Ein Symposium in Kooperation von ÖMR (Österreichischer Musikrat), mdw (Universität für Musik und darstellende Kunst) und „musik aktuell-neue Musik in NÖ“ beschäftigte sich zwei Tage lang mit dem Thema Menschenrechte/Musikrechte. Dabei beeindruckte nicht nur die Breite der behandelten Fragen, es reifte auch die Erkenntnis: Die Probleme sind vielgestaltig, und es gibt viel zu tun. Für uns alle.
In einer Zeit, in der hochrangige heimische Politiker eine „Überarbeitung“ der Menschenrechtskonvention fordern und es bei einer Fußball-WM unter Strafandrohung verboten ist, für Menschenrechte zu werben, scheint eine Besinnung darauf, was Menschenrechte in unserem täglichen Leben bedeuten und inwiefern sie uns tangieren oder tangieren sollten, wichtiger denn je. Mehr noch: „Kriege und Menschenrechtsverletzungen sonderzahl lassen es als angebracht erscheinen, zwei Tage mit der Besinnung auf Menschenrechte und Musikrechte zu begehen“, wie es Harald Huber, Präsident des ÖMR, in seiner Eröffnungsrede formulierte. Der Katalog an Menschenrechten, die Universal Declaration of Human Rights also und die Weiterentwicklungen dieses Dokuments seien das, worauf sich die vielfältige Staatengemeinschaft jenseits ideologischer und religiöser Unterschiede verständigt habe, so Huber, und deshalb ein Erbe, das man nicht hoch genug schätzen kann und das tagtäglich wiederholt und bekräftig werden müsse.
Wie sieht Ulrike Butschek, Leiterin der Abt. für Menschenrechte im BMEIA, die derzeitige Lage? Schwierig. „Gerade durch die multiplen Krisen der letzten Jahrzehnte und Jahre, verdichtet durch Corona und den russischen Angriffskrieg, sind die Menschenrechte noch einmal mehr unter Druck geraten als sie es ohnedies schon waren“, sagt sie. Die Rechte auf Meinungsäußerung und politische Teilhabe hätten direkt mit der wirtschaftlichen Lage zu tun. Je größer Armut und Migration, desto größer auch die Probleme. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten als universell geltend, unteilbar und nicht veräußerlich sei deshalb wichtiger denn je. Nur noch 25 % der Staaten sind bekennende freie Demokratien, so die unerfreuliche Bilanz, und selbst in diesen Staaten sei nicht alles zum Besten bestellt. „Wir müssen uns daher weiterhin anstrengen und um die Errungenschaften, zu denen wir stehen, kämpfen.“
Annemarie Schlack, Geschäftsführerin von Amnesty International, berichtete anschließend von der Situation im Iran und in Afghanistan, wo sich seit der Machtergreifung durch die Taliban die Situation für Frauen und Mädchen drastisch verschlechtert hat. Frauen ist das Studium am Konservatorium ebenso verboten wie das Üben. Deshalb wird heimlich geübt. Wird man dabei erwischt, ist die ganze Familie bedroht. Musik sei, so Schlack, mehr als Musik. „Da geht es um Identität und Freiheit der Meinungsäußerung.“ Mit dem weit verbreiteten Vorurteil, Menschenrechte beträfen nur Menschen in weit entfernten und/oder unterentwickelten Ländern, räumt sie auf. „Dass einem Rechte beschnitten werden, könne jedem und jederzeit passieren.“
Umso unverständlicher sei es deshalb, wie seltsam passiv und schweigsam sich die europäische Öffentlichkeit angesichts der Gräuel verhält, die gerade im Iran passieren, meinte daraufhin die Musikerin Tahereh Nourani. Ihr selbst würden, obwohl sie schon siebzehn Jahre in Österreich lebt, noch immer wichtige Rechte vorenthalten. Man müsse sich doch zuallererst einmal fragen, wen man mit Menschen überhaupt meint.
Klara Koštal von der österreichischen UNESCO-Kommission sieht die Menschenrechte ganz klar mit einer diskriminierungskritischen Sichtweise verbunden. „Ich kann nur künstlerisch frei schaffen, wenn ich Raum und Geld dafür habe“, meinte sie. Künstlerische Freiheit habe im UNESCO-Verständnis daher auch viel mit der Freizügigkeit der Person zu tun. Umso wichtiger sei das, was Nourani forderte: „Safe Spaces, in denen die Leute sicher sind, sich austauschen und einander zuhören können.“ Im sich zu Ende neigenden Jahr seien iranische Künstler an Einreisegenehmigungen für ein Festival gescheitert, erzählte Nourani, „das ließe sich ändern, wenn ein politischer Wille da wäre.“
„Trist, aber nicht ganz hoffnungslos“
Am zweiten Tag ging es eingangs um die Musikrechte 2 und 3, die der Internationale Musikrat für Kinder wie Erwachsene beschlossen hat: um das Recht, musikalische Ausdrucksformen und Fähigkeiten zu erlernen und das Recht auf Zugang zu musikalischen Aktivitäten, zur Teilnahme, zum Hören, zum musikalischen Schaffen und zur Information also.
Darauf bezugnehmend konstatierte Leonore Donat, Präsidentin der AGMÖ, in ihrer einleitenden Keynote, dass aus ihrer Sicht Kinder derzeit in musikalischer Hinsicht nicht genug gefördert würden. Dafür seien mangelnde Ausbildung, aber auch andere missliche Umstände verantwortlich. Viele Pädagoginnen würden auch falsch eingesetzt und müssten dort ran, wo „Not am Mann oder der Frau“ ist, und nicht dort, wo sie aufgrund ihrer Ausbildung am meisten bewirken könnten.
Ferdinand Breitschopf, Fachinspektor für Musik in Wien, bezeichnete die Lage als „trist, aber nicht ganz hoffnungslos“. Fachexpertise sei sui generis in den Bildungsdirektionen nicht mehr erwünscht. Für ein Bundesjugendsingen etwa gebe es niemanden, der das fachlich betreuen kann. Derjenige, der das betreute, ging in Pension und wurde wird nachbesetzt – Pars pro toto für den Umgang mit den Aufgabenbereichen der Fachinspektoren. Dabei sei deren Rolle essenziell: Der Fachinspektor/die Fachinspektorin sitze an einer wertvollen Schnittstelle für die Bildungspolitik und könne in die Schulen und zugleich in die Verwaltung netzwerken. „Das ist wichtig, weil Musik viel zu wenig als wertvolles Bildungsgut wahrgenommen wird. Angesichts der Themen Sprache, Migration und neue Matura geht Musik als Thema unter. Was fehlt, ist jemand, der sagt: Das und das brauchen wir.“
Ähnlich Michael Seywald von der KOMU (Konferenz der österreichischen Musikschulwerke): Musik, so Seywald, werde mehr Bedeutung bekommen müssen, „sonst wird die Gesellschaft krank.“ Das gehe vom Lernen, also der Bildung, über kulturelle Teilhabe und kulturelles Tun bis hin zur künstlerischen Tätigkeit.
Axel Petri-Preis (stv. Institutsleiter, IMP) betonte, dass Musik entgegen der landläufigen Meinung eben keine universelle Sprache sei. Musik sei sehr unterschiedlich, nicht jeder könne jede Musik verstehen. „Genau deshalb braucht es die Musikvermittlung, damit wir in einen Dialog kommen und auf diese Weise ein Verständnis für einen weiten Musik- und Kulturbegriff entwickeln.“ Nichtsdestotrotz habe Musik ein unglaublich verbindendes Potenzial. „Genau das will Musikvermittlung nutzen.“ Die Realität sehe freilich oft anders aus: „In einer One-Woman-Show – die Musikvermittlung ist traditionell und typisch für pädagogische Berufe stark feminisiert – kämpft eine Frau gegen einen starren Betrieb an.“
Es gehe letztendlich nicht um Zuständigkeiten, sondern um die Wahrnehmung von Verantwortung. Die Frage sei doch: Wie können wir das System politisch so stärken, damit die Grundsäule hergestellt wird, das Kind zu stärken. „Dafür braucht es ein Mehr an Miteinander. Dafür braucht es ein neues Denken.“
Ein weiterer wichtiger Punkt im Recht auf freue musikalische Entfaltung ist natürlich auch das Recht auf faire, angemessene Bezahlung, was auch in den vom internationalen Musikrat definierten Grundrechten seinen Niederschlag fand: „Musikschaffende haben das Recht auf angemessene Anerkennung und Vergütung für ihre Arbeit“, heißt es da in Punkt 5.
Kluges Investitionskonzept statt Aushungerung
Dem widersprächen nun ganz konkret die Pläne es ORF zur Umgestaltung der Radiosender FM4 und Ö1, führt Eva-Maria Bauer, Vizepräsidentin des Österreichischen Musikrats aus. Durch die geplanten Einsparungen beim Sender Ö1 stünden die Sendungen Zeit-Ton, Jazznacht und Kunstradio vor dem Aus. Würde das tatsächlich so umgesetzt, fielen rund 630 Stunden zeitgenössischer Musik einfach weg. Darüber hinaus hat der ORF neulich angekündigt, eine Reduktion der Sendeentgelte um 30 % anzustreben, was einen „unfassbaren Einkommensverlust für Künstlerinnen und Künstler nach sich ziehen würde.“ Eine solche Kürzung sei absurd, denn eigentlich müsste man die Sendeentgelte angesichts der inflationären Entwicklungen erhöhen. Aber ganz allgemein sollten Sparprogramme, so Bauer, nie auf dem Rücken der Künstler:innen ausgetragen werden. „Es braucht ein kluges und nachhaltiges Investitionskonzept statt scheibchenweiser Aushungerung.“
Aber was ist angemessene Vergütung und wie können wir eine solche strukturell nachhaltig verankern, fragte sie in die Runde. Basis sind Mindesthonorarempfehlungen und Transparenz schon bei der Fördervergabe. Erfreulicherweise hätten die Fördergeber im abgelaufenen Jahr Geld in die Hand genommen, um den Fair-Pay-Gap zu schließen. Eine Evaluierung der Kulturbetriebe nicht nur in Beziehung zu Fair Pay, sondern auch zu den Arbeitsbedingungen sei notwendig, „denn es geht nicht nur um Bezahlung, sondern auch um die Arbeitsbedingungen.“ Es brauche den Willen der öffentlichen Hand und ein Umdenken in der Branche, einen Paradigmenwechsel im Kopf.
Peter Tschmuck (Musikwirtschaftsforscher, mdw) stimmte dem enthusiastisch zu. Man müsse einfach dort hinschauen, wo es wehtut und auch unangenehme Wahrheiten aussprechen. In einer noch laufenden Studie haben er und seine Mitarbeiter die Auswirkungen von Corona auf freie Musiker:innen untersucht. 1.777 Musiker:innen beantworteten dafür Fragen zu ihrer Tätigkeit und ihrem Einkommen. Das vorläufige, vorweggenommene Ergebnis: „Es braucht mehr Verteilungsgerechtigkeit. Sehr viele verdienen sehr wenig, sehr wenige verdienen sehr viel.“ Man müsse sich nur die Verteilung der AKM ansehen, dann erkenne man die Ungleichheit. „Und es gibt einen ganz massiven Gender-Gap. Frauen verdienen weniger, die Pandemie hat die Situation noch einmal verschlechtert. Besonders stark sei das bei den Freischaffenden – da muss Kulturpolitik ansetzen.“
Hannes Tschürtz (Ink Music, SOS Musikland, Austrian Music Export) meinte daraufhin, Fair Pay sei völlig unrealistisch, genau deshalb müssten wir ja drum kämpfen. De facto sei es so, dass unten kaum Geld zu machen sei und oben so viel Geld verdient werde, dass es unanständig ist. Die Frage sei: „Wie viele von den Kleinen kann man fördern? Wo hört das Hobby auf und wo fängt der Beruf an? Niemand spricht darüber, wo die Grenze zu definieren ist, weil das eine unangenehme Frage ist.“
In seinem Label ging es von Anfang an darum, „den Musiker:innen, die ich verehrte, ein Auskommen zu finanzieren.“ Aber: „Die Band, mit der ich anfing, hat das immer noch nicht erreicht, die haben immer noch Nebenberufe.“ Auch in seiner Firma seien die Gehälter noch immer „beschämend bis peinlich.“ Das ziehe sich durch den ganzen Sektor. Was es braucht? „Transparenz und gegenseitigen Respekt.“
Sabine Reiter, Direktorin mica – music austria, stellte daraufhin klar, dass die Fair-Pay-Diskussion nicht auf den freien Markt bezogen begonnen habe, sondern – bereits vor vielen Jahren von der IG Kultur Österreich angestoßen – darauf abzielte, eine seriöse Förderpraxis zu ermöglichen, weil sich ein sehr intransparentes Förderwesen entwickelt habe, bei dem Entscheidungsgremien nicht mehr durchblickten. Viele Projekte seien durch drastische Kürzungen ins Prekariat gedrängt worden. Hauptanliegen des Diskurses war es daher, mit Ziel zu fördern, professionelle Arbeit und Qualität zu ermöglichen und so Projekte raus aus dem Prekariat zu bekommen. Feedbackrunden zu den Honorarrichtlinien seien positiv verlaufen. „Die Richtlinien helfen in Verhandlungen mit Festivals und Veranstaltern, und es hilft auch der Staatssekretärin in Budgetverhandlungen. Man hat endlich Benchmarks, auf die man sich berufen kann.“
Peter Tschmuck wollte zum Abschluss der Runde noch einmal darauf hingewiesen haben, dass Professionalisierung nur von Bildung kommen könne. Es gelte, die Studierenden zu ermächtigen, damit sie verstehen, was in der Musikwirtschaft abgeht. „Welche Verträge unterschreibe ich und welche besser nicht, was sind Urheberrecht und Leistungsschutzrecht, die Rechte also, die Musiker:innen selbst betreffen und die sie monetarisieren können. Da gibt es viel Luft nach oben und viel zu tun.“ Die meisten seiner Studierenden wüssten, wenn sie kommen, nicht einmal, wie man eine Honorarnote legt, was Urheberrecht ist und was es mit ihrer Arbeit zu tun hat. All das müsse man vermitteln.
Jüngsten Studien zufolge, ergänzte Sabine Reiter, fänden 8 von 10 Studierenden, die studieren, um eine Orchesterstelle zu finden, keine solche. Auf das aber, was sie (in 8 von 10 Fällen) erwartet – auf das freie Unternehmertum also –, würden sie nicht vorbereitet. Es fehle das Handwerkszeug, um die komplexe Situation, die sie gewärtigen, zu bewerkstelligen.
Die geplante Tarifsenkung durch den ORF bezeichnete Tschmuck abschließend als „Wahnsinn.“ Da würde extrem viel auf Seiten der Verwertungsgesellschaft wegfallen, so Tschmuck. Gerade das Radio sei die wichtigste Einnahmequelle von Musiker:innen, was Tantiemen anbelangt. Zusätzlich zu dem Geld, das im Online-Bereich an Österreich vorbeifließt – es gäbe zwar einen Vertrag mit TikTok, aber der Dienst liefere ebenso wie übrigens auch Facebook und Instagram keine Zahlen – würde das eine zusätzliche Schwächung der Künstler:innen bedeuten. Diesbezüglich brauche es ein Umdenken, denn auch die Verwertungsgesellschaften seien überfordert mit den Datenmengen, denen sie sich im Umgang mit diesen neuen Medien gegenübersehen, ergänzte Hannes Tschürtz.
Es gibt also national wie international viel zu tun, was Selbstermächtigung, Fair Pay und die Beseitigung des Gender-Pay-Gaps anbelangt. Eine Fortsetzung dieser Veranstaltung scheint mehr als nur angezeigt.
Markus Deisenberger
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Links:
ÖMR
mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien
musik aktuell – neue musik in nö