Dieses Porträt von Valeska Maria Müller entstand im Zuge der Lehrveranstaltung „Ästhetischer Diskurs, Reflexion, Kritik: Schreiben und Sprechen über Neue Musik“ von Monika Voithofer im Wintersemester 2022/23 am Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien und wird als Teil einer Kooperation mit mica – music austria hier im Magazin veröffentlicht. Für diese Aufgabenstellung konnten die Studierenden frei eine aufstrebende Persönlichkeit aus dem Bereich der neuen Musik wählen.
In einer Zeit, in der die Welt von einem Lockdown zum nächsten wandelte, fanden die beiden Musikerinnen Aleksandra Bajde und Isabella Forciniti zusammen, um ihren musikalischen Werdegang von da an auch als Duo zu bestreiten. „Wir haben uns in unserer Zusammenarbeit gleich gefunden“, berichtet Forciniti im Gespräch mit der Autorin und unterstreicht mit dieser Aussage die enge Zusammenarbeit und das gegenseitige Vertrauensverhältnis des Duos.
Musik als Sprachrohr für gesellschaftsrelevante Themen
Das Interesse an zeitgenössischer Musik, dem Entdecken von neuem Klangmaterial und die gleichzeitige Auseinandersetzung mit gesellschaftsrelevanten Themen verbindet die Arbeit von Bajde und Forciniti gleichermaßen. Während die Slowenin Aleksandra Bajde (1987) in frühen Jahren Violine, Klavier und klassischen Gesang erlernte und ihre musikalische Ausbildung mit einem Jazzgesangsstudium in Amsterdam bei Sylvi Lane und Annett Andriesen sowie einem Kompositionsstudium in Linz bei Carola Bauckholt und Christoph Cech vervollständigte, erlernte die Italienerin Isabella Forciniti (1993) als Teenagerin Schlagzeug und studierte schließlich elektroakustische Komposition und Computermusik in Linz. Besonders prägte sie darüber hinaus der Lehrgang für Computermusik und elektronische Medien (ELAK) an der mdw–Universität für Musik und darstellende Kunst Wien bei Katharina Klement, Wolfgang Musil, Thomas Grill und Burkhard Paul Stangl, durch welchen sie einen ersten Zugang zur Improvisationsszene in Wien erlangte. Neben ihren Tätigkeiten als Musikerinnen und Komponistinnen studierten Bajde und Forciniti gleichermaßen sozialwissenschaftliche Fächer. So bringt Bajde soziologisch-politikwissenschaftliches Wissen und Forciniti einen soziologisch-kommunikationswissenschaftlichen Hintergrund mit, auf deren Grundlagen sie gemeinsam in Gespräche kommen und ihr musikalisches Schaffen als Duo gesellschaftsrelevanten Aspekten öffnen. Ihre geisteswissenschaftlichen Studien ergänzen sich also gut und sorgen für einen intensivierten Austausch im Prozess kompositorischer Ideen. Bajde und Forciniti sind Künstlerinnen. Sie sind aber auch Sozialwissenschaftlerinnen. Und sie sehen ihre Aufgabe darin, diese beiden Facetten miteinander zu verknüpfen und die Kunst als Sprachrohr für die Geisteswissenschaften zu benutzen.
Zwischen Improvisation und Komposition
Aleksandra Bajde und Isabella Forciniti verfolgen unterschiedliche Ansätze des kompositorischen Prozesses. Während Bajde besonders durch den Jazz geprägt ist, bringt Forciniti elektronische und experimentelle Einflüsse zur Geltung. Obgleich sich die Musikerinnen bei der Verwendung ihrer musikalischen Stile und deren Interpretation und Performance unterscheiden, so ergänzen sie sich jeweils durch die Komponente der jeweils anderen Künstlerin auf der Bühne und entdecken auf diese Weise neue Klangbilder. Während Bajde im Solorepertoire auch mit „klassisch notierten“ Kompositionen arbeitet, beschränkt sich das Duo mehr auf die Improvisation beziehungsweise auf strukturierte Improvisation: Die Proben- und Kompositionsarbeit besteht aus gemeinsamen kompositorischen Denkprozessen, in denen die Künstlerinnen entscheiden, mit welchen Elementen und musikalischen Inhalten sich das Werk im Gesamten auseinandersetzen soll und welches Grundgerüst beziehungsweise welche Formstruktur dabei zugrunde liegen soll. „Es ist nicht alles fest, aber eben auch keine freie Improvisation“, wie Bajde im Gespräch formuliert. Die Probenarbeit lebt von der Besprechung einer dramaturgischen Entwicklung und beschäftigt sich dabei stets mit Fragen, wie sich die Stärken der beiden Musikerinnen gegenseitig sinnvoll ergänzen können. So zählt Forciniti mögliche Fragestellungen auf: „Was kann von der Elektronik, was von der Stimme, was von akustischen Instrumenten und was von anderen Objekten als Klangmittel integriert werden? Handelt es sich um einen Konzertsaal, ein Museum oder einen anderen öffentlichen Ort? Welche Möglichkeiten haben wir auf der Bühne?“ Der Prozess des Komponierens ist also kein Komponieren im klassischen Sinne. Durch das Ausprobieren von Sounds und Klangmaterialien, Tonaufnahmen und dem intensiven sozialwissenschaftlichen Austausch entstehen Schritt für Schritt Ideen für ein Grundgerüst des Konzertabends. Dessen Skizzierung in verschiedene Abschnitte dient mit seinen elementaren Verweisen auf musikalisches und performatives Material als Plan und Partiturersatz im Konzert. Bajde und Forciniti sind in ihren strukturellen Improvisationen immer wieder auf der Suche nach neuen Klangfarben. Ihre Musik lässt sich daher nicht konkret einem Genre zuordnen, zumal sich die beiden sowieso offen gegenüber jeglichen Kompositionsstilen zeigen. Dennoch kann man den experimentellen Gedanken, unterstützt durch Performanceelemente, immer wieder in ihren Konzerten nachvollziehen. So könnte man auch von strukturiert-experimentellen Improvisationen sprechen.
„Kollision. Freiheit. Klaustration“
Nachdem Aleksandra Bajde auf Empfehlung von Martina Claussen, einer etablierten Komponistin und Vokalistin der zeitgenössischen Wiener Konzertszene, im September 2020 Kontakt mit Isabella Forciniti aufnahm, war direkt klar, dass beide an einer Zusammenarbeit als Duo interessiert waren. Dennoch erschwerten die Rahmenbedingungen der gegenwärtigen Zeit ihre musikalische Arbeit. Während das gemeinsame Proben zwar trotz Lockdowns mit Einschränkungen möglich war, brachten die ersten Konzerte ganz neue Herausforderungen mit sich; so etwa fand das erste gemeinsame Konzert im Februar 2021 in der Alten Schmiede in Wien online statt. Und wie es passender nicht hätte sein können, verwendeten die Musikerinnen die Emotionen der Menschen als Ausdrucksmittel für ihre Musik. „Kollision. Freiheit. Klaustration“ – drei Begriffe, die die Coronazeit mit ihren verbundenen Lockdowns nicht hätten besser beschreiben können. Drei Begriffe, von denen jeweils einer für einen Teil des strukturiert-improvisatorischen Konzertes bestimmt war. Das Konzert könnte als Versuch gedeutet werden, die vielfältige Gefühlslage der damaligen Coronazeit und -lage einzufangen und für einen kurzen Moment von sich abzuschütteln. Ein Space, in dem man für einige Zeit seine Gedanken in Musik umwandeln kann und die Pandemie hinter sich lässt.
„Das ist ein Missverständnis“
Das auf dem Gedicht „tik tak“ von Lina Morawetz basierende experimentelle Werk „Das ist ein Missverständnis“ ist eine der wenigen Kompositionen des Duos, die die Musikerinnen so konzipierten, dass sie es selbst jederzeit 1:1 reproduzieren können. Durch genaue Notizen und Programmierung mit Hilfe von computergestützten Musikprogrammen können jegliche improvisatorischen Ideen auch im Nachgang der einstigen CD-Aufnahme von Fraufeld abgerufen werden, sodass das Werk bei Konzerten, wie zum Beispiel bei seiner Uraufführung im Rahmen von Wien Modern im Wiener Konzerthaus im November 2022, immer wieder genauso gespielt werden kann, wie es einst konzipiert wurde. Neben dem besonderen Aspekt der Reproduzierbarkeit ist dieses Musikstück aber besonders interessant in Bezug auf seinen thematischen Background. Es ist kein rein musikalisches Werk, sondern wurde mit dem Ziel geschaffen, die siebzehn Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen (SDGs) zu unterstützen. Die Komposition möchte auf die geschlechterspezifische Ungleichheit und die unfairen Machtverhältnisse auf der Welt hinweisen. Ausgangspunkt der Kompositionsidee waren dabei persönliche Erfahrungen der beiden Musikerinnen. Diese sollen allerdings nicht im Fokus der Aufführung stehen. Vielmehr liegt es Bajde und Forciniti auf dem Herzen, ihre persönlichen Erfahrungen dazu zu nutzen, Awareness in der Neuen und elektronischen Musikszene zu etablieren. Sie verfolgen dabei den Ansatz, dass nicht nur sie so etwas erlebt haben, sondern viele Leute auf der Welt, und dass dieses Stück die soziologisch-politische Realität in einen öffentlich-geschützten Raum bringen soll. „Das ist ein Missverständnis“ lässt viel Raum für Interpretation. Es braucht daher einen Text als Grundlage, welcher über den konkreten Inhalt Auskunft geben soll. Die beiden Musiker:innen posteten daher via Social Media Hintergründe über den Inhalt und Kontext der Komposition. Das Risiko dieser Veröffentlichung besteht allerdings darin, dass nicht alle Zuhörenden die Geduld und Zeit mitbringen, diese Text online zu lesen, zu hinterfragen und verstehen zu wollen. Dennoch zielt das Werk ganz explizit, auch durch die Hinzunahme der Performanceelemente, darauf ab, das Publikum in die genannten Problematiken der Welt mitzunehmen, sodass sich dieses in die Situationen hineinfühlen und über sie nachdenken kann.
„The Animal Within“
Das aktuellste Projekt des Klangduos umfasst eine Zusammenarbeit mit der Choreografin Brigitte Wilfing und dem Museum moderner Kunst (mumok) in Wien. Nachdem Bajde und Forciniti ein Konzept entwickelten und dafür eine Förderung erhielten, kontaktierten sie das mumok und wurden daraufhin für eine Performance im Rahmen einer Matinee eingeladen. Das Konzert fand im Dezember 2022 in den Ausstellungsräumen statt und lud die Konzertbesucher:innen dazu ein, die Beziehung zwischen tierischen und menschlichen Körpern neu zu begreifen. Die Musik bespielte dabei eine erfahrbare Hörebene, die die Ausstellung nicht darbieten kann. Zuhörende konnten sich so intensiv mit der Beziehung zwischen Klang und Körper auseinandersetzen und mit Hilfe der Performancedarbietung die Welt der Organismen neu entdecken.
Experimentelle Improvisationen, Performances und Co – ein Ausblick
Aleksandra Bajde und Isabella Forciniti verbindet ihre Liebe zur Musik, zur Elektronik, zur Experimentierfreudigkeit, zur Komposition, zur Performance und ganz besonders zur Improvisation. Als Composer-Performerinnen erkunden sie gemeinsam neue Klangebenen und versuchen diese auch in Zukunft mit sozialwissenschaftlichen, gesellschaftsrelevanten und aktuellen Themen zu verknüpfen, um Zuhörende aus ihrem gegenwärtigen Alltag abzuholen und in das Spiel mit der Kunst zu „entführen“. Als nächstes Projekt ist ein Konzert am 21. April beim Sonica Festival in Ljubljana geplant, bei dem das Duo, gemeinsam mit einem Visual Artist, eine Performance aus dem Aufführungsraum heraus entstehen lässt.
Valeska Maria Müller
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Termin:
Freitag, 21. April 2023
Sonica Festival, Ljubljana
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Links:
Aleksandra Bajde
Isabella Forciniti
Aleksandra Bajde (music austria Datenbank)
Isabella Forciniti (music austria Datenbank)