Szeneporträt: der deutschsprachige Pop in Österreich

Eine junge österreichische Band nach der anderen, die Songs mit deutschen Texten erschafft, mitunter in österreichischem Dialekt, etabliert sich am deutschsprachigen Musikmarkt und spielt ausverkaufte Konzerte. Die großen Gefühle der neuen Jungen im Austro-Deutsch-Pop-Dschungel finden Gehör. Kompositionen im österreichischen Dialekt bzw. Slang, dem lange ein tiefes, primitives Image anhaftete, sind neuerdings cool, sodass sie selbst bei unserem großen Nachbarn Deutschland Beachtung, Anklang und Rezeption finden. Was macht den Erfolg dieser Bands aus überwiegend jungen Männern aus, die mit deutschen Songtexten Anklang finden ?

Dominika Krejs und Michael Franz Woels haben sich um- und durch YouTube-Videos durchgehört und -geklickt, um exemplarisch ein paar Vertreter und die wenigen Vertreterinnen zu präsentieren.  Ein schon lang im österreichischen Musikgeschäft aktiver Repräsentant eigenwilliger und kritischer deutscher Lyrics wurde zu seinen Einschätzungen befragt. Franz Adrian Wenzel ist zum einen von der Noise-Rock-Band Kreisky bekannt, die heuer ihr fünftes Studioalbum „Blitz“ mit den beiden selbstironischen Videos „Veteranen der vertanen Chance“ und „Ein braves Pferd“ verbildlichten. Ein kurzer Ausschnitt des Videos „Ein braves Pferd“ dient übrigens auch zur Untermalung des heurigen Popfest-Trailers am Karlsplatz Wien.

„DIE ERZÄHLHALTUNG EINES AUSTROPOP-SONGS IST DIE VON EINEM WIRTSHAUSTISCH AUS.“ 

Franz Adrian Wenzel ist als Gestaltenwandler im österreichischen „Musik-Showbusiness“ aber auch für die Erschaffung der kuriosen Kunstfigur Austrofred verantwortlich und beschrieb diese in einem skug-Interview 2014 so: „Ich kreuze Queen-Nummern und vor allem Queen-Gesten – eine größere, internationalere Geste als die von Freddy Mercury gibt’s ja fast nicht – mit österreichischen Gesten und Texten. Die Erzählhaltung eines Austropop-Songs ist klassischerweise die von einem Wirtshaustisch aus. Irgendjemand erzählt dir eine Geschichte von sich daheim: vom Großvater oder die Gezeichnet-fürs-Leben-Geschichte.“  Ein generationenübergreifendes Projekt der Interpretation von Austropop-Klassikern stellte das Album „Unser Österreich“ von Ernst Molden und Nino Mandl, bekannt als Nino aus Wien, aus dem Jahr 2015 dar. Gezeichnet-fürs-Leben-Geschichten von Wolfgang Ambros, Ludwig Hirsch, Georg Danzer, Falco, Sigi Maron, André Heller und Helmut Qualtinger wurden von den beiden Dialekt-Singer-Songwritern Molden und Mandl ausgewählt und wieder aufgeführt.

Der Nino aus Wien & Ernst Molden (c) Ronnie Niedermeyer

Die aktuelle Situation resümiert Franz Adrian Wenzel so: Vor zehn Jahren haben die meisten österreichischen Indiebands so Tocotronic-artig gesungen. Es gibt jetzt, glaub ich, recht eigenständige Bands, das war nicht immer so und hängt wohl auch mit diversen Regionaltrends zusammen. Es ist ein vielgesichtiges Phänomen zwischen Gut und Böse. Mit Gut meine ich die Anerkennung von Dialekt als voll- und gleichwertige Sprache, die Liebe zu regionalen Besonderheiten. Mit Böse den Dialekt im Sinne von ‚Mia san mia‘, diese grassierende Lederhosen-Epidemie. Ich würd mal sagen: Attwenger und Andreas Gabalier sind so musikalisch die Säulen hüben wie drüben, und dazwischen gibt’s natürlich die volle Bandbreite .“

„DIE AKZEPTANZ VON AKZENT-BETONTEM DEUTSCH FÜHRT ZU EINEM NEUEN SELBSTBEWUSSTSEIN FÜR DIALEKTGESANG.“

Bild Gustav
Gustav (c) Thomas Degen

Als herausragende Quotenfrau im österreichischen Musikgeschehen wurde auch Eva Jantschitsch, bekannt vor allem unter ihrem Künstlernamen Gustav, um ihre Einschätzung der Lage gebeten. Sie hat in den noughties zwei wortgewichtige Alben veröffentlicht: „Rettet die Wale“ im Jahr 2004 und „Verlass die Stadt“ im Jahr 2008. Gesellschaftskritische, feministische Themen sind wesentliche Elemente ihres Musikschaffens. Das Spiel mit Klischees und die Kombination von Reduktion und Tradition spiegeln sich in ihrer Arbeit. In den letzten Jahren arbeitete sie vor allem im Rahmen von Theater- und Filmprojekten. Ihre aktuelle Einschätzung der deutschsprachigen österreichischen Musikszene: Das, was Ja, Panik sowie Kreisky in den Nullerjahren da angestossen  haben, mit ihrem breiten österreichischen Akzent, hat meiner Meinung nach schon Schubkraft gehabt und die Akzeptanz von akzent-betontem Deutsch für Wanda, Bilderbuch oder Yung Hurn aufgeweicht. Daraus resultierte – das ist meine Interpretation – auch ein neues Selbstbewusstsein für den Dialektgesang an sich. Die Attwenger hatten da lange Zeit eine Art Alleinstellungsmerkmal – zumindest im Ösi-Indie-Pop – und jetzt sind mit unter anderem dem Nino aus Wien und dem Voodoo Jürgens tolle Mundart-Texter und Interpreten hinzugekommen .“ 

Bild Crack Ignaz
Crack Ignaz (c) Karin Cheng

Der Bilderbuch-Karrierist Maurice Ernst behauptet, mit dem Song „Barry Manilow“ von ihrem bahnbrechenden Album „Schick-Schock“ aus dem Jahr 2015 so etwas wie den ersten Cloud-Rap-Song in Österreich veröffentlicht zu haben. Yung Hurn ist nun neben Crack Ignaz oder auch Yugo Ürdens der bekannteste Vertreter der deutschsprechenden Cloud-Rapper in Österreich, ein weibliches Rap-Duo dieses Genres ist Klitclique, die erst kürzlich ihr erstes Album „Schlecht im Bett gut im Rap“ veröffentlichten. Mit wenigen autotunegepimpten Worten werden bei Yung Hurn hedonistische Befindlichkeiten zum Besten gegeben, ein ungewöhnlich selbstreflexives Video ist das kürzlich erschienene „Sie schauen“. Dieses protzende Gangsta-Rap-Verhalten provoziert natürlich auch Parodien, wie das Video des Schauspielers und Musik-Kabarettisten Christoph Seiler veranschaulicht, dessen sehr erfolgreiches Austro-Pop-Duo Seiler und Speer für den Mitgröhl-Sensationshit „Ham kummst“ bekannt ist. In eine ähnliche Unterhaltungskerbe rockt das Musikkabarett-Duo Pizzera und Jaus, das vor Kurzem sein durchschlagstarkes Debüt „Unerhört solide“ ablieferte. Fun-Punk-Rocker, die mit ähnlichem Schmäh die Herzen und Bierbäuche ihrer Fans eroberten, sind Turbobier, die den Alkoholkonsum in all seinen Varianten und Schattierungen auf ihrem Album „Das Neue Festament“ zu deklinieren verstehen.

„TRAURIG-SCHÖNE KINDHEIT IN 0043“

Sanftere Töne und Texte finden sich auf dem Album „Ich kenne kein Weekend“ des Brüderpaares Yukno. Die beiden haben sich durch eine neue musikalische Ausrichtung bewusst vom Namen ihrer ehemaligen „Schülerband“ Neodisco getrennt. Lässig-eingängige Synthie-Beats, Bass-Grooves und Loops unterlegen gedichtähnliche Abhandlungen rund um Herz- und Weltschmerz wie in „Prinzip“. Traurig-schöne Kindheit in „0043“, würde der Sänger Marco Michael Wanda dazu wohl sagen.

Franz Adrian Wenzl beschreibt die Entwicklung der Band Kreisky so: „Ich würde sagen, wir haben uns entfokusiert. Mit unseren ersten Platten wars uns wichtig, mal einen eigenen Sound zu etablieren, das hängt uns natürlich auch noch nach, das „Grant-Rocker“-Ding. Da will ich mich aber gar nicht beschweren, weil das ist ja super, wenn man eine Art Marke hat. Aber beim Liedschreiben begrenzt mich das gar nicht, da ist alles möglich, alles einfach Popmusik – begrenzt halt durch das eigene Können und die eigenen Ticks, Stärken und Schwächen .“

VIECH (c) Lucas Gerstgrasser
VIECH (c) Lucas Gerstgrasser

Hier nun ein paar Exemplare von Bands, die durch ihre Ecken und Kanten positiv auffallen: Da wäre zum einen einmal das Trio Viech, das heuer mit „Ich hab viele Fehler gemacht“ ein weiteres Beispiel dafür ablieferte, wie eindringlich man mit deutschen Texten rocken kann. Angenehm ungezähmt und brachial sind zum Teil auch die Songs des Sängers Hubert Weinheimer von Das Trojanische Pferd. Der Einsatz der Ziehharmonika, der laut dem oberösterreichischen 3-Mann-Gespann folkshilfe durchaus polarisieren kann, scheint aber gerade die Beliebtheit ihrer Songs auszumachen, hier das Mitsing-Beispiel „Maria Dolores“. Eine weitere sympathische, ziehharmonische Neuerscheinung sind Bundspecht, die heuer ihr viel beachtetes Debut „großteils Kleinigkeiten“ ablieferten. Mit mehr Brass im Rücken begeistert wiederum die Mundart-Formation skolka.

„ES GIBT KEINE WIENER SCHULE IM SINNE EINER HAMBURGER SCHULE, DIE JA STARK DISKURSIV WAR.“ 

Es tauchen in den Medien darüber hinaus Begriffe wie „das neue Wienerlied“ auf, gute Beispiele dafür liefern die bereits legendären 5/8erl in Ehr’n, das charmante Pärchen Wiener Blond und Granada. Voodoo Jürgens exhumiert und reklamiert die Bezeichnung des Bänkelsängers für seine Art des musikuntermalten Erzählens wie in „Meine Damen, meine Herren“. Franz Adrian Wenzl relativiert ein bisschen mit Blick über die Alpen gen Deutschland: „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob es eine ‚deutschsprachige österreichische Musikszene‘ gibt. Es gibt wohl eine österreichische Szene und es gibt Leute, die auf Deutsch singen, aber das ist jetzt keine ‚Wiener Schule‘ im Sinne einer ‚Hamburger Schule‘, die ja auch stark diskursiv war, auch untereinander. Vielleicht gibt’s bei den stilistisch Austropop-näheren Acts wie dem Nino aus Wien oder Wanda mehr Verbindungen, auch personell, das weiß ich nicht genau, Bilderbuch oder Ja, Panik seh ich jetzt eher als freistehende Akteure, wo die Sprache nicht Österreichisch gedacht ist .

5/8erl in Ehr´n (c) Astrid Knie

Sehr prägend ist natürlich auch die Arbeit diverser Labels, allen voran das von Stefan Redelsteiner gegründete Problembär Records, dessen erste Veröffentlichung 2008 der Crossover-Kammermusik von Neuschnee bereits – nomen adque omen, der Name als Vorbedeutung – „Wegweiser“ hieß. Neuschnee sind Jahre später immer noch nicht geschmolzen, sondern haben heuer mit „Okay“ ein weiteres abwechslungsreiches Album vorgelegt. Sie wurden allerdings von Labelkollegen wie Wanda und dem Nino aus Wien im Bekanntheitsgrad überholt. Generell lohnt ein Blick auf die Veröffentlichungen von Labels wie „Problembär Records“, futures future und karmarama.

„MEHR MUT UND WILLE ZUR POLITISCHEN POSITIONIERUNG.“

Was wünscht sich Eva Jantschitsch, die zurzeit mit der Musik zu einem neuen Theaterstück von Christine Eder beschäftigt ist (Arbeitstitel: „Verteidigung der Demokratie“) abschließend ganz generell von den nachrückenden Musikerinnen und Musikerin in der (deutschsprachigen) österreichischen Musikszene: „Mehr Mut und Willen zur politischen Positionierung. Gerade jetzt wäre es wichtig ganz klar Stellung zu beziehen. Wir leben im politischen Ausnahmezustand. Schnauze halten ist grad nicht. Ich bin froh, dass es Künstler*innen wie zB. ESRAP oder Kid Pex, Texta oder Yasmo gibt, die Klartext rappen. Es gibt auch das Netzwerk linker Musiker*innen, die sich an Demos aktiv beteiligt. Das sind schon sehr wichtige Signale .“

Dominika Krejs und Michael Franz Woels