Euro Punk Serie #10)
Bild 3: Die Tageszeitung KURIER verleiht den Dead Nittels die “Gurke der Woche”, 11.Mai 1982.
Bild 4: Manfred “Mandi” Schaeffer. (Bild: Wolfgang Bohusch.)
Bild 5: Christian “Hulk” Koczera. (Bild: Wolfgang Bohusch.)
Bild 6: Cover-Artwork der MC “The Dead Nittel’s A.N.W.L.” (1982), auch bekannt als ”grüne Kassette”. (V.l.n.r.): Christian “Hulk” Koczera (Gesang), Manfred “Mandi” Schaefer (Schlagzeug), Herbert “Lörkas” Langer, Michael Neumann (Gitarre) und Josef “Joschi” Schäfer (Bass).
Bild 7: Dead Nittels-Promo-Karte “Leckt’s uns am Arsch: In Zeiten wie diesen.” (1983)
Bild 8: Eine Ankündigungs-Annonce anlässlich der Uraufführung des Spielfilms “Atemnot” (Ö, 1984. Regie: Käthe Kratz. Drehbuch: Peter Turrini.)
Bild 9: Cover-Artwork der 7”EP ”‎Anti New Wave Liga – Des is Wien und not London, o.k.?” (1983).
Bild 10: Konzertankündigung anlässlich des 10-jährigen Bandjubiläums, 1991.
Bild 11:Die “GaGa” in der Gassergasse, circa 1982. (Bild: Besetzungsarchiv.org)

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